“Schwangeren und Gebärenden wird nach wie vor Gewalt angetan!”

Heute ist der internationale Tag gegen Gewalt an Frauen und der Roses Revolution Day. An diesem Tag werden Frauen, die von körperlicher oder seelischer Gewalt in der Geburtshilfe betroffen sind, aufgerufen, eine Rose vor ihre Geburtsklinik zu legen. Der Tag will also ein Zeichen setzen gegen Respektlosigkeit und Gewalt Frauen gegenüber, die gebären. Wir haben uns mit Katharina Desery von Mother Hood e.V. unterhalten, eine Bundeselterninitiative zum Schutz von Mutter und Kind während Schwangerschaft, Geburt und im ersten Lebensjahr. Wie ist die aktuelle Situation für Frauen und was kann tun, wenn man betroffen ist?

(CW: Gewalt während der Geburt)

Über Gewalt in der Geburtshilfe wird medial in regelmäßigen Abständen gesprochen und auch ihr setzt euch schon seit langer Zeit dagegen ein. Hat sich in den letzten Jahren denn etwas getan?

Eins vorweg: Schwangeren und Gebärenden wird nach wie vor Gewalt angetan! Dennoch: Es geht in kleinen Schritten voran. Die Roses Revolution ist mittlerweile eine große Bewegung. Betroffene, dazu zählen neben Frauen auch Väter, Hebammen oder Ärzt:innen, machen auf Gewalterfahrungen aufmerksam. Auch wenn das Thema für viele noch unbekannt ist und sicherlich auch ein Tabu, brechen wir alle, die darüber sprechen, schreiben, diskutieren, dieses Tabu auf. Und so gehört es auch zur Arbeit von Mother Hood, Gewalt in der Geburtshilfe öffentlich zu thematisieren. Zum Beispiel bei Vorträgen. Da erleben wir mittlerweile, dass Gewalt während Schwangerschaft und Geburt als eine Gewaltform gegen Frauen akzeptiert wird. Und dass es um reproduktive Rechte geht, die hier gebrochen werden. Das stellt kaum jemand in Frage.

Gewalt zu benennen, bedeutet nicht, ganze Berufsgruppen unter Generalverdacht zu stellen.

Und das war vor drei bis vier Jahren noch nicht so. Obwohl sich Hebammen, aber auch Gynäkolog:innen, oft noch schwer mit dem Thema tun, findet auch da ein Umdenken statt. Gewalt zu benennen, bedeutet nicht, ganze Berufsgruppen unter Generalverdacht zu stellen. Es soll vielmehr darum gehen, Raum für Austausch, Diskussionen und Veränderungen zu schaffen. So freuen wir uns, dass wir nun schon zum zweiten Mal in diesem Jahr einen Workshop zu Gewalt in der Geburtshilfe mitgestalten, im Mai auf dem Hebammenkongress und aktuell auf dem Perinatalkongress. Das wäre vor Kurzem noch undenkbar gewesen, dass dieses Thema so einen prominenten Platz auf Kongressen erhält. Ich finde, das ist schon ein Erfolg, auch wenn wir noch einen langen Weg vor uns haben!

Gewalt im Kreißsaal gibt es in vielen Formen: Seien es medizinische Eingriffe ohne vorherige Absprache mit der Gebärenden, psychische Gewalt oder gar physische Gewalt (festhalten zum Beispiel). Was hört ihr in letzter Zeit? Hat sich während der Pandemie etwas verändert?

Die Pandemie hat die Missstände in der Geburtshilfe stärker sichtbar gemacht: zu wenig Personal für gute Begleitung, überfüllte Kreißsäle, willkürliche Regelungen, die die Bedürfnisse der werdenden Eltern komplett außer Acht lassen.
Konkret bedeutet das: Väter bzw. eine andere vertraute Person werden von der Geburt ausgeschlossen. Nicht überall und nicht unbedingt für die ganze Zeit der Geburtsdauer. Aber zumindest zu einem großen Teil! So werden Väter vielerorts erst dann gerufen, wenn die Geburt schon weit fortgeschritten ist. Manche kommen dann zu spät und das Baby ist bereits geboren. Das belastet Eltern enorm.

Was kann ich tun, wenn mir Gewalt widerfahren ist?

Es gibt tatsächlich viel, was Betroffene tun können. Da muss aber jede für sich den richtigen Weg finden und fühlen, was ihr gut tut. Für Viele ist die Roses Revolution eine gute Möglichkeit, auf das Erlebte aufmerksam zu machen. Es kann schon heilsam sein, die Kraft aufzuwenden, eine Rose vor der Kreißsaaltür abzulegen, hinter der einem Gewalt angetan wurde. Oder einfach auch das Erlebte aufzuschreiben und zu veröffentlichen. Manche Frauen wollen klagen, andere suchen das Gespräch mit der Klinik – oder beides. Wieder andere kommen durch eine Therapie aus dem Kreislauf der schlechten Gedanken und Gefühle heraus.

Niemand muss da alleine durch!

Es ist wichtig, sich Hilfe zu holen. Niemand muss da alleine durch! Vielen hilft es, darüber zu sprechen – zum Beispiel mit einer vertrauten Person. Aber manchmal reicht das nicht oder das Erlebte ist zu belastend, als dass man es z. B. mit einer Freundin teilen möchte. Dann ist unser Hilfetelefon nach schwieriger Geburt eine erste Anlaufstelle. Der Verein Schatten und Licht bietet zahlreiche Hilfsangebote und einen Selbsttest, mit dem Betroffene prüfen können, ob sie psychisch beeinträchtigt sind.

Auch der Verein Traum(a)geburt unterstützt und informiert sehr umfassend. Er zeigt auch Möglichkeiten auf, wenn man gerichtlich oder außergerichtlich gegen eine Klinik vorgehen möchte. Ein ähnlich gutes Angebot bietet auch die Initiative Gerechte Geburt.

Warum ist der Roses Revolution Tag wichtig?

Um Gewalt in der Geburtshilfe überhaupt zu thematisieren und aus der Tabuzone zu holen. Frauen die Möglichkeit zu geben sichtbar zu machen, was ihnen widerfahren ist. Nur wenn etwas bekannt und öffentlich ist, können Veränderungen auf den Weg gebracht werden. Gewalt, die im Verborgenen bleibt, kann nicht bekämpft werden! Die Roses Revolution gibt – für viele zum ersten Mal – die Möglichkeit, ein Zeichen zu setzen und das Bewusstsein zu bekommen, nicht allein mit den Erfahrungen rund um die Geburt eines Kindes zu sein.

Am Anfang des Jahres erschien ja die erste medizinische Leitlinie für Geburten (endlich!), an der ihr auch mitgewirkt habt. U.a. werden Dammschnitte nur in Ausnahmen empfohlen. Welche Schritte sind noch notwendig, damit weniger Frauen Gewalterfahrungen machen?

Zunächst einmal müssen Kliniken und mit ihnen das geburtshilfliche Personal akzeptieren, dass Frauen Gewalt angetan wird – auch während der so sensiblen Phase einer Geburt und in der eigenen Klinik. Die Empfehlungen der so wichtigen Leitlinie “Die vaginale Geburt am Termin” bieten ihnen konkrete Maßnahmen, damit Gewalterfahrungen weniger werden.
Es liegt nun an den Kreißsaalleitungen, sich an die Umsetzung dieser Empfehlungen zu machen. Das ist nicht von heute auf morgen getan und ja, für die Umsetzung der Leitlinie braucht es vor allem eines: mehr Hebammen. Aber vieles, was in der Leitlinie steht, lässt sich dennoch beachten und in die Klinikroutinen einarbeiten. Dazu zählt zum Beispiel Gebärende über medizinisch notwendige Eingriffe zwingend aufzuklären und auch ihre Zustimmung einzuholen. Dafür sei oft keine Zeit, bekommen wir als Antwort. Aber das stimmt in den meisten Fällen nicht!

Die Geburtshilfe ist unterfinanziert

Was muss noch getan werden?  Eine gute Geburtsbegleitung braucht Zeit und damit Geld! Eine bessere Vergütung von Geburten muss daher zwingend sein. Das ist eine politische Entscheidung, die dringend in Angriff genommen werden muss. Letztendlich geht es darum, dass Zuwendung und Zeit geben und damit die Vorhaltung von Personal im Finanzierungssystem besser abgebildet werden muss. Die Geburtshilfe ist so derart unterfinanziert – das ist einer der wesentlichen Gründe für die Missstände – und damit auch für die Gewalt.

Nicht zuletzt muss sich insgesamt die Haltung gegenüber Frauen und Familien ändern. Ihre Fähigkeiten, ihre Bedürfnisse, Wünsche und Rechte müssen endlich anerkannt und in den Mittelpunkt jeden Handelns gestellt werden. Das betrifft Hebammen und Gynäkolog:innen genauso, wie Entscheider:innen in Politik und den Kliniken.

Ich danke dir Katharina!

Hier geht es zu Mother Hood e.V.

 

Foto: Studio Una Berlin