Der männliche Makel – wünschen sich Eltern eher Mädchen als Jungen?

Als ich in der 12. Woche mit Quinn schwanger war, sahen wir im Ultraschall ganz eindeutig etwas baumeln zwischen den Mini-Babybeinen. "Ein Junge!" - sagte auch die Ärztin. Wir waren kurz enttäuscht, denn ganz ehrlich hatten wir uns ja schon beim ersten Mal heimlich ein Mädchen gewünscht. Aber diese Gefühle währten nur kurz. Sehr schnell freundeten wir uns mit dem Gedanken an: Eine Rasselbande! Ein Kumpane für Xaver! Keine Überraschungen, Jungen können wir ja schon. Kein Pubertätsgezicke. Vielleicht weniger Sorgen. Wir freuten uns auf unseren zweiten Bub.

In der 14. Woche gingen wir zur Nackenfaltenmessung und der Arzt dort sagte: “Ohhhhhh, da sehe ich ja etwas, das darf ich ja noch gar nicht sagen, was ich da sehe” (bekanntlich dürfen Ärzte in diesem Stadium das Geschlecht noch nicht verraten). Ich entgegnete: “Einen Pimmel, oder? Wir rechnen fest mit einem Jungen!”. “Einen Pimmel sehe ich nicht.” antwortete er. Und später: “Hier könnte man sehen, dass es ein Mädchen ist. Wenn man es sehen wollen würde.”

Wir waren enttäuscht. Wir hatten uns auf einen Jungen gefreut und nun sollte es doch ein Mädchen sein?

Dann lachten wir, weil wir merkten: es ist egal. Es ist einfach egal. Es hat alles seine Vor- und Nachteile. Mädchen sind toll, Jungs auch. Mädchen sind anstrengend, Jungs auch. Mädchen können süße Zöpfe tragen. Jungs niedliche Lederhosen. Alles gut, egal wie es kommt.

Drei Jungs! Du Arme!

Immer wieder habe ich aber doch das Gefühl, dass es in unseren Breitengraden eine eindeutige Präferenz in Richtung Mädchen gibt. Jungs-Eltern werden eher bemitleidet. Vor allem, wenn sich die Männerdominanz in der Familie eindeutig gestaltet, wenn es also mehr als ein Kind gibt – und alle sind Jungs. Freunde von mir haben zwei Buben und als die Mutter zum dritten Mal schwanger war, war sie regelrecht beleidigt, denn von allen Seiten hieß es: Dieses Mal aber endlich ein Mädel, oder? Oder, wie Claudi im Interview gesagt hat: “Irgendwie dachte ich, ich könnte ohne Tochter nicht glücklich werden. Vielleicht weil einem auch das Umfeld genau das immer wieder mitteilt. Wenn man mit dem dritten Jungen schwanger ist, heidewitzka, da muss man sich was anhören.”

Die Gute hat übrigens letzte Woche ihren vierten Jungen – einen Bo! Herzlichen Glückwunsch noch mal! – auf die Welt gebracht und ich behaupte mal, sie ist schrecklich glücklich darüber und würde ihn gegen nichts auf der Welt gegen ein Mädchen eintauschen!

Ich habe auch einige Freundinnen, die sich als absolute Jungs-Mamas empfinden. Die heilfroh sind, dass sie keine Mädchen haben – und auch die müssen sich regelmäßig anhören, wir arm sie doch dran seien.

Wenn eine Familie dagegen mehrere Mädchen hat – irgendwie ist das Mitleid da kleiner. Zwei Mädchen – wunderbar. Wenn es drei oder vier sind, wird der Vater sicher manchmal etwas mitleidig belächelt, aber man hat doch das Gefühl, dass viel Östrogen in einer Familie eher toleriert wird, als viel Testosteron.

Anderswo ist es andersrum

In anderen Gesellschaften gibt es eine eindeutige Präferenz in Richtung Junge. In China heißt es: “Die Geburt eines Jungen wird mit Freudenschreien und Feuerwerk begrüßt. Wenn ein Mädchen geboren wird, sagen die Nachbarn nichts.” In Indien wurden potenzielle Eltern bis vor kurzem noch ermutigt, weibliche Föten abzutreiben, um die Mitgift zu vermeiden. In diesen Ländern sind Frauen immer noch ein Makel. Sie produzieren in den Köpfen nur Kosten, müssen unter die Haube gebracht werden. Man kann sich das überhaupt nicht vorstellen, aber Mädchen werden auch heutzutage immer noch (illegal) bewusst abgetrieben. Oder getötet. Oder schlechter ernährt, vernachlässigt…. Und nicht nur in Indien und China, sondern auch in Teilen Osteuropas und so weiter gelten Mädchen als weniger gewünscht. Natürlich hat das fatale Folgen, denn die Frauen fehlen irgendwann. In China finden die ganzen Männer, die die Ein-Kind-Politik hervorgebracht hat, keine Frauen mehr. Demografen warnen vor einer „Maskulinisierung“ der Welt.

So geht es hierzulande nicht zu. Aber früher – es ist noch gar nicht lange her – war man in Deutschland auch froh, wenn ein Stammeshalter geboren wurde. Meine Uroma hatte fünf Mädchen und was waren alle erleichtert, als der Jüngste endlich ein Bub wurde, der den Hof übernehmen konnte. Solch ein Denken ist nun überholt. Frauen können – zumindest in der Theorie – alle vermeindlichen Männer-Aufgaben übernehmen, sie können Firmen und Höfe leiten, sie können Königshäuser anführen (das können sie schon lange).

Sind Mädchen angenehmer?

Und tendenziell habe ich wirklich den Eindruck, dass es sich sogar umgedreht hat. Dass Mädchen ein kleines bisschen mehr gewünscht werden, als Jungs. Kann das sein, oder ist es nur mein subjektives Empfinden? Und wenn ja: woran könnte es liegen?

Nun, Jungs sind oft stärker, wilder, unangepasster. Man kann das natürlich nie so pauschal sagen, es gibt auch ausgesprochen starke, aufmüpfige und unangepasste Mädchen und sehr anpassungsfähige und zurückhaltende Jungs aber die meisten “Problemkinder”, die nach Meinung Einiger zu laut, zu aktiv, zu frech sind, sind eben nun mal Jungs. Die Diagnose ADHS wird bei Jungen zwei bis vier Mal häufiger gestellt. Jungs passen seltsamerweise scheinbar nicht in unser Weltbild, in dem man nicht auf Bäume klettern und Rumschreien darf, sondern lieber brav im Restaurant sitzen, malen und lernen sollte. Kann das ein Grund sein?

Oder liegt es einfach am Jungs-Überschuss? Seit Jahren werden in Deutschland mehr Jungen als Mädchen geboren. Woran das wiederum liegen könnte, darüber ist man sich noch nicht im Klaren. Ich glaube ja das ist, weil es mehr Wunschkinder gibt, und die Wahrscheinlichkeit, dass ein männliches Spermium direkt zum Eisprung seinen Weg findet ist anscheinend größer (und den Eisprung kann man ja mittlerweile gut bestimmen). Es gibt auch Theorien, die besagen, dass weibliche Föten eher absterben. Oder dass männliche eigentlich “anfälliger” wären, jedoch dank der modernen Medizin eher gerettet werden. Oder dass gute Ernährung mehr Jungs produziert. Manche behaupten auch, die Männer-Überzahl hätte mit Stress zu tun, den wir in unserer Gesellschaft ja en masse haben. Jedenfalls – vielleicht kommt die Mädchen-Präferenz daher?

Vielleicht stimmt es auch nicht und ich bilde mir nur ein, ständig zu hören: Oh Gott, zwei (drei, vier) Jungs, die Armen.

Oder Jungs schwieriger?

So oder so: ich halte es für Quatsch. Zwar finde ich es auch ziemlich herausfordernd, einen Jungen zu erziehen, aber bisher hat das Mädchen auch ganz schön viel Rabatz gemacht. Ich denke oft an den Artikel in der FAZ, in dem ein Hirnforscher erklärt, warum Jungs mehr Halt brauchen, gute Vorbilder. Mehr Hilfe, damit sie nicht ihren Weg verlieren. Ich glaube, da ist was dran.

Aber sind Jungs deshalb per se “schwieriger”? Ich kenne sehr viele sehr wilde und “schwierige” Mädchen, die überhaupt nicht daran denken, brav im Restaurant zu sitzen und zu malen. Und auch einige Jungs, die sehr schüchtern und sensibel und unheimlich genügsam sind.

Ich finde es natürlich trotzdem schön, dass ich ein Mädchen bekommen habe, beim zweiten Mal. Weil es so ein Traum ist, einen großen Bruder zu haben. Weil ich mir einbilde, Mädchen besser verstehen zu können. Aber ein zweiter männlicher Wildfang – das wäre auch schön gewesen. Und wahrscheinlich nicht leiser oder einfacher. Zwei Jungs, die gemeinsam durch dick und dünn gehen, die aufeinander aufpassen. Auch toll. Eine große Boys-Crew, ist doch total schön. Ein Haus voller Mädchen, auch toll. Und jeder Entwurf kann auch schief gehen! Also vielleicht sollten wir aufhören, zu bewerten. Und zu generalisieren. Manchmal erwische ich mich selbst dabei, dass ich sage: “Weibliche Vernunft halt”. Oder: “Männer halt…” Aber eigentlich ist das doch Humbug.

Diese Kinder sind alle Individuen. Und jede Familienkonstruktion hat was für sich!

 

Das Foto von diesem zuckersüßen Lausbub ist von Nick Karvounis/Unsplash