Yay or Nay: Vergessenes hinterhertragen

Am Montag haben wir die neue ZDF-Doku zum Thema "Helikoptereltern" verlinkt - und im Freundeskreis gleich wild darüber diskutiert. Denn eigentlich will ja keiner "Helikopter" sein, aber... In der Doku geht es um den "Kontrolllwahn" von Eltern, die wie Überwachungsdrohnen über ihren Kindern herumschwirren. Ein Experte unterscheidet drei Arten von Heli-Eltern: die Taxi-Mama, die die Kinder überall hinfährt und keinen Weg alleine machen lässt. Dann gibt es die Rettungshubschrauber-Eltern, die ihren Kindern vergessene Turnsachen und Trinkflaschen hinterhertragen und die auch bei jedem Problem konsultiert werden, am besten direkt - per Handy oder oder GPS-Uhr: "Mama, ich habe eine schlechte Note bekommen, kannst du mich abholen. Mama, beim Sport war XY gemein, ich will nach hause".  

Die dritte Variante sind die “Kampfhubschrauber-Eltern”, die alles für ihre Kinder kritisieren und besser machen wollen: die Sitzordnung in der Klasse, die Auswahl beim Brotzeit-Stand, die Methoden der Lehrer… Auch schlechte Noten werden natürlich angezweifelt und Hausaufgaben eher kontrolliert als überwacht.

In meinem Freundeskreis findet niemand sich “Helikopter”, aber viel rumgefahren werden die Kinder schon. Selten alleine gelassen, außer Sicht der Eltern, auch. Auch kenne ich durchaus Eltern, die sich gefühlt über alles, was in Schule und Kita passiert, beschweren – aus Angst, ihr eigenes Kind könnte einen Nachteil haben. Und: es werden Sachen hinterhergetragen. Genau darüber wollen wir heute auch diskutieren. Ist das okay? Oder bremst das die Kids in Sachen Selbstständigkeit? Den YAY Part übernimmt unsere Gastautorin Marietta, den NAY Part übernehme ich! Und wie immer sind wir sehr gespannt, was ihr so sagt…

YAY

Meine Tochter ist acht Jahre alt und besucht die dritte Klasse einer Grundschule in unserem Viertel. Sie läuft meist selbstständig mit ihren Freundinnen in die Schule, das hat sie in diesem Jahr angefangen. Alleine schon deshalb würde ich mich niemals als Helikopter Mama sehen! Aber ja, ich trage ihr Sachen in die Schule hinterher, sie ist einfach ein bisschen schusselig. Im ersten Jahr war das oft der Sportbeutel, manchmal auch Dinge, von denen ich wusste, dass sie traurig sein würde, wenn sie bemerkt, dass sie sie vergessen hat. Einmal wollte sie am Freitag – da ist in ihrer Klasse Spielzeugtag – ein Stickeralbum mit in die Schule nehmen und es ihren Freundinnen zeigen. Also ich bemerkte, dass sie es vergessen hat, habe ich es ihr zur ersten Pause in die Schule gebracht. Sie hat sich riesig gefreut und ich würde im Leben nicht auf die Idee kommen, dass daran etwas falsch sein soll!

Ich habe eine sehr enge Bindung zu meiner Tochter und ich “fühle” richtig mit, wenn sie etwas beschäftigt. Es war also in dem Moment wirklich so, dass ich traurig wurde, als ich das Sticker-Album sah. Und so froh wie sie, als sie es wieder hatte. Auch heute vergisst sie manchmal noch die Sportsachen oder die Brotdose – und ich bringe sie ihr dann. Tatsächlich habe ich mich jetzt aber vor ein paar Wochen deshalb mit der Klassenlehrerin auseinander setzen müssen. Sie nahm mich beiseite und sagte, in der dritten Klasse sollten Kinder es schaffen, ihre Sachen beisammen zu halten. Wenn die Eltern ihnen das immer abnehmen, würden sie viel länger brauchen, das zu lernen. Ich fühlte mich extrem unfair behandelt, denn erstens kommt es nicht wirklich oft vor – vielleicht ein Mal im Monat oder noch seltener und zweitens, wie gesagt: mir war nie bewusst, dass mein Verhalten von irgendjemandem als komisch angesehen würde. Ich fand es selbstverständlich! Ich wurde auch erst Mal sauer und ehrlich gesagt bin ich das immer noch, weil ich das Verhalten der Lehrerin übergriffig fand. Aber ich habe mir nun vorgenommen, ihr nichts mehr nachzutragen, ich habe das auch  mit meiner Tochter besprochen. Seitdem kam es noch nicht wieder vor, dass sie etwas vergessen hat… Ich denke aber, dass das Zufall ist und ehrlich gesagt tut es mir jetzt schon in der Seele weh, wenn sie dann irgendwann ohne Sportzeug da sitzt. Als Einzige!

NAY

Für mich ist „Wurzeln und Flügel“ eine meiner Erziehungs-Leitlinien. Soll heißen: ich wünsche mir, dass meine Kinder unsere Familie als sicheren Zufluchtsort verstehen, der sie immer liebt, akzeptiert und auffängt. Aber auch, dass sie früh ihre Flügel ausbreiten, eigene Erfahrungen ohne Eltern machen, selbstständig werden. Ich selbst bin vom ersten Schultag an alleine in die Schule gelaufen, später war ich “Schlüsselkind”, bin also regelmäßig nach der Schule alleine nach hause gegangen, habe mir Essen aufgewärmt und dann den Nachmittag alleine gestaltet. In den 80ern und 90ern haben das sehr viele Kinder so gemacht, es war ganz normal. Kaum jemand wurde in die Schule gefahren und ich kann mich nicht erinnern, dass mir je etwas hinterhergebracht wurde, was ich vergessen hatte. Ich kann nachvollziehen, dass man vor allem Erstklässlern gerne jeden Stress abnehmen will, es ist SO viel für die Kleinen am Anfang! Ich habe jeden Tag fast weinen müssen, wenn mein Sohn mit dem Riesenrucksack von dannen zog.

Es gab dann auch eine Situation, in der war ich versucht, ihm in der Pause ein Bügelbild zu bringen, von dem ich wusste, dass er es unbedingt mitnehmen wollte – und dann vergessen hat. Hab ich zum Glück nicht gemacht, auf meine Nachfrage am Nachmittag kam nur: “Ach ja, nicht schlimm, gar nicht mehr dran gedacht.” Ein Mal hat er auch seinen kleinen Rucksack vergessen, an einem Tag, an dem ein Ausflug angesetzt war. Sein Freund hat dann sein Mittagessen für ihn getragen und er war auch nicht das einzige Kind ohne Rucksack. Sportsachen bleiben bei uns in der Schule, das finde ich wunderbar, so muss man schon mal an eine Sache weniger denken. Ich würde ihm aber auch das nicht hinterhertragen: ich denke, sie würden in der Schule eine gute Lösung finden (mit Straßenschuhen mitmachen, ein Ersatz-Shirt anziehen…) und ja, man lernt eben auch nur, an seine Sachen zu denken, wenn man die Konsequenzen tragen muss. Das ist ja auch bei anderen Dingen im Leben so. Zu merken, was passiert, wenn man etwas vergisst, hilft sicher dabei, beim nächsten Mal daran zu denken. Und das Gute ist ja: SO schlimm wird es sicher nicht, wenn man es doch mal vergisst – ein Tag ohne Trinkflasche ist kein Weltuntergang. Man lernt so, kreativ zu sein, vielleicht helfen die anderen. Und man ist ja auch nicht alleine. Alle Kinder vergessen andauernd irgendwas!

PS: Den schönen Turnbeutel haben wir hier gefunden!