Wenn man länger stillt, als üblich. Ein paar Gedanken.

Meinem Freund ging es vermutlich insbesondere um den Vater. Er selbst war damals still und heimlich ganz schön froh, als die Milch in meinem Busen versiegt war. Denn solange noch warme, süße Sahne plus Mama-Wärme verfügbar ist, spielen Väter eben in den meisten Fällen eher die zweite Geige. Er ist aber auch steif und fest der Meinung: sobald das Kind laufen kann, muss Schluss sein.
Der Streit um die Brust
Ich kann das partiell nachvollziehen, die Szene im Wasser fand auch ich seltsam, es schien der Mutter richtig unangenehm zu sein. Als Mutter und Tochter – die übrigens in Xavers Alter war, also noch nicht wirklich zu alt für den Busen (oder? Da geht’s ja schon los. Wann ist das Kind denn zu alt?), sich dann aber an Land unter einem Handtuch verkrochen, fand ich am diesem Still-Bild nichts Außergewöhnliches mehr.
An Szenen, wo Kinder wild an Blusen reißen und ausflippen, bis Mama widerwillig die Brust rausholt, werde ich mich dagegen nie gewöhnen. Dabei ist auch das – wie jeder andere Konflikt mit dem eigenen Kind – natürlich zu 100% deren Sache. Aber die Feministin und Emanze in mir findet es einfach irgendwie nicht in Ordnung, wenn eine Frau ihre Brüste entblößen muss, obwohl es ihr in genau diesem Moment gerade nicht lieb ist.
Auf der anderen Seite: wie läuft es denn sonst, wenn man so lange stillt, bis das Kind klar seine Wünsche äußern kann? Kommt es dann nicht zwangsweise zu solchen Situationen? Eine Freundin, die ihre 20 Monate alte Tochter noch stillt sagt: Nein. Sie habe klare Agreements, wann gestillt wird und wann nicht. In ihrem Fall: niemals in freier Wildbahn, nur zuhause und fast nur morgens und/oder abends. Nun ist es aber so, dass das doch auch vom Kind abhängt, oder? Ihre Tochter ist tatsächlich ein ziemlich zugängliches Exemplar, das Wort brav mag ich nicht, aber es trifft schon zu. Wenn ich nun aber den wilden Xaver noch stillen würde – ich möchte wetten, der würde sich nicht immer an solche Regeln halten, wir würden regelmäßig kämpfen und es würde genau zu solchen Situationen kommen wie am Strand. Für mich wäre das ganz klar ein Grund, abzustillen.
Die Alternative ist: das Kind darf immer, wann es will. Auch das findet die Emanze in mir komisch (muss Frau immer verfügbar und willig sein, auch für ihr Kind?), aber so praktizieren das viele Mütter. Und dann kommt es eben zu Situationen, wie kürzlich von Marie beschrieben: “Ich sitze abends auf der Torstraße zum Abendessen, am Nebentisch klettert ein etwa Dreijähriger auf Mamas Schoß, reißt das T-Shirt hoch und nuckelt. Muss das sein, mitten im Restaurant?” Muss es?
Warum finden wir es normal und natürlich, wenn Babies gestillt werden. Sagen, dass das überall möglich sein muss, dass da niemand kucken darf, aber ab einem gewissen Alter wird es befremdlich?
Warum ist das so befremdlich…
Tja, es ist eben was anderes. Es sieht anders aus, es ist anders, wenn das Kind den Busen mit Worten einfordert. Je länger gestillt wird, desto mehr wird der Akt an sich zu einem intimen Moment zwischen Mutter und Kind, der – in der Öffentlichkeit vollzogen – eben Aufsehen erregt. Vielleicht vergleichbar mit einem knutschenden Paar? Ich weiß es nicht. Mir geht es aber auch so, dass es mich irgendwie nervt, dass ich dann so tun “muss”, als sei das alles ganz normal. Ist es für mich eben nicht, und weniger als abstoßend finde ich langes Stillen auch einfach interessant. Ich würde die Betreffende also gerne mit Fragen löchern: wie alt ist denn das Kind? Wie oft stillst du denn noch? Wie lange willst du das noch machen? Wie findet dein Mann das? Das traue ich mich aber nicht, weil es ja eben schon etwas Privates, Persönliches ist. So erging es mir, als ich mich am Strand auf Formentera mit einer Italienierin unterhielt, deren Sohn während des Gesprächs immer wieder auf ihren Schoß krabbelte, um an ihrer Brust zu saugen, während er mit der Hand an der anderen Brustwarze spielte. Wir waren beide oben ohne, die Situation war komisch, durch das ständige Stillen, aber auch dadurch, dass ich mich nicht traute, etwas dazu zu sagen. Sie sagte aber auch nichts!
Langzeitstillerinenn auf dem Vormarsch
All diese Szenen haben dann übrigens meinen Blick geschärft und mir fielen täglich weitere Mütter auf, die Kinder stillten, die den gesellschaftlich akzeptieren sechs Monaten eindeutig entwachsen waren. Formentera ist zwar eine Hippie-Insel aber ich behaupte jetzt trotzdem einfach mal: Langzeitstillerinnen sind auf dem Vormarsch und eigentlich kann man dagegen nichts sagen. Im Gegenteil.
Denn die Fälle, wo “zu lange” gestillt wird (ich kenne einen Mann, der bis ins Schulalter gestillt wurde und jetzt so traumatisiert ist, dass er seiner eigenen Frau nicht beim Stillen zuschauen kann), sind einfach sehr selten. Meistens tut es den Kindern sicher eher gut, wenn sie lange Trost und Kuschel-Einheiten von der Brust bekommen – auch wenn man sie natürlich ebenso gut anders trösten und beruhigen kann. Prinzipiell finde ich ja: Stillen ist Privatsache, jeder so lange und wie er will. Auch frühes Abstillen, Nicht-Stillen, Mischformen mit Pre, etc. gehören natürlich zur Still-Toleranz-Familie!
Und wenn immer mehr Frauen länger stillen, wird das alles vielleicht so normal, dass auch mein Freund auf Szenen, wie die im Wasser, eher lachend als kopfschüttelnd reagieren würde. Für die stillende Frau wäre dann alles weniger unangenehm gewesen.. Vielleicht hätte ich ihr einen verständnisvollen Blick schenken sollen, um sie zu beruhigen? Oder die Italienerin, sie hätte mich ja auch anlächeln und irgendetwas über ihr stillendes Kind sagen können: “Ach ja, er liebt meinen Busen”, oder so. Dann wäre das alles nicht so verkrampft gewesen.
Vielleicht brauchen wir mehr offensive und wirklich lockere Langzeitstillerinnen, damit sich alle etwas entspannen. Das wäre doch eigentlich wünschenswert, oder?
PS: Da ich ja eine von den langweiligen 6-Monats-Kandidaten war, habe ich natürlich kein passendes Bild. Xaver ist da etwa 7 Wochen alt, wurde andauernd gestillt und ich war ziemlich beseelt von den ganzen Hormonen…