Übers Stillen, Stillmythen und den Druck, der Frauen gemacht wird
Nur zu gut erinnere ich mich an die Sorge, dass das Stillen nicht klappen könnte nach meinem Kaiserschnitt. Ich lag nach einer extrem langen und anstrengenden Geburt völlig übernächtigt mit meinem Säugling im Arm im Bett und die Tränen kullerten. Es wollte einfach nicht funktionieren, der Sohnemann saugte ins Nichts, der Milcheinschuss ließ auf sich warten. Ich war erschöpft, so erschöpft. Er nuckelte an meiner Brust, und das tat nach stundenlangem fast ununterbrochenem Saugen wirklich weh. Verzweifelt fragte ich die Krankenschwester nach einem Nuckel. Sie sah mich vorwurfsvoll an, nein, so etwas gäbe es hier nicht. Es sollte erstmal mit dem Stillen klappen, in ein paar Wochen käme ein Nuckel vielleicht infrage.
In meiner Verzweiflung steckte ich dem Baby vorsichtig meinen kleinen Finger in den Mund, er saugte ein wenig daran, schrie dann aber weiter. Also wieder die Brust. Es blutete mittlerweile. Von Erzählungen meiner Freundin wusste ich, dass die Schwestern ihr Kind damals mal für drei Stunden zu sich genommen hatten, damit sie etwas schlafen konnte. Bei mir machte aber niemand Anstalten. Und so konnte ich nicht schlafen, zumindest nicht mal länger als eine Stunde. Allerhöchste Priorität hatte es, dass das Kind bei der Mutter bleibt. Stillfreundlich, nennt man das. Es sind keine besonders schönen Erinnerungen an die ersten Tage nach der Geburt im Krankenhaus. Nachdem ich vor Kurzem den Artikel in der NZZ las, wurde mir klar, dass es diese Geschichte so wohl häufiger gibt.
Ich versuchte weiter zu stillen, nach ein paar Tagen kam der Milcheinschuss. Meine Brüste sahen aus wie ein schlecht gemachter Silikonbusen. Angeschwollen und schief. Mein Sohn trank ordentlich, richtig satt wurde er aber auch in den nächsten Wochen nicht. Ich stillte natürlich nach Bedürfnis (des Kindes), obwohl mir der Kinderarzt sagte, ich solle mal versuchen nur alle 4 Stunden zu stillen. Haha. Das fand ich fast zum Lachen. Das Kind schrie doch sonst! Was sollte ich denn in den vier Stunden mit dem schreienden Kind tun?
Im Nachhinein glaube ich, dass er meist schrie, weil er nicht richtig satt wurde. Ich weiß noch, wie ich versuchte abzupumpen, um mal (ausnahmsweise!) kurze Zeit ohne Kind sein zu können, da war er so 2,5 Monate alt. Es funktionierte nicht, es war einfach nicht genug Milch da. Als ich mich mit einer Bekannten beriet, und ich das Unwort “Pulvermilch” erwähnte, wurde sie ganz still. Ich spürte, wie sie sich zusammenreißen musste, und nur sagte “Naja, es ist ja schon so, dass man auch nur mit einmaliger Gabe von Pulvermilch die ganze gute Darmflora des Kindes zerstört.” Wumm. Das saß.
Aber ich konnte nicht mehr. Nahm unheimlich schnell ab (ungesund schnell, würde ich sagen) und hatte beim besten Willen einfach gefühlt nicht genug Milch. Und nicht genug Schlaf. Als ich meine Hebamme nach zwei Monaten darauf ansprach, dass ich überlege, zuzufüttern, schaute auch sie mich ernst an: Betretenes Schweigen. Sie überlegte. Und sagte dann ganz ruhig: “Also, wenn du das WIRKLICH willst, kann ich dir die Holle Milch empfehlen.” In beiden Konversationen gab es diese betretende Stille, es flog förmlich ein “Oh Gott” durch den Raum, das keiner aussprechen wollte. Ich hatte ein verdammt schlechtes Gewissen, als ich die Milch kaufen ging. Gleichzeitig war ich neugierig: Was würde passieren?
Ich kann mich noch heute an den erlösenden Moment erinnern, als mein Sohn die Pulvermilch in Sekundenschnelle aus der Flasche leersaugte und zufrieden einschlief. Dem Kind ging es gut. Und mir fiel eine riesengroße Last von den Schultern. Ich war so froh, dass das Überleben meines Sohnes nicht mehr nur an meinen Brüsten hing. Das Gefühl, nicht genug Milch zu haben, also mein Kind nicht gut versorgen zu können, war schrecklich. Jetzt gab es eine Lösung. Und sie war so einfach! Dieser Text soll aber kein Plädoyer für Pulvermilch sein, sondern eher für die freie Entscheidung:
Es wird Frauen leider immer noch suggeriert, Breast is best. Stille, nur so kannst du eine gute Mama sein. Nur so hat dein Kind Chancen, gesund und glücklich (und intelligent) zu werden. Gerade für Erstmamas ist der Druck oft so hoch! Und deshalb ist es allerhöchste Zeit, mit all den Annahmen und Mythen rund um das Stillen mal aufzuräumen. Ja, es gibt Studien, da geht es mal um einen angeblich nachgewiesenen höheren IQ bei gestillten Kindern, oder dass Kinder weniger krank werden würden, wenn sie gestillt werden oder, oder, oder. Betrachtet man dieses Studien aber mal genauer, sind sie oft fehlerhaft interpretiert oder die Ergebnisse übertrieben (das Risiko für Kinder über sechs Monaten an einer Ohrinfektion zu erkranken, reduziert sich durch das Stillen zum Beispiel von 7% auf 5%, also um ganze 2%!). Gute Artikel dazu gibt es in der New York Times, ein empfehlenswerter Podcast dazu ist Freakonomics, der sich auch mit anderen Studien rund ums Kinder haben beschäftigt oder auch besagter Artikel aus der NZZ. Der Muttermilch werden vielen Wunderwirkungen zu gesprochen, ob sie wirken, weiß man aber nicht genau. Vielleicht lindert Muttermilch tatsächlich einen wunden Babypopo. Meine Hebamme empfahl mir damals etwas Muttermilch ins Babybad zu kippen, das sei gut für die Haut (ich konnte nur milde lächeln, hatte ich ja nicht einmal genug Milch fürs Kind). Schwierig finde ich an diesem Pseudowissen, dass es Muttermilch glorifiziert, dass Muttermilch ein Zaubermittel sei, das eben nur wir Mütter unseren Kindern zur Verfügung stellen können, und dann bitte auch sollten. Sicherlich ist Muttermilch eine ziemlich beeindruckende Sache, aber dass sie per se dazugehören muss, wenn man eine “gute Mutter” sein möchte, finde ich schwierig.
Saugverwirrung gibts nicht
Dabei kann es gut sein, dass manche Mütter die Erfahrung machen, ihre Milch bekommt den Kind wunderbar, dass es weniger krank sei und so weiter. Diese Erfahrungen möchte ich hier nicht als “falsch” darstellen. Nur: Man kann daraus keine allgemeingültige Empfehlung machen. Was für das eigene Kind gut funktioniert hat, muss noch lange, lange nicht für andere Babys gelten. Und es gibt so viele Fehlinformationen und Dinge, für die es, genauer betrachtet, einfach keinen wissenschaftlichen Beweis gibt, sie also ergo nicht für alle gelten können. Die “Saugverwirrung” zum Beispiel: Es gibt keine Beweise dafür, dass es dieses Phänomen tatsächlich gibt. Im Gegenteil: Es gibt viele Hinweise darauf, dass die allermeisten Babys durchaus zwischen einem Nuckel und der Brust differenzieren können. Ein Fehler, der auch oft beim Auswerten von Studien passiert: Es wird nicht zwischen Kausalitätszusammenhängen und Korrelation unterschieden. Ein Beispiel: Kinder, die gestillt wurden, hätten einen höheren IQ. Hier kann es durchaus sein, dass die Kinder in der Studie einen höheren IQ hatten, aber nicht WEIL sie gestillt wurden. Sondern weil ihre Mütter einer Gruppe mit höheren Bildungsabschlüssen angehörten und über vergleichsweise hohe IQs verfügten.
Es lohnt sich also, genauer hinzuschauen. Wenn ich dann “Pressemitteilungen” sehe, in denen propagiert wird, wie wichtig Stillen für die Beziehung zwischen Mutter und Kind sei, stellen sich bei mir die Nackenhaare auf: Da steht dann tatsächlich, dass “die andauernde Zweisamkeit und körperliche Nähe beim Stillen das Kind mit emotionalen Erfahrungen ausstatten würde, die es ihm später im Leben u.a. erleichtern wird, Beziehungen einzugehen.” Wieso kann die Flasche und Kuscheln das nicht genauso? Woher kommt diese “Information”?
Dort stand übrigens auch, dass Deutsche verhältnismäßig wenig stillen würden. Auf den oberen Plätzen der Rangliste lagen Sri Lanka, Bhutan und Nepal. Also alles Entwicklungsländer. “Die nachfolgende Aufstellung zeigt, wie viel Prozent aller Neugeborenen in den jeweiligen Ländern der Welt jemals gestillt werden und somit den optimalen Start ins Leben erhalten.” Bitte? In vielen Entwicklungsländern stehen finanzielle Nöte und ein Mangel an sauberem Wasser auf der Tagesordnung. Natürlich ist das Stillen die logische Konsequenz: es ist gesund, steril und umsonst. Aber in unserer westlichen Hemisphäre sieht es doch ganz anders aus. Von der typisch westlichen Romantisierung von Armut halte ich wenig, nach dem Motto: Schau mal, da läuft’s noch ganz “natürlich” ab. Gleichzeitig bedeutet Pulvermilch natürlich nicht Wohlstand, sondern, hier zumindest, Wahlfreiheit. Wenn man dann mit solchen Geschichten von “Ursprünglichkeit” und “Natürlichkeit” Müttern subtil vorwirft, sie würden ihren Babys nicht den optimalen Start ermöglichen, wenn sie nicht (lange) stillen wollen oder können, ist das problematisch.
Letztendlich finde ich nur eines wichtig: Dass der Druck auf junge Mütter weniger wird, dass wir solch einen Quatsch nicht weiterbreiten (besonders wir Mütter untereinander!) und dass jede Mutter die Möglichkeit hat, für sich zu entscheiden, was passt – ohne schlechtes Gewissen.