Mein Schwangerschaftsabbruch: “Viele Frauen richten sich in solchen Situationen extrem nach ihren Männern”

Heute wollen wir euch wieder die Geschichte eines Schwangerschaftsabbruchs erzählen. Maria, 37, hatte vor elf Jahren einen Abbruch und hadert irgendwie bis heute mit dieser Entscheidung. Sie hat einen Sohn, 6, und lebt vom Vater ihres Kindes getrennt. Liebe Maria, Danke, dass du deine Geschichte mit uns teilst!

Mein Abbruch liegt jetzt fast elf Jahre zurück. Das war im Frühjahr 2011. Das weiß ich so genau, weil meine Schwester zur gleichen Zeit wie ich schwanger war. Und immer wenn ich meine Nichte ansehe, weiß ich, wie alt mein Kind in etwa heute wäre… Der Gedanke schmerzt schon ein bisschen.

Ich war damals etwa drei, vier Monate mit meinem Freund zusammen und hochgradig verliebt in ihn. Bis dahin war das eher eine Affäre. Wir waren beide aus langjährigen Beziehungen gekommen und keiner wollte das, was wir da hatten, irgendwie definieren. Wir haben einfach den Moment genossen. Die Pille hatte ich ein paar Monate, bevor ich mit ihm zusammengekommen war abgesetzt, weil ich meinen Körper dieser Hormonkeule nicht mehr aussetzen wollte. Und er hatte keinen Bock auf Kondome. Also haben wir uns immer auf den Kalender verlassen – der aber offensichtlich nicht sehr zuverlässig war. Ich hatte zwar immer ein blödes Gefühl dabei – auch wegen möglicher Geschlechtskrankheiten – aber weil ich so verknallt war und den Moment nicht kaputt machen wollte, hab ich nie etwas gesagt und mitgemacht. Rückblickend war das natürlich hochgradig bescheuert.

Über Kinder hatten wir bis zu dem Zeitpunkt noch nie auch nur ansatzweise geredet. Er hatte bereits eine Tochter aus einer früheren Beziehung, die ganz schlimm geendet ist. Die Frau hatte ihn mehrfach betrogen und dann musste er auch noch für das Kind, dass er gar nicht wollte, Unterhalt zahlen. Mir war also klar, dass das Kinderthema für ihn ein absolutes Reizthema ist. Dazu kam, dass er selbst aus einer nicht intakten Familie kam – sein Vater hatte sich früh aus dem Staub gemacht und ihn und seine Schwester mit der psychisch instabilen Mutter alleine gelassen. Er wusste also gar nicht, was eine richtige Familie ist und was sie ausmacht. Ich selbst bin in einer ganz tollen Familie groß geworden – mit viel Liebe und Rückhalt und immer mit dem Motto: „Man kann im Leben alles schaffen!“.

“Nach einem Streit hat mir mein Freund an den Kopf geknallt: „Morgen wird das erledigt!“

An dem Tag, an dem es passiert sein musste, sind wir sehr betrunken von einer Party gekommen und zu Hause übereinander hergefallen. Schon recht bald danach hab ich mitbekommen, dass mit mir etwas nicht stimmt. Vor allem, weil mir ständig schlecht war. Ich hab dann einen Schwangerschaftstest gemacht – und der war positiv. In dem Moment hat’s mir echt den Boden unter den Füßen weggezogen. Ich war total verzweifelt und panisch und hab nur gedacht: Ach du Scheiße! Und ich war überzeugt davon: Egal, wie ich mich hier entscheide – das ist das Ende unserer Beziehung. So ein Drama überlebt eine so frische Beziehung nicht. Ich war mir sicher: jetzt schmeißt er mich raus. Obwohl er ja genauso beteiligt an der Situation war wie ich.

Ich hab es dann erstmal meiner Schwester erzählt. Aber irgendwann, ein paar Tage später, hab ich mir ein Herz gefasst: Wir saßen bei ihm in der Küche und ich hab’s gesagt. Er hat dann erstmal ganz cool reagiert. Es sei mein Körper und ich müsse das entscheiden. Heute denke ich, er hat das nur gesagt, weil er sicher war, ich würde mich gegen das Kind entscheiden.

Ich hab dann aber erst einmal gar nichts unternommen. Ich bin generell ein Rausschiebe-Typ. Gäbe es keine Fristen, ich würde nichts gebacken kriegen. Aber mann kann als Frau in dieser Situation nicht an die Decke gucken und nichts tun. Man muss so viele Wege erledigen: Muss zum Frauenarzt, zur Familienberatung, zur Krankenkasse – und letztlich zu dem Eingriff… Das ist also kein Problem, das man nur mit sich ausmachen und lösen kann. Man muss sich vor so vielen fremden Menschen öffnen und sein Innerstes nach außen kehren. Und davor habe ich mich erstmal gescheut.

Aber irgendwann wurde meinem Freund das zu blöd, dass ich nichts unternehme und nach einem Streit hat er mir an den Kopf geknallt: „Morgen wird das erledigt!“ Dann hat er bei Pro Familia angerufen und einen Beratungstermin am nächsten Tag vereinbart. Ich fand das damals total übergriffig. Aber gewehrt hab ich mich nicht. Stattdessen bin ich dann endlich zur Frauenärztin und hab mir die Schwangerschaft schriftlich bestätigen lassen.

“Viele Frauen richten sich in solchen Situationen extrem nach ihren Männern.”

Am Tag darauf saßen wir bei der Familienberaterin im Büro. Mein Freund hat seinen Standpunkt sehr deutlich und recht impulsiv klar gemacht und ich hab erstmal gar nichts gesagt. Die Frau hat dann aber zu ihm gesagt: „Sie sind jetzt erstmal ruhig. Sie sind heute nur die Begleitung und der Zuhörer. Es ist Ihre Partnerin, die entscheiden muss, ob sie das Leben in ihrem Körper beenden möchte oder nicht.“ Sie hat mich dann gefragt, wie ich handeln würde, wenn ich das allein entscheiden könnte. Da hab ich ehrlich gesagt, dass ich nie an einen Abbruch gedacht hätte. Weil mir meine Familie beigebracht hat, dass man alles im Leben schaffen kann. Aber natürlich war das auch etwas blauäugig. Ich stand kurz vor meinen Uni-Abschlussprüfungen, hatte null Kohle und ich hatte ein tolles Volontariat in einer anderen Stadt sicher. Das hab ich ihr auch alles gesagt. Ich war also schon sehr zerrissen… Dennoch haben wir die notwendige Unterschrift bekommen.

Ich kenne ganz viele Frauen, die sich in solchen Situationen ganz extrem nach den Männern richten – aus Angst, dass sie von ihnen verlassen werden – und die eigentlich ganz anders gehandelt hätten, wenn sie es selbst hätten entscheiden können.

Ich hab den Eingriff dann noch mal lange herausgezögert und ihn erst im letzten möglichen Moment durchführen lassen. Die Pillen-Methode war da schon nicht mehr möglich, nur noch der operative Abbruch. Ich hatte schon ein schlimmes schlechtes Gewissen – hab mir dann aber eingeredet, wenn das bis zur 12. SSW in Deutschland erlaubt ist, dann tue ich nichts Unrechtes. Aber ich brauchte diese Zeit einfach, um mir klar zu werden, was ich wirklich will. Und zu der Zeit war auch ich dann der Meinung, dass ich zum jetzigen Zeitpunkt kein Kind möchte.

Das Kuriose war, dass meine Schwester wie gesagt zur gleichen Zeit wie ich schwanger war – fast genau in der gleichen Woche. Als ich meiner Mama gestanden habe, dass ich schwanger bin, das Kind aber nicht behalten werde, hab ich ihr im gleichen Moment gesagt, dass sie trotzdem Oma wird und dass ihre andere Tochter ihr das erste Enkelchen schenken wird. Das hat sie total überfordert – aber sie hat trotzdem ganz toll reagiert. Sie hat mir keine Vorwürfe gemacht, sondern nur gesagt, dass sie mich lieb hat und mich unterstützt. Den Kindsvater kannte sie zu dem Zeitpunkt noch nicht einmal, weil wir ja erst so kurz zusammen waren.

Mein Papa weiß bis heute nichts von dem Abbruch. Ich war immer ein Papa-Kind und ich wollte ihn einfach nicht enttäuschen. Ich wollte partout nicht, dass er schlecht von mir denkt. Und ich wollte unsere Beziehung nicht damit belasten.

Zu dem Eingriff hat meine Mutter mich und meinen Freund dann hingefahren. Das war dann auch das erste Mal, dass sie ihn getroffen hat. Ihm war das Ganze furchtbar peinlich. Aber sie hat sich ganz normal verhalten und ihm keine Vorwürfe gemacht.

Als ich dann in der Praxis im Vorbereitungsraum lag, liefen mir unglaublich die Tränen. Die Ärztin hat in dem Moment aber ganz toll reagiert. Sie hat meine Hand genommen und gesagt: „Das nächste Mal sehen wir uns im Kreissaal.“ Das hat mir in dem Moment unglaublich geholfen.

Ich war dann ein paar Tage krank geschrieben und etwas wehleidig. Aber als das überstanden war, ging es mir eigentlich wieder total gut. Und ich war auch mit der Entscheidung, die ich getroffen hatte, im Reinen. Ich hab mich dann auf meine Abschlussprüfungen konzentriert und war dadurch auch gut abgelenkt. Mir ging es also wirklich okay, so dass ich selbst fast verwundert war, wie gut ich damit klar kam.

“Vier Jahre später wurde ich erneut schwanger.”

Die ersten Male, als ich das Ganze nochmals reflektiert habe und durchaus kritisch betrachtet habe, war, als mein Sohn vier Jahre später geboren wurde. Bis heute denke ich, immer wenn ich so neben ihm liege und ihn betrachte: Wie konnte ich so etwas Süßes nur damals nicht wollen? Dann wiederum: Hätte ich das Kind damals bekommen, hätte ich meinen tollen Sohn vielleicht nie bekommen…?

Ich bin also mit dem Mann zusammen geblieben – und vier Jahre später geschah das Gleiche wieder: Ich wurde wieder schwanger. Nur mit dem Unterschied, dass ich dieses Kind diesmal, komme was wolle, haben wollte. Er wollte das Kind aber wieder nicht und hat sich mit allem, was ihm zur Verfügung stand, dagegen gewehrt. Aber er konnte diesmal nichts tun. Trotzdem sind wir erstmal weiter zusammen geblieben. Mein Bauch wurde immer dicker und wir haben beide so getan, als gäbe es ihn nicht. Das war eine wirklich schlimme Zeit und heute schäme ich mich fast gegenüber meinem Sohn dafür, dass ich die Schwangerschaft mit ihm gar nicht richtig zelebrieren konnte.

Während meiner Schwangerschaft hab ich mir auch keine der Apps runtergeladen, die einem zeigen, wie groß und entwickelt das Kind in welchem Monat ist. Ich wollte einfach nicht wissen, wie mein damaliges Kind ausgesehen hat, als ich es weggemacht habe.

Heute denke ich: Der Schritt damals war schon richtig, weil ich so vieles, was ich mir in den Jahren danach beruflich aufgebaut habe, nicht hätte schaffen können. Dennoch ist mir dieser Verlust erst richtig bewusst geworden, als ich dann doch noch Mutter geworden bin. Und ich bin mir sicher: Hätte mein Partner damals anders reagiert, hätte ich mich nie und nimmer gegen das Kind entschieden.

Ich mache mir bis heute den Vorwurf, dass dieser Eingriff bei mir überhaupt nötig war. Ich war nicht krank, ich wurde nicht vergewaltigt – ich bin aus reiner Doofheit schwanger geworden. Weil ich nicht sagen konnte: „Zieh dir einen Gummi über!“ Und die Konsequenz war, dass ich über Leben und Tod entscheiden musste. In so eine Situation möchte ich nie wieder kommen!

Heute bin ich mit dem Vater meines Sohnes nicht mehr zusammen. Seinen Sohn, den er eigentlich nicht wollte, liebt er über alles und kümmert sich sehr um ihn.

Titelfoto: Anthony Tran