“Papa, ich habe Angst vor dir”

Was für ein katastrophaler Satz. Er schreibt sich genauso schrecklich, wie er sich vor ein paar Wochen angehört hat. „Papa, ich habe Angst vor Dir, wenn Du mich so laut anschreist.“ Meine Tochter hat ihn zu mir gesagt. Sie hat dabei leicht nach unten geschaut und sich auf den Füßen hin und her gedreht. Das macht sie oft, wenn sie den Mut aufbringt, mir etwas zu sagen, von dem sie nicht weiß, wie ich reagieren werde.

„Ich habe Angst vor Dir.“ Ein Satz wie eine Vakuumpresse, die dir von hier auf jetzt die Luft aussaugt. Ich hätte nie gedacht, dass ich diesen Satz mal von meiner Tochter hören würde. Ich, der einfühlsame Papa, der immer dafür plädiert, ihre Gefühle und ihre Meinung ernst zu nehmen, statt sie als kindisch abzustempeln.

Der Auslöser war paar Tage vorher: Meine Tochter ist genervt und überfordert, ihr Tag war lang. Ich bin genervt und überfordert, mein Tag war lang. Kochen, putzen, spielen, basteln. Und dafür am Ende nur Ärger und Wut von ihr. Und noch mehr Ärger und Wut für alle Angebote, die ich ihr mache. Ich will ihr helfen. Sie will ihre Ruhe. Ihre Intervalle zwischen nörgeln und wüten werden immer kürzer. Und irgendwann überkommt mich die Wut. Ich bäume mich vor ihr auf und schreie laut: „Es reicht! Ruhe!“

Erschrecken. Kurze Stille. Weinen. Zittern. Ihre Augen flirren vor Angst, weil gerade etwas passiert ist, dass sie in ihrem Kopf nicht einordnen kann. Und mein Körper zieht sich zusammen, weil die Wut in Sekundenbruchteilen verdrängt wird und von mir nichts übrig bleibt, außer ein Häufchen Erbärmlichkeit. Es gibt nichts schlimmeres, als das eigene Kind zu sehen, wie es Angst vor Dir hat.

Ich bitte sie sofort um Entschuldigung. Ich sage ihr, dass das falsch von mir war. Wir beruhigen uns zusammen. Aber diesmal ist etwas hängengeblieben.

Nicht das erste Mal

Ich wünschte, ich könnte sagen, das war eine Folge von Corona: Noch mehr Stress, Zukunftsängste, kein Feiern mit Freunden für die wichtigen Ausgleichsmomente. Aber das stimmt nicht. Ich kann mich an ein paar solcher Momente in den letzten Jahren zurück erinnern. An die Wut, an die Hilflosigkeit, an das Lautwerden, an das Anschreien, am Arm packen. An ihre Angst. An das erbärmlich fühlen hinterher.

Der Unterschied zu jetzt: Meine Tochter ist fünfeinhalb und kann sagen: „Papa, ich habe Angst vor Dir.“ Bisher konnte ich meine Wutmomente einfach wieder wegpacken. Vor dem Einschlafen einmal drüber nachdenken und am nächsten Morgen wieder der Superpapa sein, das geht nicht mehr.

Von Gesprächen mit Freundinnen und Freunden weiß ich: Wut ist normal. Was ich hier beschreibe ist nicht mein alleiniges Problem. Ich glaube, die allermeisten von uns kennen diese Momente, wo unsere Kontrolle sogar gegenüber unseren Kindern aussetzt, wenn wir uns für Sekundenbruchteile nicht wiedererkennen. Auch Eltern dürfen wütend auf ihre Kinder sein. Aber es redet kaum jemand darüber. Es ist ja auch mehr als nur peinlich. Aggressiv zu schreien, sodass es dem Kind eine Heidenangst einjagt, ist Gewalt. Ich kann mir in meinen schlimmsten Momenten nicht vorstellen, dass ich mein Kind je schlagen werde, ich lehne das grundlegend ab. Aber auch das Anschreien ist ein Eingriff in die Selbstbestimmung meiner Tochter, mit Mitteln, die ihr Angst machen. Und das darf in den perfekten Welten, die wir uns gerne für uns und unsere Kinder aufbauen wollen, nicht vorkommen. Aber: Der Alltagsstress, dem wir ausgesetzt sind, kann gar nicht zu unserem Anspruch passen, immer in absoluter Gelassenheit für die Bedürfnisse unserer Kinder da zu sein. Ich zumindest weiß, wie oft mich das unter Druck setzt – und wie oft ich daran scheitere.

Wir projizieren so viel in unsere Kinder hinein, warum sollte sich das auch nur in den schönen Momenten zeigen. Mein Kind ist mein wichtigster Mensch auf der Welt. Natürlich ist sie eine, wenn nicht die, Projektionsfläche für meine Erwartungen, meine Hoffnungen, meine Stärken. Und damit natürlich auch für meine Schwächen.

Meine Freundin sagt: Ich will zu viel. Immer. Und damit auch von unserer Tochter. Ich rede und rede und erkläre und erkläre (wie in meiner Beziehung). Ich lasse ihr keinen Raum zum Verarbeiten und Selbstregulieren. Was auch stimmt: Ich bin schnell mal beleidigt. Zum Beispiel wenn ich mich den ganzen Tag kümmere aber beim kleinsten „Nein“ nach Mama gerufen wird. An schlechten Tagen denke ich, wie undankbar kann ein Kind sein. Meine Freundin sagt: Ich suche ständig nach Anerkennung. Das stimmt. Dabei ist sie mir gerade meine Tochter nichts schuldig.

Der Raum für sie ist da

Ich habe meiner Tochter gesagt, dass ich ihre Angst verstehen kann. Ich habe ihr versprochen, dass ich lernen will, das in Zukunft zu lassen. Im Moment bin ich voll in einer dieser elterlichen Reflektionsphasen. Die Ruhe nach dem Sturm. Natürlich gibt es Streit und Momente, wo mich alles nur unendlich nervt. Aber gerade bin ich in solchen Momenten viel mehr der Vater der ich auch sein will, der die Tipps und Tricks kennt, um seine Wut zu kontrollieren.

Ich habe meiner Tochter auch gesagt, dass ich stolz auf sie bin, dass sie sich getraut hat mir das zu sagen. Und damit bin ich bei allem auch ein Stück weit stolz auf mich. Meine Freundin und ich haben es immerhin geschafft, ihr mitzugeben, dass sie auch uns gegenüber sagen soll, wenn sie etwas als falsch oder ungerecht empfindet. Sie weiß, dass es in ihrem zuhause dafür den Raum gibt. Sie weiß, dass wir sie ernst nehmen. Und sie weiß, dass ihr Papa für seine Fehler um Entschuldigung bitten kann.

Die große Frage für mich ist gerade: Was gebe ich meiner Tochter eigentlich mit? Ihr selber sage ich, Wut ist in Ordnung, Wut ist normal. Du darfst deine Wut nicht an Anderen auslassen. Leicht gesagt, immer wieder schlecht umgesetzt. So wie ich daran regelmäßig scheitere, wird auch sie das tun. Ich hoffe etwas eleganter als ich.