Anna Pauline Franz mit Sofie, Leopold und Michel
Ich sehe es als totales Privileg an, jetzt die Zeit zu haben, meine Kinder beim Aufwachsen zu sehen.

Pauline ist mit ihrem Partner Karl und ihren drei Kindern (drei, vier und zehn Jahre alt) wegen eines Stipendiums an der Universität von Lissabon nach Portugal gekommen. Dann kam die Pandemie. Für viele Wochen lebte die fünfköpfige Familie in ihrem Wohnmobil auf einem einsamen Grundstück. Jetzt, im zweiten, harten Lockdown, sind sie noch immer im Land. Mittlerweile hat es Portugal aber geschafft, die Inzidenz von 878 auf unter 30 zu senken. Unsere Redakteurin Katharina hat mit Pauline über ihr naturnahes Familienleben an der Algarve gesprochen, über das Leben im Lockdown und darüber, warum weniger oft viel mehr sein kann.

Liebe Pauline, es ist nun schon über ein Jahr her, dass ihr nach Portugal gekommen seid. Wenn du eure Erfahrungen und Erlebnisse in wenigen Sätzen zusammenfassen müsstest: Wie ist es euch in dieser besonderen Zeit ergangen?

Unser Leben hat sich total entschleunigt und ist einfacher geworden. Außerdem hatten wir das erste Mal Zeit, uns mit uns selbst auseinanderzusetzen. Da ist vorher im Alltag vieles untergegangen …

Hast du etwas Bestimmtes über dich gelernt?

Mir ist vor allem bewusst geworden, dass weniger mehr ist. Wir haben hier zwar weniger Luxus, aber mehr wertvolle Zeit mit den Kindern. Ich hätte nie gedacht, dass ich so wenig vermissen würde. In Kassel hatten wir eine große Wohnung und ich habe viel Wert darauf gelegt, dass alles seinen Platz hat und zusammenpasst. Das wird mir zunehmend unwichtiger und es tut gut zu wissen, dass ich nicht viel brauche, um glücklich zu sein.

Ihr habt kurz nach eurer Ankunft bereits einen Lockdown verbracht. Vor einiger Zeit sind die Zahlen wieder in die Höhe geschossen. Wie ist die Situation aktuell?

Momentan ist wieder Lockdown. Von abends bis morgens gibt es eine Ausgangssperre. Man darf nur zum Arzt oder einkaufen gehen. Am Wochenende darf man den eigenen Distrikt nicht verlassen. Auch ans Meer darf man nur, wenn man einen Hund hat oder surfen geht. Neulich sind wir zwischen Einkaufen und Wäsche waschen das erste Mal seit Wochen kurz daran vorbeigefahren. Das hat unheimlich gut getan. Zum Glück sind wir hier in einem Gebiet, in dem die Fallzahlen sehr niedrig sind. Wir passen trotzdem auf und gehen nur einmal in der Woche einkaufen.

Fühlst du dich sicher in Portugal? Findest du, dass die Regierung die Krise gut managed?

Auf jeden Fall. Das hat man beim ersten Lockdown schon gesehen. Hier wurde wirklich gleich alles zugemacht und so hat man die Fallzahlen schnell in den Griff bekommen. In Portugal gibt es an den Schulen auch ausschließlich Online-Unterricht. Und das läuft total gut! Die Tochter unserer Vermieter ist von Vormittag bis Mittag am Rechner und wird da von ihren Lehrern super begleitet …

Eure Tochter ist zehn. Ist sie auch an einer portugiesischen Schule angemeldet?

Sie war für ein Jahr freigestellt und wir haben Homeschooling gemacht. Momentan suchen wir eine Schule für sie – für den Zeitpunkt, wenn sie wieder öffnen. Wenn wir länger hier bleiben, ist es uns ganz wichtig, dass sie die Sprache lernt. Und wir natürlich auch.

Warum seid ihr in dieser Situation in Portugal geblieben und nicht lieber zurück nach Deutschland gekommen?

Weil wir finden, dass es gerade das Beste für uns und die Kinder ist. Ich kann mir vorstellen, dass es ziemlich anstrengend sein muss, mit drei Kindern in der Wohnung zu hängen. Wir haben jetzt die Möglichkeit, mit dem Wohnmobil in der Natur zu sein. Da nehme ich gerne in Kauf, mich bei anderen Dingen einzuschränken. Wir müssen hier zum Beispiel gucken, dass wir genug Sonne haben und uns den Strom gut einteilen. Oder auch mal mit Regenwasser abspülen …

Wo und wie lebt ihr denn jetzt?

Inzwischen ist es in Portugal verboten, mit dem Wohnmobil frei zu stehen. Man darf nur noch auf Campingplätze. Kurz vor Weihnachten haben wir in der Nähe von Faro an der Algarve einen Eselhof gefunden, der von einer deutschen Familie betrieben wird. Es gibt hier eine Jurte, ein kleines Lehmhaus und zwei Wohnmobil-Stellplätze. Das ist momentan unser Zuhause. Neben den Eseln gibt es hier Hühner, Meerschweinchen und viele Katzen und Hunden. Es ist total schön zu sehen, wie die Kinder mit den Tieren aufwachsen …

Also übernachtet ihr dort in eurem Wohnmobil?

Nein, momentan ist meine Mutter zu Besuch, weil Karl in Deutschland ist, um ein paar Dinge zu erledigen. Deshalb schlafen wir im Lehmhaus und ich nutze das Wohnmobil zum arbeiten.

Ein Lehmhaus? Wie kann man sich das vorstellen?

Das ist ein kleines Haus aus Lehm mit einem richtigen Dach. Es gibt einen Raum mit einem Hochbett und einem Klappsofa. Und natürlich einen Tisch mit Stühlen und sogar eine Dusche. Aber wir duschen nur, wenn die Sonne scheint. Sonst ist es einfach zu kalt. (lacht) Die Toilette ist außerhalb in einem Häuschen untergebracht, da muss man ein Stückchen hinlaufen.

Das heißt, ihr schlaft alle in einem Raum?

Die Schlafsituation ist, wie im Wohnmobil auch, total eng. Ich schlafe mit den drei Kindern auf dem Sofa und meine Mutter im Hochbett. Wir stapeln uns also jede Nacht, aber das ist okay für uns (lacht).

Wie sieht euer Alltag auf dem Eselhof aus?

Unser Tag beginnt zwischen fünf und sechs Uhr, weil die Kinder extreme Frühaufsteher sind. Das ist natürlich etwas nervig, immer im Dunkeln Frühstück zu machen. Sobald es hell ist gehen wir raus und spielen was. Anschließend Spülen, Wäsche waschen …. Viele verwechseln das hier mit Urlaub, aber es gibt ständig was zu tun. Wir haben ja trotzdem noch den normalen Alltag. Zwischendurch gucke ich, dass ich mir ein paar Arbeitsphasen schaffe, weil ich aktuell meinen Uni-Abschluss plane. Deshalb ist es auch gut, dass die Oma gerade da ist und die Kinder zwischendurch auch mal zwei Stunden nehmen kann. Sie ist zum Glück sehr flexibel, weil sie jetzt Rentnerin ist.
Abends gehen die Kinder zeitig ins Bett. Sie sind ja den ganzen Tag draußen und entsprechend k.o. Es klappt eigentlich ganz gut, dass ich dann so ab 8 oder 9 meine Ruhe habe. Wenn die Große abends mal länger wach ist, dann ist es auch schön, für sie noch ein bisschen Exklusiv-Zeit zu haben.

Wie lange wird eure Reise noch gehen? Und was habt für die nahe Zukunft geplant?

Wir lassen uns bis zum Sommer Zeit zu entscheiden, ob wir hier bleiben oder wohin es uns dann verschlägt. Ich kann gerade nicht so richtig planen und ich glaube, das ist in der momentanen Situation auch okay. Wir versuchen die Dinge zu machen, die anstehen und vertrauen einfach darauf, dass es irgendwie klappt. Vor allem wollen wir etwas finden, wo unsere Kinder langfristig glücklich werden. Denn darum geht es uns. Wir wollen hier kein Ego-Ding durchziehen, weil es schön ist am Meer zu wohnen. Die Kinder sollen sich wohlfühlen, Freunde finden und die Sprache lernen.

Wovon lebt ihr momentan?

Ich arbeite frei als Fotografin für kleine Fashion Brands. Karl macht Imagefilme. Wir werden weiterhin versuchen, Jobs zu finden, die wir von hier aus machen können. Und wenn das nicht klappt, dann ist das eben so. Dann gehen wir vielleicht auch irgendwann wieder zurück. Ein bisschen Puffer haben wir aber noch … Und man muss dazu sagen, dass wir aktuell keine hohen Kosten haben, da wir kaum Miete zahlen. Und was das Essen angeht: Das ist auch viel viel weniger geworden, weil wir nicht mehr essen gehen und nur noch einmal in der Woche einkaufen. Außerdem bin ich mit meiner Freundin Jette gerade dabei, ein nachhaltiges Kindermode-Label zu gründen. Sie hat eine Ausbildung zur Schneiderin begonnen und ist dann auch in die Fotografie. Ich habe vorher Textildesign studiert und war ein Jahr bei einem Modedesigner. Wir haben uns unser kleines Atelier im Wohnmobil eingerichtet und haben eine Nähmaschine und eine Overlock. Wir haben schon erste Prototypen genäht und wollen es einfach mal probieren …

Spannend! Da wünsche ich euch viel Erfolg! Und erzähl mal von Jette: Habt ihr euch in Portugal kennengelernt?

Ja, sie reist auch mit Mann und drei Kindern in einem Wohnmobil durchs Land. Wir kannten uns vorher nur über ihren Instagram-Account und haben uns im Sommer spontan auf einem Campingplatz getroffen. Eigentlich wollten wir gerade abreisen, aber weil das so toll gepasst hat, sind wir noch eine Woche länger geblieben. Später haben wir uns wieder getroffen und seitdem sind wir zusammen unterwegs.

Toll, also könnt ihr euch gegenseitig auch ein bisschen unterstützen?

Ja, total! Schon die Anwesenheit der Kinder ist eine echte Unterstützung. Sie sind ja exakt im gleichen Alter … Vor allem die beiden großen Mädels verstehen sich super und sind immer zusammen unterwegs. Da Jettes Mann remote arbeitet, ist sie auch von morgens bis Abends alleine. Jetzt, wo Karl in Deutschland ist, kümmern wir uns gemeinsam um die sechs Kinder. Zum Glück haben sie ein großes Auto, wo wir alle reinpassen – inklusive Wäsche, Müll etc. Also fahren wir immer zusammen einkaufen. Eine geht rein, die andere passt im Auto auf die Kinder auf …

Was ist für dich das Schwierigste am Mamasein?

Ganz klar: jedem gerecht zu werden. Ich habe drei Kinder mit total unterschiedlichen Bedürfnissen. Der Kleinste klebt an mir und ich habe das Gefühl, er will am liebsten zurück in den Bauch (lacht). Dann kommen die anderen beiden zu kurz. Außerdem haben die beiden Kleinen einen ziemlich großen Abstand zu unserer Tochter. Es ist einfach ein ständiges Zerissenheitsgefühl, mit dem ich nicht so zu gut klarkomme. Ich muss lernen, dass es manchmal auch okay ist und auch einfach nicht geht, dass ich allen gleich viel Zeit schenken kann.

Und was ist das Schönste?

Ich sehe es als totales Privileg an, jetzt die Zeit zu haben, meine Kinder beim Aufwachsen zu sehen. Zu sehen, wie sie sich entwickeln. In Deutschland waren sie im Kindergarten oder bei der Tagesmutter, in der Schule oder im Hort und ich habe fast nichts von ihnen mitbekommen. Ich habe sie morgens abgegeben und dann wieder abgeholt und wusste gar nicht, was sie den ganzen Tag treiben. Jetzt kriege ich sogar mit, wie sie mit anderen Kindern interagieren. Mir war vorher gar nicht klar, wie sehr mir gefehlt hat, das zu sehen. Deshalb überdenken wir unser Lebensmodell auch gerade.

Vielen Dank Pauline!

Schaut euch unbedingt Paulines wunderschönen Instagram-Account an.

Anna Pauline Franz und Karl, mit ihren Kindern (3,4,10), Februar 2021

Interview: Katharina de Silva

Fotos: Anna Pauline Franz