Was aus meinem Schreikind wurde
Tja, was soll ich sagen. Quinn hat eine 180-Grad-Wendung gemacht! Sie wurde vom Hardcore Schreibaby zum absoluten Sonnenschein. Nach etwa sechs Wochen wurde es schon wesentlich besser, nach 12 Wochen hatte sie noch ab und zu einen Anfall am Tag. Was das bedeutete? Unstillbares Schreien, wirklich unstillbar. Ich musste sie in die Trage zwängen, Sab Simplex auf den Schnuller und den Fön (oder die App) anmachen – kein Scherz, das war die einzige Möglichkeit, sie ruhig zu bekommen. Alles, was bei anderen Babies hilft: stillen, schunkeln, rumtragen, ssccchhhhh, war bei Quinn Fehlanzeige. Sie war wirklich ein Härtefall, selbst meine Hebamme war völlig ratlos.
Endlich ein Anfängerbaby
Das erscheint mir heute nicht nur weit entfernt, sondern auch völlig absurd. Quinn ist jetzt sechs Monate alt und sie ist ein ruhiges, ausgeglichenes, fröhliches und tatsächlich auch ein sehr pflegeleichtes Baby. Sie quengelt ab und zu wenn sie müde ist, wenn sie Hunger hat, wenn die Windel voll ist. Sie schimpft vielleicht sogar ein bisschen. Aber sie lässt sich immer schnell beruhigen, sie schläft mittlerweile sehr schnell und einfach ein, oft muss ich ihr nur den Schnuller geben und ihr über die Stirn streicheln, oder ihre Hand halten. Sie lacht fast den ganzen Tag, beobachtet, kommuniziert. Sie greift und entdeckt die Welt, reißt mir den Löffel aus der Hand, wenn ich sie füttern will und grinst mich schelmisch an. Manchmal liegen wir zusammen auf dem Sofa und kuscheln, ich lese oder arbeite und sie ist einfach nur dabei und schläft irgendwann ein. Sie ist eine richtig tiefe, gute Seele, ein Baby, das man auf dem Schoß hat und das einfach nur kuschelig, beruhigend und wohlriechend ist.
Nichts gegen meinen Großen, der war auch ein süßes Baby, aber er war einfach damals schon wie heute: laut, aktiv, immer in Aktion, immer in Bewegung, immer fordernd. Ein anspruchsvolles Baby, das viel viel Aufmerksamkeit und viel Routine brauchte. Ihn mit zum Abendessen nehmen? Schwierig. Zum Yoga? Konnte total schief gehen. Nicht nur war er zappelig, er brauchte auch seine Ruhepausen und wenn er die nicht bekam, huiuiui. Ich musste immer alles gut timen und sogar mit zwei Jahren habe ich ihn manchmal noch in der Trage herumgeschleppt und in den Schlaf gesungen, weil er übermüdet war.
Ich bin so unendlich dankbar, dass ich jetzt noch mal das Gegenteil erleben darf, denn wenn ich eines nach dieser Erfahrung wirklich DEFINITIV und zu 100% sagen kann:
ENTSPANNTE ELTERN HABEN NICHT AUTOMATISCH ENTSPANNTE KINDER!
Denn, und da bin ich mir sicher: es hat nichts mit mir und mit uns als Eltern zu tun, dass Quinn jetzt so pflegeleicht ist. Sie IST einfach so. Wir machen nichts anders, und doch sind beide Kinder jetzt schon grundverschieden. Allen Eltern, die entspannte Babies haben und das sich selbst zuschreiben, kann ich also nur sagen: Ich halte das für absoluten Blödsinn. Der Umkehrschluss dagegen, ist irgendwie wahr:
ENTSPANNTE KINDER HABEN EHER ENTSPANNTE ELTERN.
Wenn die Babys relaxed und ruhig sind, können auch die Eltern es sein. Das ist nicht immer so, ich kenne viele maximal gestresste Eltern mit sehr ausgeglichenen Kindern. Aber oft! Bei mir ist es auch so. In den ersten Wochen nach dem Schreien war ich noch irre gestresst, wenn ich mit Quinn unterwegs war. Ich hatte SO Angst vor der Unberechenbarkeit, vor meinem Baby, das ich so oft nicht ruhig bekam. Doch mittlerweile kann ich mit Quinn genau die superentspannte Mama sein, die ich schon vor drei Jahren gerne gewesen wäre: Ich kann sie überall mitnehmen, zu Meetings, ins Restaurant, auch mal abends. Ich bin selten nervös mit ihr, weil ich sie kenne und weiß, dass sie mir keine Szene machen wird. Bei dem Großen war das anders, der ließ vieles einfach nicht zu und man wusste nie, wie der Abend enden würde. Quinn lässt sich auch gut von anderen beruhigen, entsprechend hat die Oma schon oft gebabysittet, alles lief immer gut. Aber, wie gesagt, meistens nehmen wir sie mit. Ich weiß, dass meine Tochter das ab kann, dass sie es bei Freunden auch mal bis Mitternacht aushält, ohne zu schreien, sie schläft dann höchstens in der Folgenacht etwas schlechter.
Und sie schläft sogar gut!
Ach ja, die Nächte: Quinn war auch von Anfang eine bessere Schläferin als Xaver. Zu ihren schlimmsten Schreizeiten hat sie sogar am bombastischsten geschlafen. Ich dachte ja immer, so etwas gibt es nicht, aber dieses Baby schlief oft 9-10 Stunden am Stück! Von 21 bis 6 oder 7 Uhr war keine Seltenheit. Ich stillte maximal ein Mal nachts, das wars. Und morgens erwachte sie immer mit einem strahlenden Lächeln und vor sich hin brabbelnd. Mittlerweile ist es nicht mehr ganz so bombastisch, wir hatten auch schon Nächte, in denen nachts geweint wurde oder in denen sie einfach wach war. Aber im Großen und Ganzen schläft sie nach wie vor sehr sehr gut. Ich bin viel weniger müde, als ich es damals war.
Auch hier bin ich mir sicher, dass es eben einfach so ist. Dass ich nichts anders mache. Quinn ist einfach eine ziemlich gute Schläferin. Man kann da nicht viel rumdoktern. Babies sind einfach, wie sie sind.
Und die Motorik? Ich habe wirklich alles gemacht, um abzuklären, ob alles okay ist mit ihr. War bei der Osteopathin, beim Chiropraktiker, bei der Orthopädin. Quinn wurde viel behandelt. Jetzt sind wir immer noch ein Mal die Woche bei der Physiotherapeutin, viel ist da aber nicht zu tun. Quinn macht laut der Therapeutin “keine einzige auffällige Bewegung”. Sie drückt sich immer noch stark nach hinten, aber das sei gar nicht so selten. Mittlerweile haben mir viele Eltern von Sternengucker-Kindern erzählt, dass ihre Kinder das auch machen. Und als Baby gemacht haben. Scheint also normal zu sein! Ob Quinn sich jetzt “normal” entwickelt, weil ich bei all den Ärzten war, oder nicht – ich werde es nie erfahren…
Jedoch: sie ist definitiv langsamer als ihr Bruder. Das ist nicht einfach für mich, man vergleicht ja immer automatisch. Quinn dreht sich noch nicht mal vom Rücken auf den Bauch, Xaver ist in diesem Alter schon gekrabbelt. Vom Bauch auf den Rücken dreht sie sich aber schon – das hat Xaver überhaupt nie gemacht. “Ist sie sonst auch eher gemütlich?” fragte die Physiotherapeutin. Als ich bejahte, sagte sie: “naja man kann eben nicht alles haben. Ein Kind, das den ganzen Tag nur rumliegt und dann aber mit sechs Monaten krabbeln soll, gibt es nicht.” Wie wahr! Es passt auch gut zu Xavers Temperament, dass er schneller war.
Eine Gemütliche
Nicht, dass hier der Eindruck entsteht, Quinn sei NUR ruhig, das ist sie nicht. Sie macht sich durchaus bemerkbar, sie ist sehr wach und fröhlich, quietscht auch mal und haut wild auf den Boden. Und sie kann schon auch meckern, aber eben nur ab und zu und nie lange. Sie liegt tatsächlich meistens einfach nur zufrieden da und schaut zu. Ich nehme sie oft mit zum Yoga, in irgendwelche Kurse, und während die anderen Mütter ihre Babies oft beruhigen müssen, stillen, bespaßen, bin ich die, die immer Sport machen “muss”. Denn mein Mädchen liegt einfach nur da und beobachtet und lacht mich an. Ein Traum!
Als sie noch im Bauch war, dachte ich oft: Die wird ganz ganz ausgeglichen, in sich ruhend. Es war so ein Gefühl. Als sie rauskam und nur schrie, war das nicht nur anstrengend und schrecklich. Ich war auch so enttäuscht. Ich dachte, wie kann man sich denn nur so täuschen? Wie kann ein Gefühl SO falsch sein? Als ich meine Traurigkeit bei einer Freundin kundtat und sagte: “Ich hatte das so gespürt und ich hatte es mir natürlich auch so gewünscht”, da sagte sie: “Naja, bist DU so in dir ruhend und ausgeglichen?” Im Nachhinein finde ich diese Reaktion nicht nur falsch, sondern auch gemein. Denn sie impliziert, dass es MEINE Schuld, meine Gene sind, die Quinn zum Schreibaby gemacht haben.
Jetzt ist sie doch so, wie ich sie immer gefühlt habe. Und ich bin nicht nur erleichtert, weil ich die Baby-Zeit jetzt so richtig genießen kann, sondern auch weil mein Mama-Gefühl eben doch nicht ganz falsch war.
Was hatte sie denn nur?
Bleibt noch eine Frage: was hatte sie denn nun? Das werde ich nie herausfinden. Aber ich bin mir sicher, dass sie etwas hatte. Dass sie überfordert war mit dieser Welt, mit der lauten Großstadt, mit den vielen Eindrücken und ihrem Bruder. Aber nicht nur das. Ich glaube auch, dass sie Schmerzen hatte. Irgendetwas war da, was ihr furchtbar weh getan haben muss. Es passt auch so zusammen, die Stillprobleme, sie wollte nicht hochgenommen und getragen werden… Ich bilde mir auch ein, dass sie jetzt ziemlich hart im Nehmen ist. Xaver fasst sie oft so grob an, auch beim Impfen, bei allem was weh tut, ist sie unheimlich tapfer. “Sie ist wahrscheinlich durch die Hölle gegangen, jetzt findet sie das Leben einfach nur schön, weil sie weiß, dass es anders sein kann” sagte eine Freundin letztens. Das könnte sein, aber wie gesagt: ich werde es nie erfahren. Ich kann mich einfach nur an meinem zauberhaften Anfänger-Baby erfreuen, jeden Tag, sie ist so zuckersüß! Jetzt weiß ich, wie entspannt die Babyzeit sein kann, mit Xaver war es auch schön, aber eben nie so easy.
“Das ist so ein Baby, wenn das das Erste ist, will man doch sofort noch eins”, sagte Marie jüngst. Ich hatte Quinn im Büro dabei und sie war auf ihrem Arm eingeschlafen. Ja, das stimmt. Wäre sie mein erstes Kind gewesen, hätte ich wahrscheinlich schneller nachgelegt.
Ich weiß, dass noch alles anders kommen kann, dass es sicher auch mit Quinn (wieder) anstrengende Zeiten geben wird (spätestens im Teenager-Alter – und der Bruder ist dann wahrscheinlich brav, haha!), aber gerade weil unser Anfang so schwer war, bin ich jetzt einfach nur glücklich darüber, dass es ihr so gut geht und dass sie es uns so leicht macht.
An alle, die mit anspruchsvollen Babies zu kämpfen haben: es liegt nicht an euch. Und manchmal werden auch diese Babies zu Chillern. Oder sie werden zu frechen, aufgeweckten, besonderen Kindern – wie mein Großer eines ist. Ich weiß, wie anstrengend Babies sein können. Haltet durch – es ist es wert!!
An alle mit entspannten Babies: es ist wundervoll mit solchen Mäusen, genießt es. Aber es liegt nicht an euch, gebt anderen Eltern bitte nie das Gefühl, ihr würde irgendetwas richtiger machen als sie. Dem ist nicht so.