50/50 Paare: Annika und Martin

Annika und Martin sind beide freischaffende Musiker und versuchen, das 50/50 Modell zu leben. Dabei ist ihnen gar nicht das dauernde haargenaue Aufsplitten wichtig - sondern, dass der jeweils andere alle Aufgaben übernehmen kann, sobald der andere in Zeitnot gerät. Ja, ich weiß: beide freischaffend, das macht sicher vieles einfacher - aber auch einiges komplizierter: Denn bei Künstlern sind die meisten Dinge nun mal weit davon entfernt, lukrativ zu sein. Ohne finanzielle Aufrechnung ist es dann wieder schwerer, zu entscheiden, wer sich mehr verwirklichen darf. Was ich besonders toll finde: die beiden habe eine Liste an Grundbedürfnissen, die jede Woche erfüllt werden sollten. Ist das nicht eine tolle Idee? Mehr erfahrt ihr im Interview!

Hallo, Annika! Was und wieviel arbeitet ihr?
Wir sind beide freischaffend als Musiker und Musikpädagogen tätig. Unsere Arbeitszeiten sind sehr unterschiedlich und es gibt nur ein paar feste Unterrichtsstunden pro Woche an der Hochschule/Universität und anderen Institutionen, die regelmäßig sind. Wir können beide an jeweils zwei Tagen Homeoffice machen, wobei diese oft mit Proben, Konzerten/Bookings und anderen Terminen gefüllt werden. Unsere Wochen schwanken zwischen 20 und 60 Stunden. Da wir oft zusammen arbeiten, haben wir Zeit, währenddessen alles abzusprechen und auch Zeit als Paar zu verbringen . Das genießen wir sehr, allerdings wird dadurch auch in der Freizeit viel über neue Ideen und die Arbeit gesprochen.

Wie habt ihr eure Woche aufgeteilt?
Es gibt feste Tage im Semester, an denen klar ist, wer wann das Kind abholt. Die Erfahrung hat allerdings gezeigt, dass trotzdem jede Woche anders ist und so haben wir nun einen handgeschriebenen Wochenplan, auf dem steht, wer wann bringt und holt, und auch wer die Abende und Nächte macht. Wenn wir beide zu Hause sind, teilen wir es spontan auf.

Zum Wochenplan haben wir zusätzlich einen Jahresplan, auf dem alle festen Arbeitstermine notiert sind. Beim Wochenplan geht es vor allem um eine Liste an Grundbedürfnissen, die irgendwie untergebracht bzw. verteilt werden müssen. Dazu gehören: ein komplett freier Abend für einen alleine oder mit Freunden, Zeit als Paar, alleine schlafen, ausschlafen und Sport. Alles andere kann dann spontan noch dazukommen, aber wir haben gemerkt, dass alle sehr zufrieden sind, wenn ein paar Dinge regelmäßig getan werden und nicht erst, wenn die Kraft und gute Laune schwindet. 

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Welche Tools nutzt ihr?
Den Google Kalender für das ganze Jahr und eben diesen handgeschriebenen Wochenplan mit zwei Spalten pro Tag für jeweils einen von uns.

Würdet ihr sagen, dass die Organisation des Alltags sehr zeitaufwendig ist?
Es ist schon ganz schön zeitaufwändig und wir sprechen mehrmals am Tag über die Alltagsplanung. Das liegt natürlich auch am Los des Freischaffenden! Termine gehen aber zum Glück sehr selten verloren und je genauer wir sind, umso ausgeglichener sind wir – dann gibt es kaum noch Vorwürfe, weil einer von beiden denkt, dass er zu kurz kommt. Schlimm ist nur, wenn plötzlich ein Projekt doppelt so viel Zeit in Anspruch nimmt, wie gedacht. Das wird dann zähneknirschend hingenommen (weil jeder von uns Beiden weiß, dass das passieren kann) aber falls es öfters passiert, gibt es auf jeden Fall Streit.

Habt ihr einzeln Hobbies, oder macht Sport?
Ja und dank des “Grundbedürfnisse-Plan” kommen die Hobbies und der Sport nicht mehr allzu kurz, aber sie stehen leider trotzdem ganz am Ende der Prioritätenliste. Es gibt Wochen, da ist der Wurm drin, aber wenn niemand krank ist, läuft es tatsächlich so, dass wir für alles Zeit finden.

Was ist mit Paar-Zeit, wann bekommt ihr die unter?
In unserem Wochenplan steht auch “ein Mal zusammen Mittagessen” und tatsächlich machen wir das jede Woche. Wenn wir dann da sitzen ist das immer ein sehr schönes Date-Gefühl. Ebenfalls versuchen wir, an einem Abend pro Woche auszugehen, aber da wird eher alle zwei Wochen draus. Wenn Ausgehen nicht klappt, verabreden wir uns zu Hause, sobald das Kind schläft. Das klingt komisch, aber es gibt Abende, da muss einer noch was arbeiten oder einer braucht Zeit für sich alleine und da ist es ganz gut, wenn man vorher drüber spricht.

Habt ihr Hilfe?
Wir haben keine Großeltern in der Nähe, daher hatten wir seit der Geburt unseres Kindes einen Babysitter. Anfangs nur wenn wir Gigs hatten und seit zwei Monaten versuchen wir, ihn regelmäßig ein Mal pro Woche kommen zu lassen. Egal ob wir einen Gig haben oder frei haben. Wenn wir langfristig zusammen einen Gig haben, springen die Großeltern ein oder eben der Babysitter. Bei Notfällen oder Überschneidungen von einer Stunde springen meistens Freunde ein. Allerdings machen wir das nicht, wenn wir einen Job haben, da brauchen wir eine 100%ige Versicherung, dass nichts schief gehen kann und daher springen die Freunde eher ein, wenn schon was schief gegangen ist.

Wie habt ihr die Elternzeit aufgeteilt?
Die Elternzeit habe ich komplett übernommen, konnte aber währenddessen trotzdem weiterarbeiten. Mein Mann hat die ersten zwei Monate fast komplett freigenommen. Mein erster Auftritt war nach vier Wochen und der nächste nach sechs Wochen. Ich habe mir damals eure Artikel über das Wochenbett sehr zu Herzen genommen und so hatten wir tatsächlich ein wirklich schönes Wochenbett! 
Die Freiheit bei einem Auftritt hat mir wahnsinnig viel Kraft gegeben und dadurch, dass unser Kind zum Stillen auch das Fläschchen genommen hat, konnte mein Mann auch Nachts regelmäßig übernehmen. Ich habe während der Elternzeit noch mal ein Masterstudium begonnen und so waren wir schnell bei 50/50. Mein Mann ist dann zu Auftritten mitgefahren oder hat das Fläschchen gegeben. Wenn wir gemeinsam Auftritte hatten, ist die Babysitterin mitgekommen und ich habe in den Pausen gestillt. Schwierig wurde es erst, als ich nach einem Jahr wieder angefangen habe, in verrauchten Locations zu spielen. Da war klar, dass das Kind zu Hause beim Mann oder Babysitter bleibt. Wenn der Mann übernommen hat, war es meistens kein Problem, wenn wir aber zusammen gespielt haben wuchs zu dieser Zeit das schlechte Gewissen wenn die Übergabe mit dem Babysitter auf Seite des Kindes tränenreich war. Das empfanden wir teilweise schon als sehr schlimm.

Sprechen wir über den Haushalt: wie teilt ihr euch hier auf?
Auch hier versuchen wir, so gerecht wie möglich aufzuteilen, obwohl das im Alltag nicht immer möglich ist und sich auch nicht wirklich nachprüfen lässt. Wenn beide extrem viel zu tun haben, gibt es schon mal Streit. Im Normalfall hält sich das aber in Grenzen und wir kontern der Unordentlichkeit mit einem Lächeln im Gesicht.

Gibt es Aufgaben, die einer von beiden typischerweise immer übernimmt?
Tatsächlich kaum. Vielleicht wasche ich öfters die Wäsche, während er sie öfters aufhängt. Auch Müll und Flaschen wegbringen ist eher seine Aufgabe während ich eher für ausmisten verantwortlich bin. Das Auto zur Reparatur bringt der, der gerade Zeit dafür hat und so zieht es sich eigentlich durch alle Aufgaben.

Wer hat die Orga in der Hand?
Auch beide zu gleichen Teilen, egal es sich um Geschenke besorgen, Adventskalender, Urlaubsplanung, Einkaufen, Arzttermine etc. handelt. Es gibt Zeiten, da hat einer von uns beiden mehr Lust, Zeit und Nerv sich damit zu beschäftigen. Es gab sowohl Urlaube, die nur von einem von uns beiden geplant wurden, weil der andere beruflich sehr eingespannt war. Manchmal kümmert sich nur einer, dann wieder mal beide zusammen. Hin und wieder beginnt einer und der andere übernimmt. Mein Mental Load war immer mal wieder höher, da ich mich bei vielen Dingen verantwortlich gefühlt habe, obwohl alles geklappt hat. Seit ich mir allerdings darüber bewusst bin, kann ich Gedanken diesbezüglich viel leichter ablegen. Und manchmal hilft es auch, wenn man nicht gleich als Erster springt und sofort eine Aufgabe übernimmt!

Seid ihr beide zufrieden mit eurem Haushaltssystem?
Ja, wir geben beide unser Bestes und es wird wahrscheinlich trotzdem immer unordentlich aber gemütlich und einigermaßen sauber bleiben. Die Zufriedenheit steigt und sinkt eigentlich immer mit unserem allegmeinen Befinden. Wenn man mega im Stress ist, nervt der Haushalt am meisten.

Habt ihr hier Hilfe, eine Putzhilfe zum Beispiel?
Wir hatten in einer schwierigen Zeit für drei Monate alle zwei Wochen für zwei Stunden eine Hilfe. Mehr konnten wir uns nicht leisten, aber es hat zumindest in dieser Zeit ein bisschen geholfen.

Wie habt ihr die Finanzen geregelt?
Wir haben ein Familienkonto, von dem Miete usw. weggeht, allerdings unternehmen wir kaum etwas zur Altersvorsorge außer einer Existenzversicherung, falls einer von uns beiden schwer krank wird.

Wie seid ihr selbst aufgewachsen?
Mein Mann ist mit zwei arbeitenden Eltern ab dem ersten Lebensjahr aufgewachsen – und meine Mutter war ab dem siebten Lebensjahr beruflich tätig.

Findet ihr euer System gerecht, seid ihr glücklich damit?
Wir sind glücklich und finden unsere Arbeitsteilung gerecht. Das System und die Berufsbedingungen als freischaffende Lehrende und Musiker finden wir sehr ungerecht und als Familie sehr schwer zu tragen. Das Schwierigste, seit wir ein Kind haben ist tatsächlich die Kunst! Wenn einer von uns Beiden unendlich viel Zeit in ein Projekt steckt und kein Cent dabei rumkommt und einer von Beiden oder Beide auf dem Zahnfleisch gehen, ist das sehr bitter. Schön ist an dem 50/50 System, dass die Wertschätzung für die Arbeit des anderen sehr hoch ist. Man weiß immer, was der andere leistet, egal ob es das kranke Kind, die U-Untersuchung, die Autoreparatur oder das Packen für den Urlaub ist. Das gibt einen unglaublichen Zusammenhalt.

Was würdet ihr euch anders wünschen?
Andere Berufsbedingungen, bessere Bezahlung als Lehrende. Wir haben so viele Jahre studiert und werden als Freischaffende wirklich schlecht bezahlt. Gleichzeitig wäre es schön, wenn nicht alle im Umfeld so viel arbeiten müssten und man sich schneller mal unter die Arme greifen könnte. Andererseits mögen fast alle ihren Job sehr, sodass man auch nicht unbedingt weniger machen möchte. Blöd ist es nur dann wenn man durch finanzielle Not viel arbeiten muss.

Was würdet ihr euch vom Staat, von eurem Umfeld, vom Arbeitgeber wünschen?
Wir als Künstler und Pädagogen würden uns wünschen, dass unsere Arbeitgeber es mehr zu schätzen wüssten, dass man gleichzeitig noch künstlerisch aktiv ist.
Vom Staat würden wir uns wünschen, dass es bessere und mehr Subventionierungen für Subkultur gäbe. D.h. sowohl Künstlerförderungen als auch Spielstättenförderungen, so dass Künstler auch besser bezahlt werden können, wenn sie (in unserem Fall) selbstkomponierte Musik präsentieren.

Was kommt immer zu kurz?
Der Sport und das Schwerelose.

Und was klappt aber eigentlich ziemlich gut?
Paarsein und Glücklichsein als Familie und mit den Freunden mit denen man arbeitet.

Habt ihr das Gefühl, genug (Quality) Zeit mit euren Kids zu verbringen?


Ja, definitiv haben beide genügend Quality Zeit mit dem Kind. Da wir Büroarbeit oft auch am späten Abend erledigen und auch bei Auftritten spät ins Bett gehen, können wir es oft schon Mittags abholen und einer von uns Beiden macht dann Mittagschlaf mit Kind. Je nach Wochenplan stößt der andere dann dazu. Allerdings ist es für uns nur Quality Time, wenn wir sie auch genießen können und das ging Zeitweise nicht, weil die To Do Liste sehr präsent war. Aber das haben wir momentan ziemlich gut im Griff.

Was stresst euch im Alltag am meisten?
Wenn man Zeit mit dem Kind verbringen möchte und genau in dem Moment eine wichtige Anfrage/Entscheidung reinkommt. Wenn Termine sich überschneiden und man nach Lösungen suchen muss, dass trotzdem keiner absagen muss. Das schlechte Gewissen, weil man das Kind am liebsten jeden Tag um zwölf abholen würde.

Und was macht am meisten Freude?
Die Zeit mit dem Kind und wenn unsere Arbeit Spaß macht und wertgeschätzt wird.

Dankeschön!

Die beiden haben für’s ZDF schon mal aus ihrem Alltag erzählt, das Video gibt es hier zu sehen.

Mehr über die Musik von Annika gibt es hier und im Video!