„Es ist doch kein Wettbewerb darum, wer alleinerziehender ist als der andere!”

Es gibt ja so Frauen, die verfolgt man in den sozialen Netzwerken und findet ihre Themen und ihre Art, Dinge zu benennen, total super – kennt ihr, oder? Die Journalistin und Autorin Michele Loetzner ist so eine Frau – wir haben ihren Text im Süddeutsche Magazin über das Leben als Alleinerziehende in dritter Generation so gerne gelesen,  und sie war uns auch schon mit dieser außergewöhnlichen Recherche zu einem Tinder-Vampir aufgefallen. Michele hat außerdem ein Buch über Liebeskummer geschrieben. Gerade, als ich meine Fragen aufgeschrieben hatte, startete sie noch eine Umfrage auf Instagram, in der es um das Thema Bezahlung und Tagessätze ging, das musste dann auch gleich mit rein! Es sind also viele wichtige Themen, die Michele im Interview mit uns besprochen hat.

Du hast neulich drüben auf Instagram nach der Schmerzgrenze für Tagessätze gefragt, nachdem die Autorin Judith Poznan auch dazu gepostet hatte, dass Frauen oft viel zu wenig verdienen, aber auch einfordern. Wie erlebst Du die Problematik?

“Ich arbeite ja auch als Textchefin für Plan W, das Frauen-Wirtschaftsmagazin der SZ, und da bekomme ich schon mit, dass viele Frauen uns merkwürdige Fragen stellen. Fragen, die aus einer Zeit kommen, die wir alle ganz schnell hinter uns lassen sollten. Was sie zu einer Gehaltsverhandlung anziehen sollen, beispielsweise. Das sollte völlig egal sein! Natürlich gibt es Codes, aber das Denken, dass ich, wenn ich einen Hosenanzug anziehe und auftrete wie ein Mann, auch so bezahlt werde, ist Quatsch. Mädchen werden immer noch dazu erzogen, brav zu sein, während Jungs zugestanden wird, wild zu sein und zu kämpfen. Man denke nur mal an T-Shirts mit idiotischen Sprüchen wie “Boys will be boys”. Wenn man nicht so sozialisiert wird, für seinen Wert auch zu kämpfen, dann führt das unterm Strich auch dazu, dass man anders bezahlt wird und in einer Verhandlungssituation den Kürzeren zieht. Wenn eine Frau am Telefon sagt, sie kann gerade nicht, sie ist beschäftigt, dann gilt sie als bitchy, bei Männern nimmt man das gleiche Verhalten als fokussiert wahr. Der Gender Pay Gap ist real, Frauen arbeiten öfter in Berufen, die schlecht bezahlt sind, wie z.B. in der Pflege, aber es gibt auch Lohngefälle, wenn sie innerhalb eines Unternehmens die gleiche Position haben wie ein Mann.”

Kürzlich hast Du darüber geschrieben, wie es ist, in dritter Generation alleinerziehend zu sein. Was bedeutet dieser Begriff für Dich?

“Für mich bedeutet das, dass man die Verantwortung alleine trägt. Das kann auch der Fall sein, wenn man das Kind getrennt vom Partner erzieht. Wenn meine Tochter bei ihrem Vater ist, dann ist er in diesem Moment auch alleinerziehend. Ich lebe, seitdem meine Tochter ein Baby ist, von ihrem Vater getrennt, wir haben uns für ein Residenzmodell entschieden, bei dem er sie aber jede Woche sieht. Wir verstehen uns in Anbetracht der Umstände gut und stimmen in den großen Erziehungsfragen zu nahezu hundert Prozent überein, was ein wahnsinniges Privileg ist. Das Gerangel um die eine gültige Definition von “alleinerziehend” finde ich übrigens wenig hilfreich, und das an den Stunden festzumachen, die man mit dem Kind verbringt, auch. Es ist doch kein Wettbewerb darum, wer alleinerziehender ist als der andere! Überhaupt finde ich, die wenige Energie, die wir Eltern gelegentlich übrig haben, sollten wir nicht an derartiges Wetteifern verschwenden – das geht ja im Moment der Geburt los, Kaiserschnittmamas, die schief angeschaut werden, oder Mütter mit nur einem Kind, die ja gar nicht richtige Mütter sind im Vergleich zu solchen mit vier, oder oder… man kann das ad absurdum führen. Ich glaube, jeder und jede versucht die Elternrolle nach seinen oder ihren Möglichkeiten so gut wie möglich zu gestalten, und wir sollten uns dabei nicht gegenseitig fertig machen.”

Du schilderst in deinem Text ja auch, wie es für Deine Mutter und Deine Großmutter war – was hat sich geändert, und welche Hürden sind geblieben?

“Genau. Meine Großmutter hat den Vater ihres ersten Kindes verlassen, und zwar, als sie schwanger war, in den fünfziger Jahren! Er hatte sie betrogen, und sie stellte ihren Stolz über die Einfachheit der Bedingungen und zog meinen Onkel über ein Jahr alleine groß, ehe sie dann meinen Großvater kennenlernte, mit dem sie zwei weitere Kinder bekam. Eines davon war meine Mutter, die wiederum mit meinem Vater auseinanderging, als ich in der Grundschule war. Danach hatte ich aber auch einen Stiefvater und weiß, wie ein Familienleben im Patchwork aussehen kann und dass man oft nicht für immer alleinerziehend ist, wie das meist von außen gesehen wird. Sondern dass diese Modelle fluide sind, wie unser Leben ja auch. Heute ist Patchwork gesellschaftlich anerkannter, aber es begegnet mir immer wieder, dass auf alleinerziehende Mütter herabgeschaut wird. Mir hat es sehr geholfen, dass ich in meiner eigenen Familie Vorbilder hatte. Als ich in der Trennungsphase war, hatte ich keine Angst vor dem, was mich erwartet. Klar, ich hätte mir auch eine heteronormative Rama-Familie gewünscht, aber ich bedauere auch nicht ständig, dass es bei uns nicht so gekommen ist. Übrigens ist es wirklich erstaunlich, wie viele Frauen einem anvertrauen, dass die eigene Beziehung richtig verkorkst ist, sobald man erzählt, dass man getrennt ist. Ich denke, viele bleiben auch heute noch aus Angst vor dem sozialen Abstieg in Beziehungen, die nicht funktionieren. Das Armutsrisiko unter Alleinerziehenden ist ja auch durchaus real: Rund 50 Prozent der Kinder betrifft es.”

Was auch an der Benachteiligung durch den deutschen Fiskus liegt…

“Ja, von staatlicher Seite geschieht herzlich wenig, das zu ändern, denn Alleinerziehende werden so besteuert wie ein männlicher Single. Die einzigen Vorteile, die sie diesem gegenüber haben, sind das Kindergeld, das aber auch nur hälftig, wenn man sich das Sorgerecht teilt, und den Freibetrag, der gegenwärtig wegen der Corona-Pandemie auf ungefähr 4000 Euro angehoben wurde – aber wieder auf 1908 Euro abgesenkt werden wird. Ab diesem Betrag wird das jährliche Einkommen besteuert, und es kann durchaus vorkommen, dass man als alleinerziehende Mutter oder Vater den Spitzensteuersatz zahlen muss. Das deutsche Steuerrecht ist tendenziös und bevorzugt die Wirtschaftseinheit Ehe. Zudem trägt man als Alleinerziehende auch viele Kosten alleine, das sind die sogenannten Synergieeffekte – Ausgaben wie Miete, Strom, Internet, aber auch Lebensmittel, die man eher nicht in der günstigen Großpackung kauft. Ein weiteres Problem ist die Betreuung sowie wenig flexible Arbeitszeiten. Alleinerziehende Eltern, die nicht direkt neben einem Kindergarten oder Schule mit Hort wohnen, also die meisten, haben zusätzlich zu den acht Stunden ja auch Fahrtwege. Vielen ist es also gar nicht möglich, einer Vollzeitstelle nachzugehen, wenn sie ihr Kind nicht zehn Stunden betreuen lassen wollen. Davon abgesehen, dass es in den meisten städtischen Einrichtungen sowas gar nicht gibt — und Alleinerziehende sind sicher nicht die Hauptklientel in Privateinrichtungen. Corona hat Arbeitgeber gezwungen, da flexibler zu sein und es hat sich gezeigt, dass man zum Beispiel prima am Abend noch zwei Stunden Mails abarbeiten kann und dafür gar nicht im Büro sein muss. Ich würde mir wünschen, dass Arbeitgeber noch flexibler werden. Alleinerziehende werden häufig dem Prekariat zugeordnet. Väter werden in Erziehungsangelegenheiten belehrt, Müttern wird die Ernährerrolle nicht zugetraut. Beides qua Geschlecht, was totaler Bullshit ist. Ich würde mir wünschen, dass sich auch Menschen in klassischen Familienkonstrukten dafür interessieren, wie andere Lebensformen aussehen können. Denn was macht man, wenn das eigene Kind irgendwann sagt: “Ich bin in meiner Beziehung nicht glücklich und will mich trennen”? Schaut man dann auf sein eigenes Kind herab, nur, weil es einem vermeintlichen Ideal nicht entsprechen kann oder will?”

Eine weitere Deiner Recherchen hat ebenfalls riesige Wellen geschlagen – es geht um einen Mann, den Du auf Tinder kennen gelernt hast…

“Ja, danach explodierte mein Account wirklich, ich bin mit Mails und Nachrichten überschüttet worden. Ich habe im Netz einen Mann kennengelernt, der eine Art moderner Heiratsschwindler war, er hat Frauen angelogen und sich finanziell an ihnen bereichert. Ich habe einige andere Frauen gefunden, die mit genau diesem Mann eine ähnliche Erfahrung gemacht hatten und das sehr gründlich recherchiert. Danach haben mir viele geschrieben, denen es auch so ging – mit dem gleichen und anderen Männern – und die sich durch den Artikel gesehen fühlten, was natürlich toll war. Ich bekomme immer noch Post von Frauen, die ganz ähnliche Männer kennengelernt haben und mir ihr Herz ausschütten. Ich musste irgendwann aber auch klarstellen, dass ich Journalistin bin und keine Therapeutin. Ich verstehe, dass sie mir schreiben, aber emotional und zeitlich komme ich mit dem Antworten nicht hinterher.”

Was ja auch einiges darüber verrät, welche Art von Mann sich eben auch auf diesen Portalen tummelt. Gute Überleitung zu Deinem Buch, “Liebeskummer bewältigen in 99 Tagen”! Kannst Du erzählen, wie es dazu kam, dass Du über Liebeskummer geschrieben hast?

“Ich habe mich viele Jahre journalistisch damit beschäftigt und wusste, dass es zu diesem Thema einiges an Forschung und fundierten wissenschaftlichen Texten gibt, es aber gemeinhin eher bagatellisiert und belächelt wird. Die meisten wissen gar nicht, was zum Beispiel rein biochemisch im Gehirn passiert, wenn man Liebeskummer hat, oder warum wir so schlecht schlafen, wenn wir ein gebrochenes Herz haben. Ich war verwundert, dass es kaum Bücher dazu gibt und dass die wenigen, die existieren, entweder hochwissenschaftlich oder total trashig sind, mit der ganzen Palette an dämlichen Tipps (“Schreibe seinen Namen mit einem Lippenstift auf ein Stück Papier und verbrenne es!”), in einfältigem Tonfall verfasst und mit rosa Covern versehen – denn die meisten richten sich an ein weibliches Publikum. Das hat mich geärgert, schließlich sind Frauen nicht plötzlich dumm, wenn sie Liebeskummer haben, und der Sexismus in unserer Gesellschaft hat auch einen Einfluss darauf, wie wir mit Trennungen umgehen. Mir war es wichtig, beim Schreiben auch einen feministischen Ansatz zu finden. Ich richte mich übrigens bewusst an Frauen in heterosexuellen Beziehungen, nicht, weil ich die LGBTQ-Menschen ausgrenze, sondern weil ich das Pinkwashing, das manche Autoren fahren, nicht mitmachen möchte. Diese Menschen verdienen eine eigene, fundierte Recherche, die ich als heterosexuelle Frau nicht nebenher in meinem Buch leisten konnte.”

Wie ist es, als alleinerziehende Mama zu daten?

“Alles, was Anne Dittmann dazu gesagt hat, kann ich total unterschreiben. Ich erwähne mein Kind in meinem Dating-Profil nicht, aber gerade habe ich sowieso damit aufgehört. Ich habe es sonst immer schnell erwähnt, dass ich eine Tochter habe, und tatsächlich ist Kinder zu haben ein Dealbreaker. Ich möchte aber nicht einmal Egalo-Sex mit jemandem haben, für den das so ist. Also: Ja, als Alleinerziehende ist Dating wirklich total schwierig, und gerade sind mir andere Dinge wichtiger als eine Partnerschaft. Ich habe einfach keine Lust, mich an einem meiner wenigen freien Abende mit einem Durchschnittstrottel zu treffen, wenn ich stattdessen mit meinen Freunden lachen und eine großartige Zeit haben kann!”

Selbstständig, Journalistin, alleinerziehend – drei Dinge, die gemeinhin eher als anspruchsvoll gelten, wie meisterst Du das?

“Ich bin sehr gut organisiert und sehr diszipliniert, aber es verlangt mir auch alles ab. Eine Festanstellung würde mich thematisch einengen, und für mich ist das Leben als Freie mit seiner Flexibilität auch mit Kind besser. Aber ich bin wirklich so gut organisiert, dass mich sogar der Finanzbeamte kürzlich bei meiner Steuerprüfung gelobt hat, haha. Klar, gibt es Momente, in denen ich mir einen Geldregen wünsche, bezahlten Urlaub oder eben, nicht alleine zu sein. Natürlich stoße ich auch auf Vorurteile, und gerade in München möchte ich nicht in die Verlegenheit kommen, eine Wohnung zu suchen. Was ich aber heute toll finde: Es gibt so viele Vorbilder, so viele tolle Frauen, die alleinerziehend sind und von denen man sich etwas abschauen kann. Das ist ein Vorteil von Social Media, ich folge dort zum Beispiel Anne Dittmann (hier bei uns im Podcast!), Katja Hentschel (hier im Porträt!), Mirna Funk und Mareice Kaiser, die sind alle sehr unterschiedlich, aber von jeder konnte ich mir etwas abschauen. Gerade für Alleinerziehende ist ein solches Netzwerk aus Vorbildern und Mitstreiterinnen wichtig!”

Danke!!

Fotos: Christian Brecheis/ Cover: Dumont Buchverlag