Geburten auf Instagram – endlich kein Tabu mehr!

Meine kleine achtjährige Tochter hat ein neues Sendung-mit-der-Maus. Wenn wir beide am Sonntagmorgen schon wach sind, während das Teenie-Girl gerade den Lang-Schlaf für sich entdeckt hat, kuscheln wir uns aufs Sofa und gucken Geburts-Clips. Im 50-Sekunden-Takt kommen Babys aus Frauen heraus.

Unter Wasser, mit dem Popo zuerst, auf das heimische Bücherregal gestützt, von mir aus im Spülsaum karibischer Wellen. Mit Nabelschnüren und Plazenten und allem, was sonst eben dazu gehört. Mit Geschlechtsorganen in Aktion eben auch.

Creepy? Das ist jetzt vielleicht nicht das Naheliegendste der Welt – nun sind meine Töchter aber eben Hebammentöchter, und Vieles von dem, was meinen Beruf auszeichnet, ist nun mal sehr körperlicher Natur. Und für mich ist es das sprichwörtliche „Natürlichste der Welt“.
Das, was wir da gucken, ist neu im Social-Media-Fernsehen. Und ich halte es natürlich für pädagogisch deutlich wertvoller, als Binge-Schminktutorial-Watching, was bei den Mädchen von heute so ungefähr der allererste Youtube-Kontakt ist (bei uns weiterhin hoch im Kurs: Cupcake-Toppings und siebenstöckige Torten).
Meine heranwachsenden Töchter, die bald schon Frauen sind, kaum hat man noch dreimal geblinzelt, wachsen mit Youtube und Instagram auf. Und neuerdings kann man eben auf Instagram nicht mehr nur die Durchführung korrekter Duckface-und-Po-Rausstreck-Selfies angucken, sondern auch, wie Gebären geht.

Das sind doch mal Skills, die man eines Tages wirklich gut gebrauchen kann!

Denn was ja geschieht, da können wir Mütter uns noch so sträuben, ist, dass mit all diesen Bildern, die unsere Töchter beim Heranwachsen begleiten, ein Bild von Frausein geprägt wird. Und, zurück zu „meinem“ Thema, das Bild, das wir selbst vom Gebären haben (und das uns eines Tages begegnen wird und worüber wir nicht in allererster Linie nachdenken), hängt natürlich damit zusammen, wie wir mit diesen Kontexten aufwachsen und was unsere Mütter uns über Schamhaare, Menstruation, Stillen, Kinderkriegen vorleben und erzählen.

Es soll hier gar nicht Thema sein, was ich morgens mit meinen Kindern im Wohnzimmer mache, Birth-Clips gucken ist vielleicht auch ein bisschen speziell. Aber damit soll zum Beispiel auch deutlich werden, dass ich Bilder und Filme übers Gebären durchaus für jugendfrei halte. Auch wenn Muschis und Brüste darin vorkommen. Seit einigen Wochen sieht Facebook (und damit auch Instagram) das dankenswerter Weise genau so.

Seit kurzem werden Bilder vom Stillen mit Nippelblitzern und von Geburten mit Schamlippenblitzern nicht mehr gelöscht. Zuvor geschah das flächendeckend, ganze Accounts wurden im Wiederholungsfall regelmäßig gesperrt. Damit wurde Gebären und Stillen als „anstößig“ oder „unangebracht“ direkt neben pornographische Inhalte gestellt. Dass das auf verschiedenen Ebenen Blödsinn ist (und ein fatales Signal), brauche ich hier vermutlich nicht genauer zu verargumentieren.
Aber die Sittenwächter hatten ein Einsehen! Das unermüdliche Kämpfen von #stopcensoringbirth und #stopcensoringbreastfeeding hatte Erfolg!

Seit kurzem jugendfrei

Natürlich muss sich niemand Fotos von Geburten anschauen und es gibt sicher etliche Menschen, Frauen wie Männer, die das aus ganz unterschiedlichen Gründen nicht wollen. Einige Bilder sind auch schon recht explizit.
Es geht für mich dabei aber auch nicht darum, ganz genau zu sehen oder sehen zu sollen, wie ein Babyköpfchen im Detail aus einer Scheide herauskommen kann (obwohl das für mich persönlich ein ganz wunderbar-abgefahrener Anblick ist). Oder gar darum, gänzlich alle persönlichen Grenzen zu verlieren und Instagram per live-story demnächst flächendeckend mit in die Kreißsäle zu nehmen.

Ich halte es aber für wichtig, dass diese neuere Bewegung der Geburtsfotografie Bilder zeigt, die wir sonst nicht sehen und die unser Bild von Gebären prägen. Dinge, die wir nicht sehen, vermitteln zu wenig „role-modeling“ und „how-to“ in Sachen, von denen wir einfach erstmal nicht wissen, wie das geht. Ich erlebe das in meinen Kursen immer wieder, wie fest das Bild der „Frau-liegt-irgendwie-im-Bett-und-tendenziell-auf-dem-Rücken-Geburt“ in unseren Köpfen und Vorstellungen von „normale Geburt“ eingebrannt ist.

Es braucht Bilder, um die Wahlmöglichkeiten und Optionen, die Frauen in einem freien, starken, selbstbestimmten Geburtsumfeld haben, klarer zu formulieren. Es braucht Bilder, um Frauen im Vorfeld an sich glauben zu lassen und an diese basale Grundkompetenz: Ich kann gebären!
Auf den Bildern, von denen ich spreche, bekommt nun ein Gesicht, was Frauen und Paaren sicher theoretisch – etwa in der Geburtsvorbereitung – begegnen wird, zu dem wir aber noch keine Bilder von Normalität haben. Das beginnt bei recht banalen Vierfüßlerpositionen (anatomisch betrachtet eine der sinnvollsten Positionen fürs Gebären überhaupt), dem praktischen Einsatz von Tuch und Pezziball und reicht über Wassergeburten und Geburten aus Beckenendlage, die übrigens mit #breechbaby verhashtaggt sind.

Wir brauchen Bilder, um uns nicht von risiko- und gefahrenfokussierten Menschen das immer gleiche Märchen erzählen zu lassen, dass Gebären permanent mit diffusen Gefahren einhergeht und intensivmedizinische Beaufsichtigung braucht. Das auf Pritschen in Hüfthöhe stattfinden, rechts und links eine eifrige und proaktive Person mit Sachverstand. Dass Gebären nicht Entbunden-Werden heißt.
Und dafür können wir einfach, staunend wie meine achtjährige Tochter, wunderbaren, kraftvollen, und über sich hinauswachsenden Frauen dabei zuschauen, wie sie das machen: Leben hervorbringen. Ein Universum gebären. Das geht nun, archaisch (denn so ist es) und unzensiert.

Ich sage also: Danke, Instagram!

Und hier noch zwei meiner Lieblingsaccounts:  @badassmotherbirther und  @birthofamama (von ersterer stammt auch das Titelbild)