Der Mutmach-Post zur Geburtseinleitung, den ich mir gewünscht hätte
Ich las Geburtsberichte und Foren-Einträge und fand Schilderungen wie “Die Geburt fühlte sich an, als würde sich jemand mit einem stumpfen Gegenstand den Weg durch meine Eingeweide freikratzen”. Mir schauderte. Ich googelte weiter, und las. Und las. Mein Freund und alle Freundinnen rieten von dieser Art der Lektüre ab, aber ich konnte nicht davon lassen. “Jede Geburt ist anders” – diese Binse, so wahr sie ist, konnte ich irgendwann nicht mehr hören. Ich war wie besessen davon, mich vorzubereiten und eine möglichst genaue Vorstellung von den Schmerzen zu haben, was total irrsinnig ist. Denn natürlich kann man sich eine Geburt nicht vorstellen, und man kann sich – finde ich mittlerweile – auch nicht wirklich darauf vorbereiten.
Wenn Schwangere an die Geburt denken und sich mental auf dieses riesige Abenteuer einstimmen, dann denken sie – vor allem bei der ersten Schwangerschaft – natürlich erst einmal an eine natürliche Geburt und nicht an einen Kaiserschnitt. Und auch eine Einleitung ist nicht besonders hoch oben auf der Liste der Wunscherfahrungen, würde ich mal behaupten. So ging ich ebenfalls erst einmal nicht davon aus, dass ich diese Erfahrung machen würde. Ich war aufgeregt und vorfreudig und, wie gesagt, ziemlich ängstlich. Fieberte auf den E-Tag hin und wusste gleichzeitig: Erstes Kind, kann gut sein, dass es später kommt.
Und genau so kam es: Der errechnete Termin, der 20. Oktober, kam und verstrich. Wir gingen zum Erntefest in der Domäne Dahlem, liefen an den Feldern vorbei und genossen die Herbstsonne. Ich war so etwas wie entspannt, zumindest nicht mehr ganz so angespannt wie sonst. Der E-Tag kam und ging, ohne Wehen. Am nächsten Tag ging es zur Vorsorgeuntersuchung bei meiner Frauenärztin. Alles im grünen Bereich, aber eben auch keine sichtbare Wehentätigkeit, und das Kind war auch noch nicht richtig ins Becken gerutscht.
“Ich werde für immer schwanger sein”
Um es abzukürzen: Es ging dann noch einige Male zu meiner Frauenärztin, denn mein Sohn machte sich weder an ET+1, noch ET+2, noch ET+4 auf den Weg… Und als ich fünf Tage über dem Termin war, rief ich im Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe an, bei dem ich zur Geburt angemeldet war, und vereinbarte einen weiteren Vorsorgetermin – so hatte ich es mit meiner Frauenärztin besprochen. Die Hebamme, die mich dann acht Tage nach dem errechneten Termin in der Klinik untersuchte, war entspannt, schließlich lässt man in Havelhöhe den Babys bei Schwangerschaften ohne Komplikationen bis zu 14 Tage nach dem errechneten Termin Zeit, sich auf den Weg zu machen.
Das CTG war unauffällig, ich hatte noch genug Fruchtwasser und so richtig ins Becken bewegt hatte sich mein Baby immer noch nicht. Spazieren gehen, Yoga, alles tun, was mir gut tut, das war die Devise. Mittlerweile nervte mich die Warterei aber so richtig. “Ich werde für immer schwanger sein”, sagte ich zu meinem Freund. Ich hatte wirklich das Gefühl, dass ich nie wieder ohne Babybauch durch’s Leben gehen würde. Meine Toleranz für diesen Zustand als Hochschwangere war mittlerweile aufgebraucht – alles war mühsam, ich musste wirklich stündlich auf die Toilette, hatte bei jeder Mahlzeit Sodbrennen und schlief nachmittags zwei oder drei Stunden, weil ich so erledigt war. Ich war bereit. So bereit. Und hoffte immer noch darauf, dass es von alleine, ohne Einleitung, losgehen würde.
Der Geruch von Nelkenöl und Todesangst
Bei der zweiten Vorsorgeuntersuchung im Krankenhaus gab mir die Hebamme Nelkenöl mit, womit ich meinen Bauch massieren sollte. Der Geruch setzte sich in allen Klamotten fest, die ich in dieser Zeit trug. Noch heute kann ich keine Gewürznelken riechen. Parallel dazu war ich dazu übergegangen, Geburtsberichte von eingeleiteten Geburten zu lesen. Und die meisten davon waren ziemlich… blutrünstig? Meine ohnehin schon vorhandene Angst potenzierte sich ins Unendliche, und als ich an einem Freitag zur letzten Vorsorgeuntersuchung vor dem Ende der 14-Tage-Schonfrist ins Krankenhaus fuhr, war ich mit den Nerven am Ende. Als die Hebamme sagte, wir sollten dann am Sonntag zur Einleitung kommen, war ich den Tränen nahe. Wenige Minuten später, als ich mit meinem Freund dann in der Krankenhauscafeteria saß, heulte ich dann auch richtig. “Du weißt schon, dass auch heute noch Frauen unter der Geburt sterben?”, sagte ich zu ihm – und auch wenn mir dieser Satz mit etwas Abstand ziemlich lustig erscheint, weiß ich, dass ich in diesem Moment wirklich richtige Todesangst hatte und mir nichts Schrecklicheres vorstellen konnte, als eingeleitet zu werden. Übrigens: Die Berichterstattung über Cytotec und eine Debatte darüber kamen erst vier Monate später. Der Vollständigkeit halber hier auch die Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V.
Mein Freund versuchte, mich so gut es ging zu trösten. “Vielleicht geht es ja heute Nacht los und Du hast Wehen”, sagte er. Doch am nächsten Morgen wachte ich auf und es sprach immer noch nichts dafür, dass es bald losgehen würde. Meinen Klinikkoffer hatte ich schon vor einem Monat gepackt, aber jetzt stopfte ich noch ein paar Shirts und Bücher rein. Ich versuchte, dem ganzen etwas Positives abzugewinnen: Wenigstens würden wir uns die teure Taxifahrt nach Spandau sparen. Am Abend gingen wir Ramen-Suppe essen und früh zu Bett. Als wir am nächsten Morgen dann mit einer Baby-Autoschale in die U-Bahn und später in den Bus stiegen, hatte ich mich meinem Schicksal gefügt und fand diese Situation doch halbwegs amüsant und absurd – wie lässig wir da durch die Gegend fuhren, als ginge es nicht um eine Geburt, sondern eher um einen Zahnarztbesuch.
Warten auf die Wehen
Die Hebamme, die uns diesmal in Empfang nahm, war sehr nett und erklärte mir das Vorgehen ganz genau, ehe sie mir die Testdosis Cytotec verabreichte und mich an das CTG anschloss. Danach gingen wir auf das Zimmer, in dem ich die Zeit bis zur Geburt verbringen sollte.
Und dann passierte: Erstmal nichts. Ich verabredete mich mit einer Freundin, die gerade bei ihren Eltern um die Ecke zu Besuch war, zum Mittagessen. Es war etwas surreal, einfach zu essen und zu plauschen, als wäre ich nicht jede Minute im Begriff, ein Kind zu kriegen, aber ich war froh um jede Ablenkung und wusste, Lektüre unzähliger Geburtsberichte sei Dank, dass es gut sein könnte, dass ich auch an diesem Sonntag noch kein Kind bekommen würde. Einleitungen können sich bekanntlich ziehen. Auch die zweite bzw. erste richtige Dosis Cytotec um 14 Uhr brachte nichts, und als wir dann um 17 Uhr zum dritten Mal zur Hebamme kamen, die mittlerweile Schichtende hatte, glaubte ich schon gar nicht mehr daran, dass Cytotec bei mir Wehen auslösen würde.
Und wie es immer so ist: Gegen 18:30 ging es los. Wir waren gerade oben auf der Station über dem Kreißsaal, wo ich ein Zimmer bezogen hatte, und ich war im Begriff, Abend zu essen. Die Wehen waren gleich zu Beginn so heftig, dass ich aufstehen und laufen musste, irgendwie konnte ich den Schmerz so besser ertragen als im Sitzen. Leider folgten sie nicht wirklich einem festen Rhythmus und ich war mir ziemlich sicher, dass es für den Kreißsaal noch zu früh war. Ich zwang mich zum Essen, das hatte ich auch irgendwo gelesen: Essen, wenn man kann, sich noch einmal stärken, ehe es dann richtig losgeht. Die Schmerzen wurden immer heftiger, mittlerweile lagen mein Freund und ich auf dem Krankenhausbett und ich versuchte, zu tönen. Brachte aber nicht wirklich was. Ich schickte ihn zum Kreißsaal, um mir was gegen die Schmerzen zu holen (für mich fühlte sich der Weg vom ersten Obergeschoss ins Erdgeschoss in diesem Moment etwa so weit an wie eine Weltreise), und er kam mit Buscopan wieder. Die nächsten Stunden verschwammen etwas, ich erinnere mich nur daran, dass der Schmerz immer stärker wurde, die Wehen aber lange noch nicht regelmäßig waren. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und sagte: “Ich muss nach unten zur Hebamme, ich kann nicht mehr.” So richtig klar denken konnte ich nicht. Wir warteten, bis eine Wehe verstrichen war und liefen dann so schnell wie möglich nach unten. Irgendwie schafften wir es die Treppen hinunter, ohne dass ich mich vor Schmerzen krümmen musste.
Als ich die Hebamme sah, rollte wieder eine Hammerwehe über mich und ich musste mich wegdrehen und in meinem Freund verkrallen, irgendwie die Wucht von dem, was sich in mir aufbäumte, abgeben. Die Hebamme schrieb ein CTG und sagte, danach könnten wir es ja mit einem Bad probieren. Die Aussicht auf warmes Wasser half mir dann tatsächlich, die halbe Stunde auf der Liege vor dem Wehenschreiber zu überstehen. Denn das fand ich schon den ganzen Tag ätzend, und jetzt, mit den Schmerzen, ging es wirklich gar nicht. In der Badewanne wurde der Schmerz dann aber eher schlimmer, und zwischen den Wehen fühlte es sich total merkwürdig an, denn entspannen konnte ich nicht, ich wusste ja, dass der Schmerz gleich wieder losgehen würde. Die Pausen waren kurz, die ganze Zeit schon, höchstens fünf Minuten, eher zwei. Das Einzige, was mir dann, gegen 23 Uhr noch einfiel, war eine PDA. Die Hebamme sagte, das treffe sich gut, denn der Narkosearzt, der diese legen könnte, sei ohnehin gerade auf der Station und könnte gleich kommen. Er sei außerdem ein sehr erfahrener Kollege, ich müsse mir also keine Sorgen machen.
Stress unter der Geburt
Tatsächlich war der Narkosearzt unglaublich nett und ruhig und strahlte eine derartige Souveränität aus, dass ich keine Angst mehr hatte – vielleicht war es aber auch die Aussicht auf nahende Schmerzlinderung, die mir half, endlich etwas zu entspannen. Nach der PDA wurden die Herztöne des Babys allerdings schlechter. Die Hebamme sagte, ich solle zum Kind atmen, kurzzeitig wurde es dann wieder besser, aber nicht dauerhaft. Sie rief eine Ärztin hinzu und ich atmete weiter so tief und regelmäßig, wie ich konnte. Brachte immer nur kurz etwas. Dann wurde die Oberärztin hinzugerufen. Eigentlich eine Szene, bei der man als werdende Mutter schon beim Lesen Angst bekommt – aber im Kreißsaal blieben alle ganz ruhig und so schaffte ich es, ebenfalls nicht in Panik zu geraten, trotz der ganz natürlichen Sorge um mein Kind (schließlich ist es nie gut, wenn immer mehr Personal in den Kreißsaal gerufen wird). Mein Sohn schien gestresst zu sein, lag noch dazu als Sternengucker in mir und es sah nicht danach aus, dass es auf natürlichem Wege noch klappen würde, ihn auf die Welt zu bringen.
Kurzzeitig stand noch im Raum, die Fruchtblase zu öffnen. Als die Hebamme mir das vorschlug, mit der Begründung, dadurch könnte es vielleicht noch klappen, dass mein Sohn sich richtig ins Becken dreht, dachte ich kurz darüber nach. Allerdings sagte sie auch, wenn das nicht klappt, bliebe nur noch der Notkaiserschnitt, bei dem es dann wirklich sehr, sehr schnell geht. Ich war ziemlich erleichtert, als die Oberärztin sagte: “Es ist jetzt an der Zeit, dass dieses Kind mal auf die Welt kommt.”, denn ganz wohl war mir beim Gedanken, noch länger zu warten, sowieso nicht. Auf einmal ging alles ganz schnell und keine dreißig Minuten später lag mein Sohn auf meiner Brust und ich war einfach nur glücklich und erleichtert (und natürlich noch benommen von den ganzen Medikamenten).
Auch ein Kaiserschnitt kann eine gute Geburt sein
Jetzt mag das für viele nicht nach einer Traumgeburt klingen, und ich würde auch nicht sagen, dass die Schmerzen ohne waren. Wie sich eine natürliche Geburtswehe anfühlt, weiß ich nicht und kann deswegen meine Erfahrung mit Cytotec auch nicht dahingehend einordnen. Aber wenn ich an die Geburt meines Babys zurückdenke – trotz Einleitung, PDA, Kaiserschnitt – dann habe ich ein wohliges, warmes Gefühl. Ich habe mich im Krankenhaus richtig gut aufgehoben gefühlt, hatte nicht das Gefühl, dass ich zu einer Einleitung gedrängt werde, sondern sie zu einem Zeitpunkt kam, wo es wirklich keine anderen Möglichkeiten gab (denn länger als zwei Wochen wollte ich auf eigene Verantwortung ganz sicher nicht warten). Ja, der Schmerz war schlimm, aber er ließ sich aushalten und die Angst davor war im Nachhinein schlimmer. Obwohl ich keine natürliche Geburt hatte, fühlte ich mich selbstbestimmt und gut betreut.
Auch die Diskussion um den Einsatz von Cytotec hat meine Meinung nicht geändert – denn es gab in meinem Fall mit nicht geöffnetem Muttermund schlicht keine Alternative dazu. Und die Tatsache, dass mein Sohn unter der Geburt Stress hatte und auch sein pH-Wert bei der Geburt grenzwertig war, bestärkte mich noch einmal darin, dass es gut war, ihn dann schnell per Kaiserschnitt zu holen. Überhaupt finde ich, dass das Thema Kaiserschnitt oft etwas stiefmütterlich behandelt wird. Im Geburtsvorbereitungskurs wurde meine Frage, ob wir darüber reden können, gleich abgeschmettert, mit der Begründung, dass man sich “auf natürliche Geburten konzentrieren” will. Dabei gibt es ja auch bei Kaiserschnitten so viele Möglichkeiten und Dinge, die man wissen sollte – dann kann man das, was da geschieht, viel besser einordnen. Ich wollte zum Beispiel keine Kaisergeburt, wusste aber, was das ist, und musste so nicht aufgeklärt werden, was uns in der Situation Zeit sparte und schneller in den Kreißsaal brachte. Und ich wünschte, mir hätte jemand gesagt, dass das Bonding und der Milcheinschuss auch mit Kaiserschnitt und Einleitung total gut laufen können – denn viel zu oft hatte ich nur von Problemen gelesen. Klar, wenn’s gut läuft, ist das Bedürfnis, es aufzuschreiben, oft nicht so drängend. Kennt jeder, der Rezensionen im Internet liest.
Umso wichtiger ist es, auch die Geburtsgeschichten zu hören, die komplizierter waren, sich aber trotzdem gut und richtig angefühlt haben. So war es bei mir.