Warum man eine Frau niemals fragen sollte, ob sie schwanger ist

Du holst Dir Zigaretten an der Tankstelle, und der Mann an der Kasse sagt: "Bist Du nicht schwanger?". Du fährst mit einem neuen Kollegen zum Termin und er sagt: "Glückwunsch zur Schwangerschaft!". Du besichtigst ein auf Ebay-Kleinanzeigen gefundenes Kinderbett (also ein richtiges Kinderbett, kein Babybett, kein Beistellbett) und der Verkäufer gratuliert Dir zur Schwangerschaft. Nur: Du bist gar nicht schwanger!

Kennt ihr das? Die geschilderten Situationen sind mir alle in den letzten zehn Jahren passiert. Die letzte erst vor wenigen Tagen. Was sich geändert hat: Mittlerweile bin ich souveräner geworden, wenn es darum geht, diese Übergriffe (denn ja, das sind sie) wegzustecken. Ich habe beim Betten-Kauf dann einfach abgewinkt und gesagt: “Ne, das ist noch vom ersten Baby, das neun Monate alt ist.” Betretenes Schweigen vom Verkäufer. Kein Mitleid für den Typen. Weil: Come on, wirklich? Als Mann deutlich über 30, der zudem Vater einer 2-Jährigen ist, sollte man es doch eigentlich besser wissen. Dann trugen wir gemeinsam das neue Bett vier Stockwerke hinunter. Was ich schwanger ganz sicher nicht getan hätte. Hinterher fühlte ich mich schlecht und musterte mich im Spiegel. Und ärgerte mich, denn eigentlich war es er, der sich schlecht fühlen sollte.

Fast alle Frauen, die ich kenne, haben es schon mal erlebt, je nach Neigung zum Bauchansatz häufiger oder weniger häufig. Dabei ist die Frage “Bist Du schwanger?” auf mehreren Ebenen eine Unverschämtheit. Eine Verletzung von Grenzen und Privatsphäre, denn wer so fragt, glaubt ja, es gehe ihn etwas an, ob das Gegenüber ein Kind erwartet. Dass die Frage außerdem von mangelndem Einfühlungsvermögen oder auch Taktgefühl zeugt (was, wenn es nicht stimmt?), ist offensichtlich. Und es ist auch schlicht eine dumme Idee, denn wie man bei unseren Kinderwunsch-Posts gesehen hat, ist das Thema “Schwangerschaft” mitnichten für jeden total entspanntes, kuscheliges, fröhliches Terrain.

Die Selbstverständlichkeit, mit der bewertet wird

Vor allen Dingen aber offenbart sich meiner Meinung nach in dieser Frage eines: Die Selbstverständlichkeit, mit der gewisse Männer Frauen und ihr Aussehen bewerten und einordnen. Man stelle sich umgekehrt vor, Frauen würden sich bei jedem Mann mit schütterem Haar nach dessen Testosteronspiegel erkundigen und Vermutungen zur Potenz ihres Gegenübers anstellen. Völlig absurd. Hat auch nichts miteinander zu tun. Aber ein gewölbter Bauch und eine Schwangerschaft sind eben auch nicht ein und dasselbe, und vor allem Dingen: Nicht der Rede wert. Trotzdem nehmen sich viele immer noch die Lizenz, das Aussehen einer Frau mit solchen Bemerkungen unverhohlen zu bewerten, zu kritisieren, einzuordnen. Und ja, sie mögen achtlos dahingesagt sein, aber zeigt das nicht auch, wie selbstverständlich es für Männer ist, das Aussehen einer Frau ungefragt zu kommentieren.

Dabei geht es nicht nur um die Frage: Schwanger oder dick? Nein, die Frage kann auch lauten: Schlank oder schon magersüchtig? Gute Gene oder Botox? Natürlich kann man argumentieren, es handele sich dabei nur um Oberflächlichkeiten, um das Aussehen. Aber jeder, der sich mit feministischer Theorie auseinandergesetzt hat, weiß, dass das zu kurz greift. In diesem Zusammenhang lohnt es sich, Laura Mulveys vielzitierten Essay “Visual Pleasure and Narrative Cinema” zu lesen. Darin schrieb Mulvey schon 1975, was leider heute noch viel zu häufig gilt: Der Mann als Träger des Blicks, die Frau als Objekt, eine, die den Blick zu ertragen hat (“bearer of the look”) – bezogen auf Kino, wie der Titel sagt. Ich finde, dieses Machtgefälle lässt sich auch in Modezeitschriften und ja, auch in Interaktionen im echten Leben beobachten.

Mehr als Oberflächlichkeiten

Letzlich geht es bei der an eine wildfremde Frau gerichtete Frage “Bist Du schwanger?” auch um Macht. Die Macht, die Intimsphäre einer Person zu verletzen, anstatt diese zu wahren. Den eigenen Anspruch, ungefragt etwas zu bewerten, das einen nichts angeht, über die Gefühle des anderen zu stellen. Klar, man könnte jetzt sagen: “Stell’ Dich nicht so an, der Typ war halt einfach ein bisschen doof” und mir attestieren, dass ich aus einer Mücke einen Elefanten mache. Aber Bemerkungen wie diese passieren ja nicht in einem Vakuum. Jede erwachsene Frau kann eine lange Liste von Kommentaren aufbeten, die sie im Zusammenhang mit ihrem Aussehen gehört hat. Verletzend oder lobend, abwertend oder schmierig: Das ist letztlich egal, denn auch ein Kompliment kann sich anfühlen wie ein Übergriff, wenn man merkt, dass der, der es äußert, einen wie ein Objekt betrachtet. Eine Erfahrung, die für Frauen zur Normalität gehört und die heterosexuelle weiße Männer nicht oder nur selten machen müssen. Eine Erfahrung, die mit Macht zu tun hat, beziehungsweise mit Ohnmacht. Denn wie unser Aussehen bewertet wird, hat erheblichen Einfluss auf unseren Status – und wenn wir verhandeln, dass das Schönheitsideal unserer Gesellschaft breiter wird, dann sprechen wir nicht nur über Gefühle oder Vorbilder für junge Frauen.

Wir sprechen über Macht und über Geld. Menschen, die als attraktiv gelten, verdienen mehr. Das Luxemburger Institut für Sozialforschung fand in einer Studie aus dem Jahr 2015 heraus, dass schöne Frauen in Deutschland rund 20 Prozent mehr verdienen als der Durchschnitt, attraktive Männer immerhin 14 Prozent mehr. Es geht also durchaus um Marktwert, nicht nur um Oberflächlichkeiten. Und solange die Gesetze des Marktes von alten weißen Männern gemacht werden, regeln diese auch den Zugang zu Ressourcen wie Macht, Geld, Einfluss. Es ist ein System, das sich selbst perpetuiiert – was als schön gilt, wird gezeigt. Was man immer wieder sieht, bewertet man automatisch als schöner, da vertraut. Das aufzubrechen dauert. Und erfordert mutige Menschen in den richtigen Positionen. Was mich in diesem Zusammenhang freut: Dass sogar Modemagazine wie die Vogue in ihrer diesjährigen September-Ausgabe Frauen zeigt, die divers sind und nicht dem einen, engen Schönheitsideal entsprechen, das in den neunziger Jahren noch so mächtig war. Und ich finde, auch wenn ich das Netzwerk durchaus kritisch sehe, dass Accounts wie der von Charlotte Kuhrt oder Ashley Graham und Chimamanda Ngozi Adichie (was für eine absolute Wahnsinnsfrau, und was für ein Style!) dieses alte Schönheitsideal untergraben. Frauen, die sich zeigen, wie sie sich als schön empfinden: Das ist auch eine Form von Ermächtigung.

Foto: Kristina Flour