Von der Lust am Dinge verpassen – und was Corona damit zu tun hat

Hallo erstmal! Ich heiße Sarah und bin ganz neu bei Little Years. Ab heute schreibe ich hier regelmäßig über alles, was wir in der Redaktion diskutieren und mir am Herzen liegt – und freue mich riesig, Teil dieses netten Teams zu sein! The Joy of Missing Out. Irgendwie passt es sehr gut in unser Minimalismus-besessenes Zeitalter, dass der neueste Lifestyle-Trend darin besteht, Dinge NICHT zu tun. Nach der „Fear of Missing Out“ (FOMO) war JOMO Ende vergangenen Jahres das Schlagwort in der (amerikanischen) Blogger-Welt. 

Dass das natürlich eine unglaublich privilegierte Haltung ist – keine Familie, die sich den Kinder-Schwimmkurs nicht leisten kann, erfreut sich über die so gewonnene unverplante Zeit – geschenkt.  Und dass dieses “Dinge verpassen” in der aktuellen Corona-Krise einen ganz anderen Beigeschmack hat: sowieso klar. Trotzdem glaube ich, dieses “Weniger” ist etwas, von dem wir alle profitieren können.

Wir können alle profitieren

Mein Leben war bis vor Kurzem eher zu voll als zu leer. Zwischen beginnender Selbstständigkeit, Crossfit und mit Freunden auf dem Blondie-Konzert tanzen, kam ich nicht wirklich dazu, darüber nachzudenken, wohin meine Reise langfristig gesehen gehen soll – viel zu beschäftigt war ich damit, jede freie Stunde zu verplanen und hinterfragte diesen hedonistischen Aktionismus, wenn ich ehrlich bin, auch nicht weiter.

Dann wurde ich schwanger. Und konnte erstmal gar nichts. Außer schlafen. Ich glaube, fast jede Mutter weiß, wie sie sich anfühlt, diese bleierne Müdigkeit im ersten Trimester. Mein Tiefpunkt war, mich in das Büro meines Chefs zu schleichen, der so gut wie nie da war. Um dort auf dem Boden, mit einer Zeitung unter dem Kopf, einen Mittagsschlaf zu halten. Abendliche Verabredungen mussten sich einem rigorosen Check unterziehen und waren nur sehr selten attraktiver als mein Bett. Zwölf Stunden Schlaf am Tag waren damals mein Minimum.

Mein Marie Kondo in Sachen Zeit

Vielleicht war das mein persönlicher Marie-Kondo-Moment, was Zeiteinteilung und soziale Verpflichtungen angeht. Geburtstagsparties entfernter Freundinnen, langweilige semi-wichtige Abend-Events, und ja, auch das geliebte Crossfit, fielen meinem JOMO zum Opfer. Ich konnte diese Leere auf einmal gut aushalten. Absagen zu formulieren fiel mir immer leichter (ich hatte ja auch die perfekte Ausrede), und die Menschen, für die ich in dieser Phase trotzdem Zeit hatte, waren mir ohnehin die Liebsten.

Seitdem mein Sohn Jascha geboren ist, spare ich mir alles, was nicht sein muss. Schminken, obwohl das Baby gerade schreit? Dann eben mit nacktem Gesicht vor die Tür. Sechs Wochen nach der Geburt besuchte ich einen Rückbildungs-Yoga-Kurs. Auf Anhieb war er mir viel zu esoterisch und die Übungen zu lasch. Jascha schrie schon nach dem ersten „Om“, als ginge die Welt unter, und so verbrachte ich den Großteil der 60 Minuten stillend auf der Yogamatte. Wir waren dann auch nur dieses eine Mal da.

Und jetzt Corona

Nun rüstet sich die Welt für einen pandemischen Ausnahmezustand, die Zahl der mit dem Coronavirus Infizierten steigt stetig und selbst unsere sonst so nüchterne Bundeskanzlerin beschreibt die Situation als „außergewöhnlicher als die Bankenkrise“. Von den Gesunden wird gefordert, auf Dinge zu verzichten, die nicht unbedingt nötig sind. Dinge, die Spaß machen, wie Konzerte, Theaterbesuche oder die durchtanzte Nacht im Club. Darüber kann man sich grämen – und für viele Unternehmer, Künstler und Gastronomen wird diese erzwungene Auszeit schnell existenzbedrohend, keine Frage.

Und doch, auch hier hilft es, sich seine Privilegien vor Augen zu führen, anstatt zum Supermarkt zu rennen und Nudeln zu hamstern oder sich über abgesagte Veranstaltungen aufzuregen. In diesen Tagen ein wertvoller Reminder: Gesund sein ist nicht selbstverständlich. Krebspatienten, Lungenkranke, alte Menschen – sie alle sind verletzlich und auf unsere Rücksichtnahme angewiesen. So pathetisch das klingen mag: Wenn Corona ein Gutes hat, dann ist es die Wiederentdeckung unserer Menschlichkeit und Solidarität mit den Schwächeren. Den Senioren in der Nachbarschaft Besorgungen vor die Tür tragen, uns die Hände mit religiösem Eifer waschen, verantwortungsvoll durch die Welt gehen: Diese Chance sollten wir nicht verpassen.