Als ich gestillt habe, habe ich oft das Gefühl gehabt, ich produziere nicht genug Milch. Jedenfalls war es immer etwas knapp. Mein Sohn war einfach ein großes Baby und brauchte viel und ich kam mit dem Essen nicht hinterher. Freundinnen von mir hatten teilweise das umgedrehte Problem. Sie produzierten einfach so viel Milch, dass das Kind nie eine Brust leer trank. “Kannste ja verkaufen!” Hatte ich im Spaß gesagt, nicht ahnend, dass es tatsächlich sogenannte Milchbörsen gibt.
Only the Breast !?
In den USA ist der Handel mit Muttermilch schon länger ein Trend. Im Mittelpunkt steht dort die Plattform Only the Breast. Dort bieten Mütter ihre Milch als “healthy mom’s liquid gold” oder “Happy, Healthy, Chunky Baby Milk!”. Was auf uns befremdlich wirkt, ist aber einen zweiten Gedanken wert. Denn ja, Muttermilch ist in erster Linie das Beste für den Nachwuchs, so liest man es ja auch auf den Pulvermilchpackungen. Aber nicht Jede kann oder will stillen. Pulvermilch hat generell einen weniger guten Ruf, zu Unrecht? Dazu gibt es sehr viele, qualitativ unterschiedliche und teilweise veraltete Studien. In einem Artikel, der die vielen Nachteile von Pulvermilch auswertet (und auf den sich Tanja Müller im Interview beziehen wird), sind die Studien über 20 Jahre alt.
Das Angebot von Muttermilch trifft also rein theoretisch auf Nachfrage. Besonders natürlich für Frühchen, die sehr anfällig für Infektionen sind. Für sie kann Muttermilch lebensrettend sein. Für Frühchen gibt es Reserven in Krankenhäusern, wie Blutkonserven, die auf alles getestet und dann schockgefroren werden. Aber auch die sind nicht immer verfügbar.
Tanja Müller erging es wie meiner Freundin, sie hatte so viel Milch, dass sie sie wegkippen musste. Eigentlich schade. So kam es zu der Idee, eine Börse für Muttermilch aufzubauen. Wir haben Tanja zu ihrem umstrittenen Projekt ein paar Fragen gestellt.
Warum hattest du den Wunsch, auch hierzulande eine Plattform für den Handel oder das Spenden von Muttermilch zu etablieren?
Als ich mich damals, mit meinem eigenen Wunsch nach Kauf und Verkauf von Muttermilch, auf die Suche nach Möglichkeiten machte, war ich doch überrascht. Seit Jahren schon tauschen deutsche Mütter im Internet auf verschiedensten online-Wegen Muttermilch. Ob Facebook, Foren, Blogs, Kleinanzeigen oder den Börsen in Amerika – überall waren die deutschen Mütter unterwegs und versuchten verzweifelt, Muttermilch zu kaufen oder zu verkaufen. Gleichzeitig ist in den westlichen Ländern eine Art “Mütter-Bewegung-Welle” spürbar – zurück zur Natur und zur Muttermilch. Vor zehn Jahren begann es in Amerika, heute gibt es dort vier Börsen und eine breite Akzeptanz. Weitere Länder folgten, wie Großbritannien, Frankreich und nun auch Deutschland. Glaubt mir, eine Lösung über Krankenhäuser, Ärztenetzwerke oder viele Milchbanken wäre auch mir lieber – aber in der Richtung gibt es kein Interesse, ich habe es mehr als einmal versucht (zu aufwendig, zu teuer, nicht notwendig). Einer meiner Hauptgründe, die Börse zu gründen war, das Bedürfnis vieler deutscher Mütter sichtbar zu machen UND um Sicherheit in den bisher chaotischen Online-Handel zu bringen – durch Aufklärung, Informationen und Hilfestellungen.
Um Muttermilch online zu kaufen, muss man der Verkäuferin, die man ja meist nicht kennt, viel Vertrauen schenken. Rechtfertigen die Vorteile, Säuglinge mit Muttermilch zu ernähren das Risiko, das man dabei eingeht ?
Ja und immer wieder Ja! Die Käuferin hat es in der Hand, ihren Kauf sicher zu gestalten, wenn sie sich an ein paar einfache Regeln hält.
Das Risiko ist, mit gesundem Menschenverstand beleuchtet, verschwindend gering und rein theoretisch. In der Jahrzehnte langen Geschichte der weltweiten Muttermilch-Börsen, mit Zehntausenden von gefütterten Babys (die ältesten sind mittlerweile bald Teenager) – ist nicht ein Baby je durch Spendermuttermilch zu Schaden gekommen, nicht mal eine Magenverstimmung konnte man finden!
Auf der anderen Seite wird das Risiko “Formulanahrung” (jährlich neu belegt durch Zahlen & Fakten) verschwiegen, verharmlost oder dementiert – das ist unverantwortlich! Weltweit werden jährlich viele Fälle von kranken und sterbenden Kindern dokumentiert, die darauf zurück zu führen sind, dass keine Muttermilch, sondern Ersatznahrung gefüttert wurde. Hier muss mehr aufgeklärt werden.
In den meisten anderen westlichen Ländern ist die Aufklärung über die Risiken der Formulanahrung viel fortschrittlicher als in Deutschland. Was mich recht wundert. Eine Studie ergab, dass Ärzte und Hebammen die Risiken oft verschweigen, um den Müttern kein „schlechtes Gewissen“ zu machen.
Auf deiner Seite sprichst du von einer “Pulvermilchlobby”. Glaubst du, dass in den Medien absichtlich Ängste geschürt werden, die unbegründet sind?
Ich wundere mich sehr über einige Aussagen, die mit differenzierter Aufklärung nichts gemein haben. In ihrer Intensität und Dramatik rein hetzerisch wirken und hoffnungslos einseitig sind. Sehr viele Artikel wurden geschrieben ohne auch nur ein Wort mit mir gesprochen zu haben. In Amerika, wo der Muttermilch-Tausch ganz andere Dimensionen hat, führte dies zu einem Ausbau der Milchbanken und die Lebensmittel-Weltkonzerne mussten hier bereits Einbußen hinnehmen. Sehr gewundert hatte ich mich auch über das Statement der bayerischen CSU-Gesundheitsministerin. Warum macht sie sich die Mühe, ein dramatisch einseitiges Statement über eine Tauschbörse abzugeben, auf welcher sich damals gerade mal 50 Mütter tummelten? Dann stellte ich fest, dass Bayern mit Milchpulver im In- und Ausland gigantische Umsätze macht. Im Jahr 2011 betrug der Gesamtumsatz mit Lebensmitteln für Säuglinge in Deutschland etwa 556 Millionen Euro. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die das gut finden, wenn die Mütter anfangen, untereinander Muttermilch zu tauschen. Zurück zum perfekt Natürlichen für jedes Baby, beginnend in der Familie, über Schwestern, Kusinen, beste Freundinnen – Frauen denen man vertraut.
Warum glaubst du, finden manche den Gedanken ihr eigenes Kind mit “fremder Muttermilch” zu ernähren als unangenehm?
Das ist eine Sache der Erziehung und der Aufklärung. Seit Anbeginn der Menschheit wurden Babys von Müttern, die selbst nicht stillen konnten, mit Muttermilch anderer Frauen groß gezogen. Auch heute noch ist dies in vielen Kulturen und bei den Naturvölkern normal. Auch in Deutschland war dies lange Zeit alltäglich (Ammenwesen) es gehörte zum Leben, in der DDR noch bis zum Mauerfall. Anfang des 20 Jahrhunderts wurde Formulanahrung produziert und genauso lange werden wir von der Werbung der finanzstarken Lebensmittel-Weltkonzerne auf die vermeintlich “genauso gute” Formulanahrung getrimmt. In den 70er Jahren wurde suggeriert, dass Stillen zu unhygienisch wäre fürs eigene Kind – viele Mütter gaben Formulanahrung trotz eigenem Milchfluss (wie heute noch in vielen Entwicklungsländern). Erst im Jahre 2006 verabschiedete die Europäische Union ein Gesetz, welches solche Aussagen verbietet – der Druck und die Klarheit der wissenschaftlichen Erkenntnisse ließen keine Wahl. Gleichzeitig sehen wir täglich, wie alle Milch trinken, die aus dem Euter einer Kuh kommt. Daran ist man eben gewohnt und das ist der Unterschied. Warum gibt es denn überall Milchbanken auf der Welt? Warum macht man sich überhaupt die Mühe, wenn Formulanahrung genau so gut wäre? Weil es nicht so ist. Der Mensch kann das Naturprodukt Muttermilch, welches in Millionen von Jahren der Evolution entstand, nicht reproduzieren und wird es noch lange nicht können.
Danke Tanja!
Die Wahrheit muss wohl jeder für sich selbst finden. Wichtig ist nur, dass offen mit dem Thema umgegangen wird, bei Hebammen wie bei Ärzten. Dass Stillprobleme ernst genommen werden und nicht, wie die FAZ schreibt verschwiegen werden, um “bloß keine Rechtfertigung fürs Aufgeben zu liefern.” Wer sich weiter damit beschäftigen will, hier gibt es noch einen Artikel dazu aus ärztlicher Sicht.