Was für eine anstrengende Zeit!

Es war ja klar. Es war ja sooo klar. Wir wussten, dass die zweite Welle kommt, wir wussten, dass wir diesen Winter wieder viel zu Hause rumsitzen würden. Ohne Kontakte, ohne Highlights, ohne alles. Jetzt ist es so weit und puh! Ich finde das wirklich sooo eine anstrengende Zeit. Am anstrengendsten ist das Home Schooling. Das lief bei uns im Frühjahr noch ganz gut, dieses Mal kann ich sagen, dass es nicht gut ist für die Eltern-Kind-Beziehung. Das liegt ausdrücklich nicht an den LehrerInnen, die helfen, wo sie können. Sie machen individuelle Lehrpläne, Online-Klassentreffen, schreiben aufbauende Mails und tun überhaupt alles, was sie können.

Es liegt auch nicht an meinem Kind, weil der ist halt ein Kind. Eines, das so mittelviel Lust auf Schule hat – ein ganz normales Kind also. Es liegt daran, dass es verdammt schwer ist, die eigenen Kinder zu beschulen. Und dabei sind wir ja noch in einer extrem privilegierten Situation. Unser Kind ist gut in der Schule, wir sind zu zweit, beide deutsche Muttersprachler und ein paar Kapazitäten bringen wir mit. Aber es ist einfach schwer. Und diese Wut darüber, dass das einfach von uns verlangt wird. Dieses Unverständnis, dass in einem reichen Land wie Deutschland in den letzten Monaten so gar keine vernünftigen Konzepte in Sachen Schule erarbeitet wurden. Diese Wut, die ist ja auch noch da. Und die macht das Beschulen noch schwerer. Bei mir zumindest…

Am schlimmsten ist die ständige, unterschwellige Aggression

Ich muss mich auch korrigieren. Ich finde das Home Schooling nicht am Anstrengendsten. Am Schlimmsten an der ganzen Sache finde ich diese viele Aggression. Untereinander. Unter allen. Unter Freunden! So viele sind sich nicht mehr einig. Im Frühjahr kam mir alles viel solidarischer vor. Da gab es mehr Konsens, dass das jetzt eine besondere Situation ist und dass wir da alle durch müssen. In meinem Umfeld haben damals ALLE ihren Radius verkleinert und ihre Kontakte extrem eingeschränkt. Manche hatten mehr Angst als andere, aber alle waren vernünftig, fand ich. Vernünftig. Da hat mittlerweile jeder eine andere Definition, was nun vernünftig ist. Dabei sind die Zahlen zehn Mal so hoch wie im Frühjahr.

Es ist komplett aus dem Ruder gelaufen. Die einen finden es okay, in den Urlaub zu fliegen. Mit negativem Test in der Tasche – und dort sieht man dann ja keinen… So habe ich mir meinen Urlaub im Oktober (als die Zahlen etwa 10% von den heutigen Werten waren und die Krankenhäuser noch leer) auch schön geredet. So kann jeder es sich ganz persönlich schön reden. Aber am Ende sind wir jetzt eben alle Lemminge und statistisch ist jede Bewegung, die die Lemminge machen gut für das Virus und schlecht für uns. Je weiter, je schlechter. Das gilt jetzt, das war im Sommer so und an Weihnachten auch.

Da kenne ich aber auch kaum jemanden, der an Weihnachten WIRKLICH die Füße stillgehalten hat. In den meisten Familien war es gar keine Diskussion wert, ob Weihnachten ausfallen könnte. Viele sind auch noch gereist und am Ende waren es halt dann doch 4,5,6 Haushalte, manche mit Test, andere nicht. Wieder: die Lemminge. Eine nicht so kleine Prozentzahl hat dann eben trotzdem das Virus weitergetragen. Sieht man an den Todeszahlen, die gerade wieder steigen.

Sogar die Maske. Im Supermarkt um die Ecke tragen die MitarbeiterInnen schon keine mehr. Dabei haben die richtig viele Kontakte! Irgendwie finde ich das ziemlich uncool und manchmal macht es mir auch Angst. Ich will aber nichts sagen. Weil es halt auch doof ist, den ganzen Tag eine zu tragen. Und weil ich keinen Streit anfangen will…

Viele sind müde… 

Die Leute sind einfach müde. Wollen nicht die ganze Zeit Maske tragen und an Virus denken. Wollen mal wieder was Schönes erleben. Und manche machen das dann auch einfach. Verboten ist es ja auch nicht! Weder Reisen noch Ausflüge sind ausdrücklich verboten. Es wird daran appelliert, solidarisch und nicht egoistisch zu sein. Aber viele sind eben egoistisch. Ich nehme mich nicht aus. Ich weiß nicht, ich denke, wenn ich in der Nähe der Berge wohnen würde, wäre ich in den letzten Wochen auch mal zum Rodeln gefahren. Es ist doch an der frischen Luft. Und genug Platz sollte doch auch sein. Dass es dann so voll würde, das haben sicher die wenigsten erwartet. Wieder: die Lemminge…

Wenn ich nah am Meer leben würde. Ich hätte mich sicher auch mal ins Auto gesetzt und die Brise genossen. Wenn dann da mehr Menschen als gedacht die gleiche Idee gehabt hätten… Ich weiß nicht, ob ich umgekehrt wäre… Die Parks hier in Berlin sind ja auch voll. Am Schlachtensee stapeln sich Spaziergänger. Alle wissen das. Die Leute wollen eben raus. Ist ja auch gesund. Und noch gehen wir ja alle davon aus, dass wir das “Normale Covid 19” um uns herum haben, nicht die Mutation aus England und Südafrika. Wenn die schon hier sein sollte. Dann muss eh alles noch mal neu gedacht werden.

Es ist so schwierig! Vor allem für die, die sich teilweise seit dem Frühjahr sehr streng an alles halten. Die keine Freunde mehr im Innenraum getroffen haben seit – ja, eben seit März. Die alle Urlaube abgesagt haben. Die die Großeltern seit Monaten nicht mehr in den Arm genommen haben. Die sitzen dann Zuhause mit dem guten Gewissen, alles in ihrer Macht stehende gegen die Pandemie gemacht zu haben. Und müssen mit ansehen, wie andere in den Urlaub fliegen. Irgendwie ist es verständlich, dass man da sauer wird.

Muss man es denn auch noch posten?

Das “es ansehen müssen” ist aber vielleicht auch Teil des Problems. Diese blöden sozialen Medien. Die sind darauf ausgelegt, den Alltag zu dokumentieren und auch immer ein bisschen zu zeigen: “Schau, so schön ist mein Leben!” Und die, die jetzt am Strand oder in den schneeweißen Bergen sind, können nicht anders, als das zu dokumentieren. Vielleicht sollte man das diesmal einfach nicht machen. Es ist das eine, wenn man sich selbst ein Schlupfloch gesucht hat. Weil man es kann. Dieses Privileg haben nicht viele! Aber muss man es dann auch noch in die Welt hinaus schreien? Besser wäre es doch, das heimlich zu genießen. Man hat ja auch Vorbildfunktion. Und wenn alle so egoistisch handeln würden, dann hätten wir längst noch strengere Ausgangssperren. Dann wären auch die Ausnahmen nicht mehr möglich. Anderen zu zeigen, wie geil das eigene Leben ist, das war wahrscheinlich noch nie so moralisch verwerflich, wie jetzt gerade. Aber was sollen die machen, die in den Bergen wohnen? Ach, ich weiß es nicht.

Und wenn das die einzige Quelle für Konflikte wäre! Es gibt ja noch so viel mehrere. Die Entscheidung, ob man die Kinder in die Kita bringt wurde vielerorts den Eltern übergegeben. Die sollen entscheiden, ob sie es wirklich nicht anders hinbekommen. Wie viel ist zumutbar? Home Office mit zwei Kleinkindern zum Beispiel. Ein Chef, der Leistung sehen will. Jede Sekunde braucht jemand was, tut sich weh. Keine fünf Minuten am Stück arbeiten, der Druck wächst. Klar, daran stirbt man nicht. Aber es ist unfassbar anstrengend. So, dass viele taube Glieder bekommen, Kopfschmerzen, dass Eltern, die das vorher nie gemacht haben, ihre Kinder anschreien und anpacken. Also doch in die Kita? Jetzt streiten Kita-Leitungen mit Eltern. Ob das sein muss. Und die schauen sich gegenseitig böse an: “Die ist doch in Elternzeit, wieso gibt die denn ihr Kind ab, ist ja wohl kein Notfall!” Und: “Der arbeitet doch frei und im Home Office, der hat ja wohl keinen Bedarf…”. Eltern gegen Eltern. ErzieherInnen gegen Eltern. Schön blöd. Aber eben auch so menschlich.

Alle gegen Alle – bitte nicht!

Es ist leicht zu sagen: Bleibt bei euch. Lasst die anderen machen. Es saugt nur eure Energie, die ihr gerade wirklich für etwas anderes braucht! Aber ich möchte es allen ans Herz legen. Ich mache das auch so. Wir haben als Familie gerade einen ganz guten Weg gefunden, wie wir ganz okay da durch kommen. Mit Vitamin D Tropfen, vielen Ausnahmen, viel Rausgehen, viel Spielen und Lachen. Mal wieder haben wir eine ganze gute Zeit bisher. Wir Eltern halten uns extrem zurück mit Kontakten, die Kinder dürfen dafür gelegentlich die immer gleichen Freunde sehen.
Die Wut auf die Institutionen, die meiner Meinung nach NICHT alles in ihrer Macht stehende gemacht haben, um uns Eltern zu entlasten und um Kinder zu schützen, die bekomme ich schwer weg. Die ist jeden Tag da. Aber was die Leute angeht, die rodeln gehen, in den Urlaub fahren, die Maske nicht mehr tragen und sich anderweitig unsolidarisch verhalten, da kann ich sagen: ich freue mich, dass ich das gerade gar nicht brauche. Mein Alltag ist okay, ich finde die Maßnahmen nervig, aber ich halte sie aus.

Alle, die Tagesausflüge machen, die ins Exil abgehauen sind, die Weihnachten zu zwanzigst gefeiert haben. Über die rege ich mich nicht auf. Weil ich es nicht ändern kann. Und ich weiß, dass hinter jeder Geschichte mehr steckt. Manche hatten richtig Streit wegen Weihnachten. Manche halten es wirklich nicht aus zu Hause, oft aus Gründen. Ja, manche sind auch einfach egoistisch, aber auch das kann man nicht ändern.

Es ist eine schwere Zeit und eine besondere Aufgabe. Für jeden einzelnen und auch für die Politik. Bei uns Lemmingen glaube ich fest, dass es gerade für ALLE schwer ist. Sogar für die, die am Strand sitzen.

Es ist so eine anstrengende Zeit! Und ich hoffe, dass wir uns dann auch irgendwann einfach nur so daran erinnern: War das anstrengend. Belastend. Aber wir haben es zusammen geschafft. Dass keine Freundschaften daran zerbrechen und sogar Familien sich wieder einkriegen. Dass wir uns alle wieder einiger werden, wenn der Spuk vorbei ist. Solange heißt es: DURCHHALTEN!