Picture perfect – über Familienbilder in sozialen Medien

Ich habe gute Freunde in England, die für mich immer das perfekte Paar waren. Beide sind gutaussehend, lustig, offen, erfolgreich, schlau und wahnsinnig liebenswert. Ihre Hochzeit war natürlich wie im Film, wenn sie als Paar Krisen hatten, meisterten sie diese mit einer unglaublichen Offenheit und mit viel Respekt gegenüber dem anderen. Als sie ein Kind bekamen, war das Bild der perfekten Familie komplett, natürlich war der Nachwuchs auch noch zuckersüß.

Der Schein trügt – immer oder eigentlich auch nicht

Weil ich kurz danach selbst Mutter wurde, sah ich die kleine Familie lange nicht, ich sah aber Bilder auf Facebook und Instagram. Bilder von diesen schönen, glücklichen Menschen. Manchmal, wenn ich mit meinem Freund Streit hatte, oder mit meinem Baby überfordert war, dachte ich: Was würden SIE machen? Wie schaffen die das wohl, so glücklich zu sein?

Als das Kind etwa eineinhalb Jahre alt war, sendeten beide eine Email an enge Freunde. Sie hätten sich getrennt. Es sei ein langer Prozess gewesen, aber nun hätten sie gemeinsam beschlossen, dass es die beste Entscheidung sei. Ich war entsetzt. Wie konnte niemand etwas merken? Wie konnten sie trotzdem solche Bilder posten? Mir wurde klar, dass Bilder im Internet blenden, aber eigentlich auch nicht.

Denn wir alle stellen keine Bilder von Streit, von Tränen, von chaotischen Wohnungen und müden, ungeschminkten, traurigen Gesichtern von unseren Familien ins Internet. Warum auch? Es ist wie mit einem Fotoalbum, da würde ich ja auch keine hässlichen Bilder voller Anschreien, Frust und Wollmäusen reinkleben. Für mich ist Instagram so etwas wie mein digitales Fotoalbum – ich versuche, schöne Bilder zu sammeln. Okay, manchmal lustige oder sehr authentische, aber in der Regel gebe ich dort nur eine kuratierte, gut aussehende Version von mir preis. Aber das ist nicht nur mein Recht, sondern auch völlig normal und verständlich. Wenn ich durch meine eigenen Bilder browse, denke ich oft: boah geht’s uns gut. Sind wir glücklich. Das wiederum erfreut mich, denn das sind wir auch, nur eben nicht immer. Und wenn wir es nicht sind, mache ich davon sicher kein Foto oder poste auf Facebook: “Mann und ich in der Krise. Trennung möglich, aber unwahrscheinlich.” Das geht niemanden etwas an. Die schönen Momente teile ich gerne. Die unschönen bearbeite ich lieber im Privaten.

Wie ein digitales Fotoalbum

Das sollte sich einfach jeder vor Augen halten, der die Bilder von anderen ansieht und denkt: Bei denen ist immer alles so perfekt. PERFEKT gibt es nicht. In keinem Leben. Es gibt gute und schlechte Zeiten, perfekt gestylte und hässliche. Bei jedem. Vor allem in jeder Familie. Bei manchen mehr, bei anderen weniger, aber niemand hat das perfekte Leben. NIEMAND. Jedes Kind bockt mal, hat die Windeln voll, Eltern streiten, Familienwohnungen versinken in der Unordnung. Die richtige Einstellung ist also die, sich an schönen Bildern zu erfreuen, Neidgefühle zu bekämpfen,  und sich immer wieder vor Augen zu halten, dass es in JEDER Familie auch unschöne Momente, und in JEDER Beziehung Krisen gibt.

Obwohl ich das weiß, und sogar gerne mit einer Riesenfreude Bilder von meiner kleinen, manchmal perfekten Familie poste, erwischt es mich trotzdem ab und an: wenn ich Bilder von Love Taza sehe (wie kann man immer so Gottverdammt gut aussehen?), von Courtney Adamo (ich bin irgendwie richtig Fan von ihr, verflixt!), oder von all den anderen Instagram-Mamas, die scheiße gut aussehen und anscheinend nur hübsche, teure Sachen besitzen, zumindest liegt bei denen nie irgendetwas Unansehliches rum. “Hat die aber auch, nur in der Kammer”, “die arbeitet aber nicht”, “die hat jeden Tag eine Putzfrau da!”, “Sicher hat sie tausend Foto-Kurse gemacht und eine 5000 Euro Kamera, sonst würden die Bilder ja nicht so gut aussehen”, denke ich dann. Und erfreue mich an meinem kleinen, perfekt unperfekten Leben, an meiner chaotischen, aber gemütlichen Wohnung und meinem dreckigen, aber glücklichen Kind. Manchmal mache ich dann ein mittelgutes Foto und poste es.

Auch meine Freunde stellen immer noch schöne Bilder von sich hoch. Nur eben seltener zu dritt. Sie sind immer noch wundervolle Menschen, die Trennung lief so respektvoll ab, wie nur möglich, beide kümmern sich rührend um das Kind und sind wirklich Freunde geblieben. Und wenn ich am Anfang dachte: die haben uns allen was vorgespielt! Denke ich heute: nein. Sie haben einfach nur die schönen Dinge ins Fotoalbum geklebt. So wie jeder andere auch.

Und wenn man merkt, dass einem das aber alles nicht gut tut, dass man die Neidgefühle nicht unterdrücken kann und sein eigenes Leben weniger genießt, weil das Gras auf der anderen Seite SO VIEL GRÜNER ist! Dann kann man auch einfach eine App löschen, oder zwei. Sich dem Ganzen Gepose entziehen. Es ist ganz einfach.

Und wer einfach nur eine gute Portion Realität braucht, der kann ja auch einfach mal die Accounts aufräumen und allen überperfekten Familien nicht mehr folgen. Oder mal bei Liz vorbeistöbern: Unperfect Life with Kids. Herrlich finde ich auch folgende Instagram-Channels: My Kid Can’t Eat This, Average Parent Problems, und Kids are the Worst.

PS: Ob man überhaupt Familienbilder posten sollte, ist eine ganz andere Frage, wir gehen darauf auch noch mal ein!