Familie ist Arbeit – Beziehung auch

Ich denke, ich überrasche hier niemanden, wenn ich das sage: Familie ist Arbeit! Aber eben nicht nur im klassischen Sinn, sondern auch und vor allem in emotionaler Hinsicht. Was man dafür bekommt, ist es sowas von wert. Aber easypeasy läuft es eben auch in den wenigsten Familien, insbesondere wenn man mehr als ein Kind hat.

Kinder haben unterschiedliche Temperamente, Erwachsene auch. Im Idealfall bekommt man Kinder, die einem ähnlich sind, die man gut nachvollziehen kann – manchmal aber auch nicht. Ich kenne viele Familien, wo beide Eltern eher träge und gemütlich sind und dann kam da plötzlich dieses hyperaktive, laute Kind ins Leben. Auch umgekehrt kann es zu Spannungen kommen: Eltern, die sehr laut und offen sind, können ein schüchternes, ruhiges Kind natürlich schlechter verstehen.

Es bedarf guter Antennen und viel Feinfühligkeit, auf Kinder einzugehen, die ganz anders ticken, als man selbst. Und auch das ist Arbeit. Nicht nur die Spülmaschine ausräumen, Wickeln, Baden, Essen machen ist Arbeit. Sondern emotional offen und reflektiert zu sein, auf die jeweiligen Bedürfnisse eingehen, sie sehen – auch das ist Arbeit. Da sitzen die Eltern dann am Abend da und wälzen Erziehungsratgeber, lesen Blogposts, diskutieren, streiten vielleicht sogar. Alles Arbeit – wichtige Arbeit!

Therapeuten – nicht nur was für Härtefälle

Ich höre gerne den Familienrat-Podcast von MitVergnügen und gleich in einer der ersten Folgen erzählt Matze da, dass er und seine Frau eine Familientherapeutin haben, die sie regelmäßig nach Hilfe fragen. Boah, was ein Luxus, dachte ich. Und auch, dass ich noch vor ein paar Jahren gedacht hätte, dass das bestimmt nur ganz krass verhaltensgestörte Eltern oder Kinder brauchen. Heute weiß ich es besser. In fast allen Familien gibt es regelmäßig Situationen, wo die Eltern denken: wir brauchen Hilfe. Meistens ist es mit ein bisschen Selbstreflexion und Recherche getan, aber so ein regelmäßiges therapeutisches Angebot würden sicher auch ganz ganz viele nicht ausschlagen.

Denn es müssen ja nicht immer die Eltern alleine sein, die das Problem lösen. Ich erinnere mich an eine Freundin, deren Tochter an einem Abend in großer Runde viel nörgelte, immer wegen etwas anderem. Die Mutter verlor langsam die Nerven, irgendwann nahm eine andere Freundin das Kind zur Seite und sagte: mir ist das auch oft ganz schnell zu viel mit so vielen Leuten. Manchmal will man die Menschen einfach lieber alleine haben. Die Tochter brach in Tränen aus und es war klar: DAS war es, was sie eigentlich beschäftigt hatte. Danach war übrigens alles gut. Manchmal muss es einfach nur raus. Ihre Mutter fühlte sich schlecht, sie dachte: warum habe ich das nicht gesehen. Und ich dachte: wir Eltern müssen nicht immer alles sehen. Im Idealfall sind wir umgeben von feinfühligen Erwachsenen, die unsere Kinder auch gut kennen und die vielleicht auch mal was sehen, was wir nicht erkennen.

Alles Arbeit

Oder man hat eben einen Therapeuten oder einen Familienpsychologen, den man fragen kann. Wäre das nicht toll, wenn es das mehr geben würde, wenn es mehr gefördert würde? Für Familien und auch für Paare. Vor kurzem las ich: “Die Obamas in der Paartherapie – obwohl sie so glücklich wirkten.” Und ich dachte: Ihr Idioten! Genau DESHALB sind sie so glücklich! Auch an einer Beziehung muss man arbeiten und es schadet gar nichts, wenn da mal jemand mit richtig Ahnung drauf schaut. Ich kenne niemanden, der Paartherapie nicht unheimlich hilfreich und fruchtbar fand. Und im Idealfall fängt man damit an, bevor einer von beiden unglücklich ist.

Aber es muss natürlich nicht immer eine Therapie sein. Viele Familien- und Paarprobleme bekommt man auch selbst gebacken, durch Reflexion, aufeinander zugehen, andere Meinungen und Gefühle zulassen und durch Reden, Reden, Reden. Ich erinnere mich so gerne an eine Familie, bei der ich in meiner Kindheit viel Zeit verbrachte. Es wurde geredet, geredet, geredet, gestritten, diskutiert, geredet. Ich fand das als Kind spannend – ich war ja alleine mit meiner Mutter, da gab es natürlich auch viele Gespräche, aber viel weniger Reibung – meine Freundin fand es damals wahnsinnig anstrengend. Heute ist sie ihren Eltern dankbar, denn sie weiß, dass die Familie nur so gut funktioniert hat (sie hat drei Geschwister), weil so viel geredet wurde, weil alle ihre Meinung gesagt haben, weil Streiten kein Tabu war – und so weiter. Die Familie streitet übrigens immer noch jedes Jahr an Weihnachten, es ist herrlich.

So hatte ich mir das nicht vorgestellt!

So ist Familie: laut, anstrengend, manchmal voller Konflikte. Aber eben auch voller Zusammenhalt, Verbundenheit, Vertrauen. Und so oder so: es ist Arbeit.

Das soll nicht heißen, dass man zu wenig gearbeitet hat, wenn eine Familie oder eine Beziehung zerbricht. Es gibt Konflikte, die lassen sich nicht lösen. Auch dann ist meist professionelle Hilfe unheimlich hilfreich, damit es nicht unschön wird. Aber die Intention dieses Artikels war vor allem: Man sollte kein falsches Harmoniebild von Familie haben.

Es gibt so oft Momente, wo ich denke: genau so habe ich mir das vorgestellt. Wenn der Bruder der Schwester im Vorbeigehen einen Kuss auf den Kopf gibt, wenn wir alle zusammen morgens im Bett kuscheln, wenn wir gemeinsam Pfannkuchen mampfen oder Fantasiegeschichten erfinden.

Es gibt aber auch so oft Momente, wo ich denke: So habe ich mir das nicht vorgestellt.

Aber Familie ist eben nicht nur Harmonie. Es ist ganz vieles. Oft anstrengend. Und jede Menge Arbeit. Aber es lohnt sich!