Wie mein Kind mich erzieht

Kinder machen in regelmäßigen Abständen Sprünge. Als mein Sohn noch ein Baby war, fiel mir das extrem auf, später merke ich erst im Nachhinein: Aha, deshalb war er so unausgeglichen drauf letzte Woche! Plötzlich spricht er mehr, reflektiert mehr, ja, ist noch mehr zu einem Schulkind geworden, als er es noch vor einigen Wochen war.

Seit Kurzem überrascht er mich nämlich mit klugen Sprüchen und so allerhand Anmerkungen und Beurteilungen. Und wie recht er oft hat! Manchmal stehe ich dann ganz perplex und verwundert da und denke mir: Wow. Wo kam das jetzt gerade her? Isabel und ich haben erst kürzlich festgestellt, wie verwundert wir doch manchmal von unseren Jungs sind: Laut Erziehungsratgeber haben wir nämlich ziemlich viel nicht richtig gemacht in den ersten Jahren. Wie oft saß ich da, verschiedenste Artikel zur Kindererziehung rezitierend und schloss dann ab mit: Oh man. Was soll aus dem Kind nur werden? Nicht, dass das Kind später Langzeitpatient beim Psychologen wird! Herrjeh, was haben wir alles falsch gemacht. Besonders das erste Kind muss ja manchmal für allerhand Erziehungsexperimente herhalten… Und dann das: Vor einigen Wochen fiel uns auf, was für ziemlich gute Jungs da doch herausgekommen sind! Empathisch sind sie, mit einem großen Sinn für Gerechtigkeit, kritisch und zugewandt. Klar, nicht immer. Aber ziemlich oft. Vielleicht haben wir doch eine ganz Menge auch richtig gemacht? Vielleicht entwickeln sich Kinder, vor allem auf Grund eines liebevollen Umfelds gut und nicht, weil man sich immer an alle Vorgaben und Regeln hält? Aus meinem Babysohn ist jedenfalls ein Schulkind geworden, auf das ich mächtig stolz bin. Und in letzter Zeit haut er manchmal so Sprüche raus, bei denen ich mich frage, ob mich das Kind jetzt als nächstes auch daran erinnern wird den Müll ordentlich zu trennen. Hier ein paar Highlights:

1. Beim Frühstück unter der Woche: “Setzt du dich dazu?”

Gemeinsam essen ist mir unheimlich wichtig. Ich halte es für den Rahmen, der das Leben unserer kleine Familie eine Struktur gibt und alles irgendwie zusammenhält. Nur unter der Woche, morgens beim Frühstück bin ich oft hektisch, bereite nebenher die Brotbox vor, schreibe die ein oder andere Nachricht. Seit einer Weile fordert mein Kind, dass ich mich zu ihm hinsetze, wenn er isst. Wie recht er hat! Alleine essen macht keinen Spaß, außerdem sollten die 15 Minuten doch eigentlich drin sein, um gemeinsam gut in den Tag zu starten. Wenn ich das wieder einmal im Alltagsstress vergesse, kann ich sicher sein, dass er mich großen Augen anguckt und fragt: Setzt du dich zu mir?

2. “Du wolltest dich entschuldigen, oder?”

Vor Kurzem bin ich mit dem Fahrrad plötzlich relativ scharf abgebogen, er war auf seinem Fahrrad hinter mir, musste stark bremsen und wäre wohl fast hingefallen. Ich erklärte ihm dann warum ich schnell abgebogen bin, vergaß aber mich zu entschuldigen. Woraufhin er mich verwundert ansah und meinte: “Mama, du wolltest dich jetzt entschuldigen, oder?” Ja!

3. “Du sagst ich soll ich nicht mit dem Telefon spielen, aber du guckst die ganze Zeit drauf!”

Das kennen wohl manche: Die Frage nach dem Telefon und iPad-Spielen ständig verneinen, und huch, plötzlich sitzt man selbst da, ruft Emails ab, schreibt eine Nachricht und scrollt sich durch Instagram. Seit einer Weile kommt er dann und beschwert sich, wie ungerecht das sei. Stimmt! Weg mit dem Telefon!

4. “Mama, Streifen und Streifen zusammen, das sieht nicht so gut aus.”

Sind wir jetzt auch unter die Modeberater gegangen? Seit einer Weile werden Outfits mit Interesse kommentiert. Als ich kürzlich eine längst gestreifte Hose mit einem quer gestreiften Shirt anziehen wollte, erntete ich dich tatsächlich diesen Ratschlag (das hat er definitiv nicht von mir!).

5. “Mama, das ist ungerecht!”

Ein bisschen ein Klassiker, wird von ihm aber (bis jetzt) tatsächlich nur eingesetzt, wenn etwas wirklich nicht ganz fair ablief.

Ich liebte die Zeit mit meinem Babysohn, aber es ist auch so schön, wenn daraus Menschen werden, mit denen man sich unterhalten kann, die einem den Spiegel vorhalten und im täglichen Umgang immer wieder einfordern, dass man sich gut verhält. So wie man es ihnen vermittelt hat. Irgendwie ziemlich cool, so einen kleinen, großen Buddy in die Welt gesetzt zu haben!