Eure 10 Fragen dringendsten Fragen rund um den Beckenboden

Der Beckenboden: Bestehend aus Muskeln und Bindegewebe ist er der untere Abschluss des Beckens. Er stabilisiert die Beckenorgane, die durch den aufrechten Gang des Menschen Druck nach unten ausüben. Der Beckenboden besteht aus drei Muskelschichten, die nur enge Öffnungen für den Darm, die Harn- und Geschlechtsorgane aufweisen. Und genau diese kleinen Öffnungen bilden gewissermaßen seine Schwachstellen. Durch schweres Heben, aber natürlich auch Schwangerschaft und Geburt kann der Beckenboden geschwächt werden, was dann schlimmstenfalls zu Inkontinenz bzw. einer Organsenkung von Harnblase und/oder Gebärmutter führen kann. Anja Sippel ist Physiotherapeutin und hat sich voll und ganz dem Beckenboden verschrieben. Ihr Buch “Der Mama Beckenboden Guide” bietet wertvolle Informationen, Tipps und auch Übungen, außerdem bloggt sie hier und auf Instagram zu dem Thema. In ihrer Praxis begleitet sie Frauen, die mit Problemen rund um den Beckenboden zu tun haben. Wir durften ihr zehn eurer dringendsten Fragen zum Thema stellen.

Liebe Anja,

 du bist ja ausgebildete Physiotherapeutin: Wie kamst du denn darauf, dich auf den Beckenboden zu spezialisieren?

Nach meinen drei Geburten habe ich selbst gemerkt, dass ich mit einer Organsenkung zu tun habe. Leider war es nicht so einfach, jemanden zu finden, der mich mit meinen Beschwerden ernst nahm und mir helfen konnte. Kurzerhand meinte meine Hebamme: “Spezialisier dich doch selber!” So folgten die ersten Fortbildungen und das Herzblut hat mich gepackt für das so sensible und oft tabuisierte Thema Frauengesundheit.

Du bietest Kurse und individuelle Sitzungen rund um den Beckenboden an. Mit welchen Problemen, Beschwerden und Sorgen kommen Frauen üblicherweise zu dir?

Mit dem Gefühl, dass es nach der Geburt nicht mehr so ist wie vorher. Sei es Urinverlust beim Husten oder Trampolin springen, unkontrollierter Windverlust oder der Schwierigkeit, Stuhlgang aufzuhalten. Viele haben auch ein Weite- oder Fremdkörper-Gefühl in der Vagina, ein Schweregefühl nach langem Tragen, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr oder einen nicht kleiner werdenden Bauch durch eine Rektusdiastase. Oft wird mir berichtet, dass sonst in ihrem Umfeld kaum jemand darüber spricht und die GynäkologIn sagt, das sei alles normal nach der Geburt. Da ist leider häufig eine gewisse Frustration und Unsicherheit da. Weshalb es mir wichtig ist, viel darüber zu sprechen und aufzuklären.

Das finden wir auch wichtig! Deshalb kommen jetzt die 10 dringendsten Fragen unserer Leserinnen!

1) Ich spüre, dass mein Beckenboden schwächer wird, obwohl ich einen Kaiserschnitt hatte. Kann das sein?
Ja, das kann sein. Auch die Schwangerschaft ist durch die veränderte geburtsvorbereitende Hormonlage und das zusätzliche Babygewicht eine vermehrte Belastung für den Beckenboden. Daher kann es schon in der Schwangerschaft zu Beckenbodenbeschwerden kommen, die auch danach noch da sein können und meist erst mit Beckenbodentraining langsam wieder verschwinden.

2) Von welchen Faktoren hängt es denn ab, ob ich mit steigendem Alter Probleme in dem Bereich bekomme?
Die Wahrscheinlichkeit, im Alter Probleme zu bekommen ist höher, wenn man in der Schwangerschaft durch die zusätzliche Belastung oder nach der Geburt Probleme hatte. Diese können ihre Ursache in Verletzungen der Beckenbodenmuskulatur, des Bindegewebes oder der Nerven während der Geburt haben. Oft werden die Beschwerden nach der Geburt besser, aber können dann nach den Wechseljahren wieder auftauchen, wenn das Gewebe durch die Hormonumstellung wieder weicher wird. Deshalb ist es wichtig, schon in der Schwangerschaft und nach der Geburt mit ganzheitlichem Beckenbodentraining zu beginnen.

3) Welche Rolle spielt der Beckenboden bei der Geburt?
Bei der Geburt führt der Beckenboden das Köpfchen mit durch das Becken. Er lässt langsam nach, gibt so dem Köpfchen Halt und begleitet es bei der Drehung. Deshalb lege ich in der Beckenboden-Geburtsvorbereitung einen Fokus auf das bewusste Entspannen des Beckenbodens und die Wahrnehmung, welchen Einfluss der Beckenboden auf die Beckenstellung hat.

4) Wenn ab und zu mal etwas Urin daneben geht, etwa beim Niesen oder Trampolin springen, ist das dann schon bedenklich?
Es sollte auf jeden Fall nicht als „normal“ abgetan werden. Auch wenn das nur ab und zu passiert, kann mit Beckenbodentraining eine Verbesserung erreicht werden. Und wir allem verändert werden, dass es schlimmer und häufiger wird!

5) Viele Frauen können generell ab einem gewissen Alter die Blase nicht mehr so gut halten. Hat das immer mit dem Beckenboden zu tun?
Im Alter verliert der Beckenboden – so wie jeder Muskel – an Muskelmasse, was zur Inkontinenz beitragen kann. Aber die Kontinenzsicherung ist sehr viel komplexer. Die veränderte Hormonlage spielt eine große Rolle und wirkt sich auf die Kraft, aber auch auf die Koordination der Beckenboden-, Blasen- und Harnröhrenmuskulatur aus. Da das ein sehr fein abgestimmtes System ist, können schon kleine Veränderungen zu Beschwerden führen. Unabhängig von den Hormonen können die sich verändernde Körperhaltung, eine inaktive tiefe Bauchmuskulatur oder chronische Verstopfungen den Druck auf die Blase unnötig erhöhen und Beschwerden begünstigen. Nicht zu vergessen ist auch, dass manche Medikamente als Nebenwirkung Inkontinenz haben. Wenn man einen Zusammenhang vermutet, ist es wichtig, das mit dem behandelnden Arzt abzuklären und anzupassen. Auch eine familiäre Häufung wird als Ursache vermutet.

6) Kann ich den Beckenboden auch im Alltag trainieren, oder muss ich unbedingt spezielles Training machen?
Wenn der Beckenboden zu schwach ist und Kraft aufgebaut werden soll, dann ist gezieltes Beckenbodenkrafttraining nötig. Da hilft es nicht, an jeder Ampel einmal „zusammen zu kneifen“. Allerdings haben Probleme nicht immer ihre Ursache in der Kraft, weshalb Beckenbodentraining mehr bedeutet als Krafttraining. Eine aufrechte Körperhaltung wirkt sich z.B. positiv auf die Beckenbodengesundheit aus und kann wunderbar im Alltag geübt werden. Auch beckenbodenfreundliches Husten oder Heben kann super in den Alltag integriert werden. Beim Husten sollte man den Oberkörper zu Seite drehen und beim Heben dem Rumpf nicht nach vorne über beugen, sondern in die Knie gehen, den Rücken gerade lassen und den Po herausstecken.
Woran Beschwerden liegen und ob du gezieltes Krafttraining oder etwas anderes brauchst, kannst du am besten mit einer spezialisierten Beckenbodenphysiotherapeutin herausfinden. So vermeidest du frustrierendes Training. Du findest eine in deiner Nähe auf dieser Therapeutenliste.

7) Ist regelmäßiger Sex eher gut oder eher schlecht für den Beckenboden?
Gut! Beim Sex entspannt sich der Beckenboden: Er wird besser durchblutet und kommt in Bewegung.
Ein verspannter Beckenboden oder Narben einer Geburtsverletzung können allerdings zu Schmerzen beim Sex führen und einen Teufelskreis von Verspannung und Schmerz auslösen. Dann kannst du dir bei einer spezialisierten Beckenbodenphysiotherapeutin oder Sexualtherapeutin Hilfe holen und lernen, den Beckenboden zu entspannen, um wieder die positiven Effekte genießen zu können.

8) Kann sich der Beckenboden auch auf die sexuelle Lust auswirken?
Ja, definitiv! Er liegt dicht bei der Klitoris und Vulvina bzw. ist sogar mit seinen Schwellkörpermuskeln Teil der Klitoris. Oft wissen wir nicht, dass wir Frauen auch Schwellkörper haben, aber die sind ähnlich groß wie beim Mann, liegen aber innerlich. So ist der Beckenboden direkt mit der sexuellen Lust verbunden. Ein flexibler und elastischer Beckenboden ist gefühlsintensiver, besser durchblutet und kann zu mehr sexueller Lust beitragen.

9) Kann ich den Beckenboden auch übertrainieren?
Ja! Wenn man zu viel Krafttraining macht, ohne ihn locker lassen zu können, kann er verspannen und dadurch auch Beschwerden wie Urinverlust oder Schmerzen auslösen. Das wird leider oft nicht erklärt, sondern es heißt immer nur: „anspannen, anspannen, anspannen“ Am besten an jeder Ampel. Aber es ist wichtig, in das Beckenbodentraining auch genügend Beckenbodenentspannung und vor allem Wahrnehmung mit einzubauen. Das ist der erste Schritt im Training. Nur ein entspannter Beckenboden kann effektiv trainiert werden. Ich vergleiche es gern mit meinen Schultern: Die heben und senken sich, wenn ich sie Richtung Ohren ziehe, wie der Beckenboden auch. Wenn sie nun schon in Ruhe an den Ohren kleben, weil sie eine zu hohe Spannung haben, würde es nichts bringen, sie noch weiter in die Anspannung zu trainieren. Hier ist der erste Schritt, sie zu entspannen, um sie dann im Krafttraining gut nach oben bewegen zu können. Das ist beim Beckenboden genauso.

10) Schlimmster Fall: eine Gebärmuttersenkung. Wem passiert das und was passiert da genau?
Normalerweise liegt die Gebärmutter oberhalb auf der Blase. Bei einer Senkung richtet sie sich auf und senkt sich mit der Schwerkraft Richtung Vulva ab. Je nachdem, wie weit der Gebärmuttermund in die Vagina hineinreicht, wird die Senkung in Grade eingeteilt. Eine Absenkung kann durch schwaches Bindegewebe gepaart mit chronischem Druck (durch ständiges Pressen auf der Toilette, Verstopfungen, krumme Körperhaltung, ständigem Baucheinziehen, Übergewicht, schwerer körperlicher Arbeit…) schleichend mit der Zeit passieren. Auch Verletzungen im Beckenboden oder der Beckenfaszie bei Geburten können zu einer Gebärmuttersenkung führen. Je nachdem, wie stark die Senkung ist, kann ganzheitliches Beckenbodentraining, ein Pessar oder als letzte Option eine Operation helfen.

Vielen Dank für deinen Input, liebe Anja!