Kleine Geburten – Helena und ihr langer Weg zum späten Glück

Helena hat erst spät den Mann fürs Leben und zum Kinderkriegen kennengelernt. Dafür ging es dann gleich ziemlich fix. Doch bevor sie Mutter wurde, musste sie erst einige Schicksalsschläge verkraften. Ihre Geschichte lest ihr hier. Ich mag besonders, dass sie trotz der vielen Schicksalsschläge nie den Humor verloren hat. Danke, Helena!

Ich bin Jahrgang 1975. Meine Tochter ist im Mai 2016 auf die Welt gekommen. Ich bin also spät Mutter geworden. Später als ich es gewollt hätte. Aber dazu hat immer der richtige Mann gefehlt. Als er dann plötzlich da war, ging es ganz schnell. Im Herbst 2014 die Pille abgesetzt und schon Ende Dezember den positiven Test in der Hand gehalten. Hoppla. So schnell hatten wir damit gar nicht gerechnet.

Ein verträumt verkichertes Silvester bei Freunden in Hamburg, die Gedanken schon im nächsten Jahr, in dem ja nun alles anders werden würde. Und das wurde es. Allerdings nicht so wie wir es uns erhofft hatten.

Mein Körper reagiert auf Schwankungen im Hormonhaushalt sehr sensibel – ich leide zum Beispiel jeden Monat unter starkem PMS – und so wusste ich Anfang Januar 2015 recht schnell, dass etwas nicht in Ordnung war, als ich vermeintlich grundlos permanent in Tränen aufgelöst war. An einem Sonntagnachmittag ging mein Freund mit mir aus, um mich auf andere Gedanken zu bringen – auf der Toilette fing die Schmierblutung an. Am nächsten Morgen unter der Dusche war plötzlich das Spannungsgefühl aus meinen Brüsten weg, der Gang zu meiner Frauenärztin eigentlich nicht mehr nötig, aber ich brauchte die Gewissheit, wollte von ihr die Worte hören. Meine Frauenärztin war nicht da, ich war bei ihrer wenig empathischen Kollegin, die mich nicht fragte, ob ich eine Krankschreibung brauchte und mich nur recht bald zur Kontrolle des HCG-Wertes wieder einbestellte.

Ich wusste gar nichts – und wurde nicht aufgeklärt

Und so ging ich arbeiten, stand am Abend einen repräsentativen Termin durch, und fiel dann später meinem Freund an der Haustür weinend in die Arme. Damals wusste ich noch nicht, dass mir schon zu diesem Zeitpunkt eine Hebamme hätte helfen können (vorausgesetzt ich hätte eine bekommen, aber das ist ja ein ganz anderes Thema…) und auch nicht, dass so viele Frauen Fehlgeburten haben. Natürlich hatte ich davon gehört, dass in den ersten zwölf Wochen “etwas schief gehen” kann, aber in meiner Vorstellung hatte diese Möglichkeit nie Platz. Im Job biss ich die Zähne zusammen, um in jedem unbeobachteten Moment zu weinen. Und die Tränen strömten und strömten aus einer schier unerschöpflichen Quelle.
Mein Freund war ziemlich überfordert und sah die Fehlgeburt eher als persönliche Niederlage denn als Schicksalsschlag an. Natürlich war er darauf noch viel weniger vorbereitet als ich. Wir haben viel geredet. Zu verstehen, worum wir trauern, war für uns beide nicht einfach. Es gab ja nichts Konkretes, was man Vermissen konnte. Es ist nicht das Lachen oder die Warmherzigkeit einer Person, was plötzlich fehlt. Vielmehr stirbt mit dem winzigen Menschen in einem drin ja eine Zukunft, die so nicht mehr stattfinden wird. Zukunft bedeutet Hoffnung und die Hoffnung zu verlieren, das ist schlimm. Natürlich kommt dazu auch die Angst, dass etwas mit dem eigenen Körper nicht stimmt oder dass man schlicht zu alt ist für Kinder und man sich anders einrichten muss im eigenen Leben.

Dann auch noch Prenzlauer Berg

Damals haben wir noch in Berlin gewohnt, Prenzlauer Berg, ausgerechnet. Ich konnte die ganzen Schwangeren, Kinder, Buggys, Babyläden, Hebammenpraxen nicht ertragen. Wieso dürfen die das haben, das Glück, und ich nicht? Schnell kam da Bitterkeit und Neid. Und dann, als die Hormone wieder im Lot waren, auch Demut. Ganz viel davon. Vor dem Leben. Und die Erkenntnis, dass nichts selbstverständlich ist und man die Geschichten hinter den ganzen Babys und Schwangeren nicht kennt.

Recht bald kam meine Periode wieder und wir beschlossen, es selbstverständlich schnell noch einmal zu versuchen – und siehe da, Mitte März habe ich wieder positiv getestet. Hurra. Ein Osterfest beim Bruder meines Freundes, der gerade zum dritten Mal Vater geworden war.
Wir schauten aufmerksam und mit großen Augen: Würden auch wir bald so einen kleinen Menschen im Arm halten? Dieses Mal schien alles gut, mein Hormonhaushalt war auf schwanger geschaltet und so war ich völlig unvorbereitet und fassungslos, als die Frauenärztin bei der Routineuntersuchung vier Wochen später einen Missed Abort feststellte – das kleine Herz hatte einfach aufgehört zu schlagen. Nur mein Körper wusste das noch nicht. Und nun? Meine Frauenärztin sagte mir, dass der übliche Weg eine Überweisung zur Ausschabung ins Krankenhaus sei, dass dies aber nicht zwingend notwendig sei und ich mir auch überlegen könnte zu warten, bis mein Körper den Embryo von allein freigibt. Das erschien mir sofort richtig und so nahm ich dieses Mal dankend eine Krankschreibung an und ruhte mich zu Hause aus.

Das Verrückte war nur, dass ich mich noch wohl fühlte. Mein Kopf wusste, dass in meiner Gebärmutter ein toter Embryo darauf wartete, abgestoßen zu werden, mein Köper war aber noch völlig unter dem Einfluss der Schwangerschaftshormone. Und blieb es auch noch sehr lange. Regelmäßig ging ich zur Blutabnahme bei meiner Ärztin, um die Entzündungswerte zu kontrollieren und nach zwei Wochen auch wieder zur Arbeit. Dieses Mal konnte meine Freund mir gegenüber seiner Trauer Ausdruck verleihen. Das hat uns beiden gut getan. Ende April merkte ich, dass meine Stimmung sich veränderte, es ging also los. Und dann, in einer Nacht Anfang Mai, erlebte ich das, von dem ich damals noch nicht wusste, dass man es ‘Kleine Geburt’ nennt. Ich wäre auf die schlimmen Schmerzen, das Erbrechen, die Krämpfe, die schiere Dauer des Ganzen gerne etwas besser vorbereitet gewesen. So saß ich eine Nacht auf der Toilette, das Handy umklammert, habe Dokus geguckt, wann immer ich Ablenkung brauchte und habe ansonsten alles alleine durchgestanden. Mein Freund hat mir das übel genommen und war natürlich sehr besorgt, aber ich wollte ihn damals nicht dabei haben.
Vielleicht würde ich das heute anders entscheiden. Irgendwann am frühen Morgen war alles vorbei. Ich habe mich sehr erschöpft mit einer Decke aufs Sofa gelegt, mein Freund hat mir einen Tee gebracht, ich habe mich für den Tag krank gemeldet und bin dann schnell eingeschlafen.

Kleine Geburt – ein wichtiges Erlebnis

Obwohl diese Erfahrung wirklich extrem schmerzhaft war, zählt sie zu den Wichtigsten in meinem Leben. Es war ein kraftvoller, selbstbestimmter Weg. Mein Körper durfte selber entscheiden, wann der richtige Zeitpunkt ist. Ich hatte Zeit Abschied zu nehmen. Ich glaube nur wenige Frauen wissen um diese Möglichkeit, weil die schnelle Überweisung zur Ausschabung immer noch der übliche Weg ist. Ich finde es wichtig, darüber aufzuklären, dass ein Eingriff nicht alternativlos ist. Es ist wohl auch möglich, bei einer Kleinen Geburt eine Hebamme dabei zu haben oder starke Schmerzmittel – zu beidem würde ich raten. Denn der Schmerz ist ja anders als bei einer Lebendgeburt nicht von positiven Gefühlen getragen und deshalb wirklich schwer auszuhalten.

Auch dieses Mal kam meine Periode schnell wieder und mein Freund und ich versuchten es weiter. Im Sommer besuchte ich eine Freundin in Frankreich, ich hatte wieder so ein Gefühl, aber es war noch zu früh für einen Test. An einem Tag wurde mir plötzlich übel, ich bekam Schüttelfrost und starke Schmerzen, am Abend musste ich mich übergeben. Einen Tag später, ausgerechnet am Rückreisetag, setzte eine heftige Blutung ein. Ich konnte vor Schmerzen kaum laufen und musste meinen Freund bitten, mich vom Flughafen abzuholen. Da auch meine Stimmung auf dem absoluten Tiefpunkt war und ich wieder einmal überhaupt nicht mehr aufhören konnte zu weinen, ging ich am nächsten Tag zu meiner Frauenärztin, um zu testen, ob ich wieder schwanger gewesen war. Und siehe da, der HCG-Wert war erhöht, also wieder eine Fehlgeburt.

Daraufhin drängte mein Freund darauf, eine Kinderwunschklinik zu Rate zu ziehen. Er wollte nicht, dass ich das nochmal durchstehen muss und auch ihm ging langsam die Kraft aus. Ich konnte ihn verstehen, allerdings war ich mir nicht sicher, ob man uns dort helfen können würde – schwanger zu werden war ja nicht das Problem. Meine Frauenärztin überwies mich sicherheitshalber auch noch in die Gerinnungsambulanz und dann fuhren wir erstmal in den Urlaub. Dort machte mir mein Freund einen Heiratsantrag: Egal ob wir Kinder bekommen oder nicht, ich möchte mein Leben mit dir verbringen. Wieder Tränen. Diesmal vor Glück. Wirklich der Richtige.

Zurück in Berlin. Der Gerinnungsspezialist: Sie haben keine Gerinnungsstörung, aber wenn Sie noch einmal positiv testen, spritzen wir Heparin. Die Frauenärztin: Sie haben zwar keinen Mangel, aber bei einer erneuten Schwangerschaft nehmen Sie in den ersten zwölf Wochen Progesteron. Der Kinderwunscharzt: Ihr Schilddrüsenwert ist minimal zu niedrig, ich verschreibe Ihnen L-Thyroxin. Im September 2015 habe ich wieder positiv getestet und alles genommen, was die Ärzte mir verschrieben haben.

Ob davon irgendetwas ausschlaggebend dafür war, dass diese Zauberbohne bei uns geblieben ist, werden wir nie erfahren.
Aber am errechneten Termin kam sie auf die Welt.