Let’s talk about: Wenn das Jammern unter Eltern zum Dauerzustand gerät

Es gibt da diesen einen Nachbarn. Wir begegnen uns nahezu täglich, weil die Kinder gemeinsam in die Kita gehen und wir die wenigen Minuten Fußweg zum Kinderknast, wie ich ihn gerne nenne, oft zusammen bestreiten.

Ich mag die Familie insgesamt ganz gerne und wenn Julius mit dem Nachbarskind den Bürgersteig entlang pest, ist das immer allerliebst. Ja, regelrecht Zucker. Während die Kinder nun aber so gänzlich befreit von allem miteinander sind, ist mir im Zwiegespräch mit dem Papa schon einige Male aufgefallen: Es vergeht keine Begegnung, ohne dass irgendwas im Argen liegt, er etwas zu beklagen hat. Immer scheint irgendwas zu sein. Nie ist nichts.

Eine Freundin hat mir unterdessen irgendwann mal zugeraunt, ob ich jene Mütter auch so schrecklich finden würde, die sich immerzu beklagten. Ich glaube, ich war einen Moment betroffen, weil ich mich ertappt fühlte. Weil ich nicht zu der unbreakable-Kimmy-Schmidt-Fraktion gehöre, die allem und immer mit einem Lächeln begegnet. An manchen Tagen stänkere ich hier durchaus wild herum oder gerate zum Sensibelchen. Weil das für mich wie für alle anderen aber unerträglich ist, verkrieche ich mich in der Regel sobald es möglich ist mit 3 bis 47 Folgen irgendeiner Serie vor der Öffentlichkeit. Fernsehen ist mein Alkohol. Danach geht’s meistens besser. Hat ja doch keinen Zweck, immer unzufrieden zu sein. Oder wie eine recht patente Zahnarzthelferin gestern Mittag in meinem Beisein zu einer Patientin mit dicker Backe und wehleidigem Blick sprach: “Sein Päckchen hat ja jeder zu tragen und wenn wir alle meckern, wäre das ja auch nicht schön, wa!”

Ein Annäherungsversuch an die jammernde Elternschaft

Nun bin ich wiederum kein Fan der Affektkultur innerhalb des um sich greifenden Dokumentationsfetisches in unseren Sozialen Medien. Aber das Thema gehört trotzdem auf den Tisch, wie ich finde, weil sich da gerade schon wieder Fronten abzuzeichnen drohen zwischen jenen, die klagen und jenen, denen es leicht fällt. Zu letzterer Gruppe ist übrigens Nikejanes Beitrag auf tinyjane.de lesenswert, in dem sie schildert, mit ihrem neuen Leben als Mutter offenbar nicht in das hineinzupassen, was sie unter Eltern als Standard erlebt: nämlich die scheinbare Überzahl an sich bildlich gesprochen andauernd über ihr Leid, den Stress, die Schlaflosigkeit erbrechenden Elternschar, die eigentlich immer etwas zu bemängeln hat, die offenbar nicht aus dem Jammern herauskommt. Die nie zufrieden ist. Die sie, wie sie meint, sogar als Person schmähen, weil es ihr nicht so geht, weil sie ihr Leben gut findet, wie es ist.

Dieser Text will das Thema nun aber nicht weiter emotionalisieren. Eher dem Emotionalisieren, dem Konflikt entgegenwirken. Ich möchte mit diesem Text viel lieber ergänzen und ergründen, warum manche Eltern vielleicht ohne Unterlass klagen, weshalb sie nicht aus dem Tal der Tränen finden. Letztlich knüpfe ich mit diesem Beitrag auch an meinen Text zur Überforderung an. Denn beides, die Überforderung und das ewige Jammern bedingen sich, glaube ich.

Wer immerzu nur die Wolken, anstatt auch mal die Sonne am Himmel stehen sieht, begreift das Leben vielleicht auch insgesamt als Last. Da geraten nicht nur Ausnahmesituation zur Belastungsprobe, sondern alles. Da hat jede Angelegenheit das Potenzial zum Mega-Stress und zur Überforderung. Mit dem Unterschied, dass Menschen ohne Kinder damit vielleicht eher hinterm Berg halten, weil dieser Zustand, der im schlimmsten Fall auch in depressive Strukturen münden kann oder dort schon zu verorten ist, in unserer Gesellschaft (immer noch) verpönt ist. Mit Kindern lässt sich die Anspannung hingegen öffentlich formulieren, weil es als Eltern eher akzeptiert ist, am Rande eines Nervenzusammenbruchs zu stehen und auch darüber zu reden.

Kinder fordern uns, ändern aber nicht unsere Anlagen

Um das noch einmal anhand von Thesen zu verdeutlichen: Ich glaube, dass wir mit Kind nicht weit davon entfernt sind, wie wir uns als Menschen davor und ohne Eltern zu sein begriffen haben. Kinder schrauben ja nicht an der Persönlichkeit ihrer Bezugspersonen. Eher ist es so, dass über sie Seiten von uns zum Tragen kommen, die wir vorher manchmal gar nicht zur Notiz genommen haben, weil sie sich erst abbilden, wenn es hart auf hart kommt – zum Beispiel und genau: in der Überforderung.

These Nr. 2: Die Überforderung ist in der Regel keine Folge von Schicksalsschlägen. Wie wir uns als Eltern begreifen, hat weniger damit zu tun, wie unser Kind geraten ist: Ob es ein Anfängerbaby ist, wie Isabel so gerne schreibt, oder eines mit hohen Ansprüchen an uns. Wie wir als Eltern sind, hängt eher mit der Einstellung zusammen, mit der wir unserem Nachwuchs begegnen. Ob wir unser neues Leben weiter nach unseren Vorstellungen zu steuern vermögen oder die Leinen los lassen und darüber vielleicht untergehen.

Man rennt vor der Tyrannei weg und landet in einer neuen

Das Untergehen, das ewige Jammern verweisen wiederum manchmal, und damit zu meiner dritten und letzten These, auf eine Person, deren Probleme nicht nur in der Gegenwart zu verorten sind. Die ewige Unzufriedenheit kann auch das Resultat, die Ohnmacht gegenüber Bedingungen sein, denen man als Kind einmal ausgeliefert war und aus denen man sich auch als Erwachsener nicht zu retten schafft.

“Man rennt vor der Tyrannei weg und landet in einer neuen”, hat Mirna Funk einmal in einem Artikel für die Nido über ihr Verhältnis zu ihren Eltern geschrieben und dem Versuch als 17-Jährige, eine Alternative für sich zu den Jahren in ihrem Leben zu beschreiben, in denen ihre Eltern zwar physisch, aber emotional nicht anwesend waren und warum es notwendig war, sich von diesen sie nicht bedingungslos lieben wollenden Menschen zu lösen, um der Mensch zu werden, der sie heute ist. Nämlich kein Opfer ihrer Vergangenheit und stattdessen eine aus der eigenen Biographie erstarkte Persönlichkeit. “Sie hinter mir zu lassen war wie ein Exorzismus”, schreibt Funk weiter, “weil sich alles davor wie Besessenheit anfühlte.” Und: “Oft genug muss man das Alte abschütteln, um neu werden zu können.”

Erst, wer erkennt was war, kann sich davon lösen

Der Psychoanalytiker Heinz Bude hat in “Die Grundformen der Angst” die Fähigkeit, sich selbst in den Mittelpunkt zu rücken als Ausweg dargestellt: “sich die Zeit und Möglichkeit zu nehmen, nachzuholen, was man nie durfte, wollendes, aus eigenen Impulsen handelndes Subjekt zu sein.” Und im Umkehrschluss: “Solange sie [die Betroffenen] versuchen, […] immer auf ihr Eigensein [zu] verzichten, ist die Situation unlösbar. Was hier helfen kann, ist nur das Wagnis, ein eigenständiges Individuum zu sein.”

Die Ursachen sind bei Bude so beschrieben: “Eine nach innen genommene feindselig-ablehnende oder überfordernde Mutter ist nicht selten die tiefste Ursache […]. Sie wird zu einer innerseelischen Instanz des Kindes, durch die es sich selbst ablehnt. Der unvermeidliche Hass gegen die Mutter würde so schwere, so unerträgliche Schuldgefühle auslösen, dass es lieber den Hass auf sich selbst richtet.” In der Folge lerne das unter Mangelerlebnissen und Versagungen aufgewachsene Kind zu verzichten. “Es wird zum stillen, anspruchslosen Kind”, so Bude. Wer anderen gegenüber nun deshalb keine Ansprüche stelle, vergesse oft auch, Nein zu den Forderungen zu sagen, die an ihn herangetragen würden.

Übrigens und um der hier rezitierten Mutterfixierung, wie sie ja bei den meisten großen Psychoanalytikern zu lesen ist, schnell noch eine Gegenstimme zu verleihen: Jean Liedlhoff, ihres Zeichens ebenfalls Psychotherapeutin, hat in ihrem Buch “Auf der Suche nach dem verlorenen Glück – Gegen die Zerstörung unserer Glücksfähigkeit in der frühen Kindheit” herausgestellt, dass die “mütterliche Rolle” nicht von der biologischen Mutter des Babys übernommen werden muss. “Genausowenig muss der Mutterersatz weiblich oder erwachsen sein”, heißt es bei ihr weiter.

Wir haben kein Schicksal. Wir haben Probleme. Das macht natürlich Stress.

Nun muss man natürlich aufpassen, nicht alle klagenden Eltern durchweg zu pathologisieren. Nicht hinter jeder Jammerei verbirgt sich die Tendenz zur Überforderung, die wiederum auf das von Bude angesprochene anspruchslose, sich selbst hassende Kind zurückzuführen ist. Es sind sicher auch nicht alle Dauernörgler depressiv. Manchmal etabliert sich schlicht die Schwarzseherei. Dann folgt ein negativer Gedanke auf den anderen. Als würde man selbst immer und immer wieder den selben Trampelpfad tiefer treten und damit ein Musterverhalten begründen (Ganz spannend ist, sich dahingehend mal zu beobachten – also wie viele der eigenen Gedanken negativ formuliert sind).

Jene Mütter und Väter befinden sich vielleicht aber auch schlicht und ergreifend in einer schlechten Phase und sei es, weil ihre Kinder gerade zahnen, irgendeinen Entwicklungsschub durchmachen oder die Lebensumstände einfach gerade mal so richtig kacke sind. Warum gestehen wir Babys und Kindern eigentlich “Phasen” zu, den Eltern, die hinten dran hängen aber nicht?

Vielleicht gilt es unterdessen auch zu hinterfragen, was beim genervten Gegenpart los ist, bzw. sogar gesamtgesellschaftlich im Argen liegen könnte. Ob wir als Individuen inzwischen vielleicht zu sehr angestrengt sind, unser Leben als einen dauergeilen Zustand zu optimieren und uns darüber die Empathie für all jene abgeht, die dahinter zurückbleiben. Anzunehmen, das Leben sei gänzlich frei bestimmbar jenseits von Anlagen und Biographie, scheint mir vor allem ein Lobgesang zu sein, der von der Kanzel des Neoliberalismus’ gepredigt wird.

Man muss nicht immer Verständnis haben, aber…

Dass es schwer ist, immer Verständnis für eine per se unzufriedene Person aufzubringen, ist unterdessen schon klar. Meist meint das ja auch keine Antipathie dem- oder derjenigen gegenüber, eher Hilflosigkeit, wenn man feststellt, dass der oder die Klagende vielleicht gar nicht bereit ist, das Tal der Tränen zu verlassen oder das vermeintliche Opfer sogar zum Angriff ansetzt, den eigenen mehr oder weniger entspannten Lifestyle hinterfragt.

Ich kann trotzdem immer wieder nur feststellen, wie notwendig ich finde, dem Gegenüber eher mal ’ne Runde extra den Kopf zu kraulen, anstatt mit ihm ins Gefecht zu ziehen. Es gibt nun mal keinen Schalter, den man umlegen kann und darauf ein supergeiles Leben führt. Manchmal braucht es viele Jahre, gar ein ganzes Leben, um ein selbstbestimmtes Leben jenseits der Herkunft führen zu können. Ganz zu schweigen von vererbten Strukturen, Traumata und all diesem crazy shit.

Wenn man stattdessen aber immerzu bis zu den Zähnen bewaffnet auf einen potenziellen Angreifer des eigenen lifestyles lauert – auch wenn der eher unter den halbtoten, weil immer nölenden Eltern-Zombies zu verorten ist -, verursacht das ganz sicher irgendwann immer: neue Opfer.