Let’s talk about: Alleinerziehend ist nicht gleich bemitleidenswert!

Wenn ihr allein- bzw. getrennterziehend seid, wird euch dieser oder ähnliche Sätze sicherlich auch schon begegnet sein. “Oh krass, du bist alleinerziehend, das könnte ich nicht!” Oder auch wahlweise: “Mensch, jetzt wo mein Mann gerade zwei Wochen auf Geschäftsreise ist, seh ich erstmal, was man als Alleinerziehende so leistet. Mein voller Respekt!” Oder gar noch “besser”: “Mein Mann ist gerade unter der Woche nicht da, ich bin also quasi auch alleinerziehend!”

Wow, denke ich da immer. Das impliziert ja so Einiges. In erster Linie ein ganz schön negatives Bild der typischen “Alleinerziehenden”. Daher mein Appell: Hinterfragt das doch bitte alle mal!

Denn für mich hat das Leben als Alleinerziehende auch ganz schön viele Vorteile. Natürlich kann ich da in erster Linie nur von mir selbst sprechen. Und muss dazu sagen, dass ich zwar einen Großteil der sogenannten Care-Arbeit alleine übernehme, seit der Vater meines Sohnes und ich uns getrennt haben. Aber dass auch er Verantwortung übernimmt, sowohl in Sachen Betreuung (eine feste Regelung gibt es nicht bei uns, gab es noch nie. Im Durchschnitt ist das Kind aber ca. 1 bis 2 Tage pro Woche bei seinem Vater), als auch finanziell. Natürlich gibt es viele Fälle – auch in meinem Freundes- und Bekanntenkreis – wo das nicht so ist und alleine erziehen wirklich heißt, ALLES ALLEINE zu übernehmen. Die komplette Mental Load, die alleinige Verantwortung über alle Entscheidungen, die ganze finanzielle Last, tatsächlich im wahrsten Sinne auch die alleinige Sorge.

Strukturell: JA: Persönlich: Nicht immer.

Und natürlich ist und bleibt die strukturelle Benachteiligung Alleinerziehender, die ich hier mitnichten klein reden will! Denn immerhin sind Alleinerziehende rein statistisch betrachtet die Gruppe mit dem größten Armutsrisiko. Und auch ich bin mir durchaus bewusst: Bin ich beispielsweise auf Wohnungssuche, habe ich erstmal die schlechteren Karten gegenüber einer Familie mit doppelverdienendem Elternpaar. Und was das in einer Stadt wie Berlin heißt, in der bezahlbarer Wohnraum sowieso Mangelware ist, muss ich wohl Niemandem näher erläutern. Steuerlich sieht es da auch immer noch nicht besser aus. So werde ich als Alleinerziehende in der Steuerklasse 2 in ganz vielen Fällen noch schlechter gestellt, als ein verheiratetes (kinderloses) Paar. Alles dank antiquierter Modelle wie dem “Ehegattensplitting”. Wie gesagt, das alles ist mir bewusst, das prangere ich an und wünsche mir seitens der Politik wesentlich mehr Unterstützung!

Dennoch sehe ich Vorteile in meinem derzeitigen Lebensmodell. Und auch in meinem Umfeld gibt es viele Alleinerziehende, die so gar nicht in die Rolle der bemitleidenswerten Alleinerziehenden passen wollen. Oft denke ich sogar: Wäre nicht die strukturelle, finanzielle Ungleichheit, würden sich vielleicht noch viel mehr Menschen für dieses Lebensmodell entscheiden.

Kürzlich bin ich irgendwo in den Tiefen des Internets über etwas gestolpert. Da ging es um den Ruf der “Singles” und es wurde hinterfragt, warum das Image des Singles eigentlich so dermaßen schlecht sei in unserer Zeit. Genau das habe ich mich auch oft gefragt. “Lieber eine schlechte Beziehung, als gar keine” – so hat man den Eindruck. Und oft komme ich nicht umhin, mich zu fragen, ob ich “tauschen” wollen würde mit der ein oder anderen Paar- oder Familienkonstellation. Die Antwort lautet in den allermeisten Fällen: “Nö!” Klar, es gibt auch bei mir “solche und solche Tage”. Doch überwiegend bin ich zufrieden mit dem, was ich habe. Ich habe zum Beispiel viel weniger Stress in der Alltagskoordination: Da gibt es eben nur mein Kind und mich. Unsere WG funktioniert gut. Klar,  mal mehr, mal weniger. Aber sie funktioniert. Und je älter mein Kind wird, desto leichter wird auch da alles. Wir sind ein gutes und eingespieltes Team!

Weniger Stress – und echte Pausen

Dann profitiere ich natürlich auch davon, dass ich immer wieder kleine Pausen von unserem gemeinsamen Alltag habe. Dann, wenn er bei seinem Vater ist. Oder auch, was tatsächlich bei uns recht regelmäßig vorkommt, bei engen Freunden. Und ich bin mir sicher, dass auch mein Sohn von diesen kleinen “Auszeiten” bei ihn liebenden Menschen profitiert. Er war dadurch tatsächlich auch schon recht früh sehr “selbständig”. Ich finde es toll, dass er von klein auf erfahren durfte, dass ich zwar sein “sicherer Hafen” bin, dass er aber auch auf andere Menschen in seinem Umfeld vertrauen darf. Und dass das unsere Beziehung umso inniger macht. Als kürzlich eine Kollegin erwähnte, wie sehr sie es genossen habe (und wie sehr sie es vor allem auch brauchte!), mal eine kleine Auszeit im Hotel nehmen zu dürfen, so mit Essen und Film im Bett und morgens mal richtig ausschlafen, da dachte ich mir nur: Okay wow, das hab ich einfach wirklich regelmäßig…

Ich bin natürlich sehr privilegiert (eigentlich mag ich dieses “Modewort” nicht sonderlich, aber hier trifft es zu). Denn obwohl meine Familie nicht in der Stadt lebt, habe ich ein wahnsinnig gutes Netzwerk und einen tollen Freundeskreis. Da gibt es tatsächlich viele Alleinerziehende, aber genauso auch “klassische” Familienkonstellationen und eben auch gute FreundInnen ohne Kids.

Ein gutes Netzwerk ist wichtig

Ich bin mir aber auch bewusst, dass ein solches Netzwerk und ein Kreis toller Menschen ebenso wenig selbstverständlich ist, wie eine gute Partnerbeziehung. Und auch da stecke ich sicherlich “Arbeit” rein und bin vielleicht auch gerade wegen meines Single Parent Daseins streckenweise engagierter in meiner Freundschaft- und Netzwerkpflege, als ich das in einer klassischen Familien-/Partnerkonstellation wäre.

Als es kürzlich in einem Facebook Forum für Single Parents darum ging, dass viele die Sonntage vor allem als sehr einsam empfinden und sich sogar manchmal richtig ausgeschlossen fühlen von Paaren und Familien an diesem Tag, dachte ich mir: “Ist bei mir überhaupt nicht so.” Egal ob ich Ausflüge mit Kind/ern unternehmen will, oder aber auch ein “kindfreies” Wochenende habe: ich finde immer “Partner in Crime”. Sei es fürs Spaßbad zum Familientarif, ein gemeinsames Essen oder auch einfach mal um die Häuser zu ziehen, wie in “alten Zeiten”. Und das Beste: Ich muss einfach mit niemandem großartig rumdiskutieren, ich kann’s einfach machen! Okay, ja, außer mit meinem Kid ab und zu…

Weniger Debatten

Auch ansonsten muss ich mit niemandem debattieren über gerechte Aufteilung im Haushalt, über die Verteilung der Arbeitsstunden, über Spülmaschine ausräumen etc. Klar, grundsätzlich finde ich das Modell 50/50 Elternschaft auch super verlockend. Kenne aber wenige, bei denen das im Alltag tatsächlich richtig funktioniert. Und bevor ich mich da ständig rumärgere, meine Energie dabei verliere und am Ende doch nicht happy bin mit der Aufteilung, mache ich doch lieber gleich meins.

Ich denke, dass ein Großteil dieses “Mitleids”, welches gerade alleinerziehenden Frauen entgegen gebracht wird, auch Projektion ist. Dass man sich vielleicht insgeheim auch selbst manchmal nach mehr Freiheit und Unabhängigkeit sehnt. Ich will niemandem dieses Modell “aufs Auge drücken”, aber ich für meinen Teil kann mich so gar nicht wiederfinden im Bild der “bemitleidenswerten Alleinerziehenden”.

Und ich würde mir diesbezüglich einfach ein wenig mehr Offenheit und weniger Schubladendenken wünschen!

Foto: Anne Freitag / aus unserem Porträt mit Katja Hentschel