Let’s talk about: Das 50/50 Wechselmodell
Es fällt mir hier nicht so leicht, meine persönliche Erfahrung herauszuhalten, und sicherlich genügt dieser Artikel auch den journalistischen Standards nicht, möglichst objektiv zu sein. Ich möchte es dennoch versuchen. Und vielleicht auch einfach zum Nachdenken anregen, denn ich sehe diese Entwicklung höchst kritisch (wie ihr im Podcast #3 vielleicht auch schon herausgehört habt). Gleichzeitig möchte ich überhaupt nicht ausschließen, dass es da draußen Familien gibt, die das Wechselmodell gut leben können und deren Kinder davon profitieren.
Was ist also das Problem?
Ich habe persönlich die Erfahrung gemacht, wie es ist, wenn das Wechselmodell nicht funktioniert. Bevor mein Sohn im Wechselmodell lebte, war ich allerdings ziemlich liberal eingestellt und habe das Wechselmodell für die Zukunft nicht ganz ausgeschlossen. Zudem herrschte damals in den Medien, aber auch in den Jugendämtern eine eher positive Stimmung dem Wechselmodell gegenüber, entsprechend wurde ordentlich Druck auf mich, die Mutter, ausgeübt. Das ging sogar soweit, dass mir erzählt wurde, dass Wechselmodell sei der Regelfall, da komme man nicht drum herum. So weit, so schwierig. Denn mein Bauch sagte, besonders in unserem Fall, eigentlich etwas anderes. Mir wurde schon nach kurzer Zeit sehr klar und deutlich, dass das Wechselmodell (in unserem Fall also das wöchentliche Wechseln von Vater zu Mutter), keine passende Option ist.
Ein Leben im Ausnahmezustand – für alle Beteiligten
Denn es bedeutet, dass das Kind umziehen muss. Jede Woche. Jede Woche anderes Spielzeug, jede Woche ein anderer Erziehungstil, jede Woche ein anderes Leben. Weil das Kind ja nur jeweils eine Woche bei einem ist, ist so etwas wie “Erziehung” sowieso schwierig. Man will die Woche ja schön gestalten, ist weniger konsequent. Will nicht die kostbare Zeit mit Diskussionen verbringen. Meilensteine wie das Töpfchen benutzen, den Nuckel abgeben – wenn da nicht beide Elternteile an einem Strang ziehen, macht das Kind einen Entwicklungsschritt nach vorne, und dann wieder zwei zurück. Weil im anderen Zuhause ja alles anders ist. Und man fängt wieder bei Null an. Die Ausnahmen werden zur Regel; denn es gibt da diesen Druck, alles schön und harmonisch zu gestalten, weil das Kind ja nach wenigen Nächten erstmal wieder weg ist. Die ersten Tage sind immer schwierig; hat das Kind sich dann eingelebt, muss es wieder den Rucksack packen. Normalität kehrt so nur sehr selten ein. Auch die Freundschaften des Kindes zu anderen Kindern aus dem Kiez bleiben oberflächlich – man sieht sich ja nur alle zwei Wochen einmal, wenn es überhaupt so mit der Organisation klappt.
Und ich frage mich deshalb sein geraumer Zeit, für wen genau das hälftige Wechselmodell eigentlich wirklich funktioniert? Selbst wenn der seltene Fall eintritt, dass Mama und Papa noch gut miteinander reden können, dass sie räumlich nah beieinander wohnen und sich in Erziehungsfragen abstimmen können – kommen die Kinder damit wirklich gut klar? Was heißt es, jede Woche umziehen zu müssen? Was heißt es, niemals wirklich irgendwo Zuhause zu sein, nicht ankommen zu können?
Sicherlich wäre es wünschenswert, wenn sich nach einer Trennung mehr Väter am Leben ihrer Kinder beteiligen würden. Sicherlich gibt es auch viele der schrecklichen Geschichten da draußen, in denen Väter ihre Kinder nach der Trennung nicht mehr sehen können. Allerdings frage ich mich, ob das 50/50 Wechselmodell hier wirklich die Lösung ist. Ich wage nämlich zu bezweifeln, dass hier tatsächlich die Kinder diejenigen sind, die etwas davon haben.
In der Gruppe Doppelresidenz und der dort zitierten Studien fallen mir immer wieder zwei Pro-Argumente auf: 1. Das Wechselmodell sei für das Kind besser, da es für die Eltern stressfreier sei. Man könne Beruf und Familie besser vereinbaren. Hier wird manchmal versteckt, manchmal auch ziemlich offensichtlich das stereotype Bild der überforderten, alleinerziehenden Mutter eingesetzt. Dass eine manchmal gestresste Mutter allerdings nicht unbedingt bedeutet, dass das Kind darunter leidet, sei dahingestellt. Ich gehe aber davon aus, dass Mütter (ich spreche hier hauptsächlich von Müttern, da 88% der Alleinerziehenden in Deutschland Frauen sind) eventuell auch etwas weniger gestresst wären, würde nicht die Hälfte der Alleinerziehenden keinen Unterhalt vom Partner erhalten. Sicherlich gibt es auch viele Fälle, in denen sich Mütter mehr Engagement vom Vater wünschen, weil es hart ist, so richtig, richtig alleinerziehend zu sein, wie Katharina schon einmal beschrieben hat. Aber ob ein eingeführter Regelfall Wechselmodell wirklich die Väter, die eben nicht involviert sind, dazu bringt, mehr da zu sein? Ich bezweifle das.
Und ist es wirklich stressfreier immer wieder eine Woche “kinderfrei” zu haben? Das mag auf den ersten Blick so wirken, vor allem für Eltern, die ihre Kinder immer bei sich haben. Ganz nach dem Motto Kinder seien eben “anstrengend”. In unser heutigen Zeit, in der es viel um die “individuelle Freiheit” geht, ist das vielleicht verlockend. Doch letztendlich kostet es gerade in der Zeit, in der das Kind die ersten Tage wieder bei einem ist, viel, viel Kraft. Der ständige Wechsel ist für alle Beteiligten schwierig. Und vor allem für das Kind. Für manche Eltern mag das Wechselmodell “stressfreier” sein, aber auch hier geht es eben nicht um die Bedürfnisse des Kindes, sondern um die der Eltern.
Das Argument Nummer 2 der Gruppe Doppelresidenz: Das Wechselmodell sei besser, weil so die enge Bindung zu zwei Elternteilen nicht verloren geht und beide Eltern das Kind weiterhin regelmäßig sehen könnten. Hier spielt natürlich auch sehr mit rein, inwiefern der jeweils andere Elternteil überhaupt vor der Trennung involviert war. Wenn die Mutter die hauptsächlich Betreuende war, warum soll ein Kind dann plötzlich eine Woche getrennt von der Mutter leben, bei einem Vater, der vorher nicht wirklich präsent war? Auch hier kommt es wieder stark auf den Einzelfall an. Zweitens frage ich mich, ob man wirklich die enge Bindung zum anderen Elternteil verliert, wenn man regelmäßigen Kontakt hat, nur eben meist in einem Bett schläft und nicht ständig pendelt.
Würden wir jede Woche umziehen können?
Gut für das Kind soll laut manchen Experten das sogenannte Nestmodell sein – das Kind bleibt immer in einer Wohnung, und die Eltern wechseln sich Woche um Woche ab. Hört sich anstrengend an? Das ist es auch! Ja, nahezu fast unmöglich, logistisch zu organisieren. Aber wartet mal – erwarten wir nicht genau DAS vom Kind, das im Wechselmodell leben soll? Wer jetzt mit dem Argument kommt, Kinder seien doch flexibler, dem möchte ich sagen, dass ich das nicht glaube. Und vor allem glaube ich, dass ein Kind ein Recht darauf hat, geborgen und in Stabilität aufzuwachsen und sich entwicklen zu können. Wenn wir ein Nestmodell nicht aushalten würden, wenn wir uns nicht vorstellen könnten, wöchentlich umzuziehen, warum erwarten wir das von unseren Kindern? Es kommt bei mir immer mehr der Verdacht auf, was hier passiert ist gerecht für die Eltern. Ein Kind, das zwischen den Eltern aufgeteilt wird, wird das wohl eher nicht als gerecht empfinden oder auf Grund von Loyalitätskonflikten auch keinen Ausweg wissen.
Was bringt die Zukunft?
Was macht es mit einem, eine Kindheit zu erleben, in der Konflikte nie zu Ende ausgetragen werden können, weil man ja in ein paar Tagen eh wieder woanders ist? Alles ist ständig in der Schwebe. Auch der deutsche Kinderschutzbund hat sich vor Kurzem gegen das Wechselmodell als gesetzlich zu verankerndes Leitmodell ausgesprochen, mit dem Verweis auf das Kindeswohl: “Das Kind sollte gleichwertige positive Bindungen an beide Elternteile haben, über das Wechselmodell altersgerecht informiert sein und es selbst wünschen. Die Betreuungsregelungen sollten vor und nach der Trennung weitgehend ähnlich sein. Auch müssen sich die Eltern flexibel auf sich verändernde Bedürfnisse des Kindes einstellen und gut miteinander kommunizieren und kooperieren können.”
Was ich daraus ableite: das Ganze ist sicherlich auch altersabhängig. Für Kinder unter drei Jahren wird von einem regelmäßigen Pendeln klar abgeraten. Aber wie gesagt: es kann funktionieren. Allerdings möchte ich, im Sinne der Kinder, einfach noch einmal nahelegen, darüber nachzudenken, was wir unseren Kindern zumuten können und dürfen, und was nicht. Kinder sind ja sehr unterschiedlich, und vielleicht gibt es Kinder da draußen, die mit diesem Modell zurechtkommen, auch weil die Eltern es gut hinbekommen. Aber brauchen nicht doch die allermeisten Kinder Stabilität – findet ein Kind das in einem Wechselmodell? Und ist es nicht so, dass eine Trennung eben dann geschieht, weil man als Eltern zusammen nicht funktioniert? Wie soll es dann möglich sein, dem logistischen und emotionalen Aufwand gerecht zu werden, den das Wechselmodell fordert?
Das sind ziemlich viele Fragen. Ich habe für meinen Fall die Antwort gefunden und schaue mit Sorge auf den Trend, aus dem Wechselmodell einen Regelfall zu machen. Denn ich glaube, wir erwarten da ganz schön viel von diesen kleinen Wesen, denen wir vor allem eines schulden: Schutz, Stabilität und Geborgenheit.
Und jetzt bin ich gespannt auf eure Meinungen. Sicher gibt es viele Leser hier, die das Wechselmodell erfolgreich leben und ganz anderer Meinung sind, als ich. Gerade dann freue ich mich über eine Diskussion!