Eva Varol mit Nuri und Lemi
Beziehungen machen das Leben doch aus, oder?!

WOW! Das Haus der Varols ist fast eine Galerie, überall hängen überdimensionale Kunstwerke, stehen Statuen und Figuren. Dennoch wirkt es überall heimelig und gemütlich, was sicher vor allem an Eva liegt. Sie strahlt Wärme aus, ruht in sich, hält den kleinen Clan zusammen. Und das, obwohl sie früher sehr unstet war und nach der Geburt der Kinder lange mit der neuen Situation gehadert hat. Ihr Mann Selim ist Gastronom und Kunstsammler, er sammelt seit seiner Kindheit Street Art, Werke des Pop-Surrealismus und Toys. Wie das so ist, quasi im Museum zu leben, was Eva wichtig ist und was sie in den letzten Jahren gelernt hat, das hat sie uns alles im Interview verraten!

Liebe Eva! Du warst ja ziemlich viel unterwegs vor den Kindern, das kann man so sagen, oder?

Ja, das ist wohl wahr! Es war eine tolle Zeit. Ich habe mehr oder weniger 10 Jahre aus dem Koffer gelebt. Nach der Schule bin ich direkt ins Ausland, zuerst als AuPair nach Seattle, dann wollte ich in die Modebranche und war gerade für die Fashion Week in New York, als die Anschläge vom 11. September passierten. Das war eine schlimme und sehr traurige Zeit und für mich war danach nichts mehr wie zuvor. Ich wollte mich selbst verändern, wollte raus, etwas für die Welt tun. Also habe ich begonnen, für gemeinnützige Organisationen zu arbeiten, bin hoch in den Norden Ugandas, um mit Kindern zu arbeiten. Das hat mich glücklich gemacht, trotz einer schweren Malaria-Erkrankung, die mich einige Monate ausgeschaltet hatte. Danach bin ich einmal quer durch die Favelas Brasiliens, und habe in Waisenhäusern in Argentinien gearbeitet. Gleichzeitig habe ich angefangen an einer internationalen Universität zu studieren, ein Mix aus Psychologie, Kommunikation und Eventmanagement. Dazu habe ich dann länger in der Schweiz gelebt, in Lausanne und Genf, später in Amsterdam, und auch in Australien und schließlich noch Hawaii.
Meine Schwester ist nach Ihrem Studium in Düsseldorf geblieben, wir kommen eigentlich aus der ländlichen Umgebung von Heidelberg. Nach all diesen Jahren hatte ich kein richtiges zu Hause mehr und bin ihr gefolgt. Es tat gut, sesshaft zu werden und da ich einen tollen Job beim Manager der Toten Hosen bekam, blieb es auch weiterhin ziemlich spannend.

Langsam aber sicher schlug ich Wurzeln.
Und so habe ich dann auch Selim kennen gelernt. Er ist Kunstsammler und hat viele Künstler früh persönlich kennen gelernt, da er aus seinem Interesse heraus auch sehr viel auf der Welt unterwegs war. New York, Tokyo, Hong Kong, London, Istanbul hat er regelmäßig besucht. Er ist ein Strippenzieher, und ein beziehungsorientierter Typ, so haben sich viele Freundschaften in diesen Jahren entwickelt, die bis heute sehr wichtig für ihn sind. Wir haben uns 2010 kennengelernt, waren lange Zeit nur befreundet. Als wir uns dann aber endlich beide eingestanden haben, dass wir zusammen sein wollen, ging es sehr schnell. 2012 haben wir geheiratet, 2013 war ich schwanger.

Wie war das für dich: Hochzeit, erstes Kind, alles anders?

Oh Mann, es war aufregend, berauschend, Wolke sieben eben – und doch natürlich auch ziemlich herausfordernd. Für mich war es die größte Veränderung überhaupt, Mutter zu werden, obwohl ich mich darauf gefreut hatte. Aber `mehr anders´ geht nicht, finde ich…
Ich hatte kaum Freundinnen mit Kindern in unserem Freundeskreis, das fand ich nicht einfach. Als frische Mutter erfährt man eine Einsamkeit, mit der man vielleicht gar nicht gerechnet hat. Und wie es so schön heisst, braucht es ja ein ganzes Dorf, um ein Kind groß zu ziehen. Das habe ich richtig betrauert, dass es das bei mir nicht gab. Ich hab mich schrecklich danach gesehnt. Beim zweiten Kind war das sogar fast noch anstrengender, weil Selim kaum da sein konnte, und ich oft alleine war. Meine Schwester kam natürlich, aber sie war auch viel auf Reisen. Ich finde, wir haben da echt ein großes Loch in unserer Gesellschaft. Zum Glück sprechen wir zumindest wieder mehr über die wahnsinnig wichtige Arbeit der Hebammen. Ich wünschte mir zum Beispiel auch mehr Menschen, die sich im Wochenbett kümmern, Doulas, MütterpflegerInnen. In meinem Freundeskreis gibt es nun tatsächlich eine tolle Frau, die Essen für Mütter zubereitet, die gerade entbunden haben, und das ausliefert – von Stillkugeln bis Mama-Bowls ist alles dabei. Das ist so wichtig, um zu heilen und das Baby zu ernähren. Es ist schwer, nach Hilfe zu fragen, aber etwas leichter, wenn es zumindest ein Bewusstsein für die Bedürfnisse gibt. Da gibt es meiner Meinung nach aber noch viel zu tun. Es gibt zu wenige Angebote, um jungen Müttern unter die Arme zu greifen.

Ich für mich habe damals dann tatsächlich viel aus den sozialen Medien gezogen. Es gibt mittlerweile so tolle Webseiten zum Thema Mutter-Sein – wie eben auch diese hier. Auf Instagram gibt es tolle, inspirierende Mütter, die offen über ihre Reise, ihre Herausforderungen und darüber, wie sie sich Ihren Alltag mit oder ohne Hilfe organisieren, sprechen. Mütter, die von vergessenen Lebensweisen erzählen und von Traditionen in anderen Kulturen. Das hat mir geholfen, mich ermutigt, ich habe einiges gelernt und konnte manche Dinge auch mal aus einem anderen Blickwinkel betrachten.

Als frische Mutter erfährt man eine Einsamkeit, mit der man vielleicht gar nicht gerechnet hat.

Du hast dich nach der Geburt der Kinder ja peu a peu aus dem Berufsleben zurückgezogen, fehlt dir das manchmal?

Das Toykio fehlt mir machmal – das war unser Laden aus 2011– eine Galerie mit Café und Shop, um den ich mich gekümmert hatte. Es war ein toller Ort und ich vermisse die Begegnungen, die dort entstanden sind, und das Team, das mit uns gearbeitet hat. Aber es wurde irgendwann zu viel, vor allem, da Selim damals beruflich eben so eingespannt war.
Zu Beginn war ich recht verunsichert, in unserer Gesellschaft einfach “nur Mutter” zu sein. Es war gleichzeitig das Natürlichste der Welt, sich darauf einzulassen, und dennoch nicht leicht. Ich würde sagen, wir haben auch als Paar ziemlich viel dazu gelernt in dieser Zeit, uns weiterentwickeln müssen, und ich habe verstanden, wie ich als Mutter glücklich sein kann und meine Berufung – so ein altmodisches, aber auch so schönes Wort – ausleben kann. Ich finde es immer noch das Wichtigste, Menschen zusammen zu bringen. Eine Plattform für die Community zu schaffen. Beziehungen machen das Leben doch aus, oder?! Zusammen wachsen und lernen zu können, füreinander da zu sein. In dieser Zeit habe ich unter anderem auch einen „circle“ gegründet, einen Kreis mit tollen Frauen, in dem wir uns zu verschiedenen Themen, Meditationen und Zeremonien treffen. Da entsteht immer wieder etwas Neues. Ich bin gespannt, denn ich denke, dass das erst der Anfang ist und daraus noch einiges entstehen wird.

Die Zeit verändert sich und uns und ich beobachte, dass in vielen eine Sehnsucht nach etwas Größerem wächst. Ich denke, da ist etwas im Aufbruch. Und jetzt, da unsere Kinder nun auch älter und selbstständiger sind, merke ich, wie ich wieder mehr Raum und Energie dafür bekomme. Meine Schwester und ich sprechen schon länger darüber, dass wir noch etwas Neues zusammen starten wollen, ich bin sehr gespannt, was es am Ende sein wird. In den letzten Jahren sind so viele starke Frauen auf unserer Bildfläche erschienen, sie haben uns schon jetzt sehr geprägt und so viel mitgegeben. Damit müssen wir einfach etwas anstellen, um es ebenfalls weiter geben zu können – über unsere Männer und die Kinder hinaus!

Ich finde es immer noch das Wichtigste, Menschen zusammen zu bringen.

Du warst nun länger nicht berufstätig, wie handhabt ihr das in Bezug auf die Finanzen?

Ich habe das Thema lange vor mir her geschoben, Selim war es tatsächlich, der es dann in Angriff genommen hat. Jetzt bin ich finanziell abgesichert und ich finde es gut, wie Selim damit umgegangen ist. Es ist ja wirklich kein leichtes Thema. Da redet man über den Selbstwert, den Wert der Arbeit, die Bedeutung der Arbeit. Ich musste über die Jahre lernen, mir selbst Anerkennung zu geben für das, was ich leiste. All die unbezahlte Arbeit, die ich geleistet habe. Und es ermutigt mich, dass wir beide sehr ähnliche Wertvorstellungen haben, dass wir für uns ein Modell gefunden haben, das funktioniert und an das wir glauben und vor allem, dass Selim mir aufrichtige Wertschätzung für meine Arbeit entgegen bringt.

Offensichtlich habt ihr ja ein Faible für Kunst. Magst du kurz erzählen, wie es dazu kam?

Ja, uns hat es beide schon immer zur Kunst gezogen. Mich berührt sie vor allem sehr, wenn sie sich mit unseren gesellschaftlichen Themen auseinander setzt – so war ich auch schon früh ein grosser Fan von JR, der ja viele seiner damaligen Kunstprojekte genau in den Teilen der Welt gemacht hatte, in denen ich auch schon gearbeitet hatte.
Selim wollte eigentlich selbst Kunst studieren, aber dazu kam es aus verschiedenen Gründen leider nie. Er ist ein absoluter Macher, und daher hat er sich mit der Kunst einfach aus einer anderen Perspektive befasst. Er war schon als Kind ein Sammler und als kleiner Knirps hat er auf Flohmärkten mit Comics und Spielzeug gehandelt. Mit den Jahren wuchs seine Leidenschaft und heute hat er eine wahnsinnig große Sammlung von bemerkenswerten Kunstwerken, die fast alle eine persönliche Geschichte mit den Künstlern erzählen. 2012, kurz vor unserer Hochzeit, wurde ein Großteil der Sammlung zum ersten Mal ausgestellt – das war in Berlin im „ME Collectors Room“ von Thomas Olbricht. Es war auch für Selim das erste Mal, alles auf einmal zu sehen, nachdem wir zusammen mit dem tollen „ME“-Team eine wilde und anstrengende Woche lang Tag und Nacht gehängt hatten. Viele der Künstler kamen zum Opening und es war der Wahnsinn – beeindruckend und fast überwältigend!

Es war letzten Endes ja auch die Kunst, die uns 2010 zusammengebracht hat: Da eröffnete Selim gerade eine Galerie – und zeigte JR. Ich war sehr aufgeregt und hatte mich total darauf gefreut. Naja, so kam es dann… Wir lernten uns am Abend der Eröffnung kennen. Und JR hat uns zwei Jahre später sogar `getraut´. Weil sich unsere Leben bis dahin so bunt und multikulturell gestalteteten – Selim kommt ja ursprünglich auch aus der Türkei – war uns klar, dass wir uns einen eigenen Hochzeitsrahmen ausdenken mussten. Es wurde eine freie, aber auch eine sehr feierliche, und vor allem berührende Zeremonie mit einer riesengroßen Party danach.

Und ihr habt eine kleine Umzugs-Odyssee hinter euch, richtig? Seid ihr jetzt angekommen?

Ja, zum Glück! Vor einem Jahr sind wir aus unserer alten Wohnung ausgezogen, waren dann für ein paar Monate bei meiner Schwester und ihrem Mann untergekommen und sind erst nach und nach ins Haus gezogen. Aber inzwischen ist es wieder unser Nest, und es tut so gut. Mir wurde auf dieser Reise einmal mehr bewusst, wie sehr ich bzw. wir alle vier einen Ort brauchen, in dem wir uns zurückziehen können, und austoben und Gastgeber sein können. Selim und ich sind beide „Clan-Typen“ und wir lieben es, wenn sich Freunde, Familie, Nachbarn an unserem großen Küchentisch sammeln und wir alle zusammen essen. Oft gehen die Leute ein und aus; es gibt dann zwar auch Momente, in denen es mir ein bisschen zu trubelig wird, aber eigentlich mag ich, dass wir einen Ort der Begegnung geschaffen haben. Selim kann endlich wieder mehr Kunst auspacken und aufhängen und ich merke, wie er auftankt, da er seine Leidenschaft wieder mehr leben kann.

Wir sind beide „Clan-Typen“!

Wie finden eure Kinder das, dass überall diese schönen Dinge hängen und rumstehen?

Das finden sie schon spannend, wenn ihr Babi etwas neues auspackt und sie zusehen oder gar dabei helfen können. Oder wenn ein Bild aufwändig angeliefert wird und es einige Männer gleichzeitig zum Hängen braucht. Es kam aber auch schon ein paarmal vor, dass wir Kinder zu Besuch hatten, die irritiert von einzelnen Kunstwerken waren, das macht Kunst natürlich auch. Aber speziell diese Werke haben wir versucht, nicht ganz so prominent zu platzieren.

Und gibt es manchmal Stress, weil dieses oder jenes nicht angefasst, oder bespielt werden darf?

Oh ja, na klar! Je nach Tagesform kann das auch ganz schön anstrengend werden. Vor Allem unserem Kleinen fällt es manchmal schwer, da er einfach gerne tobt und rennt und klettert. Dann tut’s mir manchmal auch einen Moment lang leid, wenn wir ihn andauernd bremsen müssen – aber andererseits denke ich, was für ein Glück sie doch haben, in so einem besonderen Umfeld groß zu werden. Und wir merken oft, wie die Kunst sie beeinflusst und inspiriert. Das ist ganz toll zu beobachten und freut uns sehr. Und wenns gar nicht mehr geht… dann geht’s eben ne Runde raus an den Rhein oder den Baum hoch.

Was für ein Glück sie doch haben, in so einem besonderen Umfeld groß zu werden!

Wie bist du selbst groß geworden?

Ich bin auf dem Land mit drei Geschwistern aufgewachsen. Meine Eltern hatten einen riesigen Garten, in dem sie vieles selbst angebaut haben. Unsere Mutter hat ein großes Herz und schon immer hat sie sich gekümmert und geholfen, wo jemand Hilfe brauchte. Ich denke, das hat uns alle geprägt.
Ich glaube, je älter ich werde, desto mehr besinne ich mich auf diese Werte, auch auf die Einfachheit. Allerdings denke ich auch, dass die sehr außergewöhnliche Zeit, in der wir gerade leben, das ohnehin mit sich bringt. Ich glaube, das geht gerade vielen so.

Wie sieht ein ganz normaler Tag bei euch aus?

Da wir alle keine Frühaufsteher sind, und so lange wie möglich im Bett bleiben wollen, startet es oft etwas hektisch. Meistens bringe ich die beiden Jungs: den Großen auf die Montessori-Schule um die Ecke, den Kleinen in den Waldorf- Kindergarten. Der ist leider etwas weiter weg, womit ich ziemlich hadere, aber ich hänge auch sehr an der Waldorf-Philosophie. Zur Zeit sind wir immer noch viel mit Handwerkern, Elektrikern, Garten Buddeln etc beschäftigt, da sich manche Arbeiten am Haus in die Länge ziehen. Es gibt nach wie vor zu viel zu tun und das bestimmt noch unseren Alltag. Selim arbeitet inzwischen glücklicherweise wieder mehr von zu Hause aus, muss aber auch regelmäßig ins „Whats Beef?!“, das ist unser Burger-Laden, den er 2013 eröffnet hat, als ich schwanger war. Wenn ich die Kids mittags eingesammelt habe, gibt es einen kleinen Mittagssnack und der Nachmittag ergibt sich aus Hausaufgaben, Bilder malen, Lego bauen, Gitarren-Unterricht, und die besagte Runde raus an den Rhein. Irgendwann dazwischen gibt es Kaffee und Kuchen – am liebsten den selbst gebackenen Apfelkuchen mit den Äpfeln aus dem Garten meiner Schwester. Wenn es passt, kommen noch Freunde dazu, ansonsten klingt der Tag ruhiger aus. Ein für die Kinder ganz wichtiges Ritual ist zur Zeit die „Dankes-Kerze“, die wir nach dem Abendessen reihum geben und jeder sagt, wofür er an diesem Tag dankbar ist. Ich finde es ganz erstaunlich, was da manchmal noch alles ins Bewusstsein kommt und wie achtsam die Kinder doch eigentlich sind, ohne dass wir es manchmal mitbekommen. Naja, und dann gehts schon ab ins Bett zum Kuscheln und wenn ich Glück habe, schlafe ich nicht mit den Kindern ein, sondern treffe Selim noch für ein Weilchen auf der Couch und wir besprechen, was anliegt.

Was ist das Nervigste am Kinderhaben?

Vielleicht nicht das Nervigste, eher das Schwierigste, nämlich meine Bedürfnisse mit denen der Kinder in Einklang zu bringen. Naja, und der Lärmpegel, der geht mir und auch Selim oft wirklich an die Nerven!

Und was das Schönste?

Mit der Geburt unserer Kinder ist unser eigenes kleines Universum entstanden, wir können es ganz eigenständig gestalten. Das finde ich spannend und erfüllend, wir haben unsere Rituale, lassen Traditionen entstehen und wachsen… und es fühlt sich ein bisschen so an, als würden wir langsam ein `Dorf´ um dieses Universum bauen, sodass es nicht mehr nur unser eigenes ist. Das ist schön und macht mich glücklich.

Danke, Eva!

Eva Varol mit Nuri (6) und Lemi (3), Oktober 2020

Fotos: Nora Werner
Interview: Isabel Robles Salgado