50/50 Paare: Lidia und Gregor

Lidia und Gregor leben im teuren München und haben nach der Geburt ihres Kindes einen radikalen Neuanfang gewagt. Beide waren zuvor in Agenturen angestellt und stellten schnell fest, dass Arbeitszeiten und auch die Arbeitskultur dort überhaupt nicht damit zusammen passen, wie sie sich Familie vorgestellt hatten. Also machten sie sich selbstständig! Gemeinsam. Das führt zwar erst Mal zu vielen Abstrichen. Aber eben auch zu sehr viel mehr Freiheit! Heute verraten uns die beiden, wie sie ihren Alltag strukturieren.

Liebe Lidia! Was und wieviel arbeitet ihr denn beide?

Mittlerweile sind wir beide selbstständig und arbeiten sehr flexibel. Wir haben uns ziemlich genau als unser Sohn ein Jahr alt wurde gemeinsam selbstständig gemacht. Aus der Kreativbranche kommend wollten wir jene familienfreundliche Arbeitsumgebung selbst erschaffen, die wir dort für uns nicht finden konnten. Ich hatte vorher in einer Werbeagentur gearbeitet, mit den entsprechenden Arbeitszeiten – nachts, am Wochenende… Teilzeit war nicht möglich, und auch nicht erwünscht. Zwischendurch hatte ich noch als Freelancerin für eine andere Agentur gearbeitet, aber auch das fand ich nicht ideal, ständig Meetings am Abend und Anfragen am Wochenende.
Bei Gregor war es ähnlich, er war auch in einer Agentur, eher im Eventbereich. Seine Arbeitszeiten waren noch krasser… Es hat ihn unglücklich gemacht, dass er sein Kind in den ersten Monaten so wenig gesehen hat. Außerdem gab es Sprüche, weil er Elternzeit beantragt hatte und auch, weil er Teilzeit arbeiten wollte. Er war anscheinend der erste Mann im Unternehmen, der jemals solche Wünsche geäußert hat. Er erntete Hohn und auch der Druck war immens. Nach ein paar Monaten war klar, dass das so nicht geht. Er hat dann nach der Elternzeit recht schnell gekündigt.
Ich bin Grafikerin und Art Direktorin, Gregor Projektmanagement, wir sind also quasi zusammen eine kleine Agentur, bieten unseren Kunden Branding, Corporate Design, Logos, Webseiten, etc. Es läuft gut an! Allerdings ist es natürlich sehr intensiv, neben der Familie jetzt auch noch zusammenzuarbeiten. Finanziell gesehen bedeutete unsere Entscheidung auch einige Abstriche. Dafür können wir unseren Familien- und Arbeitsalltag maximal flexibel gestalten. Wir haben kurze Wege, verbringen viele Nachmittage zu dritt zusammen. Wir wohnen klein, aber zentral.

Wie alt ist euer Kind? Ist er in der Betreuung?

Unser Sohn feiert im Dezember seinen 3. Geburtstag und wird seit seinem 11. Monat fünf Tage die Woche in einer Krippe betreut. Diese zu finden war ein ziemlicher Höllenritt… Wir sind nach der Eingewöhnung mit 5 Stunden gestartet, waren zwischendurch fast bei 7 – weil er einfach nicht nach Hause wollte – und werden uns bald, durch den Wechseln in den Kindergarten, bei 6 Stunden einpendeln.

Seid ihr zufrieden mit der Betreuungssituation?

Das Thema bereitete mir schon Bauchschmerzen, als dieser noch kugelrund mit Baby war. Unser gewünschtes 50/50-Modell ließ sich so gar nicht mit unserem Arbeitsalltag und dem Betreuungsangebot vereinbaren. Wir landeten aus Mangel an Alternativen in einer privaten Krippe, was sich letztlich als großes Glück herausstellte. Es git in München städtische Plätze, die heiss begehrt sind, einen solchen haben wir nicht gefunden. Eine private Betreuung kostet gerne mal 1000 Euro pro Monat. Zum Glück konnten wir einen städtischen Zuschuss beantragen!
So konnten wir die enormen Kosten stemmen und hatten immer die Möglichkeit einzelne Betreuungsstunden flexibel hinzuzubuchen.

Habt ihr ansonsten Hilfe bei der Betreuung?



Neben der KiTa haben wir derzeit keine Hilfe. Und haben ehrlich gesagt auch nicht die finanziellen Ressourcen dafür – oder den Platz im Falle eines Au-Pairs. Wir hoffe, dass eine dieser Optionen in Zukunft möglich sein wird.

Wie habt ihr eure Woche aufgeteilt?

Gemeinsam selbstständig zu sein ermöglicht uns eine maximal flexible Aufteilung. Und sogar ein hohes Maß an gemeinsamer Familienzeit. Aber wie im Haushalt gibt es Aufgaben die präferiert vom einen oder anderen “erledigt” werden: Mein Mann ist meistens für den “Kita-Transport” zuständig, sodass ich schon früh morgens arbeiten kann. Ich habe dann eher abends “Schicht”, da er als Nachteule ohnehin die abendliche Ruhe gerne zum Arbeiten nutzt. Die Nächte übernahm er auch, nachdem ich abgestillt hatte.

Organisiert ihr euch spontan oder macht ihr einen Wochen- Monatsplan?

Sowohl als auch. Ich plane am Wochenende die beruflichen und privaten Termine für die kommenden Tage oder Wochen. Wie die meisten Familien haben aber auch wir gelernt, dass man mit Kind nur bedingt planen kann. Glücklicherweise ist mein Mann meisterhaft im improvisieren. Wir ergänzen uns da ganz gut.

Welche Tools nutzt ihr?

Wir pflegen seit einer Weile einen gemeinsamen Google Kalender, den ich nicht mehr missen möchte. Es gibt ein Color Coding für berufliche, persönliche und gemeinsame Termine. Abgesehen davon haben wir noch eine APP für geteilte Einkaufs- und Bestell-Listen. Wir benutzen da einfach Anydo, das ist eigentlich nur eine Listen-App, aber für uns funktioniert das gut, weil man die Listen teilen kann.

Würdet ihr sagen, dass die Organisation des Alltags zeitaufwendig ist und klappt sie gut?

Mit dem aktuellen System und meiner (dezent übertriebenen) Gewissenhaftigkeit gehen praktisch keine Termine verloren. Wir wägen allerdings häufig ab, ob wir jeden Termin wahrnehmen müssen – sowohl beruflich als auch privat. Als am zeitaufwendigsten empfinde ich die Organisation unserer Mahlzeiten, zumal ein Kleinkind da ja auch nicht ganz unkompliziert ist. Wir kochen auch aus gesundheitlichen Gründen jeden Tag frisch und ich bin sehr wählerisch, mit ist Essen total wichtig. Ich mag es nicht, immer das Gleiche zu essen, und das Kind isst natürlich nicht alles, also muss man oft doppelt planen. Ich mache es uns da also auch ein bisschen kompliziert, haha!

Habt ihr Hobbies?

Ich versuche zwischen Abendessen und Einschlafbegleitung Yoga einzuschieben – wobei sich das aktuell schwierig gestaltet, weil unser Alltag durch den partiellen Wegfall des Mittagsschlafs etwas durcheinander geraten ist… Bevor ich selbst schlafen gehen, nehme ich mir noch eine Stunde Zeit für Social Media, Orga oder Lesen. Wenn Gregor spätabends oder nachts nicht arbeitet, nutzt er die Zeit um seinen Interessen nachzugehen. Alles in allem muss ich sagen, die Me-Time ist bei uns sehr überschaubar, was aber auch mit der noch frischen Selbstständigkeit zusammenhängt. Und ganz oft liegt es ja auch an einem selbst, ich habe es auch schon mal wochenlang geschafft, jeden Tag Yoga zu machen. Man muss sich die Zeit auch einfach nehmen, Gregor hat mir jetzt einen Gutschein fürs Yoga Studio gegenüber geschenkt, das ist eine große Motivation.

Was ist mit Paar-Zeit?

Wir haben kein großartiges Support-System, entsprechend ist immer mindestens einer von uns beiden außerhalb der Betreuungszeiten für den Kleinen da. Wir haben auch kein Langschläfer-Kind, und arbeiten meistens, falls er beispielsweise am Wochenende Mittagsschlaf hält. Die Paar-Zeit lässt sich also ganz gut ausrechnen. ;)
Ich denke, wenn das Kind älter ist, und wir finanziell besser dastehen, wird das besser. Dann kann man sich auch mal einen Babysitter leisten und das klappt dann auch. Jetzt war er gerade das erste Mal länger bei Oma, ich merke, dass das alles viel einfacher wird….

Wie seid ihr durch die Corona-Lockdowns gekommen?

Holprig, so wie alle… Aber wir hatten Glück im Unglück, wir waren da beide ganz frisch selbstständig und hatten noch ALG bekommen als Vorschuss zum Gründungs-Zuschuss, wegen Corona haben wir haben das dann sogar verlängern können. Wir waren also finanziell abgesichert und sind anschließend noch in den Nachwehen des Lockdown in die Gründung gestartet.

Habt ihr das Gefühl, genug Zeit mit dem Kind zu verbringen?

Meistens stimmt das Bauchgefühl. Es gibt allerdings Phasen, in denen der Kleinen einen Schub macht oder etwas zu verarbeiten hat, da müssten wir uns definitiv mehr Zeit nehmen. Gleichzeitig müssen wir ja auch die Miete bezahlen. Da machen wir dann auch den gleichen Gewissens-Spagat wie viele andere Eltern.

Sprechen wir über den Haushalt: wie teilt ihr euch hier auf?



Über die Jahre hat jeder seine “Fachbereiche” bekommen. Ausnahmen bestätigen die Regel, aber meistens sieht es so aus. Sie: Wäsche, Planung von Essen, Urlaub und “Sozialleben”, Kleidung & Co. für’s Kind besorgen. Er: Staubsaugen, Katzen versorgen, Müll, “Kinderpflege” (Haare & Nägel schneiden). Der Rest wird relativ ausgewogen zwischen beiden aufgeteilt. In Sachen Kochen wechseln wir uns ab, wer gerade die Energie hat, sich ums Kind zu kümmern, der macht das. Und wer sich in die Küche zurückziehen will zum schnippeln, der macht das.  Wenn einer von uns “überlastet” ist, dann besprechen wir das. Und der andere übernimmt der andere anstehende Aufgaben mit.

Wer hat die Orga in der Hand? Also den Mental Load?

Das liegt überwiegend in meiner Hand. Ich plane gerne, brauche das auch. Im Operativen übernimmt dann aber meistens Gregor: Einkaufen, zum Kinderarzt gehen, etc. Und er gleicht mich da gut aus: wenn meine Pläne nicht aufgehen, bin ich komplett lost. Er kann damit gut umgehen und rudert das Schiff dann in den sicheren Hafen.

Seid ihr beide zufrieden mit eurem Haushaltssystem?



Unserem Haushalt mangelt es ohne Frage an System. Wir sind allerdings auch zwei Chaoten, die lieber alles andere als Haushalt machen. Ein großer Traum wäre es, zumindest Teile davon, irgendwann aus der Hand zu geben, z.B. an eine Putzhilfe oder häufiger mal Essen / Lebensmittel zu bestellen. Bislang haben wir uns maschinelle Hilfe angeschafft: Staubsaugerroboter, Spülmaschine, … das entlastet uns ein bisschen.

Wie habt ihr die Finanzen geregelt?

Jeder hat sein eigenes Konto. Zusätzlich gibt es ein Familienkonto für gemeinsame Ausgaben wie Miete, Einkäufe, z.T. Versicherungen, da zahlen wir den gleichen Betrag ein, wir verdienen ja auch gemeinsam, haben eine GBR gegründet. Altersvorsorge wird bisher individuell geregelt, wir planen aber auch eine gemeinsame Option.

Wie seid ihr selbst aufgewachsen?

Wir sind beide von alleinerziehenden, in Vollzeit arbeitenden Müttern aufgezogen worden. Dieser Einfluss spiegelt sich definitiv bis heute in unserem Alltag wider!

Findet ihr euer System gerecht, seid ihr glücklich damit?



Die meiste Zeit fühlt es sich gerecht an. Ausreißer gibt es natürlich auch. Dann suchen wir das Gespräch und eine (temporäre) Lösung.

Was würdet ihr euch vom Staat, von eurem Umfeld, vom Arbeitgeber wünschen?

Viel, viel mehr Unterstützung, vor allem in Sachen Betreuungssituation. Wir haben immens viel Zeit, Nerven und Tränen durch dieses Thema verloren. Wir haben uns sicher 50 Einrichtungen angesehen, haben uns vorgestellt, haben ewig gesucht, es war wirklich eine anstrengende Zeit. Es wäre schön, wenn es da mehr Unterstützung gäbe. Da lastet so viel Druck auf den Eltern und in den Familien, die sich das leisten können, bleibt deshalb eben auch oft wieder die Frau länger zuhause, als geplant. Es gibt auch in München keine flexiblen Übergangslösungen, Co-Working für Eltern zum Beispiel existiert nicht. Das könnte die Stadt auch mal mehr fördern…
Was kommt immer zu kurz?



Das schwankt. In arbeitsreichen Wochen kommen Kind, Partnerschaft und Individuum zu kurz. In gesundheitlich angeschlagenen oder (auf den Nachwuchs bezogen) fordernden Zeiten ist es dann die Arbeit. Wie vermutlich bei den meisten berufstätigen Eltern kippen Partnerschaft und individuelle Bedürfnisse am schnellsten hinten über.

Und was klappt aber eigentlich ziemlich gut?

Die Entwicklung zum Team. Sowohl im privaten als auch im beruflichen Bereich. Aber dieser Weg war lang (über 17 Jahre!) und häufig sehr steinig. Die beiden Pfeiler sind da eindeutig Kommunikation und die Arbeit an sich selbst. In meinem Fall hat eine tolle Therapeutin sehr dabei geholfen.

Was stresst euch im Alltag am meisten?

Die Unberechenbarkeit der Kleinkind- und Gründungsphase. Kein Stein bleibt auf dem anderen. Jeder Monat, manchmal sogar jede Woche, gelegentlich sogar jeder Tag, ist anders. Auf ein halbwegs gelöstes Problem folgt häufig direkt das nächste. Und manchmal verlassen uns mittendrin die Kräfte.

Und was macht am meisten Freude?

Sich bewusst zu machen, welches Glück wir miteinander und aneinander haben. Und die kleine glücklichen Momente im holprigen Alltag wahrzunehmen.

Danke!