Hot Take: Wie können wir wohnen – eine Familie auf der Suche nach Platz

Wer mir auf Instagram folgt, weiß von der Dauerwurst: Wohnungssuche in Berlin. Alle hier Lebenden müssen immer wieder zwei Hände benutzen, um aufzuzählen, wer aus dem Bekanntenkreis gerade sucht. Auch wir. Ein Jahr hat es gedauert, bis die Haare gerauft waren, die Nerven blank lagen, aber ein Mietvertrag unterschrieben vor uns auf dem Tisch lag. Das Undenkbare ist uns gelungen: Meine Nachmieterin wird auch meine Vormieterin sein. Ein wahrhaftiger Wohnungstausch mit all seinen Tücken. Jetzt ist der Umzug gerade geschafft, Doch die alten Fragen sind noch immer offen.

Wer sucht aus, wo wir wohnen?

Schon lange wohne ich in Berlins sozial stark durchmischten Kiezen. Was einige charmant finden, ist für wieder andere explizit erwünscht – und für den Nächsten eine No Go Area. Wir vergessen jedoch schnell, dass die meisten Bewohner*innen schlichtweg keine Wahl haben. Ich hatte schon die wildesten Diskussionen. Ich kenne die Argumente vom unwohlen Gefühl im Park und alten Spritzen im Sandkasten. Ich kenne aber auch das Meckern über das neue, hippe Café um die Ecke und den gestiegenen Mietpreis. Die Zusammenhänge sind oft genauso abstrakt, wie sie auf der Hand liegen und das näher zu beleuchten, würde den Rahmen sprengen. Dennoch: Mieterin X oder Kaffeehaus Y sind in den seltensten Fällen schuld, öfter aber die Leidtragenden.

Kapitalismus macht, dass wir nicht entscheiden können, wo wir wohnen.

Faktoren wie soziales Kapital, ökonomisches Kapital aber auch der Markt sind (jetzt mal stark verkürzt) entscheidend. Ich wohne also in der sozialen Durchmischung, weil es für mich ein finanzieller Kompromiss ist. Hier kann ich mir als Familie Großstadt noch leisten, ohne mich vollends kaputt zu arbeiten. Und was für Viele eben ein sehr unbekannter Kiez oder eben No Go Area ist, ist für andere und meine Familie Lebensraum. Der Quadratmeter kostet uns zukünftig 10,50€. Das liegt deutlich unter dem Berliner und knapp unter dem deutschen Durchschnitt. Ich beschwere mich also sowieso nicht. Wieso auch, ich habe ja eine Wohnung gefunden. Hurraaa! Hier gibt es Kitas, Grün, Spielplätze und viel Kontrastprogramm. So wie viele Familien sind wir im Findungsprozess einer Wohnung buchstäblich aus dem Berliner Ring gefallen… Was nicht für alle ein Problem darstellt und auch nicht in jeder Himmelsrichtung dasselbe bedeutet, meint aber übersetzt, dass die mit weniger Einkommen nicht entscheiden, wo oder wie sie wohnen.

Das ist per se nichts Neues für unsere Ohren, nur müssen wir uns langsam daran gewöhnen, dass diese Einkommensgrenze sich immer weiter in die Mittelschicht bewegen wird. Sogenannte Problemkieze sind solche mit vielen gemeldeten Straftaten, viel Arbeitslosigkeit, Migrationsgeschichten. Man kennt die Definition. Soziale Durchmischung: Immer schwieriger. Ja, manchmal kommt es mir im Gespräch fast so vor, als hätten Viele gerne all die anderen aus ihrem Kiez verbannt. Die Drogenabhängigen, die mit nicht deutschen Muttersprachen, die anderen eben. Und ich? Ich muss ehrlich sein und mir immer wieder eingestehen, was für ein großes Glück ich habe, verschiedene Lebensrealitäten genau vor meiner Türschwelle zu finden. So fühle ich mich regelmäßig wie ein Eindringling mit meinem freiberuflichen, aber in der Regel überdurchschnittlich hohen Einkommen. Und kämpfe gegen innere Dämonen, während ich mir insgeheim noch ein nettes Restaurant und ein zweites Cafe hinzu wünsche. Ja, es trieft vor Ambivalenz und Widerspruch.

3 Zimmer, Küche, Bad – was braucht mein Kind?

Begleitet von einem durch Social Media überhöhten Anspruch an mich, aber eben auch meine vier Wände, haben wir es gerade mal geschafft, zu vier Wohnungsbesichtigungen eingeladen zu werden, von denen alle ausschließlich über private Kontakte entstanden sind. Soziales Kapital, klar. Eine war zu teuer, eine war zu klein. Eine war unrenoviert und eine weitere im Erdgeschoss. Alles nichts für uns. Leider habe ich als kleine Social Media Maus mit meinem Beruf ein Problem freihaus bekommen:

Mein Auge ist konditioniert auf extrem schöne und gut eingerichtete Altbauten.

Voll mit Designermöbeln, Fischgrätenparkett und den einen oder anderen extra Quadratmeter und meint, hier das ganz normale Leben zu sehen… Lange habe ich versucht, mir einzureden, dass das eben mein Geschmack sei. Heute weiß ich, dass nicht nur viele meiner Freund*innen, sondern auch die meisten Menschen, denen ich auf Tik Tok oder Instagram folge, schlichtweg mehr verdienen als ich, die sich nun vier Jahre lang ganz wunderbar mit ihrem Laminat vertragen hat. Hier gibt es keine Erbstücke in der Wohnung oder ein zusammengespartes Bolia Sofa. Während Viele gelernt haben, beim Betrachten ganz bei sich zu bleiben, wittere ich schnell das Maß aller Dinge, das Richtige im Falschen, einen weiteren Punkt auf der Wish List für das Rundum-Sorglos-Paket als Familie. Als würde es mir besser gehen mit all diesen Dingen und vor allem: Als wäre dies ein Ausdruck von wahrer Liebe für mein Kind und meinen Partner. Was ich gerade versuche, in der Therapie zu erschließen, ist eine Form von Aufwärtsvergleich, die sich prima als mein Geschmack getarnt hat.

Ich glaube jetzt zu wissen, welchen Kühlschrank man braucht, wenn man mit 30 Jahren ein kleines Kind bekocht und wie Kinderzimmer 2023 aussehen. Und auch die Wohnung darf bitte in dieses Schema passen. Mit einem verzerrten Weltbild ist eine solche finden und einrichten gar nicht mal so geil und gar nicht mal so leicht. Ich übe mich aber jetzt, zu verharren und meine Love Language anders zu gewichten. Wer will schon mehr arbeiten, um mehr Dinge zu kaufen?

Wir waren diese Familie, die es wirklich auf jedem Wege versucht hat.

Wir hatten ausgedruckte Aushänge in unseren favorisierten Kiezen noch weit bevor das ImmoScout-Profil stand. Als klar war, dass das bei weitem nicht reicht, wurde ich dann doch Mitglied, und wie bei einem Nebenjob hatte ich feste Zeiten für die Suche am Handy eingeplant und habe Stunden damit verbracht, Anschreiben auszufüllen und mit Hausverwaltungen zu korrespondieren. Der Zeitaufwand war so immens, dass ich teilweise meine Arbeit neben der Elternzeit niederlegen musste, um mich auf die Wohnungssuche zu konzentrieren und noch genug Zeit für mein Kind zu haben. Zusätzlich war es eine psychische Herausforderung, sich gedanklich immer wieder auf eine neue Wohnung einzulassen, hoffnungsvoll zu sein, um am Ende doch nur mit einem gelöschtem Angebot ohne Einladung zum Besichtigungstermin zurückzubleiben.

Nach 10 Monaten der Suche hatte ich vor allem Sorge, dass das Ausbleiben des passenden Angebots für uns bedeutet, Berlin auf kurz oder lang verlassen zu müssen.Wir hatten glücklicherweise nur internen Druck, auszuziehen, waren nicht an eine Vertragskündigung oder Eigenbedarfsklage gebunden und traten uns nur gegenseitig auf die Füße. Trotzdem bleibt es beklemmend, zu realisieren, in einer so lebensverändernden Entscheidung vollkommen unfrei zu sein.

Mieten, kaufen, tauschen.

Wer auf den gängigen Portalen unterwegs ist, sieht immer wieder Tauschangebote, die die regulären Mietwohnungen von den regulären Portalen verdrängt haben. Zudem ist es schwierig, heute eine Wohnung zu finden, ohne diverse Premium-Mitgliedschaften und ohne 24/7 an den Endgeräten zu sein, um dann doch in Erwägung zu ziehen, die jetzige Wohnung gegen etwas Besseres einzutauschen. Der Schock folgte postwendend. Die ganzen Tauschwohnungen mit den Traum-Mieten in den Traum-Kiezen in dem wirklich familienfreundlichen Haus und mit der tollen Anbindung sind gar keine potenziellen Tauschwohnungen. Das sind immer öfter nämlich Wohnungen von Leuten, “die mal was Neues wollen”, einen “Tapetenwechsel” brauchen, denen “der Kiez zu langweilig geworden ist”. Und was früher als berechtigter Grund für einen Umzug zählen durfte, ist mitten im Krisenherd Wohnungsmarkt kein Grund dafür, sich in das Haifischbecken der Wohnungssuche zu wagen. Es treffen also Bedürftige mit Eigenbedarfskündigung, zu kleinen vier Wänden oder Trennungsgeschichte auf solche, die sich in Ausstattung, Lage und Look auf keinen Fall verschlechtern wollen und trotzdem nicht so einfach eine neue Wohnung finden würden… Eine enttäuschende Mischung, wenn man mich fragt.

“Hey Tom, ist unsere Wohnung vielleicht etwas für dich?”, frage ich den Rechtsanwalt im 90m2 Friedrichshainer Altbau, der hier schon “zu lange im Kiez lebt”.
“Leider nicht, aber viel Erfolg bei der Suche :)” entgegnet dieser. Ich bin kurz davor, die sozialistische Revolution auszurufen, aber wahrhaftig dabei, Tom zu wünschen, dass er im Samariterkiez versauert. Hilft es, sich die Weitsicht seiner Mitmenschen zu wünschen? Ich finde schon, dass man gerne reflektieren kann, wie viel Wohnraum man einnimmt oder wirklich braucht, wenn man in der Großstadt lebt. Der Frust wächst. Der Bedarf auch. Ich sehe Angebote wie “Wer tauscht München gegen Berlin?”, Tauschgesuche “Altona gegen Kreuzberg”, aber auch europäische Metropolen wie Barcelona oder Paris laufen einem immer wieder über den Weg.

Die Lage ist so angespannt, dass keiner sich erlauben kann, ohne Angebot ins Rennen zu gehen.

Ich bin erschrocken und hätte nie für möglich gehalten, dass das unser einziger Schlüssel zum Glück ist. Und wie verbogen und kompliziert der um die Ecke kommt.

Unsere Tauschpartnerin ist ähnlich ratlos wie wir. Seit einiger Zeit getrennt, wird die Miete für ihre jetzige Wohnung zu teuer. Sie mag im Kiez bleiben, hat ein begrenztes Budget und ihren Ex als Untermieter. Na Bravo. Beide haben kein Glück und sind Co-abhängig. Als wir über eine gemeinsame Freundin voneinander hören, ist sie aufgeregt und ich skeptisch. Das alles klingt nach einem Haufen Arbeit und noch mehr Stress. Nach einem kurzen Hin- und Her schauen wir uns die Wohnung an und sind begeistert. Schicker, als wir uns hätten erträumen können, Abstriche in der direkten Lage und im Preis aber hey, wir wagen es. Unsere Hausverwaltungen sind klein und kooperativ, unsere Whatsapp-Konversationen scheinbar endlos. Wir schreiben über die anstehenden Telefonate, über Abschlagszahlungen und einigen uns auf Summen, Umzugstage, Vertragsunterzeichnungen. Alle haben Angst. Angst zu früh zu kündigen und ohne etwas dazustehen. Angst, dass auf einmal doch eine Hausverwaltung abspringt. Angst vor dem Tag, an dem plötzlich zwei Haushalte gleichzeitig zwei Umzüge, zwei Abnahmen, zwei Übergaben über die Bühne gehen müssen. Tief durchatmen. Letztendlich standen wir drei Tage mit einem gekündigten Mietvertrag und ohne neu unterschriebenen da. Das ließ sich gerade noch verdrängen.

Da sind wir nun.

Und wir wissen, dass wir vorerst nicht mehr umziehen können. Dass wir nichts finden werden und der Markt so angespannt ist, dass unsere Chancen in der Zukunft noch schlechter sind, als im vergangenen Jahr. Ein halbes Jahr hätte ich die Suche noch ausgehalten, danach hätten wir unseren Radius extrem erweitern müssen. So weit, dass unsere Heimatstädte mitgemeint gewesen wären. So weit, dass die Berliner Idee, die wir mal hatten, als wir aus unseren Kinderzimmern auszogen sind, auf einmal daran gescheitert wäre, dass wir, wie so viele, nicht mehr mitentscheiden können, wo wir leben wollen. Jetzt, so kurz vor dem Umzug, stelle ich mir oft die Frage, wie die Suche wohl ausgesehen hätte, hätten wir nicht ein so seriöses Auftreten, eine gute Schufa-Auskunft, die Fähigkeit, uns zu verkaufen, zu schreiben und zu gestalten. Die Möglichkeit, 100 Mal am Tag nachzusehen, ob es ein neues Angebot gegeben hätte, um dann sofort zu reagieren. Die Antwort gruselt mich.

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Foto: Jonas Denil