Ein Kind alleine zu erziehen, ist kein gesellschaftlicher Ausnahmezustand

Es gibt Momente, Tage, zuweilen gaaanze Phasen - da suhle ich mich als Alleinerziehende regelrecht in meiner Situation. Wenn das Kind einmal wieder wochenlang krank ist und das Leben mit ihm zur Isolationshaft gerät. Wenn ich mit verheirateten Freunden Steuersätze vergleiche. Wenn ich auf Facebook angebe, an irgendsoeiner ultratollen Berliner Abendveranstaltung teilnehmen zu wollen, ich realistisch betrachtet aber dann doch wieder zu geizig bin, einen Babysitter zu engagieren.

Und dann kotzt mich mein Kind gestern Abend an und alles ist halb so schlimm, weil ich schon schaffe, es und mich und die kontaminierte Wäsche abzuduschen, das Bett neu zu beziehen, den Boden zu wischen, das blasse Kind in Handtuch und Wolldecke auf dem Sofa zu parken, ihm noch einmal über die Wange zu streicheln, ehe ich Tee koche, bei den Nachbarn nach Salzgebäck klingele, selbst irgendwann über der Schüssel hänge und doch ganz deutlich spüre: wie stark ich eigentlich bin und mehr noch, dass sich mein Leben nicht darüber definiert, was da draußen läuft oder auch nicht, und dass die Steuerregelungen für den Arsch sind – ich daran ja aber doch nichts ändern kann.

Dass das alles hier machbar ist, wird mir also oft und bezeichnender Weise in solchen Extremsituationen klar.

Was mir hingegen noch nicht so häufig passiert ist: von außen damit konfrontiert zu werden, wie prekär meine Lage ist, weil so ein Leben als Alleinerziehende das qua definitionem doch sein müsste: schwierig. Davon lese ich eigentlich dieser Tage vornehmlich in Berichten darüber, wie die Gesellschaft auseinander driftet, die Schere zwischen Armen und Reichen immer größer wird, für letzteres Bild immer gerne die Alleinerziehenden als Verlierer des “Systems” bemüht werden. Marie hat irgendwann Mal hier genau über bzw. gegen diesen Eindruck angeschrieben. Bei mir wollte er sich bislang jedenfalls nicht so recht einnisten. Ich hatte einfach keinen Bezug dazu und deshalb nicht den Eindruck, mich dagegen wehren zu müssen.

Bis dann vor kurzem – und davon habe ich auch in unserer ersten Podcast-Folge kurz erzählt – eine Freundin mich damit konfrontierte. Noch dazu eine gute und eine Frau und Mutter, die mich in den letzten Jahren eher bestärkt hat, wenn ich einmal durchhing, dass ich das doch alles eigentlich ganz gut hinbekäme.

“Wie bitte?” denke ich also, während jene gute Freundin rauchend neben mir sitzt und alle Klischees abfeuert, die da draußen über Alleinerziehende kursieren bis hin zum Stichwort “Stigma”, wie einen die anderen als gescheitert wahrnehmen müssten und in mir der Gedanke keimt, dass es die eine Sache ist, sich selbst hin und wieder zu bemitleiden, die andere, wenn andere einen in diese Ecke drängen.

In dieser Situation ist in mir jedenfalls der Widerstand gegen die Annahme, das Leben als Alleinerziehende sei vornehmlich prekär, regelrecht angeschwillt. Klar, ist das hier nicht immer ein Spaziergang. Manchmal wünschte ich sehr dringlich zu wissen, wo der Notausgang ist, bzw. wird mir alles zu viel. Insbesondere dann sind mir auch jene Alleinerziehenden suspekt, die kommunizieren, dass es allein sehr wohl sehr gut ginge und dann geht es mir eine Woche später wieder ganz gut und ich sage selbst so Dinge, wie Katja Hentschel in diesem Interview.

Demut vor den anderen

Vor allem, wenn ich sehe oder lese, wie es anderen geht. Wie etwa vergangene Woche, in der mir eine Frau in einer Flüchtlingsunterkunft gegenübersitzt, die ich für einen Artikel besuche und die gerade mit dem dritten Kind schwanger ist, ihre zwei ersten Kinder aber im Sudan festhängen, weil sie weder Geld noch die Erlaubnis hat, sie nachzuholen. Sie sitzt da also, ganz gefasst und spricht ganz leise davon, dass sie nicht schaffe, ausreichend zu essen, weil sie sich so Sorgen mache. Und ich sitze ihr gegenüber, während die Dolmetscherin uns davon im Deutschen erzählt und finde alle meine Sorgen sehr trivial.

Was ich nicht trivial finde, ist hingegen, wie ein inzwischen sehr breit verankertes Lebensmodell, in diesem sehr reichen Land alleine Kinder groß zu ziehen, der Politik und Wirtschaft immer noch Anlass ist, Alleinerziehende einerseits am Rande der Gesellschaft zu definieren, andererseits aber keine Schritte einzuleiten, die dagegen etwas bewirken würden. Wie kann denn sein, dass verheiratete Paare immer noch so viel privilegierter behandelt werden als unverheiratete Eltern? Warum reden alle von der Auflösung der alten Arbeitsstrukturen in der Automatisierung, aber sich die Arbeitsstunden über den Tag, die Woche, den Monat so einzurichten, wie man es als Eltern bräuchte, ist immer noch ein Riesen Problem und Vollzeit im Büro jenseits der Kita-Öffnungszeiten Standard? Warum sind die Löhne in manchen Berufszweigen so niedrig, dass sich so manche Alleinerziehende gar nicht leisten kann, nicht Vollzeit zu arbeiten – und die Alternative bedeutet, in Hartz IV abzurutschen?

Abseits dessen wäre sicher allen Alleinerziehenden schon ein Stück weit geholfen, wenn ihnen häufiger jemand auf die Schulter klopfte und es mehr Anerkennung gäbe für das, was sie jeden Tag alleine reißen. Vielleicht stiege damit dann gesamtgesellschaftlich auch das Bewusstsein, wo Hilfen tatsächlich notwendig sind. Kinder alleine groß zu ziehen ist nicht ohne, aber wir sind inzwischen zu viele, als dass es unmöglich sein sollte.