Ihr seid alle FeministInnen!
Für gleiche Rechte zu sein hat ganz und gar nichts damit zu tun, dass man sich nicht mehr die Achseln rasieren soll oder Männer grundlegend böse finden muss. Man muss auch nicht selbst völlig gleichberechtigt leben, um es grundsätzlich für eine gute Idee zu halten und zu finden, dass Väter sich genauso gut um ihre Kinder kümmern können wie Mütter.
Meine Mutter ist eine alte Feministin. Sie hat sich in den 90ern gefühlt ständig beschwert. Zum Beispiel darüber, dass bei der Wettervorhersage die „Tiefs“ damals immer Frauennamen, und die „Hochs“ Männernamen hatten. Das wurde übrigens mittlerweile geändert! Als Kind habe ich mit den Augen gerollt. Als ob es nichts Wichtigeres gäbe! Heute kann ich den Kampf gegen diese ganzen Spitzen, diese kleinen Ungerechtigkeiten, die in der Summe schwer wiegen, mehr als gut nachvollziehen.
Der Weg zur Gleichberechtigung ist immer noch lange
Wer sich ein Mal länger und intensiver damit befasst, wie wenig gerecht unsere Gesellschaft, unser Arbeitsleben, unser Gesundheitswesen und so WEITER ist, der kann dann leider gar nicht mehr anders, als die Unfairness an allen Ecken und Ende zu sehen. Ungleiche Bezahlung, ungleiche Behandlung, fast nur Männer in hohen Positionen, so viele Nachteile und so wenig Wahlfreiheit für Frauen. Immer noch!
Ich habe auch viele Jahre lang behauptet, das sei alles überholt, Frauen hätten doch heutzutage die gleichen Möglichkeiten wie Männer. Irgendwie schön, denn ich habe mich wohl ziemlich mächtig und gut behandelt gefühlt, bis ich etwa dreißig Jahre alt war. Auf der anderen Seite: Ha Ha Ha! Ich hatte in so vielen Bereichen keine Wahl. Sorry, dass ich schon wieder das Rasieren-Beispiel nennen muss, aber es ist einfach so exemplarisch. Hatte ich wirklich die Wahl, mir Beine und Achseln nicht zu rasieren? Klar. Aber dann hätte mich mein Umfeld darauf reduziert, ich wäre überall “die mit den Haaren” gewesen, es wäre über mich gelästert worden. Also keine Wahl. Nein. Schon mal einen Mann gesehen, der wegen Beinhaaren gemobbt wird?
Hatte ich wirklich die gleichen Karrierechancen? Immerhin hat ein Uni-Prof, als ich bei der Abschlussprüfung bei einer Frage nicht gerade brilliert habe, mich abfällig angelächelt und gesagt: „Sie sehen ja zum Glück nach was aus, sie werden ihren Weg schon gehen“. Ich fand das sogar irgendwie nett, ich hatte ja immer gelernt, dass Komplimente etwas Freundliches seien, auch wenn sie in einem noch so unpassenden Kontext daherkommen. Es war unmöglich. Hätte er das zu einem Mann gesagt? Ich wurde also während meines beruflichen Werdegangs schon immer wieder auf mein Äußeres reduziert. Ich fand das nicht schlimm – aber es war selbstverständlich sicher oft alles andere als förderlich.
Frauen werden eher nach Äußerlichkeiten bewertet, Männer eher durch ihre Taten. Das ist ein ungeschriebenes Gesetz, das natürlich nie fair ist.
Ein System, das Männern viel Macht gibt
Ich hätte vermutlich auch auf Kinder verzichten müssen, hätte ich „ganz nach oben“ gewollt. Ich habe lange im Bereich Wissenschaft gearbeitet und da ist es leider immer noch vielerorts so, dass man wahnsinnig ackern muss, dass Frauen es exorbitant schwerer haben und dass eben auch – zufälligerweise – die allermeisten Frauen, die in der oberen Liga mitspielen, keine Kinder haben. So ist das in verdammt vielen Bereichen! Und klar gibt es dann einige wenige Frauen, die sich da durchboxen und es trotzdem schaffen. Meistens – lacht nicht! – mit einem Mann, der ihnen den Rücken frei hält. Ist wirklich so. Den Mann hätte ich gehabt, aber die Kraft nicht. Und der Wille war sicher auch nicht stark genug. Als Mann hätte ich mich einfach an sehr vielen Stellen weniger anstrengen müssen…
Es gibt da draußen also ein System, das Männern viel Macht gibt. Ob sie es wollen oder nicht, als (weißer) Mann ist man nun mal automatisch privilegiert. Man bekommt Jobs einfacher, wird ernster genommen, weniger streng bewertet, Äußerlichkeiten spielen eine kleinere Rolle. Man hat mehr Wahlfreiheit, mehr Chancen, alle Autos sind auf einen zugeschnitten, alle Medikamente, die ganze Welt wurde leider Gottes fast nur von Männern für Männer gemacht.
Bis jetzt! Immerhin gibt es jetzt langsam viele Diskussionen genau darüber. Viele Frauen, die diese ganzen Ungerechtigkeiten sachlich, klug ansprechen und langsam bekämpfen. Politikerinnen, die für mehr Gleichberechtigung einstehen. Es gibt viele Staaten, die sehr erfolgreich (gerade in der Pandemie auffällig oft erfolgreicher) von Frauen geleitet werden. Es tut sich was!
Mutterschaft und Feminismus
Und ja, gerade wenn wir Mütter werden, sollten wir unseren Feminismus-Schalter anklicken. Denn mit der Mutterschaft wird so vielen Frauen erst klar, wie sehr auch sie tradierte und altmodische Rollenbilder in ihrem Kopf und ihrem Denken haben. Wie schwer sie es dann doch in der Partnerschaft und im Beruf haben, ihren modernen Weg zu gehen. Wie groß diese Zerrissenheit sein kann, zwischen den Erwartungen an Mütter, dem eigenen Anspruch und den strukturellen Barrieren.
Also. Wer ernsthaft von sich sagt, „Neee feministisch bin ich nicht” – das kann ich mittlerweile wirklich nicht mehr verstehen. Sogar von Männern nicht! Barack Obama hat mal gesagt: „Das ist der zentrale Punkt von Feminismus im 21. Jahrhundert: Die Idee, dass es alle befreit, wenn alle gleichberechtigt sind.” Und Salman Rushdie hat sogar wortgemäß gesagt: “Na klar bin ich Feminist. Sonst wäre ich ja ein Arschloch.” („What else is there to be? Everything else is being an asshole.”) Sehe ich eigentlich genauso.
Für mich ist feministisch sein immer verbunden mit einem wachen Auge für all die Ungerechtigkeiten. Ich kann dann auch immer gar nicht anders, als diese sofort zu benennen. Zudem gehört für mich eine weitere Sache dazu: Solidarität. Das finde ich so wichtig. Einfach andere Frauen so sein lassen, wie sie sind. Mit oder ohne Achselhaaren. Mit oder ohne ETF-Fonds. Mit oder ohne Mann. Mit welcher Sexualität auch immer. Mit oder ohne Kind. Mit Minirock oder Latzhose. Mit oder ohne gleichberechtigte Beziehung. Frauen sollten zusammen halten. Das heißt nicht, dass man alles von jeder super finden muss. Aber dass man nicht aufeinander los geht. Sondern versucht, sich zu verstehen. Allerdings – das muss ich schon sagen – das eine spielt beim anderen manchmal rein. Wenn eine Frau offensichtlich ungerecht behandelt wird, gerne auch vom eigenen Mann. Dann muss ich das auch ansprechen. Natürlich nicht so, dass es verletzend ist, aber das gehört für mich zur Solidarität dazu. Schließlich sind wir alle oft noch etwas blind, weil wir die jahrhundertealten Rollenbilder auch erst einmal ablegen müssen.
Die Vergangenheit nicht aus den Augen lassen
Wir sollten alle nicht vergessen, wie es vor 100 Jahren aussah. Oder noch früher. Da durften Frauen nicht wählen, kein eigenes Konto eröffnen. Wenn sie nicht heirateten wurden sie geächtet, wenn sie ungewollt schwanger wurden, mussten sie sich in Lebensgefahr begeben oder ein Kind bekommen, das sie nicht wollten. Dass das heute alles nicht mehr so ist, haben wir feministischen Frauen zu verdanken. Und nochmal: Man muss nicht super emanzipiert leben, um emanzipiert zu denken! Das ist eh auch so eine Sache.
Die Sache mit der Doppelmoral.
Eben weil so viele ein so falsches Bild von Feministinnen haben, kommt man ständig in einen Konflikt mit den eigenen Vorlieben, Wünschen und Gedanken. Passiert sogar mir! Regelmäßig habe ich zum Beispiel irre Lust auf einen Tag zuhause. Dann pflege ich Pflanzen, dekoriere Blümchen, backe Kuchen. Ich verkrieche mich stundenlang in der Küche und wiege Mehl und Zucker ab, schlecke Kuchenteig und dekoriere mit Zuckerstreuseln. Ich liebe das. Es erfüllt mich, wenn ich die Wohnung in Ordnung bringe, die Wäsche falte. Die äußere Aufgeräumtheit schafft innere Ordnung. Gelegentlich liebe ich es auch, romantische Komödien zu schauen, ich brenne für Mode und lackiere mir gerne die Nägel, ich freue mich jetzt schon wieder aufs Adventskalender-Basteln und ich mag Männer. Ja, echt! Die meisten Männer finde richtig dufte, vor allem die, die das mit dem Patriarchat verstanden habe.
Aber an eben solchen Hausfrauen-Tagen denke ich manchmal: Schon komisch, dass ich das so genieße. Sollte ich es nicht schrecklich finden? Ich will doch kein Heimchen am Herd sein!
Darf man das? Sich die Nägel lackieren, schöne Kleidung mögen, vielleicht sogar gerne kochen und backen – und gleichzeitig Feministin sein? Oder ist das ein Widerspruch? Was für ein absoluter Quatsch. Man kann und darf und soll alles sein – und Feministin. Ja, auch Hausfrau. Warum nicht.
Das ist doch kein Widerspruch
Ich muss hier nur noch kurz auf die echte, wirkliche Wahlfreiheit eingehen. Denn ja. Ganz viele Frauen verlassen oder reduzieren ihr Berufsleben, wenn sie Kinder haben. Sie WOLLEN zuhause bei ihren Kindern bleiben und den Haushalt führen. Sie genießen das – zumindest temporär – wie ich manchmal. Ja, das mag sein. So ganz frei sind wir in unseren Entscheidungen aber selten (Männer auch nicht, aber meistens haben sie es leichter). Denn wenn seit Generationen von Müttern erwartet wird, dass sie diesen Job machen, dann ist es kein Leichtes zu sagen: Ich mache es anders. Wenn es vielleicht sogar im engen Umfeld, von der eigenen Familie negativ beäugt wird, wenn eine es anders macht, dann wird es noch schwieriger. So ganz frei ist also am Ende keine Lebensentscheidung. Und einen finanziellen Ausgleich für Rentenpunkte und verpasste Karrierechancen sollte es sowieso geben. Auch ich finde Haushalts-Tage sicher auch so befriedigend, weil ich ganz tief drinnen denke, dass ich etwas erfüllt habe, was von mir verlangt wird. Während mich nach langen Arbeitstagen zwar immer ein unbändiges und zufriedenstellendes Freiheitsgefühl umtreibt, aber auch meist noch eine kleine Restspur schlechtes Gewissen. Nach sieben Jahren noch. Verrückt, oder?
So ganz frei sind wir also nicht. Aber wir dürfen diese Widersprüchlichkeiten dennoch ausleben. Weil sie normal sind. Vielleicht auch gut. Sie beweisen, wie alltäglich und divers Feminismus sein muss. Es gibt mittlerweile sogar viele Feministinnen, die sich zum Beispiel auf Instagram komplett auf Äußerlichkeiten reduzieren. Nackte Hintern mit feministischen Slogans kombinieren. Mir stößt das immer etwas auf, ehrlich gesagt. Weil mir das Thema zu ernst ist. Aber eigentlich: Why not?! Auch das ist unser gutes Recht, Männer dürfen das ja auch.
Auch all die anderen feministischen Kampagnen: Monatsblut normalisieren, körperliche Vielfalt zeigen – ja auch im Bikini, und von mir aus auch zeigen, dass es normal ist, wenn sich die Schamlippen bei einer Leggings abzeichnen – all diese Diskussionen sind wichtig. Weil sie uns Stück für Stück frei machen. Man muss nicht jede mitmachen, aber manchmal macht das auch richtig Spaß, all die schlimmen Dinge aufzudecken. Alleine das Wort Schamlippen. Scham? Soll man sich dafür schämen? Warum führen wir nicht mal den Begriff “Schamhoden” ein. Diese Umkehrspiele liebe ich ja. Sie decken so oft auf, wie absurd unsere Gesellschaft funktioniert.
Warum wir auf einem guten Weg sind
Wer behauptet, wir seien schon so frei, hat als meiner Meinung nach Unrecht. Bislang sind wir Frauen noch in ganz vielen gesellschaftlichen Korsetts gefangen, es gibt viel zu viele Erwartungen. Zudem sind wir viel mehr Gefahren ausgesetzt, ganz realen, sei es Gewalt oder Unfällen in für Männer designten Autos (Lesetipp hier!).
Ich bin aber dennoch sehr positiv gestimmt. Unseren Kindern wird auf ganz breiter Ebene schon ein ganz anderes Geschlechterbild vorgelebt. Das wird sie prägen. Gerade sehe ich immer wieder Mädels-Trupps, die so vor Selbstbewusstsein strotzen. Die Radlerhosen tragen, obwohl das Patriarchat sagt: mit den Oberschenkeln lieber nicht. Die sich eben nicht mehr die Beine rasieren, die Baseball-Caps tragen und rotzfrech sind. Ich fühle mich alt, wenn ich sie sehe, denn das ist wirklich so ganz anders, als ich es in meinen 20ern erlebt habe. Aber es freut mich!
Vor allem für meine Tochter. Was für ein großes Glück sie hat, dass sie in diesen Zeiten groß werden darf. Ich denke, es gab nie eine bessere Zeit, um als Frau aufzuwachsen. Meine Tochter wird sicher schon viel mehr echte Wahlfreiheit haben. Sie wird hoffentlich WIRKLICH selbst entscheiden dürfen, ob sie sich rasieren möchte, wie sie sich kleiden will, ob sie sich Kinder wünscht, was sie beruflich für Träume hat und wie sie Sex haben will. Wir sind auf einem guten Weg, denke ich. Wir ebnen das gerade ganz gut für unsere Kinder. Auch für die Jungs, denen das ja am Ende auch so viel mehr Wahlfreiheit bescheren wird.
Also seid stolz darauf, FeministInnen zu sein!