Wer Vereinbarkeit will, muss auch den Arbeitskampf wollen

Vielleicht erinnert sich die eine oder der andere: Vor nicht allzu langer Zeit, habe ich genau an dieser Stelle darüber geschrieben, wie sich das Thema Vereinbarkeit für mich in Wohlgefallen aufgelöst hat, seitdem ich selbstständig arbeite. Die Selbstständigkeit ist inzwischen und seit ein paar Monaten wieder Geschichte - oder vielmehr: nur noch part of the job. Ich arbeite also wieder hauptsächlich festangestellt als Journalistin an vier Tagen die Woche. Letzteres, in Teilzeit zu arbeiten, scheint mir immer noch ein großes Privileg in einer Branche, in der eher weit über die Grenzen von Vollzeit hinaus und oft schlecht bezahlt geknüppelt wird.

Der Journalismus und ich, wir kennen uns schon lange. Ich habe mit 16 Jahren beim Radio angefangen und insofern nahezu mein halbes Leben darauf verwandt, für irgendwen schreiben oder produzieren zu wollen. Zuletzt war ich mir darum gar nicht mehr so sicher. Weil sich die Jobs, die ich nach all den Jahren und mit zunehmendem Professionalisierungsgrad überhaupt noch interessant fand, bereits in den Stellenausschreibungen mit Kind unzumutbar klangen. Allein Vollzeit: Will ich einfach nicht mehr, wenn das bedeutet mindestens 40 Stunden die Woche und inklusive Anwesenheitspflicht im Büro zu arbeiten. Oder: Chefs, die vor allem für die Arbeit leben und das von ihren Angestellten auch erwarten. Nö!

“Wie ein Projekt, bei dem das Kind Prio Nummer eins ist”

Mir gehen dahingehend zuweilen jene Frauen so richtig auf die Nerven, die es tatsächlich ohne Quote und aus eigener Kraft geschafft haben, sich jenseits der sogenannten gläsernen Decke einzurichten (oder das noch vorhaben), nur um dann auf Podiumsdiskussionen für Bedingungen zu kämpfen, die den Karren Vereinbarkeit aus meiner Perspektive weiter an die Wand fahren: frei von all dem Kinderstress nämlich. Also eigentlich so, als hätte man gar keinen Nachwuchs. Die Kinder in einer Ganztags-Betreuung wissend. Nannys und Aupairs, die sich um alles darüber hinaus kümmern, während die Eltern “Qualitytime” mit den Kindern abends bei Skype auf eine halbe Stunde verbringen. All dieser Spitzenmanager-Nonsens. Das ist doch bei Männern schon total quatschig, warum es ihnen also gleich tun, wenn wir gerade an einem Punkt der Geschichte angelangt sind, wo wir all das anders handhaben können?

Es muss doch niemand Vollzeit arbeiten. Müssen wir doch? Klar, wenn man es wie hierzulande mit Lohnkosten zu tun hat, die lange stagnierten (Stichwort Standortdebatte) und sich erst seit ein paar Jahren wieder erholen, es aber immer noch ein eklatantes West-Ost-, ganz zu schweigen vom Branchengefälle gibt – ja, dann ist wohl Vollzeit obligatorisch. Die allermeisten Arbeitenden verdienen eben nicht ansatzweise Manager-Gehälter, da wird Teilzeit schnell zum Armutsrisiko. Man denke allein an die alleinerziehende Krankenschwester, die im Schichtdienst wahrscheinlich über den Gedanken Vereinbarkeit nur hysterisch lachen kann, für die unsere Diskussion darum regelrecht absurd ist.

Wir sagen hier ja immer, dass es sich jeder so einrichten soll, wie er mag. Und klar: Wer bei Ernst & Young gerne als Berater oder bei irgendeinem Konzern im mittleren Management arbeiten will, der soll eben in die Hände spucken. Aber dieses Lebensmodell dann als Ziel für alle rauszuhauen (derweil verkennend, dass 8k Netto im Monat, von dem ganz easy Nannys bezahlt werden können, kein globaler Standard sind): das find ich nicht gut.

Jenseits des Arbeitsfetischs

Ich würde mich vielmehr und lieber in einer Arbeitswelt einrichten wollen, die Arbeitnehmer auch dann zu schätzen weiß, wenn es sich nicht gerade um “Hochqualifizierte” handelt und in der insgesamt dieser Vollzeit-Erreichbarkeits-Fetisch, aber auch der ewige Zwang, ohne Arbeiten nicht sein zu dürfen, aufgelöst wird. Während allernorts über die Meriten der Digitalisierung gesprochen wird, habe ich nicht den Eindruck, dass das, was die Automatisierung bedeuten könnte, letztlich bei allen Arbeitenden auch ankommt. Geldschöpfung nämlich, die sich nicht nach Anwesenheit bemisst oder unmittelbar in Gewinn für den Arbeitgeber skalieren lässt. Geldschöpfung vielleicht sogar, die uns in eine Freiheit entlässt, uns abseits der Arbeit Gedanken zu machen, was wir denn eigentlich für sinnvoll erachten würden zu tun, anstatt kopflos in Büros zu rennen, um irgendwelche quatschigen Nonsens-Jobs zu erfüllen. Geldschöpfung, die jenen zu Gute kommt, die keine oder nur eine sehr kleine Lobby haben, sich für sie stark zu machen.

Wann beginnen wir zum Beispiel endlich damit, jenen Menschen – auch monetär – Wert beizumessen, die unsere Zukunft regelrecht in den Händen halten: Hebammen, Pädagogen, Sozialarbeiter, Lehrer, Altenpfleger – das sind doch in unseren Tagen Berufe, auf die wir uns konzentrieren sollten im Bemühen, an den Grundfesten unserer Gesellschaft zu schrauben. Stattdessen lassen wir also zu, dass Jobs mit im Vergleich irrwitzigen Gehältern vergütet werden, die den verqueren Strudel unserer Konsumgesellschaft nur weiter befeuern oder sogar eine Gefahr fürs System darstellen (Stichwort Subprime), während andere Arbeitende gerade mal einen Mindestlohn verdienen, aber recht unmittelbar Verantwortung für Menschenleben auf ihren Schultern tragen.

Arbeitskampf 4.0.

“Die verbreitete Vorstellung jedenfalls”, um es einmal mit diesem Artikel zu sagen, “dass wir es bei der Globalisierung oder der Digitalisierung mit Prozessen zu tun haben, denen man ohnmächtig ausgeliefert ist, halte ich allein historisch betrachtet für völlig falsch. Man kann politisch sehr wohl steuern. So wurden etwa die Folgen der Industrialisierung durch die Sozialgesetzgebung und die soziale Marktwirtschaft eingefangen.”

Auch dass hierzulande keine Kinder mehr in Fabriken arbeiten, geht auf eine Bewegung zurück, an die wir uns scheinbar kaum noch erinnern: die Arbeiterbewegung – jene politische Bewegung, die letztlich in der Russischen Revolution kulminierte und über deren Schrecken offenbar der Aufstand des Proletariats und dessen Verdienste an Glanz verloren hat. Unseren Zeiten gegenüber finde ich doch recht erstaunlich, wie diese Menschen sich binnen extrem widriger Umstände gegen die Klassengesellschaft aufgelehnt haben.

Insofern: Ich bin ja ohnehin dafür, dass sich alle mal wieder ein wenig mehr mobilisieren gegen all das, was da draußen so schief läuft. Vor allem dann, wenn man es selbst einigermaßen bequem hat und es eigentlich Kapazitäten gäbe, sich irgendwie einzusetzen, dass es einer größeren Zahl von Menschen besser ginge – anstatt über die Notwendigkeit einer neuen Designertasche nachzudenken. Julia vom Nicetohavemag-Blog hat vor kurzem einmal resümiert, realistisch betrachtet doch eher Öko-Egoistin denn alternative Altruistin zu sein. Wenn auch in einem anderen Zusammenhang: Das fand ich sehr ehrlich und gleichsam treffend, weil ich doch den Eindruck habe, dass die allermeisten sich nur da politisieren, wo es für sie selbst schmerzlich wird (Ehegattensplitting etwa oder Kitakosten). Wohingegen die Türe ganz schnell wieder da zugeschlagen wird, wo sich der Dreck abseits der eigenen Fußmatte anhäuft – eben jener Dreck aber doch auch mit uns zu tun hat und sei es nur, weil wir ihn mit unserem Lebensstil verursachen oder ihn zumindest nicht verhindern.