Vor ein paar Wochen hat uns Wiebke a.k.a Piepmadame hat hier von ihrem Weg erzählt. Sie war anfangs eine sehr aufopfernde Mutter, die komplett nach dem Muttermythos gelebt hat. Und merkte irgendwann, wie unglücklich sie das macht – und dass ganz andere Gefühle in ihr schlummerten. Das Feedback von eurer Seite war überwältigend. In den Kommentarspalten ging es ziemlich hoch her. Viele fühlten sich enorm abgeholt, andere fanden Wiebkes Aussagen grenzwertig. Die häufigste Kritik? Man sollte, um die eigenen Kinder zu schützen, nicht öffentlich darüber sprechen, dass man die Elternschaft im Nachhinein bereut.
Regretting Motherhood – und darüber mit Kindern sprechen
Diesen Gedanken wollten wir mal unter die Lupe nehmen. Wie kann man altersgemäß mit den eigenen Kindern über solche Gefühle sprechen? Oder ist es generell eine schlechte Idee, das zu tun, weil die Kinder das noch nicht greifen können, egal wie alt?
Dazu haben wir uns mit Dipl.-Psych. Dr. Fanja Riedel-Wendt unterhalten. Fanja ist approbierte Psychologische Psychotherapeutin mit Fachkunde für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie und beschäftigt sich viel mit Rollenbildern, den Auswirkungen auf Frauen und was das wiederum mit den Kindern macht. Wir haben also nicht nur mit ihr über Regretting Motherhood unterhalten, sondern auch über generelle Fragen.
In den Kommentaren zu Wiebkes Beitrag über Regretting Motherhood ging es vermehrt darum, ob und wie man darüber mit Kindern sprechen kann. Was sagst du dazu?
Das ist überhaupt nicht einfach zu beantworten. Wie man in der Diskussion gemerkt hat, fällt es vielen Erwachsenen schwer, bei diesem Thema zwischen der Mutter als Person und Mutterschaft als Rolle oder wie Orna Donath schreibt „als Beziehung“ zu unterscheiden. In den Interviews, die Orna Donath für ihr Buch „Regretting Motherhood“ geführt hat, schildern die Frauen sehr berührend, wie schwer sie sich damit tun, eine Antwort auf die Frage „ob und wie spreche ich mit meinen Kindern darüber“ zu finden. Dabei wägen die Frauen sehr vorsichtig ab, wie sie ihre Kinder schützen können. Einige entschieden sich dafür, nichts zu sagen, aus Sorge die Kinder zu belasten. Andere sahen es als unumgänglich, die Kinder aufzuklären, um ihnen unter anderem zu ermöglichen, in der Zukunft eine informierte Entscheidung in Bezug auf das eigene Leben treffen zu können.
Ob man mit Kindern sprechen sollte, hängt aus meiner Sicht zum einen davon ab, mit welchem Ziel dieses Gespräch geführt wird und zum anderen, wie alt das Kind ist.
Möchte ich mit meinem Kind sprechen, weil es spürt, dass ich mit meiner Rolle hadere? Möchte ich darüber sprechen, weil ich mir unbewusst erhoffe, für mich selbst eine Antwort auf Fragen zu finden oder möchte ich meine Gedanken mit meinem Kind teilen, damit es in der Zukunft anders über Mutterschaft nachdenken kann. Auch hier hängen die Antworten auf die Fragen aus meiner Sicht maßgeblich vom Alter des Kindes ab.
Warum spielt das Alter so eine große Rolle?
Bis zum Eintritt in das Grundschulalter und auch darüber hinaus sind Kinder nur begrenzt in der Lage, abstrakte Zusammenhänge zu verstehen. Die Welt in der Sie sich bewegen, erschließt sich ihnen noch auf einer sehr konkreten Ebene. Erst im Verlauf des Grundschulalters lernen sie, ihre eigenen Fähigkeiten und Persönlichkeitsaspekte differenziert zu beschreiben. Das heißt, auch ihr Gegenüber können sie auf diese Weise erst im Laufe Grundschulalters begreifen.
Natürlich können und sollten wir auch vor dem Grundschulalter beginnen, mit Kindern differenziert über ihre Eigenschaften zu sprechen. Wir können aber frühestens ab dem Grundschulalter erwarten, dass Kinder wirklich begreifen, welche Eigenschaften, Vorlieben und Wünsche eine Person hat. Diese Fähigkeit ist also wichtig, damit sie verstehen können, wenn Eltern über ihre eigenen Vorlieben, Stärken und Schwächen mit Kindern sprechen.
Erst mit Eintritt in das Jugendalter beginnt die Entwicklung des abstrakten Denkens. Was Grundschulkinder durchaus verstehen, ist ein Gespräch über Eigenschaften und Vorlieben. Was liegt mir, was kann ich gut, was tue ich nicht gern. Auf dieser konkreten Ebene lässt sich mit Grundschulkindern gut über das Elternsein sprechen. Kinder in diesem Alter setzen sich täglich mit sozialem Vergleich auseinander, so dass sie in der Lage sind zu verstehen, wenn Eltern sagen: „ich mag meine Arbeit, ich bin gut in dem was ich tue, manche Familien machen es so, wir machen es aber anders.“
Auf diese Weise lernen Kindern nach und nach, ihre Eltern als Personen zu begreifen; angepasst an ihre kognitiven Möglichkeiten. Auf sehr konkreter Ebene können sie zum Beispiel gut begreifen, wenn wir mit ihnen darüber sprechen, weshalb eine Familie keine weiteren Kinder haben möchte. Man kann mit ihnen darüber sprechen, wie wir unsere Zeit einteilen möchten und was uns im Alltag wichtig ist. Indirekt können wir auf diesem Weg ein Gespräch über Elternschaft führen, ohne die Kinder zu überfordern. Dazu kann auch gehören, Lebensentwürfe ohne Kinder zu beschreiben, ohne diese abzuwerten.
Da sich das abstrakte Denken noch entwickelt, wird es Kindern aber vor dem 12. Lebensjahr schwer fallen zu begreifen, dass bereuen und lieben nebeneinander existieren können, so dass ein Gespräch darüber sie aus meiner Sicht überfordern könnte.
Wie kann man die Kinder in Sachen abstraktes Denken unterstützen?
Für eine Diskussion über Rollen und Identität ist es erforderlich, dass Kinder und Jugendliche die abstrakte Bedeutung dieser Konzepte verstehen.
Selbst im Jugendalter, in dem sich die kognitiven Möglichkeiten zum Begreifen abstrakter Zusammenhänge entwickeln, kann ein Gespräch über innere Widersprüche herausfordernd sein, da sie erst jetzt beginnen zu verstehen, dass sich widersprüchliche Aspekte der Persönlichkeit in einem Menschen integrieren lassen. Dieses Verständnis ist aus meiner Sicht notwendig, um begreifen zu können, dass eine Mutter lieben und bereuen kann. Darüber hinaus stellt das Hadern mit der eigenen Identität und den eigenen Emotionen Jugendliche vor eine große Herausforderung. Ich kann mir vorstellen, dass nicht alle Jugendlichen es schaffen, über die Identitätsfragen der Eltern nachzudenken, ohne dabei die eigene Beziehung zu den Eltern in Frage zu stellen.
Neben den kognitiven Möglichkeiten von Kindern ist mir noch ein weiterer Aspekt wichtig:
Kinder (und damit meine ich jeden Alters) sprechen ihre Bezugspersonen erstmal in Ihrer Rolle an: Papa, Mama, Oma, Opa, Tanti, Tata, Mamou, Mami usw. Interessanterweise ist es ein globales Phänomen, dass Kinder diese Menschen in der Regel nicht mit ihren Vornamen ansprechen. Aus bindungstheoretischer Sicht macht es absolut Sinn, in diesen Personen erstmal die Funktion in Bezug auf das Leben der Kinder zu benennen. Eltern, Bezugspersonen, Bindungspersonen erfüllen eine existentielle Aufgabe: sie sichern das Überleben des Kindes. Im besten Fall schaffen diese Menschen es, dem Kind zu vermitteln, dass durch sie die Bedürfnisse des Kindes bedingungslos erfüllt werden können. Und Achtung, das ist mir wirklich wichtig: ich meine an dieser Stelle Bedürfnisse und nicht Wünsche, bedingungslos und nicht grenzenlos. Das wird oft verwechselt. Aber das ist vermutlich eine andere Diskussion.
Ich kann mir vorstellen, dass ein Gespräch darüber, dass das Großziehen, Pflegen und Versorgen einer Person uns nicht mit Freude erfüllt, erstmal Enttäuschung und Trauer hervorruft. Wenn wir also das Gespräch suchen, sollten wir bereit sein, diese Trauer zu tragen und die Enttäuschung auszuhalten.
Heißt das jetzt, wir sollten mit den Kindern eher nicht über unsere Zweifel an der Elternschaft sprechen?
Nein! Meine therapeutische Erfahrung hat mir gezeigt, dass es ein langer Prozess ist, Bindungspersonen losgelöst von Ihrer Rolle zu betrachten und sie als Individuen wahrzunehmen. Damit beschäftigen sich viele Erwachsene in ihren Behandlungen. Die Annahme, dass es Menschen gibt, die nur für unser Wohlergehen da sind, gibt unendlich viel Sicherheit. Dass diese Menschen komplexe Wesen sind, erschließt sich Kindern im Verlauf ihrer kognitiven Entwicklung. Dann, wenn sie in der Lage sind, diese Komplexität zu begreifen ohne Verunsicherung zu erleben. Wenn diese Entwicklung gelingt, können Eltern und Kinder sich im Erwachsenenalter auf Augenhöhe begegnen, was wiederum eine schöne Bindungserfahrung darstellen kann. Das setzt in meiner Erfahrung auch voraus, dass Menschen eine stabile Beziehung zu sich selbst entwickeln. Am Ende ist es in allen erwachsenen Beziehungen ähnlich: Wenn ich ein gefestigtes Selbstbild habe, kann es gelingen, mein Gegenüber als Individuum mit allen Facetten wahrzunehmen.
Entscheidend ist wann und wie.
Aus diesem Grund ist die Frage: „Was ist, wenn die Kinder diese Texte lesen?“ nicht ganz unberechtigt. Aus meiner therapeutischen Sicht ist es sehr wichtig, diese Auseinandersetzung achtsam zu führen. Um sich verschiedene Alternativen des Mutterseins vorstellen zu können und im gleichen Atemzug die Beziehung zur eigenen Mutter zu reflektieren, müssen wir in der Lage sein, zu verstehen, dass die eigene Realität von der Realität anderer abweichen kann. Dafür braucht es die nötige kognitive und emotionale Reife. Wie schwierig es ist, von der eigenen Realität zu abstrahieren und sich die Wirklichkeit einer anderen Person vorzustellen, sich zum Beispiel in eine Person hineinzuversetzen, die das Kinderhaben nicht so genießt wie man selbst, können wir sehr konkret in den Kommentaren ablesen. Am Ende gibt es wie bei vielem kein klares Ja oder Nein. Natürlich hängt es extrem vom individuellen Fall ab, wann und ob es Sinn macht, mit Kindern (klein oder groß) über bereute Elternschaft zu sprechen.
Was würde noch helfen bei der Auseinandersetzung mit dem Thema?
Was wir ALLE tun können, ist Kindern Zugang zu verschiedenen Repräsentationen der Mutterrolle zu ermöglichen. Damit Menschen im Verlauf ihres Aufwachsens sehen, dass Bindungspersonen unterschiedlich aussehen. Dass diese Menschen natürlich Väter sind, Pflegeeltern, Tanten oder Opas sein können. Dass die Aufgabe ein Kind zu lieben, zu pflegen und großzuziehen nicht nur von Menschen mit Gebärmutter ausgeübt werden muss und kann. Das können wir ALLE an die nächste Generation weitergeben. Wir können dafür sorgen, dass Kinder von Anfang an lernen, dass wir das Gefühl von Geborgenheit, Sicherheit und Zuneigung auf vielen Wegen erreichen können.
In meinen Sitzungen erarbeite ich oft, dass Widersprüche nebeneinander existieren können und es gelingen kann, sie in das Selbstbild zu integrieren. Lieben und bereuen, die Wünsche und Bedürfnisse der Kinder neben den Bedürfnissen und Wünschen der Eltern. Aus meiner Sicht ist es dabei hilfreich zu akzeptieren, dass nicht immer alles vereinbar ist. Manche Bedürfnisse reiben sich. Das ist aber kein Weltuntergang, sondern wir können lernen, damit umzugehen.
Du untersuchst generell Rollenbilder, die Auswirkungen auf Frauen haben und was das wiederum mit den Kindern macht – sehr spannend. Kannst du mehr dazu erzählen?
Die meisten Frauen, die ich in meiner Praxis sehe, beschäftigen sich in irgendeiner Form mit Mutterschaft. Ich finde es spannend, was für eine große Rolle die Idee des Mutterseins für unsere Identität spielt.
Egal, ob es darum geht, keine Kinder zu wollen, sich Kinder zu wünschen oder die Schwierigkeiten mit den Kindern. Immer wird verhandelt, was die Umwelt über unsere Entscheidungen sagen könnte.
Die Frauen mit denen ich spreche, haben unglaublich machtvolle Glaubenssätze im Kopf. „Ich habe mir die Kinder so gewünscht. Ich müsste es doch viel mehr genießen.“
In der Therapie arbeiten wir daran, das Muttersein selbstbestimmt zu gestalten. Orientiert an den Bedürfnissen und Persönlichkeiten der Kinder, aber natürlich auch orientiert an den Bedürfnissen und Persönlichkeiten der Mutter. Die Kommentare unter den Posts zur Mutterschaft zeigen sehr deutlich, was für ein unrealistisches Bild von Elternschaft wir haben. Sehr berührt hat mich die Aussage: „Das hättest Du doch vorher wissen müssen.“ Und da frage ich mich ehrlich: „Wie denn?“. Orna Donath beschreibt dieses Paradox sehr schön in ihrem letzten Kapitel: Aus welchem Grund sollte diese eine menschliche Erfahrung (Mutterschaft) eine sein, die wir nicht im Nachhinein bereuen? Es entbehrt jeder Logik. Und hier drehen wir uns im Kreis: Wir verbieten Frauen über das Bereuen zu sprechen, erwarten aber von ihnen, dass sie genau wissen, was auf sie zukommt? Wie, wenn wir nicht darüber sprechen, können wir verstehen, dass Elternschaft genauso gebunden ist an unsere persönlichen Interessen, Vorlieben und Eigenschaften wie jede andere Erfahrung auch?
Kann die fehlende Auseinandersetzung krank machen?
Ich habe mich viel mit der Entstehung postpartaler Erkankungen beschäftigt und die fehlende Auseinandersetzung mit der Mutterrolle spielt aus meiner Sicht eine wichtige Rolle in der Aufrechterhaltung dieser Erkrankungen. Selbstabwertende Gedanken, die einen wichtigen Bestandteil jeglicher Symptomaufrechterhaltung darstellen, werden gefüttert durch unrealistische Erwartungen an das Erfüllen einer Rolle, die sehr klar durch die Gesellschaft definiert scheint. Nehmen wir an, eine Frau zweifelt nach der Geburt ihres Kindes daran, ob ein Kind zu haben, die richtige Entscheidung war. Dieses Gefühl ist unglaublich schmerzhaft. Die Frau wagt nun nicht, über diese Gedanken und Gefühle zu sprechen, weil sie glaubt, sie sei „ein schlechter Mensch“, „das hätte sie doch vorher wissen müssen.“. Wohin geht sie nun mit ihrem Schmerz? Die Entstehung einer Depression ist natürlich nicht monokausal, aber die Angst, ein Tabu zu brechen, führt dazu, dass Frauen das Gespräch nicht suchen und mit ihrem Schmerz allein bleiben. Die Tragik daran ist, dass beispielsweise eine postpartale Depression Auswirkungen auf die Beziehung zwischen Mutter und Kind haben und somit ganz direkt das Kind betreffen.
Interessanterweise lese ich in den Kommentaren, dass Frauen „wegen ihrer Kinder“ nicht über das Bereuen sprechen sollten. Dabei ist es aus meiner Sicht genau umgekehrt.
Sie sollten im Interesse ihrer Kinder unbedingt darüber sprechen!
Rollenvorstellungen wirken sich ganz konkret auf die Beziehung zwischen Eltern und Kindern aus. Zum Beispiel darüber, dass erstaunlich viele Väter immer noch den Eindruck haben, sie seien auf Grund biologischer Gegebenheiten nicht „in der Lage“ Bindungs- und Pflegearbeit zu leisten. Das ist wahnsinnig schade. Ich höre von Vätern, dass sie für die „Quality-Time“ zuständig sind. Das ist wunderbar! Und ich denke, es ist jedem Paar überlassen, selbst zu entscheiden, wie Aufgaben verteilt werden. ABER! Es ist aus meiner Sicht problematisch, dann den Schluss zu ziehen, dass Kinder auf „natürliche“ Art und Weise die Nähe der Mutter suchen. Kinder suchen in diesen Szenarien die Nähe zur Mutter, weil sie der Mensch ist, der für alle Bedürfnisse zuständig ist.
Guter Punkt. Was ist mit den Vätern?
Die fehlen mir oft in der Debatte über Mutterschaft. Aus meiner Sicht lastet viel zu viel Druck auf den Frauen. Sie sollen doch bitte eine Lösung für das Vereinbarkeitsdilemma finden. Das spüre ich sehr deutlich in meinen Sitzungen. Die Mütter sind erschöpft und ausgebrannt. Gleichzeitig gibt es Frauen, die sich sehr bewusst und mit viel Freude der Carearbeit widmen. Diese Frauen wiederum kämpfen mit dem Gedanken, nicht genug zu leisten, weil sie keiner Erwerbstätigkeit nachgehen. Sie fragen sich zum Beispiel, ob sie von ihren Ehemännern überhaupt Entlastung im Alltag erwarten dürfen, weil sie „nur“ für den Haushalt und die Kinder zuständig sind. Solche Glaubenssätze wirken sich sehr negativ auf den Selbstwert aus.
Man braucht sehr viel Zeit, um Kinder mit dem Anspruch an Bedürfnisorientierung großzuziehen. Darum ist mir die Perspektive der Kinder so wichtig. Sie sind genau wie die Eltern: Individuen. Nicht jedes Kind ist auf die gleiche Weise resilient. Es gibt Kinder, die die standardisierte Kleinkindbetreuung, wie sie aktuell angeboten sind, nicht gut verkraften. Wenn wir Eltern entlasten möchten, und dabei die Kinder nicht aus den Augen verlieren wollen, muss die Betreuung an die Bedürfnisse der Kleinen angepasst sein. In unseren Kindergärten arbeiten aber Menschen, die diesen komplexen Job erfüllen sollen und dabei extrem unterbezahlt sind. Was dazu führt, dass die Einrichtungen unterbesetzt sind. Unterbesetzte Kindergärten haben zu Folge, dass die Kinder gestresst sind, dass sie niemanden haben, der ihnen hilft, den Stress zu regulieren und ihr Bedürfnis nach Nähe, Zuwendung und Fürsorge zu befriedigen. Am Ende haben wir zu Hause gestresste Eltern und gestresste Kinder. Das können die Kinder erstaunlich gut benennen. Die meisten Kinder, die ich über die Jahre in der Praxis erlebt habe, wünschen sich mehr Zeit. Mehr Zeit mit den Eltern, mehr Ruhe, weniger Hektik.
Ein Dilemma.
Das ist es. Und es kann nicht allein die Aufgabe der Mütter sein, eine Lösung für dieses Dilemma zu finden. Wie wir als Gesellschaft die Rolle der Mutter definieren, wirkt sich auf das ganze Familiensystem aus. Ich habe darüber in einem Seminar mit Kolleginnen gesprochen. Dabei fiel der Satz: „Ich fühle mich irgendwie betrogen.“ Bis sie Mutter wurden, hatten sie den Eindruck, die gleichen beruflichen Chancen und Möglichkeiten zu haben, wie ihre männlichen Kollegen. Dazu muss gesagt werden, dass Psychotherapie ein Feld ist, in dem 90% Frauen tätig sind. Dann bekamen sie selbst Kinder. Die Kolleginnen versuchen nun, alles möglich zu machen: sie forschen, veröffentlichen, behandeln Patient:innen und probieren parallel, sämtliche Erwartungen an das „Muttersein“ zu erfüllen. Was das für die eigene mentale und physische Gesundheit bedeutet, geht nicht an unseren Kindern vorbei. Junge Frauen zwischen 15 und 20 Jahren, die bei mir in Behandlung sind, sagen mir, sie wollen es auf keinen Fall so machen, wie ihre Mütter. Sie sehen, dass die Mütter überlastet sind, keine Zeit haben und an ihre Grenzen stoßen. Aber was sollen sie daraus für Schlüsse ziehen? Wie sieht dieses „anders“ aus?
Vor 20 Jahren hatte auch ich mir geschworen, es auf keinen Fall so zu machen, wie meine eigene Mutter. Sie hat ihre Doktorarbeit aufgegeben und ist wie viele Westdeutsche Frauen nach den Geburten nicht wieder in die Erwerbstätigkeit eingestiegen. Als Kinder haben wir das unglaublich genossen, erst als Teenager habe ich verstanden, wie unglücklich meine Mutter ist. Was empfehle ich nun meiner Tochter?
Das können wir so gut nachvollziehen. Was wünschst du dir perspektivisch?
Ich wünsche mir, dass das Gespräch übers Elternsein wohlwollend und offen geführt wird. Es gibt so viele Möglichkeiten diese Rolle zu füllen. Wir leben zum Glück in einer Gesellschaft in der wir viele Möglichkeiten haben, unser Leben zu gestalten. Starre Vorstellungen hindern uns daran, das Elternsein an unsere aber auch die Persönlichkeit der Kinder anzupassen.
Danke, Fanja!
Foto: Bethany Beck