Wie es ist, so richtig, richtig alleinerziehend zu sein
Wir sind seit ein paar Tagen krank, während ich das hier schreibe. Beide. Bei mir brodelte es gefühlt seit ein paar Wochen, ohne dass es zum großen Ausbruch kam. Hals- und Kopfschmerzen, Gliederschmerzen und Temperatur immer nur so weit, dass ich sie gut zur Seite schieben konnte. Julius’ Nase begann wiederum vergangene Woche zu laufen. Und dann kam er doch, der Totalausfall und mit ihm der Husten. Permanent. Gefühlt alle zehn Sekunden. Während die Sonne über unserem Haus stand und als sie unterging, mit ihr die Stimmen und das Licht erlosch. Nur der Husten, der blieb und verbrachte einige ruhelose Nächte an meiner Seite. Ich hätte ihn erwürgen können, den Husten – wäre da nicht sein Geselle, das bellende Kind.
Nun schreibe ich trotzdem in dieser Situation zum ersten Mal hier auf dem Blog über meine Situation als Alleinerziehende. Das war nicht immer so. Eine Zeit lang habe ich es wie Marie gehalten: Teilzeit. Kein fixer Wochenwechsel, aber Julius’ Vater und ich wechselten uns ab. Julius verbrachte vier Tage bei mir, dann wieder zwei bei seinem Papa, wieder drei bei mir, einen bei seinem Vater, usw. Dann bot man ihm vor ein paar Monaten einen Job in Liechtenstein an und er ging. Seitdem besucht er Julius jedes zweite Wochenende für einen Tag. Von Samstag auf Sonntag.
Den Rest der Zeit sind wir alleine oder um es etwas freundlicher auszudrücken: unter uns. Großeltern oder andere Verwandte haben wir hier in Berlin nicht. Hängen alle im Westen der Republik ab und da auch irgendwie fest.
Den Übergang zu schaffen, ist die halbe Miete
Ich glaube, es fällt mir leichter, als ich angenommen hatte, wie es sein würde, als Julius’ Vater ankündigte, zu gehen. Und oh ja, der Übergang war schwer: die Anpassung von Teilzeit- auf Vollzeit-Alleinerziehend. Für uns beide im Übrigen. Die Alleinerziehenden-Nummer ist für die Kinder ja nicht weniger schwierig. Vor allem dann, wenn die Mutter, der alleinerziehende Vater physisch wie psychisch durch die Situation belastet ist. Und das gehört nun mal dazu. Ganz klare Kiste. Da muss man auch kein Geheimnis draus machen. Für den einen weniger als für den anderen vielleicht. Es ist aber auch schwierig, weil das Kind natürlich trauert um den anderen Elternteil, der als Selbstverständlichkeit zur Nebensache im Alltag gerät.
Was ich vorher aber dachte und nun bei mir nicht so arg eintritt, ist wiederum die große Trauer über den Verlust jenes Teilzeit-Lebens, das ich mir neben Julius zurückerobert hatte, als wir uns als seine Eltern trennten: flexibel zu sein trotz Kind, regelmäßige Erholungsfenster und ja auch das Leben in Auszügen fortzusetzen, dass ich vor Julius hatte.
Am schwersten wiegt der Alltag
Ich glaube, für mich wiegen eigentlich all die kleinen Momente im Alltag am schwersten. Dass hier nie jemand ist, der mich einmal für einen Moment aus der Situation nehmen kann, wenn Julius mault. Aber auch: Dass hier nie jemand ist, der Julius aus der Situation nehmen kann, wenn ich maule, gestresst oder ungerecht bin. Niemand, der dem Kind gar eine alternative Gefühlslage anbieten und damit sein durch mich verursachtes Weltbild korrigieren könnte. Wir müssen alleine klar kommen. Er wie ich. Mit allen Emotionen. Es ist nun einfach so, dass ich immer die Ansprechpartnerin für ihn bin. Dass wir an den allermeisten Tagen alleine am Frühstückstisch sitzen. Dass die Morgen-, die Nachmittags- und die Abendroutinen immer und alleine meines Einsatzes bedürfen. Julius ist inzwischen sehr selbstständig unterwegs. Beschäftigt sich etwa ganz selbstverständlich allein, während ich hier mein Programm am Morgen abspule. Aber ich kann mich auch noch gut an die Zeit erinnern, als er mit zwei jammernd und kreischend am Duschvorhang zog und das Prozedere für mich morgens zum Schlachtfeld geriet. Und abends spontan Ausgehen? Pah, das war einmal. Es gibt schlichtweg einfach keine Flexibilität oder nur die durch einen Babysitter bezahlte.
Und das, also den Babysitter so weit einzuspannen, dass man sich durch ihn tatsächlich Erholung erkauft, ohne dass es finanziell allzu sehr schmerzt, können sich wohl nur die wenigsten leisten. Ich setze Babysitter zum Beispiel häufig nur für geschäftliche Termine am Abend ein, selten hingegen, um mir damit Freizeit außerhalb der eigenen vier Wände zu erkaufen, weil ich schlichtweg keine Fuffis im Club schmeißen kann. Alleinerziehend zu sein, ist nämlich auch ganz eindeutig eine ökonomische Gefahr. Nicht zuletzt wird genau diese Gruppe Eltern immer wieder als diejenige ausgewiesen, die oft an der Armutsgrenze lebt, häufig mindestens mit Hartz IV aufstockt, wenn nicht sogar gänzlich davon abhängig ist. Es ist auch die Gruppe, die kaum gehört wird, keine Lobby hat. Wie so häufig mit hochbelasteten Gruppen: Sie finden weder Zeit noch Energie, für bessere Verhältnisse zu kämpfen.
Nun habe ich immer gearbeitet und uns lange Zeit alleine durchgebracht, als Julius’ Papa noch studierte, und das hat auch funktioniert. Aber mit den Privilegien eines doppelten Einkommens, gar der Besteuerungs-Ungerechtigkeit von verheirateten Paaren, hat das natürlich wenig zu tun. Ich bezahle hier alle großen Beträge alleine, die in Beziehungen geteilt werden und die dann wohl auch nicht so krass ins Konter schlagen. Letztlich ist der größte Unterschied zu zusammenlebenden Eltern wohl: Es gibt niemanden, mit dessen Gehalt ich meines subventionieren könnte, noch Einnahmen, die uns uns auffangen könnten, wenn ich einmal nicht funktionierte.
Der Ausnahmezustand gerät schnell zur Selbstverständlichkeit
Gewisser Weise ist dieser Alltag nun aber einer, der selbstverständlicher ist, als das, was ich vorher mit Julius’ Vater gelebt habe. Wir haben uns sehr früh getrennt. Ich bin inzwischen dreieinhalb Jahren teil- und nun alleinerziehend. Ich kann mich schlichtweg kaum noch daran erinnern, inwieweit unser Leben einmal ein anderes war.
Ich empfinde mich auch nicht so, wie Alleinerziehende oft dargestellt werden: als Opfer ihrer Verhältnisse. Als jener Personenkreis, der so belastet ist, dass er gar nicht anders kann, als prekär zu leben, mit dem zudem auf einer professionellen Ebene nur schlecht zu kalkulieren ist wegen höherer Ausfallraten. Alleinerziehend sein als Schicksalsschlag, der einen statistisch nicht nur früher ins Grab bringt ob all des Stresses, sondern einem schlichtweg das Leben verleidet.
Den Blick geradeaus, das Kinn hoch
Ich würde indes und entgegen all der Klischees über Alleinerziehende sagen, dass Julius und ich hier sehr privilegiert unterwegs sind und ich dankbar bin um all die Möglichkeiten, die wir so haben. Es gibt ja immer ärgere Verhältnisse – zumal wir hier in Berlin auf der Insel der Glückseligen leben, möchte man das mal am bundesrepublikanischen Standard – Stichwort Kita-Verhältnisse – vergleichen. Ganz zu schweigen davon, was unser Leben im Abgleich zu globalen Verhältnissen bedeutet. Ich bin kein Fan der Tellerwäscher-Mär, aber man kann doch das eine oder andere schaffen, wenn man Dinge angeht, anstatt nur über sie zu hadern. Und das sage ich als Arbeiterkind.
Kurzum: ich habe mein Leben nie nach einem fixen Konzept, einem bestimmten Verlauf geplant. Ich lebe hier in Berlin ein ganz anderes Leben als meine Eltern – fernab von Ehe, Eigentum und Einlagensicherung -, aber ich würde lügen, wenn mir der familiäre Zusammenhalt nicht fehlte, wenn ich behauptete, wir kämen immer ganz prima zurecht. Klar, meistens ist das Glas halb voll. Manchmal aber zerbirst so ein Glas auch und dann gilt es für alle Beteiligten, die Scherben so zusammenzufegen, dass sich niemand allzu sehr daran verletzt – auch in der Annahme und als Perspektive, dass andere Gläser parat stehen, aus denen es sich bald trinken lässt.