Meine Sommer-Lese-Liste und mein Lifehack für Urlaubslektüre

Urlaubszeit ist für mich Lesezeit, schon immer! Ein wesentlicher Teil meiner Reisevorfreude besteht darin, mich durch Listen mit Empfehlungen für die beste Strandlektüre zu arbeiten, mir das auszusuchen, was mich anspricht und daraus dann meine ultimative Strand-Leseliste zu machen. Im Buchladen die Bücher zu besorgen, fühlt sich immer schon so richtig nach Entspannung an. Dieses Jahr ist alles anders – es ist mein erster Urlaub mit Kind, und Säuglinge sind natürliche Feinde des Lesens, haha – aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Hier also die Bücher, die ich schon gelesen habe und euch wärmstens empfehle, sowie die, deren Lektüre ich mir für den Sommer vorgenommen habe. Plus ein kleines How-to: Wie findet man in dem Meer an Neuerscheinungen eigentlich die Titel, die einen ansprechen? Ich habe da mit den Jahren eine Methode entwickelt, die für mich gut funktioniert.

Über das Frau-Sein
Ach, Caitlin Moran – von der britischen Musikjournalistin, die es aus einfachsten Verhältnissen in die Bestsellerlisten geschafft hat, bin ich ein großer Fan. Ihren Klassiker “How to be a woman – Wie ich lernte, eine Frau zu sein” empfehle ich jedem, denn selten war Feminismus so klug und gleichzeitig unterhaltsam. Ganz oben auf meiner Wishlist ist deswegen in diesem Sommer Caitlins “How to be Famous”, ein Roman über die 19-jährige Musikjournalistin Johanna Morrigan, es geht um Prominenz und Liebe, um Erwartungen ans Leben und um das Loslassen. Der liegt leider nur auf Englisch vor. Im Herbst erscheint übrigens “More than a woman”, eine Art Fortsetzung von “How to be a Woman”, denn mit Mitte 40 hat Moran einige neue Perspektiven auf ihren Feminismus. Kann man hier schonmal vorbestellen.

Neues vom literarischen It-Girl

Stephanie Danlers Buchvertrag mit dem renommierten Verlagshaus Knopf (eine sechsstellige Summe für zwei Titel) war im amerikanischen Literaturbetrieb vor vier Jahren in aller Munde, auch, weil es die klassische Cinderella-Story ist (die ihr viele neideten): Danler arbeitete als Kellnerin im New Yorker Restaurant Buvette und schob dort einem Verleger das Manuskript von “Sweetbitter” zu. Das Buch ist großartig und war völlig zurecht ein Bestseller. Es ist eine wirklich wunderschön geschriebene Geschichte über das Kellnern, die Gastronomie, toxische Beziehungen und Genuss. Jetzt hat Danler nachgelegt, in ihrem Memoir “Stray” beschreibt sie ihre Lebensgeschichte und entzaubert sogleich das Bild der jungen Star-Autorin mit dem unverschämten Glück, das viele von ihr haben. Stray erzählt von ihrer Kindheit mit einer schwer alkoholabhängigen Mutter, einem Vater, der die Familie verließ, als sie drei war, und dann zur High-School-Zeit wieder auftauchte. Es geht darum, wie man es schafft, Leid zu überleben, ohne auf ewig Opfer zu bleiben, und wie man sich seine eigene Familie schafft. Klingt vielversprechend.

Vaterfiguren

Ich habe ein Faible für Geschichten über Väter und eine, die mir in diesem Frühjahr besonders gut gefallen hat, kam von der Journalistin und Autorin Nora Gantenbrink und heißt “Dad”. Die Hauptfigur Marlene begibt sich auf Spurensuche nach ihrem Hippie-Vater, der an Aids gestorben ist, sie reist an die Schauplätze seines jungen, wilden Lebens und geht der Frage nach, wer dieser oft abwesende Vater eigentlich war. Unglaublich schön geschriebene Dialoge, dieser hier hat mir besonders gut gefallen: “Mama?” “Ja?” “Was habe ich von meinem Vater?” “Den Hang zum Rausch und die Sehnsucht nach Sonne.” Toll, oder? Im Juli erscheint außerdem “Land in Sicht” von Ilona Hartmann, darin geht es ebenfalls um eine Papa-Suche: Protagonistin Jana checkt inkognito auf der MS Mozart ein, einem eher wenig glamourösen Kreuzfahrtschiff auf der Donau, deren Kapitän ihr Vater ist. Mit einer Belegschaft aus trinkfesten Senioren geht es von Passau nach Wien und natürlich auch wieder auf die Suche nach den eigenen Wurzeln. Ich bin gespannt!

BIPoC Autoren

Nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd kursierten auf Instagram und anderswo im Netz viele Leselisten mit Büchern über Rassismus, darunter viele Sachbücher. Auch total wichtig ist es aber, literarische Werke von Autoren zu lesen, die BIPoC sind. Um den Blick zu weiten, aber auch, weil der Literaturbetrieb immer noch viel zu weiß ist. Unglaublich toll fand ich “In guten wie in schlechten Tagen” von Tayari Jones, es geht um eine große Liebe, um Rassismus, um Zerbrechlichkeit und Gerechtigkeit. Große Empfehlung! Für diesen Sommer habe ich mir “Der Wassertänzer” von Ta-Nehisi Coates vorgenommen, Oprah schwärmt in den höchsten Tönen von der Befreiungsgeschichte mit Superhelden-Elementen. Coates gewann für sein Sachbuch “Zwischen mir und der Welt” im Jahr 2015 den National Book Award, darin beschreibt er schon lange vor Floyd all die rassistischen Strukturen und die Polizeigewalt in den USA.

Elternschaft

Gerne gelesen habe ich kürzlich “Mamas & Papas: Wie wir täglich fröhlich scheitern”. Zwar merkt man dem Buch ein bisschen an, dass es schon neun Jahre alt ist (es wird auffallend oft Latte Macchiato getrunken!), aber die kurzen Kolumnen von Hajo Schumacher und Susanne Leinemann sind richtig lustig und ihre Gedanken zur Elternschaft und ihren Herausforderungen zeitlos. Kurzweilig und perfekt für den Urlaub, man kann dank der kurzen Texte immer wieder schnell einsteigen, auch, wenn man von kreischenden Kleinkindern beim Lesen unterbrochen wird. Ganz anders, aber gerade in aller Munde und deswegen auf meiner Leseliste: “Das Buch, von dem Du wünschtest, Deine Eltern hätten es gelesen” der Psychologin Philippa Perry. In dem Bestseller geht es, anders als in den meisten Erziehungsratgebern, vor allem um die Eltern und deren Erziehung und wie sich das auf die Beziehung zum eigenen Kind auswirkt.

Parallelwelten

Kennt ihr “Befreit” von Tara Westover? Diese biographische Geschichte beschreibt den Bildungsweg der Autorin. Was das Ganze unglaublich fesselnd und teilweise auch schwer auszuhalten macht, ist die Tatsache, dass diese in einer fundamentalistischen Mormonen-Familie aufwächst, die Einrichtungen wie Krankenhäusern, aber eben auch Schulen mit extremer Skepsis begegnet und ihre Kinder so gut es geht aus der Mainstream-Gesellschaft heraushält. Selbst bei richtig schlimmen Unfällen weigern sich die Eltern, einen Arzt zu rufen. Taras Mutter ist Hebamme und glaubt an die Kraft der Kräuter, ihr Vater eine Art Tyrann. Tara muss ihm auf dem Schrottplatz helfen, wo er sich und die Kinder einige Male fast zu Tode schindet, und so ist Taras Weg an die Cambridge University eben kein selbstverständlicher. Habe ich letztes Jahr im Urlaub gelesen, zwischendrin stockte mir der Atem. Jetzt reizt mich Robert Kolkers “Hidden Valley Road: Inside the Mind of an American Family”  (liegt nur auf Englisch vor), darin geht es um eine Familie mit zwölf Kindern, von denen sechs an Schizophrenie erkranken und die anderen sechs nicht.  So wird diese Familie zum Forschungsobjekt für die genetischen Ursachen der Krankheit. Eine Art medizinischer Thriller, super spannend!

Passt in keine Schublade

Eines der einzigartigsten Bücher, die mich je in einen Urlaub begleitet haben, ist “Priestdaddy”. Darin geht es um ein ziemlich absurdes Kapitel im Leben der Autorin Patricia Lockwood – nach einer kostenintensiven medizinischen Behandlung zieht sie mit ihrem Mann wieder bei ihren Eltern ein. Ihr Vater, ein lutheranischer Prediger, der verheiratet ist, aber Jahre später zum Katholizismus konvertierte und so einer der wenigen seiner Zunft mit Ehefrau wurde, ist ein richtig schräger Typ und der Held des Buchs. Irre komisch, und schwer einzuordnen. Roman? Biographie? Sachbuch? Ähnlich eigenwillig ist bestimmt auch “Botschaften an mich selbst” der irischen Autorin Emilie Pine. In den Essays geht es um die große Frage, was es bedeutet, im 21. Jahrhundert eine Frau zu sein, es geht um Alkoholismus, Fehlgeburten, um sexuelle Gewalt und Selbsthass, aber auch um Freude, Ermächtigung und Glück. Genau meine Richtung!

Spannende Debüts

Und dann sind da noch zwei Debüts auf meiner Liste: In “Was wir voneinander wissen” widmet sich Jessie Greengrass der philosophischen Frage, wie wir große Entscheidungen treffen. Will ich ein Kind? Was gibt dem Leben Bedeutung? Wie begegne ich der Angst, Fehler zu machen? Es ist Greengrass erster Roman, ihre Erzählungen “An Account of the Decline of the Great Auk, According to One Who Saw it”  eroberten in Großbritannien die Bestselller-Listen. Und in der Frankfurter Verlagsanstalt ist das Debüt der französischen Autorin Pauline Delabroy-Allard erschienen: “Es ist Sarah” erzählt eine Amour fou zwischen zwei Frauen, es klingt nach einem atemberaubenden Liebesroman und auf Instagram schwärmen so viele Autorinnen mit Ahnung von diesem Debüt, dass ich mich schon sehr darauf freue, es zu lesen.

Und wie mache ich meine eigene Sommer-Leseliste?

Wie Euch vielleicht schon aufgefallen ist, dominieren in meiner Leseliste Titel aus dem englischsprachigen Raum. Kann man mögen, muss man nicht. Ich persönlich liebe Literatur aus den USA und Großbritannien, deswegen scrolle ich mich immer durch die Nominierungen für Literatur-Preise, gehe dabei auch mal ein paar Jahrzehnte zurück, zum Beispiel auf den Seiten des Man Booker Prize , des National Book Award und des Pulitzer Prize for Fiction, außerdem ist Oprahs Book Club eine gute Quelle für alles aus den USA. Die Listen der New York Times und des Guardian bieten auch viel Inspiration. Ebenfalls ein Weg, wenn ihr eher im deutschsprachigen Raum unterwegs seid (abgesehen vom Feuilleton lesen natürlich): Verlagen auf Instagram folgen sowie Accounts auf Instagram abonnieren, die tolle Bücher empfehlen. Spontan denke ich da an Autorinnen wie Margarete Stokowski, Johanna Adorján und Mareike Fallwickl, die Buch-Expertin Karla Paul, die Frankfurter Literaturagentin Caterina Schäfer  oder auch die Literaturagentur Elisabeth Ruge. 

Bei Büchern, die ihr liebt, lohnt sich ein genauerer Blick: In welchem Verlag, in welchem Programm ist das Buch erschienen? Welche Literaturagentur vertritt die Autorin oder den Autoren (steht meistens in der Danksagung)? So lassen sich schnell weitere Titel finden, die Euch entsprechen –  dazu braucht man nämlich keinen Amazon-Algorithmus. Überhaupt der schönste Weg aber: Findet eine Buchhandlung, die ihr mögt, redet mit den Buchhändlern, bestellt dort vor (geht meistens über Nacht, oder binnen weniger Tage) und werdet Stammkunde. So schlägt man gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Gute Empfehlungen von Kennern einheimsen und ein kleines Unternehmen unterstützen, das die eigene Stadt oder das eigene Stadtviertel charmanter macht als es ein Jeff Bezos jemals könnte.