Wenn das Kind nicht isst – und unsere Lösung

Was macht man, wenn das Kind nicht isst? Und warum verweigert es das Essen überhaupt? Wenn liebevoll zubereitete Lebensmittel überall landen nur nicht im Mund des Kindes, sind Stress und Frust vorprogrammiert. Ich erzähle Euch heute von der Odyssee mit meinem Sohn, von verkürzten Zungenbändchen, und davon wie er sich nach monatelanger, intensiver Therapie letztendlich doch noch zum guten Esser entpuppte.

Fast drei Jahre lang habe ich meinen Sohn gestillt. Nicht, weil ich es bis zum Ende besonders schön fand, auch nicht aufgrund einer Hingabe an die Ideale des Attachment Parenting. Nein. Er wurde so lange gestillt, weil er einfach nicht aß. Nun gut, ich hätte ihm irgendwann Fläschchen oder Kuhmilch statt Brust geben können, aber diese kamen für mich aus ernährungstechnischen Gründen nicht in Frage. Zudem war Stillen so einfach, meistens recht stressfrei und es klappte halt, ganz offensichtlich, auch gut zwischen ihm und mir auf diesem Gebiet. Aber drei ganze Jahre? Puh, das hatte ich so nicht im Kopf.

Baby Led Weaning (BLW) war mein Plan. Eher unwissend hatten wir diesen Ansatz schon mit unserer Tochter implementiert. Mit unserem Sohn wollte ich mich mit BLW nochmal ganz bewusst auseinandersetzen. Doch Hugo brauchte weitaus mehr externe Hilfe als es BLW vorsieht, egal wie fingergerecht ich Obst und Gemüse auch zubereitete. Mit elf Monaten aß er immer noch nur gematschte Avocado. Das US-Sprichwort, “food under one is just for fun” beruhigte mich zu dem Zeitpunkt noch etwas. Als er mit zwölf und dann dreizehn Monaten keinerlei Fortschritte verbuchen konnte, wurde ich zunehmend besorgt. Darüberhinaus wurden die Mahlzeiten die stressigsten Momente des Tages, denn Hugo verweigerte jegliches Essen, und zwar in dem er es ausspuckte oder direkt quer durch den Raum warf. Ich konnte es bald kaum mehr ertragen, eine neue, tolle Mahlzeit für ihn zuzubereiten, nur um sie Augenblicke später vom Boden aufzukratzen. Doch sollte ich ihm einfach gar kein Essen mehr anbieten? Hugo hätte es wohl kaum gestört.

Erst lasern…

Als Hugo neun Monate alt war, hatten wir festgestellt, dass seine Zungen-und Lippenbändchen zu kurz waren. Obwohl wir keine Stillprobleme hatten, abgesehen von einer verstopften Milchdrüse ab und an, entschied ich, dass die verkürzten Bändchen durchtrennt werden sollten. Vorher tat ich, was ich am besten kann, und zwar intensiv das Thema erforschen. Ich fand u.a. Folgendes heraus: In vielen Fällen entstehen diese zu kurzen Bändchen aufgrund eines genetischen Defektes, MTHFR, und fallen in die Kategorie “Mittelliniendefekt.” Früher, bevor Geburten ins Krankenhaus verlagert wurden, durchtrennten Hebammen regelmäßig verkürzte Bändchen mit einem scharfen Fingernagel. Dieses Wissen ging dann allerdings verloren, als Geburten wissenschaftlicher und sterile wurden. Heutzutage wird in den meisten Fällen so ein Eingriff nur bei Stillproblemen wie Schmerzen oder gar fehlender Gewichtszunahme eines Säuglings empfohlen. Hier könnt Ihr mehr dazu lesen. Im Zuge meiner Reschersche kam ich zu dem Entschluss, dass die Langzeitfolgen zu gravierend sein können, wenn sie denn eintreten sollten, und dass ein schnelles Lasern das kleinere Übel für uns ist. Und somit wurde Hugo im Alter von neun Monaten gelasert. Die Zunge war nun frei und dürfte doch jetzt, vier Monate später, keine Probleme beim Essen machen, oder etwa doch?

… dann Therapie

Mein Mamainstinkt sagte mir, dass wir irgendetwas übersahen. Und so ging unsere Odyssee los. Wir stellten uns verschiedenen Esstherapeuten vor, doch keiner konnte uns wirklich helfen. Hugo fing zwar langsam an, Bananen und Himbeeren zu essen, aber seine (und meine) Frustration blieb und er schien nach wie vor überfordert am Tisch. Durch Zufall wurde mir eine Therapeutin empfohlen, unsere dritte zu dem Zeitpunkt, die innerhalb weniger Minuten eine Diagnose hatte: aufgrund des verkürzten Zungenbändchens hatte sich Hugos Muskulatur in der Zunge und dem gesamten Mundraum nicht richtig entwickelt. Er konnte zum Beispiel nicht mal seine Zungenspitze an den Gaumen bewegen. Er war motorisch einfach nicht in der Lage, Essen im Mund richtig zu manövrieren. Mit Hilfe dieser Therapeutin und den Übungen, die wir alltäglich zu Hause machen mussten, kratzten wir die Kurve und Hugo begann endlich mehr zu essen. Nach ein paar Monaten stagnierte er wieder, woraufhin wir zu einer Logopädin, die sich auf Kleinkinder spezialisiert hatte, wechselten. Diese besuchen wir immer noch, denn trotz vieler Forschritte funktioniert seine Zunge noch nicht ideal – er schnarcht oft und atmet viel durch den Mund.

Mit zweieinhalb Jahren biss Hugo zum ersten Mal in ein Stück Apfel, zerkaute das Stück und schluckte. So selbstverständlich wie das klingt, für uns war das ein Erfolgsmoment. Ich hatte Tränen in den Augen. Mittlerweile isst er altersentsprechend. Wenn ich ihm dabei zusehe, wie er zum Beispiel an einem Maiskolben nagt, eine Bratwurst verzehrt, an Knäckebrot knabbert oder genussvoll seinen Brokkoli in Ketchup dippt – alles Texturen, die zuvor ein absolutes No Go waren – bin ich mir sehr bewusst darüber, dass wir dies unserer harten gemeinsamen Arbeit über die letzten zwei Jahre zu verdanken haben. Oh, und das Abstillen ging dann auf einmal auch ganz leicht.

Mamainstinkt

In den letzten Jahren bekam ich oft Ratschläge wie “Hör auf zu Stillen, dann isst er auch endlich!” oder “Manche Kinder sind eben extrem wählerische Esser. Meine essen auch nur Nudeln.” Ich glaube tatsächlich, dass die gut gemeinten Ratschläge in manch anderen Fällen geholfen hätten. Doch mein Instinkt sagte mir, dass bei Hugo der Knackpunkt ein anderer war. Dass unsere Reise so eine lange und schwere sein würde, hätte ich nicht gedacht. Auch nicht, dass wir mehrere Spezialisten durchlaufen würden, bis wir eine Diagnose und einen Therapieplan hatten. Doch zum Glück haben wir als Mamas diese super Instinkte für unsere Kleinen. Und Hugo hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, diese ernst zu nehmen.