“Und plötzlich war ich Mutter. Wie geht das jetzt mit dem Glücklichsein?”

Viele Erstmütter fragen sich nach einer Geburt genau das. Eigentlich fühlt sich alles eher komisch an, nach der Geburt. Auch schön, aber durchaus seltsam. Die Autorinnen Annika Rösler und Evelyn Höllrigl Tschaikner haben sich in ihrem ersten Buch genau dieser turbulenten Zeit gewidmet. "Wir wollen den Frauen lediglich das Selbstvertrauen zurückgeben, was ihnen möglicherweise irgendwo zwischen Kreißsaaltür und neuem Leben abhanden gekommen ist." Ein schöner Grund, ein Buch zu veröffentlichen! In Nachwehen geht es um gemischte Gefühle voller Zweifel rund um Geburt und Wochenbett. Bei uns lest ihr heute einen exklusiven Ausschnitt aus dem Buch.

Wenn wir Geburten im Fernsehen sehen oder den Erzählungen von Bekannten lauschen, dann bekommen wir einen Eindruck von diesem ersten Moment: Alles ist magisch. Die Erleichterung, dass alles gut ging, die Freudentränen und das unendliche Mutterglück. Könnte das mal bitte jemand in echt filmen? Und auch das Danach? Wenn die neugeborene Mutter später ganz allein oder neben wildfremden Frauen in ihrem Krankenhauszimmer mit den Tränen kämpft. Wenn sie sich wie ein angeschossener Hund auf
die Toilette schleppt. Wenn sie nach einer Schwester ruft, um die Schmerzmitteldosis nach dem Kaiserschnitt zu erhöhen, oder einfach nur ins Leere starrt. Diese Momente, die sich so verdammt einsam anfühlen können.

Heute – es sind ein paar Jahre ins Land gezogen – ärgern wir uns über unser Unwissen und all die falschen Vorstellungen, die in unseren Köpfen herumgeisterten. Denn es hätte um Welten leichter sein können. Wie konnten wir nur (von uns selbst und anderen) erwarten, dass wir einen fremden und sehr zerknautschten Menschen von der ersten Minute an bedingungslos lieben würden?

Zumal uns dieser fremde Mensch vielleicht sogar ständig anbrüllte, anspuckte oder anpieselte (bestenfalls). Wieso gingen wir davon aus, dass wir überglücklich sein würden, wenn wir nach dem Kreißsaal plötzlich erneut in einer völlig fremden Umgebung wären? Wieder neues Personal, fremde Zimmernachbarn und nicht zu vergessen ein niedliches, aber so unbekanntes Wesen neben oder auf uns. Es mag Erstlingsmütter geben, die ihr Glück sofort spüren. Die gelassen mit all den Herausforderungen auf der Wöchnerinnenstation umgehen. Die ruhig, kraftvoll und mutig sind. Wir waren es nicht. Eines haben wir in den letzten Jahren gelernt und es war eine tiefgreifende Erkenntnis: Nichts zu fühlen ist nicht schön und tut manchmal auch verdammt weh, aber es ist völlig in Ordnung. Und ziemlich normal. Du hast gerade den anstrengendsten Marathon deines Lebens hinter dich gebracht. Und auch deine mentale Kraft hat alle bisherigen Grenzen überschritten. Körper und Geist müssen nun regenerieren. Gib dir Zeit, verurteile dich nicht und lass es geschehen.

Also: Pimp up your Wöchnerinnenstation!

Hier ein paar Tipps:
• Wenn du dich wohl und sicher fühlst, dann bleib die drei (oder mehr) Tage im Krankenhaus. Hör dir die Meinungen der Fachleute an und schau, was davon für dich passt. Hör aber auch immer auf dein Bauchgefühl beim Thema Stillen, Wickeln, Schlafen und so weiter. Du bist die Mutter und hier die wahre Expertin.

• Wenn du dich nicht wohlfühlst, es keine Komplikationen gab und daheim eine nette Nachsorgehebamme auf dich wartet, dann darfst du auch einfach deine Siebensachen pa-
cken und gehen. Die U2 kannst du bei einem niedergelassenen Kinderarzt ebenfalls wahrnehmen, bestenfalls kommt er sogar zu dir nach Hause – das bieten viele Ärzte an.

• In vielen Krankenhäusern kannst du dein Baby nachts auch mal kurz abgeben, sie bringen es dir wieder, wenn es weint. So hast du nach einer anstrengenden Geburt die Möglichkeit, ein wenig Verantwortung abzugeben – und sei es nur für eine halbe Stunde. Wenn du dich dafür entscheidest, tu es ohne schlechtes Gewissen.

• Dir wird der Besuch deiner Zimmernachbarin zu viel? Bitte deinen Partner, mit ihr zu sprechen. Wer schon sehr viel Besuch empfangen kann, schafft es möglicherweise auch schon, in den Aufenthaltsraum zu gehen.

• Weine, wann immer dir danach ist.

• Wenn alles mies ist: Kopf hoch. Daheim wird es in der Regel (irgendwann) besser.

(…)

Dancing the Babyblues. Matsch im Kopf statt Melodien

Okay, wo bitte geht’s denn hier noch mal zum Mutterglück? Sind wir irgendwo falsch abgebogen? Viele Jahre und ein paar Kinder später können wir sagen: Wir haben das Glück gefunden. Aber es dauerte um Welten länger als gedacht. Und es zeigt sich auch heute in der Regel ganz anders als erwartet. Wir liebten unsere Kinder von Anfang an. Aber so richtig spüren konnten wir das – vor allem bei unseren ersten Kindern – erst viel später. Wie sollte es auch anders sein? In so eine Mutterliebe müssen wir Mamas eben auch erst einmal hineinwachsen. Kein Mensch weiß doch vorher, wie sich so etwas anfühlt. Nur leider sagt dir das keiner vor der Geburt.

All diese wunderschönen Babyfotos mit den von Herzen lachenden Familien. Mittlerweile verstehen wir das Faible vieler neugeborener Eltern, auf den Geburtskarten ausschließlich Gliedmaßen des neuen Erdenbürgers abzulichten, erinnern wir uns doch noch düster an unser erstes Babyshooting. Das kleine Ding sah in jeder erdenklichen Pose aus wie Yoda aus »Star Wars«. Oder es schrie wie am Spieß. Zwischendurch schrien auch wir unsere Männer an. Oder die den Selbstauslöser der Kamera.

So wie jede Geburt grundverschieden ist, so ist es auch das Wochenbett. Manches war leichter beim zweiten oder dritten Kind, anderes schwerer, weil wir nicht nur ein Neugeborenes hatten, sondern auch plötzlich ein Geschwisterkind mit riesigen Händen und so einigen emotionalen Melt-downs. Was jedoch nach jeder Geburt gleich blieb, waren dieses Potpourri der Gefühle. Die Bandbreite an Emotionen unterschied sich nicht wesentlich beim zweiten oder dritten Kind. Aber trotzdem waren wir fortan im Vorteil.

Denn wir wussten, dass es okay ist, so wie es ist. Dass wir okay sind, so wie wir sind. Das hat die Lage ungemein entspannt.

So come on everybody – let’s dance the Babyblues!

Eine kleine Playlist Tag 3 bis 33:

• Guten Tag (ich will mein Leben zurück) – Wir sind Helden
• Was hat dich bloß so ruiniert? – Die Sterne
• Weinst du – Echt

Und wenn die meisten Tränen rausgeweint wurden:
• Your Body is a wonderland – John Mayer
• We are the champions – Queen
• Always look on the bright side of life – Monty Python
• Alles wird gut – Mark Forster
• Time of your life – Green Day

Der ganz und gar normale Babyblues dauert in der Regel nicht länger als zehn Tage und hat (noch) nichts mit einer Postpartalen Depression, also der Wochenbettdepression, zu tun. Er gehört einfach bei fast allen Geburten dazu wie der Wochenfluss und all die Zweifel. Die Gefühle und Ängste, die mit dem Babyblues einhergehen, sollten nicht unterdrückt werden. Lass sie raus, denn das heilt! Wenn diese Gefühle auch über das Wochenbett hinaus anhalten, vielleicht sogar immer intensiver werden und klassische Depressionssymptome hinzukommen, wie beispielsweise gedrückte Stimmung, Interessens- und Appetitverlust, erhöhte Ermüdbarkeit und Antriebsmangel sowie Schuldgefühle, dann kann es sein, dass es sich um eine Postpartale Depression handelt. So eine Wochenbettdepression hat weder etwas individuell mit dir und deinem Muttersein zu tun noch ist sie ein Zeichen von Schwäche. Sie ist lediglich eine von vielen möglichen Komplikationen nach der Geburt und kann gut behandelt werden.

Da eine Postpartale Depression deinen Alltag stark beeinträchtigen kann, solltest du dir bei einer Vertrauensperson Hilfe holen, bei einem Arzt oder einer Ärztin, einer Hebamme oder Doula. Übrigens: Es wird mittlerweile angenommen, dass auch bis zu 25 Prozent der Partner einer neugeborenen Mama unter einer sogenannten paternalen postpartalen Depression leiden, also einer Depression, die Väter nach der Geburt ihrer Kinder entwickeln. Die Experten sind sich zudem sicher, dass auch nicht-biologische Eltern im Laufe des ersten Jahres mit Kind Symptome einer Depression aufweisen können. Es. Ist. Normal.

10 Gründe, warum postpartale Mütter weinen

1. »Mein Kind ist das süßeste Wesen auf der ganzen Welt!«
2. »Mein Kind ist das doofste Wesen auf der ganzen Welt!«
3. »Das Baby schläft, aber ich kann einfach nicht schlafen.«
4. »Das Baby schläft nicht, aber ich möchte einfach nur schlafen.«
5. »Die Zeit rast, ich komme einfach zu gar nichts.«
6. »Die Zeit vergeht einfach nicht, mir ist so fad.«
7. »Geht das jetzt die nächsten achtzehn Jahre so weiter?«
8. »Oh nein, das Kind kommt schon bald in die Schule!«
9. »Schatz, hilf mir verdammt nochmal endlich!«
10. »Schatz, geh weg, lass mich das machen!«

Hast du noch einen guten Grund zu weinen? Dann vervollständie diese Liste gern mit deinem persönlichen Tränendrüsentrigger!

Weinst du noch oder schmunzelst du schon?

Nachwehen ist 2021 im Kösel Verlag erschienen.