Zum Welthebammentag: Über den akuten Hebammenmangel und was wir tun können

Ich denke oft darüber nach, wie die Geburt meines ersten Kindes mit einer Hebamme an meiner Seite gewesen wäre. Wäre es ein Kaiserschnitt geworden? Ich werde das nie wissen. Klar ist mir aber auch, dass die Hebamme, die mich im Wochenbett begleitet hat, ungemein wichtig war. Bei meiner jetzigen Schwangerschaft war mir klar: Ich will unbedingt eine Beleghebamme, ich wünsche mir jemanden, der nur für mich da ist. Auch deshalb habe ich einen Tag nach dem positiven Schwangerschaftstest alle Nummern durchtelefoniert und mit Ach und Krach noch jemanden gefunden.

Hätte ich es nur ein paar Wochen später probiert, hätte ich keine Chance gehabt. Eine Beleghebamme zu haben ist ein Privileg. In den meisten ländlichen Gegenden gibt es sie gar nicht, oft auch nicht mal in Großstädten. Aber überhaupt eine Hebamme fürs Wochenbett und für die Zeit vor der Geburt zu finden, ist oft gar nicht einfach. Mal fahren diese nicht in den Bezirk, in dem man wohnt, mal sind sie oft auf lange Zeit ausgebucht. Dass der Beruf Beleghebamme vom Aussterben bedroht ist wissen wir, aber auch um Hebammen allgemein ist es nicht gut bestellt. In Köln beispielsweise müssen circa 40% (!) der Wochenbettanfragen abgelehnt werden, weil es nicht genug Hebammen gibt. Am Sonntag, den 5.5. ist Welthebammentag. Ein guter Anlass um (mal wieder) auf das Problem aufmerksam zu machen. Wir haben uns mit der Berliner Hebamme Ilka Maria Schneemann unterhalten. Darüber, was passiert, wenn Mütter im Wochenbett nicht mehr versorgt werden können und warum es eigentlich immer weniger Hebammen gibt.

Liebe Ilka, worin siehst du die Ursachen für den Hebammenmangel in Deutschland?

Ich denke, dass in den letzten Jahren generell zu wenige Hebammen ausgebildet wurden. Die Hebammenschulen stocken nun vielerorts die Ausbildungs- und Studienplätze auf, um dem Mangel entgegenzuwirken. Dazu kommt, dass der Beruf nach wie vor schwierige Arbeitsbedingungen mit sich bringt. Vor allem für Hebammen in der Freiberuflichkeit. In vielen großen Städten, wie Berlin, steigen die Geburtenraten seit Jahren kontinuierlich an, was natürlich auch mehr Hebammen notwendig macht. Es sind einfach mehrere Faktoren, die da zusammenkommen.

Außerdem wirken die Verbandsvertreter aus den klinischen Bereichen seit Jahren viel stärker und zahlreicher auf die Regierung ein und drängen so die Geburt gewinnorientiert in ihre Zuständigkeit. Für die Hebammen gibt es immerhin auch einen Verband. Die Lobby für die Kliniken ist jedoch wie schon immer bedeutend größer. Das ist auch ein Grund, warum das Hebammendasein staatlich viel weniger gefördert wird, als die klinische Versorgung, die eigentlich nur für einen Bruchteil der Geburten nötig wäre, faktisch aber einen immensen Prozentsatz ausmacht.

Was passiert denn mit einer frisch gebackenen Mutter, die im Wochenbett keine Betreuung findet?

Im Wochenbett noch eine Betreuung zu finden ist nahezu unmöglich. Die meisten Frauen melden sich mit positivem Schwangerschaftstest in der 5. oder 6. SSW bei uns, um einen Betreuungsplatz zu bekommen. Dementsprechend früh sind wir dann auch für Monate im Voraus ausgelastet. Nicht selten bekomme ich verzweifelte Anrufe von jungen Eltern aus dem Wochenbett, die völlig überfordert und verunsichert sind mit der Situation und akut Hilfe suchen. Leider kann ich so kurzfristig meist auch keine Unterstützung mehr anbieten.

Man weiß, dass Frauen, die keine Begleitung im Wochenbett haben, wesentlich früher abstillen, weil sie oft nicht wissen, wie sie anfänglichen Widrigkeiten begegnen sollen und schließlich resignieren. Geburtsbedingte körperliche Beeinträchtigungen, sowie hormonelle Veränderungen können stark verunsichern und zu Stress führen, was wiederum die Milchproduktion hemmen kann. Auch mentale oder psychische Verstimmungen bleiben meist viel länger unausgesprochen oder gar unentdeckt. Das Bedürfnis, die Geburt noch einmal zu betrachten, zu besprechen und das Erlebte zu verarbeiten bleibt auch oft auf der Strecke. Und dann ist da ja auch noch das Neugeborene, welches versorgt und verstanden werden möchte, was anfangs häufig gar nicht so leicht und eine echte Herausforderung für alle ist. Es sind so viele Dinge, die eine Begleitung im Wochenbett wertvoll, sinnvoll und unverzichtbar machen.

Warum kommt für dich eine Arbeit als Beleghebamme nicht infrage?

Grundsätzlich kann ich mir vorstellen irgendwann wieder geburtshilflich tätig zu werden. Momentan passt die freiberufliche Hebammentätigkeit ohne Geburtsbegleitung einfach besser zu unserem Familienleben. Mein Mann arbeitet auch im Schichtdienst und so würde eine Rufbereitschaft meinerseits eine ständige Betreuungsoption für unsere Kinder notwendig machen. Ich vermisse die Geburtshilfe aber auch nicht und genieße es sehr in unserer schönen Kiezpraxis zu arbeiten und meine Arbeitszeiten selbst einteilen zu können.

Ich habe letztens mal etwas von Hebammenkreißsälen gelesen. Was ist das eigentlich?

Das sind hebammengeleitete geburtshilfliche Abteilungen, in welchen gesunde Schwangere mit regelrechten Geburtsverläufen ausschließlich von Hebammen begleitet werden, ohne dass ein Arzt oder eine Ärztin bei der Geburt dabei ist. Ärzte können jedoch jederzeit, sollte es notwendig werden, zur Geburt hinzugezogen werden.

Und was hälst du von den Kreißsälen? Weißt du, warum es in Berlin noch nicht umgesetzt ist?

Ich finde das Modell des Hebammenkreißsaals äußerst sinnvoll. Bei einer komplikationslos verlaufenden Geburt ist die Anwesenheit einer Ärztin oder eines Arztes einfach nicht notwendig. Die Atmosphäre unter Geburt ist intimer und ruhiger, wenn weniger Geburtshelfer dabei sind. Meist kommen die Ärzte erst am Ende der Geburt hinzu, was ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt ist, um sich auf eine neue Person einzustellen. Dennoch kann auch bei einem Hebammenkreißsaal, sollten Komplikationen auftreten, jederzeit auf ärztliche Unterstützung zurückgegriffen werden.

Noch optimaler für Hebammen und Gebärende wäre eine Eins-zu-Eins-Betreuung, bei der jeder Gebärenden eine Hebamme die ganze Zeit über zur Seite steht, ohne dass diese auch noch Frauen in anderen Kreißsälen betreuen muss. Davon sind wir bei der herrschenden Personalverknappung jedoch leider weit entfernt.

Es ist schade, dass das Modell des Hebammenkreißsaals in Deutschland so wenig verbreitet ist und wir gerade hier in der Hauptstadt keinen einzigen Hebammenkreißsaal haben. Ich denke, auch hier kollidieren Sinnhaftigkeit stark mit wirtschaftlichen Interessen.

Was können wir als Eltern tun, um etwas an der Situation zu verbessern?

Als Eltern könnt ihr euch unter www.unsere-hebammen.de eintragen, wenn ihr keine Hebamme gefunden habt und damit die Unterversorgung melden bzw. auf einer interaktiven Landkarte sichtbar machen. Unter www.lieberjens.de gibt es die Möglichkeit sich direkt per Postkarte an den Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zu wenden, um auf eure individuelle Geschichte und die unhaltbaren Zustände aufmerksam zu machen.

Danke dir Ilka!

Foto: Chiara Doveri