Mein Kind ist auf Instagram aktiv – zwei Mütter erzählen

Soziale Medien sind längst genauso Teil unseres Lebens wie Zeitungen, Hörfunk und Bücher, wie der Straßenverkehr, Alkohol und Fernsehen. Sprich: Die digitale Welt hat einen festen Platz in unserem Leben und wir müssen uns mit ihr und den Optionen und Gefahren, die sie birgt, arrangieren. Gerade was die Plattform Instagram angeht, gehen viele Eltern unterschiedliche Wege. Manche sind verunsichert: Ganz verbieten? Erlauben, aber engmaschig überwachen? Wie viel ist zu viel? Zwei Mütter – eine Jungsmama und eine Mädchenmama – haben ihre Erfahrungen mit uns geteilt.

Die erste Mama, die uns erzählt, wie sie das so macht mit ihrem Sohn und Instagram, kennt ihr vielleicht. Sie heißt Jules Villbrandt und ist Gründerin vom Interior- und Lifestyle-Magazin “Herz und Blut” und des Fotostudios “Maison Palme” in Wedding. Ihr Leben als Kreative ist also ganz den schönen Dingen des Lebens verschrieben – und so ist Instagram ein wichtiger Teil ihres Lebens. Sie betreibt ihre Firma gemeinsam mit ihrer Schwester Maria-Silva und ihrem früheren Kommilitonen Wilkin Schröder. Gegründet hat sie das “Herz und Blut”-Magazin, als sie mit Sohn Justus schwanger war, ursprünglich als Mama-Blog und Möglichkeit, auch mit kleinem Kind so zu arbeiten, dass es für sie passt.

“Justus sagt immer ganz stolz, dass er Gründungsgrund ist”, erzählt Jules am Telefon, wie wohl alle Mütter derzeit jongliert auch permanent die Bälle zwischen Arbeit, Homeschooling und den alltäglichen Besorgungen. Dadurch, dass ihre Firma eine Familienangelegenheit ist und Justus nach der Schule immer in ihr Fotostudio Maison Palme kam, wo sie arbeitete, hat er schon früh von Instagram gehört. “Ich bin mit 22 Mutter geworden und war auf eine Art schön naiv, was soziale Medien und Screentime angeht”, sagt Jules, heute 33. “Ich würde heute die Dinge anders machen und wäre strenger, was Zeit am Smartphone angeht, aber damals wusste man auch einfach nicht so gut Bescheid.”

Instagram als Weg, am Leben der Mutter teilzuhaben

Justus hörte immer wieder von diesem Instagram und wollte an dem Leben seiner Mutter und seiner Tante teilhaben. Als er zehn war, fragte er seine Mutter schließlich, ob er einen Account eröffnen dürfte. Jules sagte ein halbes Jahr immer wieder “Nein” – bis ihre Schwester sie schließlich überzeugte. “Sie meinte, dass wir ständig über Instagram reden und er sich ausgeschlossen fühlt, weil er nicht Teil dieser Welt ist”, erinnert sich Jules. Sie gab ihrem Sohn schließlich grünes Licht – unter der Bedingung, dass sie sich ein Thema überlegen und gemeinsam posten. Unter “Justus steht rum” teilt Justus jetzt Eindrücke aus seinem Leben. Der rote Faden: Er steht tatsächlich oft einfach in der Gegend herum, in verschiedenen Posen, mal mit, mal ohne Menschen.

https://www.instagram.com/p/B29k3BXIZD5/

Jules sagt, Justus sei es relativ egal, wie viele Likes er bekommt, ob er Follower dazugewinnt oder verliert. “Jedes Kind ist da anders. Aber wenn ich merken würde, dass er sich daran zu sehr abarbeitet, würde ich ihn die App sicherlich nicht weiter nutzen lassen”, sagt Jules. Justus nutze die App eher als eine Art Chat-Tool, und Jules hat Zugriff auf den Account, löscht Anfragen von Spam-Accounts und weiß so, was Justus auf Instagram sieht. “Wir reden auch viel darüber und stehen uns sehr nah. Ich kenne mein Kind sehr gut und weiß, wie er tickt”, sagt Jules. Sie glaubt, dass Justus, der in Wedding zur Schule geht, in einem Umfeld aufwächst, in dem die Lebensrealität seiner Mitschüler oft härter ist als in anderen Bezirken, und vielleicht auch deswegen nicht ganz so zart besaitet ist.

Instagram ja, Fortnite nein

“Würde ihn das, was er auf Instagram sieht, negativ beeinflussen oder mitnehmen, würde ich sicher den Riegel vorschieben”, sagt sie. In anderen Punkten ist sie strikt: Justus darf kein Fortnite spielen, er hat auch keinen Tik-Tok-Account.
Jules rät anderen Eltern, in Sachen Instagram auf ihr Bauchgefühlt zu hören. “Das ist letzten Endes genauso, wie die Frage, ob ich meinem Kind zutraue, zwei Kilometer alleine zum Kaufhaus zu gehen oder das zu gefährlich finde. Es gibt keine Pauschalregeln – man kann nicht alles kontrollieren.” Für sie ist der Account ihres Sohnes ein schönes und kreatives gemeinsames Projekt, das auch eine Art Foto-Album mit vielen Erinnerungen ist, und auch für Justus ist es nicht weniger – aber auch nicht mehr. “Ich glaube, oft entsteht erst durch Verbote ein Sog oder ein enormer Wunsch, Instagram zu haben”, sagt Jules.

Regeln formulieren und das eigene Verhalten kritisch hinterfragen

Anna Luz kennt ihr vermutlich auch. Sie blogt auf Berlinmittemom über ihr Leben als Mutter von drei Kindern, teilt Alltagsanekdoten, Rezepte, persönliche Texte über Themen wie Trauer und Tod, und lässt so ihre Leser*innen an ihrem Familienleben teilhaben. Auch wieder ein Berufsbild, bei dem soziale Medien wie Instagram eine große Rolle spielen. So hat Anna schon relativ früh Instagram-Regeln für ihre älteste Tochter aufgestellt und dabei auch ihren eigenen Umgang mit dieser und anderen Plattformen hinterfragt – ein ganz wichtiger Punkt, wie wir finden. Schließlich sind wir als Erwachsene ja auch nicht perfekt und machen Fehler.

Annas Tochter ist mittlerweile 17 Jahre alt, Instagram nutzt sie, seitdem sie 13 ist. Mittlerweile gelten die Regeln, die Anna zu Beginn aufgestellt hat, nicht mehr. “Sie ist 17 und damit fast erwachsen, sie geht mit Social Media seit einigen Jahren um – da hat natürlich auch eine ganz beträchtliche Lernleistung stattgefunden. Wir hatten zu Anfang klare Regeln und haben diese immer wieder entsprechend ihrem Nutzungsverhalten, dem Alter und der gesteigerten Reife angepasst. In den letzten vier Jahren haben sich die Regeln also eine nach der anderen quasi von selbst erledigt. Und wie ihr eigener Umgang damit heutzutage ist, inwiefern sie sich da jetzt noch an den alten Regeln orientiert, ist ihr weitgehend selbst überlassen. Ich fände es nicht richtig, einer fast erwachsenen jungen Frau da noch so reinzureden wie einer Dreizehnjährigen”, sagt Anna.

Instagram vs. das echte Leben

Anna hat sich dafür entschieden, ihre Tochter Instagram nutzen zu lassen, weil sie überzeugt ist, dass der Umgang mit allen Dingen im Leben schrittweise und bis zu einem gewissen Punkt begleitet und erlernt werden muss, auch wenn wir sie vielleicht nicht immer toll finden.

“Es gibt diese Dinge in der Welt, ob sie uns nun gefallen oder nicht, und unsere heranwachsenden Kinder müssen den Umgang damit lernen und ausloten. Das gilt für Zuckerkonsum genau wie für Bildschirmmedien, das Internet, Alkohol oder die ersten selbständigen und unbegleiteten Schritte im öffentlichen Leben. Die Liste lässt sich erweitern. Mit Verboten kommen wir da nicht weit, denn das Thema geht davon nicht weg. Stattdessen müssen wir im Kontakt bleiben und verstehen, was die Kinder da tun, was sie wollen und warum. Und dann haben wir eine Grundlage, auf der wir verhandeln, Regeln aufstellen und verlässliche Absprachen treffen können”, sagt sie.

Offener oder geschlossener Account?

Zu Beginn hatte ihre Älteste einen geschlossenen Account und ließ nur Follower zu, die sie auch wirklich kannte. Davor hatten sich beide die Plattform gemeinsam immer wieder angeschaut, Posts und Kommentare studiert und das eigene Nutzungsverhalten mit dem “echten Leben” abgeglichen. Sprich: Würden wir so auch mit anderen Menschen reden, wenn sie uns gegenüberstehen? Dieses Foto auch Wildfremden zeigen? Diese Information einfach in die Welt hinausposaunen? Als Annas Älteste viel später ihren Account öffnete, überarbeitete sie ihre privaten Posts und löschte einiges.  “Wie so viele Teenager hat sie seitdem diesen öffentlichen Account und einen weiteren, privaten, den sie nur mit ausgesuchten Leuten aus ihrem Umfeld geteilt hat. Auf dem geschlossenen Account folge ich ihr übrigens nicht, denn ich bin der Meinung, dass Teenager zumindest ab einem gewissen Alter unbedingt ein Recht auf Privatsphäre haben – auch und gerade in ihren Social Media-Kanälen”, sagt Anna.

Vertrauen und Offenheit statt Kontrolle

Anna liest also nicht mit und würde das bei ihrer 17-jährigen Tochter auch als Eingriff in ihre Privatsphäre empfinden. Überhaupt vertraut sie auf die Kompetenz ihrer Kinder, die Grundsätze im Umgang mit dem Netz schon sehr verinnerlicht zu haben. “Ich glaube, da wächst ohnehin eine Generation von Digital Natives heran, für die vieles, was uns erwähnenswert und besonders erscheint, vollkommen normal ist. Die gehen mit ihrer Onlinepräsenz schon jetzt ganz anders um und ich stelle immer wieder fest, wie sehr sie sich solcher Dinge wie Datenschutz und Schutz der Privatsphäre bewusst sind”, sagt sie.

Und was ist mit Bikinifotos?

Insbesondere bei Mädchen und jungen Frauen sind die retuschierten Bilder von Körpern ein weiterer Punkt, der bei vielen Müttern zu Kopfzerbrechen führt. Wie vermittelt man seiner Tochter, dass das, was sie auf Instagram sieht, nicht realistisch und erstrebenswert ist, oft das Ergebnis von aufwändiger Bildbearbeitung oder einem Essverhalten, das nicht gesund ist? Anna sieht diesen Punkt ebenfalls sehr kritisch und redet vor allem mit ihrer jüngsten Tochter, die gerade elf geworden ist, sehr viel darüber. “Die Herausforderung besteht für die Kinder darin, sich immer wieder zu veranschaulichen, dass das, was sie sehen, nicht die Realität ist. Dass da Filter eingesetzt, retuschiert, in Szene gesetzt und inszeniert wird, weil Menschen in Social Media Geld verdienen mit ihren Accounts. Weil das die shiny happy Insta-Welt ist, die da gezeigt wird, und nicht das echte Leben”, sagt sie.

Und doch: Es ist einfach unglaublich schwer, gegen die Flut der Bilder anzukommen, findet sie. Denn auf Instagram – aber auch anderswo im Netz, im Fernsehen, in der Werbung – prasseln Beautystandards wie Mini-Taillen, gebleachte Zähne und gemachte Brüste auf Kinder regelrecht ein. “Das ist dann das, woran die Kinder sich messen, womit sie sich vergleichen – und wogegen sie in ihrer eigenen Wahrnehmung immer „verlieren“. Das ist wie die bildgewordene Stimme von Heidi Klum in ihren Köpfen, die quakt „Ich habe heute leider kein Foto für dich“. Das ist toxisch”, sagt Anna.

Ihr Tipp: Immer und immer wieder darüber reden und die Kinder anhalten, diese Bilder mit den realen Menschen, die sie kennen zu vergleichen. “Immer wieder stellen sie fest, dass eigentlich in ihrem wirklichen Umfeld niemand so aussieht, wie Insta-Barbie. Das hilft oft, löscht aber nicht die Bilder, die sich in ihren Köpfen ablegen. Leider bleibt da nur das wiederholte Thematisieren, immer und immer wieder – denn einen Filter für Kim Kardashian und Konsorten, die appetitzügelnde Lollis bewerben, gibt es leider nicht”, sagt Anna.

Den hätten wir auch manchmal gerne!