Warum die Kinder bei Oma und Opa plötzlich durchschlafen und brav sind

Ich will hier wirklich überhaupt kein Schwiegermutter-Bashing betreiben, erstens weil: Klischee. Zweitens weil ich meiner Schwiegermutter sehr verbunden bin und das wirklich nicht nur, weil sie sich rührend um meine Kinder kümmert. Meiner Mutter im Übrigen auch. Aber es gibt eben schon Dinge, die nerven und von denen ich weiß, dass ich damit nicht alleine bin. Eine solche Sache ist: "Also bei mir machen sie das nie!" oder auch: "Komisch, bei mir schläft er/sie immer durch".

Kennen vielleicht nicht alle von euch, aber sicher einige. Die Kinder benehmen sich aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen bei den Großeltern wie kleine Engel – und zu Hause lassen sie die Sau raus. Bei den Großeltern schlafen sie abends schnell ein und vor allem durch, während sie im Elternhaus noch drölfzig Mal aufstehen, Durst haben, kuscheln wollen, Pipi müssen, oder doch noch mal Hunger verspüren. Nur um dann, einmal eingeschlafen, kurze Zeit später im Halbschlaf ins Elternschlafzimmer zu trippeln und sich in Mamas oder Papas Arme zu kuscheln. Das ist irgendwie niedlich– kann aber auch nerven.

Vor allem, wenn die eigene Mutter, der Opa, oder die Schwiegermama bei einem Wutanfall oder leisem Schimpfen auf die schlechten Nächte überrascht sagt: “Bei uns ist das nie ein Problem” Und damit ja im Unterton meint: “Du / Ihr müsst irgendwas falsch machen!”

Das Gummiband

Machen wir natürlich nicht. Das wusste ich schon immer, irgendwie so vom Gefühl her. Aber in meiner Erziehungsbibel “Das gewünschtetste Wunschkind (treibt mich in den Wahnsinn)” habe ich dann irgendwann den Satz gelesen, der mein Gefühl bestätigte. Die beiden Autorinnen vergleichen die Bindung zwischen den Eltern und dem Kind nämlich mit einem Gummiband. Dieses Band kann sich immer weiter ausdehnen, zum Beispiel, wenn ein Krabbelkind die Gegend erkundigt, dann aber wieder zu Mama oder Papa zurückkrabbelt und sich auf dem Schoß ausruht. Wenn es das tut, sagt ihm das einfach sein Gefühl. Es hat Sehnsucht, das Gummiband schnellt zurück und zieht sie wie ein Magnet in den sicheren Hafen. Ihr könnt das zu dem Thema “abends noch zehn Mal aus dem Bett kommen” auch hier nachlesen.
Die Vorstellung, dass meine Kinder nachts meine Nähe suchen, weil das innere Gummiband sie quasi dazu zwingt, fand ich ziemlich rührend. Und obwohl ich weiß, dass sie auch zu Oma und Opa eine enge Bindung haben, ist diese eben nicht so stark wie zu den Eltern. Das ist der einzige Grund, warum sie dort dann plötzlich durchschlafen. Sie wachen nachts auf und haben nicht diesen unglaublichen Drang, zu ihnen zu laufen, weil das Gummiband nicht so eng gespannt ist.

Und das Sparprogramm!

Die beiden Wunschkind-Autorinnen schreiben sogar, dass Kinder bei den Großeltern sowieso auf “Sparprogramm” laufen. Sie reißen sich eben auch ein Stück weit zusammen, bis Mama und Papa wieder da sind. Das ist glaube ich völlig normal, erklärt aber auch, warum Kinder oft total erschöpft und in der Folge auch ziemlich launisch und anstrengend sind, wenn sie von Oma und Opa, oder auch von FreundInnen kommen. Sie haben sich die ganze Zeit zusammengerissen! Das ist anstrengend. Nun sind sie wieder zuhause, im sicheren Hafen, bei Mama und/oder Papa. Sie wissen, dass sie dort geliebt werden, auch, wenn sie sich nicht benehmen, also machen sie das auch nicht. Ich weiß, wie wenig das hilft, wenn man gerade am eigenen Kind verzweifelt, aber es ist in den meisten Fällen wirklich so.

Mir ist klar, dass nicht alle Großeltern haben, die sich auch noch kümmern können (ein Riesen Privileg!), aber man kann diese These auch weiter ausdehnen. In der Kita ist alles gut, zuhause Ramba Zamba. In der Schule eher schüchtern und sehr sozial, zuhause sogar manchmal aggressiv und auf jeden Fall laut. Auch das haben nicht alle Kinder, viele sind in sich ruhend und haben keine starken Stimmungsschwankungen. Aber genug eben doch!
Man könnte sagen, dass sich Kinder oft außerhalb von zu Hause so verhalten, wie sie erzogen wurden. Oder eben mit angezogener Handbremse agieren, weil sie sich (noch) nicht sicher fühlen. Zu Hause wollen sie aber manchmal einfach ihren Gefühlen und so weiter freien Lauf lassen. Weil sie wissen, dass sie es können.

Wenn eure (Schwieger-)Eltern also das nächste Mal entsetzt sind, wenn sich eure Kinder in eurer Gegenwart ganz anders benehmen als bei ihnen, dann könnt ihr ihnen ja eine kleine Bindungstheorie-Nachhilfestunde geben. Oder auch nicht und ihr zuckt einfach nur mit den Schultern und wisst aber insgeheim, dass das nur am Gummiband sowie dem Sparprogramm liegt, und nicht an euch.

Bindung wächst ja auch mit den Jahren

Bei meinen Kindern war es übrigens so, dass sie mit den Jahren immer seltener bei den Großeltern durchgeschlafen haben und dort immer öfter auch ihre Launen rausgelassen haben. Ergibt ja auch Sinn. Mit den Jahren wurde das Gummiband fester gespannt, denn die Bindung wurde immer enger. Heute würde in unserer Familie die Oma nicht mehr sagen: “Bei mir gibt es das nicht!”, denn sie kennt ihre Enkel mittlerweile in allen Facetten und wird nachts genauso angekuschelt wie die Eltern. Und das ist auch gut so!