Gefühlsarbeit für Alle! Warum ich keine Lust mehr habe, alleine für die Zufriedenheit meiner Familie zu sorgen
Es war Anfang des Frühjahrs, als uns die große Krankheitswelle überrollte. So schlecht ging es mir selten: ich hatte Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen und mir tat alles weh. Meine größte Panik war aber nicht die Krankheit selbst, sondern der Ausfall meiner Arbeitskraft bei uns zuhause. Wer würde nun den Riesenberg Wäsche waschen, der unten lag? Wer würde das Geschenk für Luises Freundin Marie besorgen und sie mittwochs zur Party fahren?
Noch ein Gedanke ging mir durch den Kopf. Wenn ich in ein paar Tagen wieder aufstand, wie würde dann die Küche aussehen? Für mich trägt eine aufgeräumte Küche wesentlich zu meiner Zufriedenheit bei. Mein Mann Anton hingegen frühstückt auch dann in Ruhe, wenn Arbeitsplatte, Spülmaschine und Spüle mit dreckigem Geschirr vollgestellt sind.
Also schleppte ich mich die Treppen herunter, trotz Fieber und Halsschmerzen. Ich erklärte meinen Mann Anton, was in den nächsten Tagen anstand, auf was er achten sollte, welche Haushaltstätigkeiten zu tun waren und wie genau das mit dem Kindergeburtstag ablief. Anton befahl mir, nach oben zu gehen. Er würde alles wie beauftragt erledigen und mir Tee und Husten-Bonbons bringen.
Für alles zuständig
Alle paar Stunden hielten wir Rücksprache. Er stand in der Tür und fragte, was er den Kindern zu Mittag kochen könne. Dann saß er mit einem Einkaufszettel neben mir. Ich diktierte, was er kaufen sollte (bitte auf Plastik verzichten und die Stoffbeutel mitnehmen) und erinnerte ihn an den Logopädie-Termin von unserem Sohn.
Als Anton nachmittags nach dem Logopädie-Ordner suchte und ihn nicht fand, stand ich auf und suchte mit, entdeckte ihn im Kinderzimmer und bat Anton auf meinem Weg zurück ins Bett, die Blume zu gießen, die vor sich hin trocknete. Mir ging es hundeelend und ich wünschte mir eigentlich nichts mehr, als mich auszuruhen.
Was läuft hier schief?
Dass hier irgendetwas nicht stimmte, ging mir zwei Wochen später auf. Dieses Mal hatte es Anton erwischt. Er lag im Bett und litt, wie ich vorher, an einer hartnäckigen Seitenstrang-Angina. Während er sich zwei Tage am Stück ausschlief, kümmerte ich mich um ihn, brachte Tee und Hustenbonbons und erledigte Job, Kids und Haushalt.
Die Halsschmerzen waren unangenehm, aber das war Antons einziges Problem. Er konnte sich in Ruhe auskurieren, denn er wusste, dass ich mich um alles kümmern würde. Anders bei mir: wenn ich krank werde, nerven mich die Schmerzen auch. Aber viel schlimmer ist das Gefühl, dass ohne mich der Laden nicht läuft. Dass ich keine Gelegenheit habe, mich drei Tage auszuruhen, weil laufend ein Familienmitglied in der Tür steht und mich etwas fragt. Dass ich mich gefasst machen kann, auf eine Liste von allerlei Kleinigkeiten, die unerledigt sind, wenn ich wieder gesund bin. Die Pflanze wird vertrocknet, der Geburtstag der Tante vergessen, die Herdplatte schmutzig sein. Ich werde nicht nur das tun müssen, was immer anfällt, sondern noch einige Dinge darüber hinaus machen, die liegen geblieben sind.
Ein ewiges Missverständnis
Als ich diese unfaire Situation wahrnahm, wollte ich mit Anton reden, nachdem alle wieder gesund waren. Aber wir kamen wie so oft an diesen toten Punkt, weil er nicht verstand, was ich meinte. Er fühlte sich angegriffen und verteidigte sich, denn er hatte doch alles gemacht, was ich ihm aufgetragen hatte. Er hatte die Lage im Großen und Ganzen im Griff, kümmerte sich um die Kinder und war zur Arbeit gefahren. Diese eine vertrocknete Blume, was war denn daran so schlimm?
Es ist so unglaublich schwer, über mentale Last und Gefühlsarbeit zu reden, auch wenn wir es immer wieder probieren. Anton ist er ein liebevoller Vater, ein guter Hausmann und mir ein gleichberechtigter Ehemann. Es geht nicht einmal nur um meinen Sauberkeitsfimmel oder um perfekt gepflegte Blumen, sondern es geht auch darum, dass wir die Mützen der Kinder morgens nicht finden, wenn sie nicht abends zuvor aufgeräumt werden. Es geht darum, dass wir doch eigentlich beide wissen müssen, was auf den Einkaufszettel kommt. Letztlich geht es darum, dass wir alle ein möglichst zufriedenes Leben führen können.
Was hinter dem Begriff “Gefühlsarbeit” steckt
Das Wort kommt ursprünglich aus dem Englischen. Dort heißt es „emotional labour“ und wurde einst von der Soziologin Arlie Hochschild etabliert, die über die Aufgabe von Menschen sprach, Gefühle aus beruflichen Gründen managen zu müssen. Beispielsweise wird von einer Flugbegleiterin erwartet, dass sie immer freundlich ist, auch in stressigen oder gefährlichen Situationen. Seine eigenen Gefühle zu kontrollieren, damit sich andere wohl fühlen, wird aber auch in der Familie gefordert. Eltern kümmern sich für gewöhnlich darum, dass mit den Kindern, dem Haushalt und der Familien-Organisation alles gut läuft. Bisher machen das in einem Großteil der Familien vor allem die Mütter. Sie notieren Termine, sie reinigen das Flusensieb der Waschmaschine, sie besorgen Geschenke, sie erinnern daran, dass die Kinder ihre Logopädie-Übungen machen. All das ist mentale Arbeit, die schnell zur mentalen Last wird. Mentale Last kennen wir von der englischen Bezeichnung Mental Load, über die ebenfalls viel geschrieben wird. Gefühlsarbeit ist nun also nicht die Aufgabe, an die Logopädie-Übungen zu erinnern oder neues Klopapier zu kaufen. Es ist aber die Arbeit, die aufgewendet werden muss, daran zu denken. Würden wir von selbst daran denken und würden uns all die Dinge im Kopf, an die wir denken und die wir erledigen müssen, kein bisschen stören, wäre es im Grunde keine Gefühlsarbeit. Denn Arbeit benötigt Energie. Aber es ist ja doch so, dass es Arbeit bedeutet, an all das denken zu müssen und es hindert uns daran, einen freien Kopf zu haben, um Pause zu machen und uns zu erholen. Gefühlsarbeit ist übrigens auch die Arbeit, die wir aufbringen, um unsere Gefühle im Zaum zu halten, damit sich andere wohl fühlen. Bei Kindern machen wir das dauernd. Aber wir machen es auch mit unserem Partner. Ein theoretisches Beispiel: ich erinnere meinen Partner daran, Zahnpasta einzukaufen. Innerlich bin ich sehr wütend, weil er eine zur Neige gehende Tube einfach ignoriert. Ich habe drei Möglichkeiten: 1. Ich reguliere meine Wut und erkläre ihm freundlich das ganze Konzept der Gefühlsarbeit und der mentalen Last, damit er es versteht und sein (Nicht-) Handeln überdenkt, dieses Mal die Zahnpasta kauft und das nächste Mal selbst daran denkt. 2. Ich reguliere meine Wut und erinnere ihn freundlich, Zahnpasta zu kaufen, weil ich keine Lust habe, ihm alles zu erklären oder vielleicht denke, dass er es nicht versteht. Dann haben wir wenigstens Zahnpasta im Haus. 3. Ich reguliere meine Wut nicht, meckere ihn an, dass er nicht selbst an die Zahnpasta denkt und nehme in Kauf, dass wir nun streiten werden, er wütend wird, weil er sich angegriffen fühlt , ich aber keine Lust habe, die Regeln der Kommunikation zu befolgen, weil das auch schon wieder Gefühlsarbeit bedeutet, AUF DIE ICH KEINE LUST MEHR HABE!
Unterm Strich ist Gefühlsarbeit in meinem Text definiert als Sammlung von Aufgaben, an die ich für meine Familie und den Haushalt denken und die ich auch oft auch selbst erledigen muss (mentale Last). Das in Kombination mit meinem vollgestopften Kopf, der mir das Leben schwer macht, weil ich mich alleine dafür zuständig fühle, dass hier alles läuft, sodass meine Familie zufrieden ihr Leben so führen kann, wie sie es möchte – auf Kosten von meinen Gefühlen.
Sozialisation und Maternal Gate Keeping
Eine Lösung haben wir erst gefunden, nachdem wir uns beiden geöffnet und über unsere Gefühle gesprochen haben. Warum fühle ich mich immer zuständig, warum kann ich die Verantwortung nicht einfach abgeben, wenn ich krank bin? Maternal Gate Keeping wird dieses Phänomen genannt. Wenn Anton das Gefühl hat, er könne es mir nie recht machen (Wäsche falsch gefaltet, Gemüse in der Plastiktüte gekauft, meinen Sauberkeits-Standard nicht erfüllt), dann wird es ihm schwer gemacht, Verantwortung zu übernehmen. Ich muss ran an diesen zwanghaften Perfektionismus. Es stimmt nämlich nicht, dass der Laden ohne mich nicht läuft. Er läuft sogar sehr gut und wen interessieren schon Krümel auf dem Boden, wenn ein Erwachsener anpackt, sich um Kinder und den Haushalt kümmert und nebenbei auch noch viel gelacht wird?
Im Gegenzug lernt Anton, sich mehr zu kümmern. Nicht nur um die Kinder, das macht er perfekt. Aber um all die Kleinigkeiten wie die Pflanze, den Kindergeburtstag, das Auffüllen des Klopapiers und all den ganzen Kram. Dafür haben wir ein System entwickelt und verwenden Online-Tools und Kalender, Erinnerungen per Handy und Post-Its. Außerdem ist unser Kalender synchronisiert und seit kurzem verabreden wir uns jeden Sonntag, um die Woche zu planen.
Was uns klar wurde: wir wurden so erzogen. Mädchen kümmern sich von klein auf im Puppen-Spiel. Sie rufen die Oma zum Geburtstag an, malen den Eltern Bilder und hören Märchen von der schönen Prinzessin, die so „liebreizend war, dass sie jeder gern haben musste.“ Meine Oma zitierte stets den Spruch von dem Veilchen im Moose, das sittsam bescheiden und rein war. Die Jungen dagegen mussten sich wenig kümmern, um die anderen nicht und nicht um sich selbst. Früher wurde ihnen dazu noch eingeredet, sie sollten nicht weinen. Gefühle zeigen ist eben nicht so ihr Ding, hieß es dann. Das war auch in der Pubertät klar: Jungs, die Roxette hörten und Liebesbriefe schrieben, waren nicht mal halb so cool wie die lässigen Typen mit der Zigarette im Mund. In meinem Freundeskreis waren wir Mädels uns kichernd einig, dass wir eben auf die fiesen Typen stehen, die uns abblitzen lassen.
Als Mädchen habe ich gelernt, was von Frauen erwartet wird. Bereits meine Mutter machte die Gefühlsarbeit und ich habe verstanden, dass es die Frauen sind, die sich um die Dekoration, um Blumen auf dem Tisch und um die Weihnachtspost kümmern und um die Zufriedenheit der Menschen um sie herum.
Kein individuelles Problem
Wie uns geht es vielen Paaren. Überall gibt es Frauen, die die mentale Last der Gefühlsarbeit fertig macht und die nicht mehr ein noch aus wissen. Überall gibt es Männer, die sich die Vorwürfe anhören, das Problem nicht verstehen und sich laufend angegriffen fühlen. Es ist viel weitreichender, als wir vermuten. Die Frage ist nun: wollen wir das Problem lösen, für unsere Beziehung, für uns selbst und für unsere Kinder?
Wenn wir uns einmal bewusst werden, wie sehr uns die Gesellschaft prägt und wie früh wir sozialisiert werden, wird uns schnell klar, in welche Zwickmühle uns das bringt. Wir Frauen sind nicht besser in Gefühlsarbeit und Haushalts-Organisation, weil das in unseren Genen liegt. Wir wurden einfach darauf getrimmt und zwar seit Generationen.
Zurück zu Anton und mir: Wir müssen daran arbeiten, die mentale und emotionale Last gerechter zu verteilen. Dabei soll er nicht zu meinem perfekten Assistenten werden, denn das hat Gemma Hartley in ihrem Buch „Es reicht“ erkannt: Sie hatte einst den Wunsch, dass ihr Partner alles macht, wie sie es will. Diese vermeintlich ideale Lösung verlangte nicht von ihr, sich mit ihren eigenen Problemen auseinander zu setzen – ihrem Perfektionismus, ihrem Kontrollzwang und den subtilen Vorurteilen gegenüber ihrem Mann.
Frauen in der Zerreißprobe
All diese Ansprüche, die ich so an mich stelle, kennen viele Frauen. Wir wollen modern sein und berufstätig, wollen Geld verdienen und den Männern in nichts nachstehen. Wir können gleichzeitig nicht abschütteln, was von Frauen seit jeher erwartet wird: die liebevolle, geduldige Mutter zu sein und den Haushalt im Griff zu haben. Das setzt uns unter Druck und wir ackern wie die Verrückten, um all dem gerecht zu werden. Wir spielen Weihnachtselfen und wissen die besten Geschenkideen, weil wir gelernt haben, es für alle schön zu machen und dafür zu sorgen, dass alle um uns herum zufrieden und glücklich sind.
Manche Männer sind total überfordert damit, ein Geschenk auszuwählen, das ein Brautpaar erfreuen könnte oder eine Karte zu Weihnachten mit netten Worten zu füllen. Das liegt nicht an ihrer Unfähigkeit, das liegt eher daran, dass es nie von ihnen erwartet wurde. Aber das Schöne ist: sie können es lernen. Sie können lernen, Gefühlsarbeit zu machen und ein Partner auf Augenhöhe werden. Und wir Frauen können lernen, uns mit dem Druck auseinander zu setzen, der auf uns lastet und die soziale Konditionierung hoffentlich abschütteln.
Ich denke manchmal, ich sehe ein Licht am Ende des Tunnels. Reden hilft, darüber schreiben auch. Vor allem hilft es, die Wahrheit zu sagen: Gemma Hartley hat recht, wenn sie sagt: Es reicht!