“Erst ein Kind, dann der Mann dazu” – eine Kritik

In mir wabert seit einiger Zeit ein Impuls, eine Gedankenkette - die sich gewisser Weise erst vor kurzem zu einer Kritik verdichtet hat. Diese Kritik beschreibt eine Entwicklung, die für mein Befinden irgendwann mit Caroline Rosales Text "Erst die Kinder, dann mal schauen" vergangenes Jahr sehr polemisch auf ZEIT online und initial gegenüber einem größeren Publikum formuliert wurde und nun Anfang April in Charlotte Roches erster Kolumne fürs SZ-Magazin kulminierte, die da titelt: "Erst ein Kind kriegen, dann einen Partner suchen." Darin beschäftigt sich Roche damit, inwieweit es dieser Tage überhaupt noch eines Mannes als Glücksgehilfen zu einem Kind bedarf. Ob es nicht vielmehr gelte, sich diesen Wunsch - allein, weil es geht - selbst zu erfüllen (etwa durch Samenspende- oder raub). Sie schreibt:

“Wann, wenn nicht heutzutage, kann eine Frau, die selber Geld verdient, selbstbewusst ist, in einer Großstadt lebt, wo man nicht direkt auf der Straße für seinen Lebensstil gesteinigt wird, sich ein Kind holen, selber und alleine?”

Und:

“Viele haben Angst vor Geburten ohne Mann. Aber ganz ehrlich, nachdem man eine Geburt mit Mann erlebt hat, hat man danach Angst vor Geburten mit Mann. Vielen hilft es mehr so Höhlenstyle: Mutter, Schwester, Freundin, Nachbarin, jemand von der Hundeschule mit dabei.”

Ich finde diesen Ansatz in vielerlei Hinsicht schwierig.

Ich kann mich erinnern, dass ich als Pubertierende irgendwann einmal einem Jungen meiner Klasse gegenüberstand und mich ereiferte, wofür ich als Frau denn überhaupt auf ihn als Mann angewiesen sei. Die Zukunft beschriebe ja ohnehin, dass ich alles haben könne – auch ohne sein Zutun: Kinder, Karriere – das volle Programm. Samen ließe sich irgendwann künstlich generieren, ich bräuchte insofern nur noch mich und meine Eizellen. Ich kann mich auch erinnern, dass dieses Ansinnen meines jugendlichen Alter Egos aus dem Eindruck erwachsen war, nicht auf Männer angewiesen sein zu wollen – dass ich sie gewisser Weise fürchtete in ihrem Einfluss auf mein Leben, und mich allein deshalb abgrenzen wollte.

Das Patriarchat ist keine Lösung, das Matriarchat aber auch nicht.

Ich sehe das inzwischen – und gerade in Zeiten eines neofeministischen Diskurses – ganz anders. Um das kurz vorwegzunehmen: Das Patriarchat ist sicher keine Lösung, das Matriarchat aber auch nicht, weil beides eine Zuspitzung von Macht bedeutet und mit letzterem Umstand die Probleme beginnen. Jedenfalls: Ich finde Roches Gedanken nicht nur Männer- sondern gemeinhin Menschenverachtend. Ich glaube, es ist niemandem geholfen, sich vom Manne – ja, von allen Anderen (und Anderem) – abzugrenzen, weil wir das dieser Tage ohnehin schon viel zu viel tun und geradewegs in eine fundamental individualistische Gesellschaft zusteuern. Ich habe den Eindruck, dass etwa wir als Eltern zwar allenthalben von Empathie unseren Kindern gegenüber reden und schreiben, diese Form der emotionalen Solidarität aber offenbar häufig nur noch auf genau die zu übertragen wissen, nicht mehr aber auf alle Anderen – dazu eben auch zählend: Männer.

Zumal diese Abgrenzung für meine Begriffe alleine deshalb absurd ist, weil wir damit konterkarieren, was wir für uns und unsere Kinder wollen: Beziehungsfähigkeit. Ich frage mich, wie das eine ohne das andere funktionieren soll? Wenn wir es nicht schaffen, zu anderen Menschen Beziehungen zu pflegen (egal welchen Geschlechts), warum sollten wir das dann ausgerechnet gegenüber jenen Wesen, die uns eine ganze Zeit lang regelrecht ausgeliefert sind und insofern zumindest eine kurze Dauer lang kein ebenbürtiger, weil autarker “Partner” sein können, schaffen?

Ich frage mich hier wirklich: wozu denn dann überhaupt noch Kinder haben, wenn das Kind ohnehin nur zu etwas verkommt, das wir gewisser Weise “konsumieren” (Stichwort “Minime”) als eine Erweiterung unserer Selbst und weil es gerade so schön in unsere Bedürfniskette passt. Ganz im Sinne der Soziologin Eva Illouz, die vor einigen Jahren das in einem Interview mit dem SZ-Interview sagte:

“Wir haben eine Atmosphäre geschaffen, in der verbindliche Zusagen keinen Sinn mehr machen, was nichts daran ändert, dass wir uns wie verrückt danach sehnen.”

Letztlich impliziert Roches Eindruck sehr wahrscheinlich auch jene Tendenz zur ewigen Selbstoptimierung – aus der der Unwille hervorgeht, einen Anderen – ja, DAS Andere – in seinem Leben überhaupt zu akzeptieren, wie ich das hierhier und damit auch mit dem Kulturwissenschaftler Byung Chul Han zitierend beschrieben habe:

“Zur Krise der Liebe führt […] die Erosion des Anderen, die derzeit in allen Lebensbereichen stattfindet und mit zunehmender Narzissifizierung des Selbst einhergeht. Dass der Andere verschwindet, ist eigentlich ein dramatischer Prozess, der aber fatalerweise von vielen unbemerkt voranschreitet.”

Eva Illouz fasst das wiederum so:

“Wir sind so unsicher und verletzlich wie nie zuvor, weil wir unsere Position in der Welt ausschließlich aus uns selbst ableiten müssen. Waren Partnersuche- und wahl im 19. Jahrhundert festen Ritualen unterworfen, sind wir heute frei von Konventionen, Mustern, Rollen – und hoffnungslos überfordert. Wurden gebrochen Liebesversprechen früher geächtet, verhält es sich heute umgekehrt: Das Stehenbleiben, das Nichtentwickeln, die lausig betriebene Selbstoptimierung werden sanktioniert.”

So läuft man sich im Hamsterrad der Gefühle die Pfoten wund

Und letztlich kommt dann außerdem noch ein weiterer Aspekt hinzu: Nämlich ein Modell als machbar und erstrebenswert zu beschreiben, dass vielleicht für Roche, Rosales und auch die eine oder andere “selbstbestimmte” Single Mom möglich ist, aber für die allermeisten eben nicht, weil sie sich es schlichtweg nicht leisten können. Die totale Eigenverantwortung als etwas ausschließlich Gutes innerhalb unserer aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung zu proklamieren, das halte ich mit viel Verlaub für: unanständig.

Jene von Rosales und Roche beschriebenen Regeln der Selbstbestimmtheit gelten nämlich schlichtweg nicht für Alle. Allein, weil sich dahinter verbirgt, dass so frei zu handeln nur vermag, wer monetär unabhängig ist – und dieser Umstand ganz sicher nicht immer nur über “die eigene Leistung” erwirtschaftet, häufig eher aus einem Privileg geboren ist (das dann wiederum aber öffentlich nicht in die Gesamtsumme mit hinein addiert wird). Eine sehr elitäre Angelegenheit insofern.

Zumal: Eigentlich gibt es ja auch so viele Baustellen, die es so viel mehr bedürften, bedacht zu werden. Die Entwicklung unserer Gesellschaft zu einer sozialen Ordnung der Eigenverantwortung des Individuums impliziert ja gleichsam auch den Rückzug unserer Gesellschaft aus den Solidarsystemen, wie die Philosophin und Feministin Nancy Fraser in einem Aufsatz am Beispiel der Sorgearbeit problematisiert:

“Global ausgreifend und neoliberal geprägt betreibt dieses Regime [der Finanzkapitalismus] den Rückzug von Staat und Privatwirtschaft aus den sozialen Sicherungssystemen, während es gleichzeitig Frauen für die Lohnarbeit rekrutiert – und so einerseits Sorgearbeit externalisiert, sie also Familien und Gemeinden aufbürdet, andererseits zugleich deren Vermögen schwächt, diese Leistungen zu erbringen. Das Resultat ist eine neuartige, duplizierte Organisation von der sozialen Reproduktion: warenförmig für Zahlungskräftige und privatorganisiert für alle, die sich das nicht leisten können.”

Oder wie der Psychologe Edgar Cabanas Diaz in diesem Text mit dem Titel “Wie man glückliche Individuen in neoliberalen Gesellschaften macht” schreibt:

“Deshalb wird ein Aspekt wie Arbeit immer mehr zu einer Frage der persönlichen Stärke, Kreativität und unternehmerischer Initiative; Bildung zu einer Frage der individuellen Kompetenzen und Talente; Gesundheit zu einer Frage von Gewohnheiten und Lebensstilen; Liebe zu einer Frage der interzonalen Ähnlichkeit und Kompatibilität; Identität zu einer Frage individuellen Wachsens und Gedeihens – und so weiter. Die logische Folge ist ein Kollaps des Sozialen zugunsten des Psychologischen auf breiter Front. Dabei wird die herkömmliche (Makro-)Politik sukzessive durch eine therapeutische (Mikro-)Politik ersetzt […], während der Diskurs des Individualismus in der Definition des neoliberalen Modells von Staatsbürgerschaft nach und nach durch den Diskurs des persönlichen Glücks abgelöst wird.”

Kurzum: Wollen wir das? Mehr Ich, weniger Wir? Kein Vater, nur das Kind? Noch mehr Ego, weniger Empathie? Weniger Solidarität, nur noch Eigenverantwortung? “In the end it’s just you”, hat vor kurzem die Soziologin Marion Fourcade auf einer Veranstaltung zur sozialen Ordnung in der digitalen Gesellschaft als nahende Dystopie beschrieben. Und ich dachte: Nein, ich will das nicht. Ich will immer noch Alles. Das volle Programm. Aber vor allem auch: Männer, Liebe, Empathie.

*Foto gefunden bei @mirnafunk, geteilt hat es zuerst @mareicares.