Nackentransparenz – Machen oder nicht?

Als ich mit Xaver schwanger war, war ich noch relativ naiv, was das Thema "Pränataldiagnostik" angeht. Meine sehr entspannte Ärztin sagte: "Sie müssen diese Untersuchung (wir sprachen über die Nackentransparenz) nicht machen, wenn sie ein weniger gutes Ergebnis bekommen kann es eben schon sein, dass sie die Schwangerschaft überhaupt nicht mehr genießen können." Freunde sagten: "Ach, mach sie doch, dann hast du ein besseres Gefühl." Ich machte sie. Und verließ die Praxis mit einem ausgesprochen schlechten Gefühl.

Das lag sicher insbesondere an der unsensiblen Ärztin, die ich erwischt hatte. Sie klärte mich im Anschluss an die Untersuchung, bei der ich ein erschreckend “fertig entwickeltes” Baby bewundern durfte, mit trockendem Ton darüber auf, dass die Wahrscheinlichkeit, dass das Baby bei einer Fruchtwasseruntersuchung sterben würde, deutlich höher sei, als die Wahrscheinlichkeit, dass es das Down-Syndrom hat. Das war’s so ungefähr. Ich war geschockt. Ich hatte überhaupt nie vorgehabt, in diese heile Welt reinzupieksen, geschweige denn war es für mich ernsthaft vorstellbar, mein Wunschkind zu töten (und so fühlte sich eine Abtreibung in diesem Stadium für mich an), nur weil es vielleicht nicht ganz meinen Vorstellungen entspricht. Was hätte sie zu mir gesagt, wenn das Ergebnis weniger deutlich gewesen wäre? Hätte sie mir in dem selben, trockenen Ton ans Herz gelegt, eine Abtreibung vorzunehmen?

Erste Erfahrung – doof und folgenschwer

Diese doofe Erfahrung kostete mich 150 Euro und viele schlaflose Nächte. Warum macht man diese Untersuchung? Welche Möglichkeiten gibt es danach, wenn alles nicht rosig aussieht? Die Sache ist die: die Nackentransparenz-Untersuchung kann in Woche 11-14 eine Wahrscheinlichkeit ausrechnen, ob das Baby Trisomie 21 hat. Auch die Wahrscheinlichkeiten für Trisomie 18 und 13 werden berechnet, doch meine Ärztin versicherte mir, diese (sehr viel schwerwiegenderen) Fälle würden sich so auffällig entwickeln, dass sie sie auch in ihrem Ultraschall entdecken würde. Es geht als doch immer exemplarisch um das Down-Syndrom. Die Untersuchung rechnet aber – wie gesagt – nur eine Wahrscheinlichkeit aus. Und auch eben nur für diese drei Trisomien. Man sieht auch, ob das Herz sich gut entwickelt, man kann aber keine anderen “Chromosomenanomalien” feststellen. Eine Gewissheit, dass das Kind wirklich gesund ist, hat man also danach noch lange nicht. Sie ist, so alles der “Norm” entspricht, ein erstes Indiz dafür, dass das Baby sich gut entwickelt, aber sie ist keine Garantie auf ein “gesundes Kind”. Seien wir ehrlich: das Baby kann einen anderen Chromosomenfehler haben, einen Herzfehler, es kann etwas bei der Geburt schief laufen, oder zu einer Infektion kommen und das Kind kann schwere Schäden davon tragen. Und so weiter.

Die Gewissheit auf ein gesundes Kind gibt es nicht.

Wird es vermutlich auch nie geben. Das ist es, was mich am meisten an der Untersuchung gestört hat. Dass Eltern irgendwie vorgegaukelt wird, eine Sicherheit zu haben. Dem ist aber nicht so, oder nur sehr bedingt. Zudem habe ich mich sehr schlecht aufgeklärt gefühlt. Eine Fruchtwasseruntersuchung (Amniozentese), mit der man nicht nur die drei Trisomien sondern auch andere Fehlentwicklungen und Erbkrankheiten feststellen kann (jedoch nicht alle!) ist ein nicht ungefährlicher Eingriff, wie gesagt “in diese heile Welt reinpieksen” kam für mich nicht in Frage, das Risiko einer Fehlgeburt wäre mir viel zu hoch gewesen. Hätte man mich in eine solche Untersuchung “reingeredet” , wenn die Wahrscheinlichkeit für ein Down-Syndrom hoch gewesen wäre? Oder hätte man mich auch und vor allem über die Möglichkeiten aufgeklärt, die ich habe, wenn ich mich dafür entscheide, ein Kind mit Trisomie 21 auszutragen?

Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass ich in den letzten Jahren viele Eltern getroffen habe, die keine “perfekten, gesunden” Kinder bekommen haben. Mareice Kaiser, die den großartigen Blog Kaiserinnenreich schreibt, ist die Beeindruckendste von allen. Sie hat es geschafft, ein Sprachrohr für Eltern von Kindern mit Handicap zu werden, dank ihr ist das Thema für mich ganz nah geworden und auf gar keine schreckliche, sondern eine sehr liebevolle und natürliche Weise. “Kinder sind erst mal Menschen, egal wie sie auf die Welt kommen”, das lehrt Mareice jeden Tag. Ich kenne außerdem Eltern, deren Kinder  schwere Herzklappenfehler, Hörschwächen und seltene Genfehler haben. Diese Kinder sind drei wundervolle Kinder, teilweise nur ganz leicht eingeschränkt, teilweise relativ stark. Diese Handicaps kann man allesamt (soweit ich weiß) nicht in der Feindiagnostik feststellen und Gott bewahre! Gerade jetzt, wo ich die Kinder kenne, kann ich nur ganz deutlich sagen: hoffentlich werden solche Dinge auch nie ein Abtreibungsgrund sein! Aber ist es nicht absurd, dass Trisomie 21, ein Chromosomenfehler, mit dem man, je nachdem wie stark ausgeprägt, doch ein ziemlich “lebenswertes” und relativ “normales” Leben führen kann, exemplarisch wurde? Dass hier so aussortiert wird? Ich will das Down-Syndrom nicht verharmlosen, ich weiß, es gibt Fälle, in denen das Kind sehr stark behindert ist, ich weiß aber auch, dass es als der “Mercedes unter den Behinderungen” gilt. Ich weiß, dass Down-Syndrom Menschen sehr lebensfrohe und, soweit ich das beurteilen kann, liebenswerte Menschen sind. Ich finde es irgendwie einfach nur falsch, dass diese Genommutation nun exemplarisch für das “Aussortieren” gilt.

Doch zurück zu den Eltern, die ich kenne. Sie sind allesamt ernster geworden durch die Erfahrung mit ihren Kindern. Ernster, nachdenklicher, vorsichtiger, ihr Blick auf das Leben hat sich verändert. Aber sind sie weniger glücklich? Ich würde sagen: nein.

Wieder die große Frage: Testen lassen oder nicht?

Nun bin ich also wieder schwanger und stand wieder vor der Entscheidung, ob ich die Untersuchung machen lasse. Ich gehe steil auf die 35 zu, das Risiko, ein Down-Syndrom Kind zu bekommen, steigt damit stetig an. Meine erste Reaktion war: Nein. Ich mache das diesmal nicht. Dank Mareice und all den anderen Eltern hat sich meine Einstellung zu “ein behindertes Kind “haben tatsächlich verändert. Ich muss zugeben, dass es früher so ungefähr das Allerschlimmste war, was ich mir vorstellen konnte. Mittlerweile glaube ich, wenn das Schicksal mir das zumutet, dann werde ich es verkraften. Ich traue mir das zu, sagen wir es mal so. Und weil ich auch eigentlich weiß, dass ich mit dieser Aufgabe leben könnte, dass ich stark genug bin, ist es fast unvorstellbar, ein Kind aufgrund eines Down-Syndroms abzutreiben, erst recht nicht so spät! (Wie gesagt, in der 12/13. Woche sind die Kinder schon sehr “fertig”). Ich bin mir relativ sicher, dass eine solche, späte Abtreibung mich lebenslang psychisch schädigen würde, dass ich mir bis zum letzten Tag Vorwürfe machen würde.

Der Test hätte also eigentlich keine Folgen für mich gehabt, jedoch: da gibt es noch einen anderen Menschen, der ein Wörtchen mitzureden hat: Mein Freund. Für ihn ist das alles nicht so klar. Er sagte: “Ich würde dich niemals in etwas reinreden, du hast das Kind im Bauch, du musst den Großteil tragen. Aber ich kann es mir überhaupt nicht vorstellen, mit einem behinderten Kind zu leben. Vor allem: Ich will nicht bei der Geburt überrascht werden. Das Down-Syndrom können wir feststellen und ich will es zumindest wissen. Ich will zumindest wissen, was wir alles machen können, was wir für Hilfen bekommen. Ich will mich und mein Umfeld darauf vorbereiten.”

Vorbereiten, nicht überrascht werden

Das konnte ich mehr als nachvollziehen. Unsere Entscheidung also: wir machen den Test, schließen eine Fruchtwasseruntersuchung aus (der teure Bluttest kam uns gar nicht in den Sinn, dazu gleich!), aber wenn wir ein relativ eindeutiges Ergebnis haben, dann überlegen wir weiter und gegebenenfalls bereiten wir uns dann einfach darauf vor, dass wir wohl ein Down-Kind bekommen.

Dieses “sich mit dem Gedanken ganz realistisch auseinandersetzen” hat uns beiden unheimlich geholfen. Denn natürlich haben wir Angst! Die Angst, dass mit dem Kind irgendetwas nicht in Ordnung sein könnte, die bleibt die ganze Schwangerschaft, sie hört auch direkt danach nicht auf, sogar jetzt, wo Xaver zweieinhalb ist, hat die Angst nicht aufgehört. Was, wenn er morgen einen Unfall hat? Eine schlimme Infektion bekommt. Wie gesagt, die Garantie dass alles tippitoppi läuft, gibt es eben nicht.

Wir waren nach all unserem Hin und Her dann schon fast zu spät dran für die Untersuchung. Bekamen relativ spontan aber einen Termin, diesmal in einer anderen Praxis. Ich fuhr mit gemischten Gefühlen dort hin, hatte Angst vor einem ähnlich blöden Erlebnis wie beim letzten Mal. Hatte natürlich auch Angst davor, dass ich mich gleich wirklich mit einer lebensentscheidenden Frage beschäftigen muss. Im Wartezimmer warf ich den anderen wartenden Eltern kritische, gemeine Blicke zu. Völlig irrational dachte ich “warum bist du hier, würdest du dein Kind jetzt töten?”. Das war unfair, das weiß ich, aber ich konnte nicht anders. Ich fühlte mich schon schuldig, da überhaupt zu sitzen. Mein Kind überhaupt so zu inspizieren, um auch ja sicherzustellen, dass es perfekt ist. Dabei ist es nicht so, dass ich Eltern verurteile, die anders entscheiden. Nicht jeder ist in einer so privilegierten Lage wie ich, nicht jeder hat die Möglichkeiten und das Umfeld, sich eine solche Entscheidung zuzutrauen. Ebensowenig wie ich eine anderweitig oder überhaupt nicht begründete frühe Abtreibung je verurteilen würde. Das ist eine so persönliche Entscheidung und ich finde es prinzipiell sehr gut, dass Frauen heute diese Freiheiten haben. Und keine Frau treibt leichtfertig ab, davon bin ich überzeugt.

Diesmal: gut aufgeklärt, gut erklärt

Vor der Untersuchung mussten wir ein paar Formulare ausfüllen, entschieden uns gegen einen Bluttest, der das Ergebnis stützen könnte, wurden auf den teuren (900 Euro, drinnen beim Arzt gab es ihn dann zum “Sonderpreis” von 600 Euro) Bluttest hingewisen, der eine 100%ige Sicherheit in Sachen Down-Syndrom versprach. In den Papieren stand auch ganz klar: Keine Garantie auf ein vollständig gesundes Kind. Und dass es weiterführende psychosoziale Hilfe gibt, im Fall der Fälle. Das gefiel mir. Ich hatte das Gefühl: hier wird mit den Eltern geredet, hier wird aufgeklärt. Ich musste auch ankreuzen, ob ich ein Kind mit Trisomie 21 austragen würde und ich kreuzte trotzig und bestimmt JA an.

Dann die Untersuchung. Angst. Ein wahnsinnig netter Arzt. Ein wahnsinnig fähiger Arzt. Der uns bei jedem Handgriff erklärte, was er tat. Beide Herzkammern, fünf Finger, beide Nieren. Nasenbein ist da, Nackenfalte wunderbar, kein offener Rücken (das beruhigte mich besonders, denn die Folsäure ist dank meines schlechten Zustands in den ersten Wochen oft im Klo gelandet). Immer wieder Hinweise auf das Geschlecht (die er eigentlich nicht geben darf, denn es soll ja Menschen geben, die ein Kind des Geschlechts wegen abtreiben), er war freundlich, kompetent, unheimlich nett. Und es war ganz schön toll, das kleine Baby so zu sehen, Baby TV, so pervers wie das ist, so schön ist es eben auch. Mein Freund und ich hatten Tränen in den Augen. Da ist es. Unser Baby. Unser Mädchen?

Nach der Untersuchung sank das Risiko für Trisomie 21 von 1:330 auf 1:1045. Alle Werte waren im Normbereich. “Es gibt viele Eltern, die trotz eines so guten Ergebnisses auf Nummer sicher gehen wollen”, sagte der Arzt. “Ich hatte heute schon zwei”. Und er wies uns wieder auf den teuren Praenaest hin. Nein, sagten wir im Einklang. Das reicht uns voll und ganz aus, um beruhigt zu sein. “Ohnehin wäre ein Down-Syndrom nicht das Ende der Welt”, sagte mein Freund! “Das finde ich gut.” Sagte der Arzt.

Ich bin also im Nachhinein froh, es gemacht zu haben. Denn es war ein schönes, und ja auch: beruhigendes Erlebnis. Ich weiß, dass unser Kind trotzdem alles Mögliche haben kann, aber ein kleines gutes Gefühl, dass alles am rechten Fleck ist, haben wir jetzt.

Machen oder nicht? Fluch und Segen…

Und, soll man es jetzt machen oder nicht? Diese Entscheidung kann einem niemand abnehmen. Aber ich finde es wichtig, sich mit den möglichen Folgen dieser Untersuchung auseinanderzusetzen. Mit einem möglichen Abbruch oder Abgang, falls man sich für eine Punktuation entscheidet. Mit den psychischen Folgen davon. Genauso wichtig finde ich es, sich offen damit auseinanderzusetzen, was wäre, wenn das Kind mit einer Behinderung, einem Handicap, welcher Art auch immer, auf die Welt kommen würde. Wie gesagt, mir hat es wahnsinnig geholfen, mir die Situation, mein Leben danach einfach vorzustellen. Es ist beweitem nichts, was ich mir wünsche, aber es jagt mir auch keine große Angst mehr ein. Ich bekomme in Xavers Kita täglich mit, was Inklusion bedeuten kann, wie wundervoll es funktionieren kann, wenn Kinder mit Handicap einfach früh in die Gesellschaft eingegliedert werden. Ich glaube, den Eltern die Angst davor zu nehmen (die ich ja auch hatte und habe!), die Berührungsängste zumindest zu schmälern, das ist ein erster, großer Schritt. Einer von dem wir weit entfernt sind. Die Möglichkeiten der Feindiagnostik sind Fluch und Segen zugleich. Man kann gewisse organische Entwicklungsstörungen feststellen, die man in seltenen Fällen sogar noch im Mutterleib operieren kann (zum Beispiel bei einem “offenen Rücken”, bei manchen Herzerkrankungen, Kehlkopf- und Luftröhrenverschlüssen oder Harnabflussstörungen). Man kann aber auch viele Eltern in Sorge und Angst versetzen. Oft habe ich das Gefühl, dass die neuen (am Ende aber doch sehr bedingten!) medizinischen Möglichkeiten vermitteln: ein behindertes Kind muss doch heutzutage nicht mehr sein. So ist es aber überhaupt nicht! Und einfach gedacht könnte man sagen: Die Pränataldiagnostik ist ein Schritt gegen Inklusion. Ich bin gegen solches Schwarz/Weiß-Denken, finde aber auch nicht, dass der Praenatest Standard werden und von den Kassen übernommen werden sollte. Warum? Einfach weil das viele Geld, das das kostet, woanders besser aufgehoben wäre. Zum Beispiel bei Inklusions-Maßnahmen. Meine Meinung….

So oder so sollten sich alle Eltern darüber im Klaren sein, dass es nie eine Sicherheit geben wird. Die Natur produziert nicht nur gesunde Menschen. Problematische Geburten wird es immer geben, immer mehr Frühchen werden gerettet, nicht alle kommen ohne Schäden davon. Es wird immer Menschen mit Behinderung geben und ich glaube, das ist auch gut so, es kann ein großer Zugewinn für eine Gesellschaft sein. Wenn wir uns alle etwas mehr öffnen.

Wenn wir uns für Kinder entscheiden, entscheiden wir uns auch dafür, dem Schicksal in die Augen zu sehen. Wir nehmen das Risiko auf uns, uns so sehr in diese kleinen Wesen zu verlieben, dass wir nie wieder ruhig schlafen können vor lauter Sorge. Wir nehmen das Risiko auf uns, dass wir uns ein Leben lang um die Gesundheit unserer kleinen Lieblingsmenschen kümmern und sorgen müssen. Daran wird kein Pränataltest dieser Welt jemals etwas ändern können.