Landluft versus Stadtleben – Warum ich die Stadt wähle
Wir erlebten spannende Abenteuer und kamen erst wieder nach Hause, als es dunkel wurde. Ziemlich glückliche Waldkinder waren wir! Sobald ich älter wurde und die Pubertät anfing, änderte sich das. Der letzte Bus in die nächste Kleinstadt fuhr um 18 Uhr. Dann war einfach Schluss. Ich ging auf eine Schule, die weit weg lag, sodass ich von dort auch keine Freunde mit nach Hause bringen konnte. Mein Bruder und ich saßen, als wir größer waren, nach der Schule meistens zu Hause, schauten fern, langweilten uns und beneideten die Stadtkinder unserer Schule um ihr aufregendes Leben.
Das Beste fürs Kind: Landluft?
Sobald ich volljährig war, zog es mich deshalb in die große Stadt. Dort fing ich an, das Stadtleben zu lieben. Ich genoß die unterschiedlichen Menschen um mich herum, die Vielfalt, die kulturellen Angebote, den Späti, die Energie. Seitdem ich in der Stadt wohnte, konnte ich überhaupt nicht verstehen, warum man “wegen der Kinder” zurück aufs Land ziehen sollte. Das war bevor ich Kinder hatte.
Mit einem Schlag war mir klar, warum so viele meiner Schulfreunde wieder raus ins Grüne zogen: Wenn man weniger ausgeht, häuslicher wird, braucht man nicht mehr die coole Bar um die Ecke. Und die Vorstellung, dass Junio jeden Tag im Grünen spielen kann, ohne Auto-Getöse, ohne zerbrochene Bierflaschen im Gebüsch, hach, da werde auch ich schwach. Frische Luft und rosige Kinderwangen – mein Traum vom Landleben wurde größer, als ich den Instagram-Account von Katrien entdeckte, die mit ihrer Familien ein ruhiges, wunderschönes, Leben auf dem Land in Italien zelebriert. Ich wollte auch so etwas! Irgendwie wünschte ich mir ein Leben wie in der Toffifee-Werbung: Nach einem aufregenden Waldspaziergang kommen die Kids nach Hause, die frische Landluft in ihren Haaren. Man sitzt zusammen und freut sich des Lebens. So weit, so gut das Ideal.
Alltagsstress und Lärm
Besonders wenn der Urlaub schon lange her ist, merke ich, wie die Stadt an meinen und Junios Nerven zehrt; besonders wenn sich auf der Bank vor uns in der U8-U-Bahn-Station mal wieder jemand eine Crackpfeife anzündet; besonders wenn der große Laster neben uns ganz laut hupen muss und dann im Zentimeter-Abstand an unserem Fahrrad vorbeifährt; besonders in diesen Momenten verdamme ich das Stadtleben und frage mich, warum ich mir und meinem Sohn so etwas antue.
Aber wenn ich an das Landleben denke, an die Ruhe und den Frieden und die Weite, dann bekomme ich manchmal auch ein wenig Angst, dass daraus für mich irgendwann Leere wird, und Sehnsucht und Einsamkeit.
Und dann gibt es diese Nachmittage und frühen Abende, wo ich mich wieder einmal zwischen mindestens zehn Spielplätzen im näheren Umfeld entscheiden kann: Der mit den lustigen Mitte-Eltern (wo auch gern mal ein Glas Wein getrunken wird), der hübsche, versteckt gelegene, schattige Spielplatz, der Spielplatz direkt gebenüber meiner Lieblingspizzeria, der Spielplatz mit der Plansche, der mit der Riesenrutsche etc. etc. Es gibt einfach schon bei den Spielplätzen soviel Vielfalt! Am Wochenende kann Junio im Thaipark mit großen Jungs Fussball spielen und dann eine Frühlingsrolle oder Kokosnusspudding probieren. Er fängt bei Straßenmusikern sofort an zu tanzen und weiß schon ganz genau bei welchem Eisladen es das beste Schoko-Eis gibt. Und Freunde findet Junio überall, jeden Tag aufs Neue. Oder wir treffen uns mit anderen Eltern, es wird viel geplaudert und wild gespielt. Junio ist ein so offenes und freundliches Kind geworden: Manchmal denke ich, es hat auch ein bisschen etwas mit den vielen Reizen, den vielen verschiedenen Menschen, die er täglich trifft, zutun.
Aber Spielplätze sind nicht das Gleiche, wie die richtige Natur? Ja, natürlich spielen Kinder auf Spielplätzen anders: Die meisten Spiele sind vorgegeben, es braucht weniger Phantasie. Trotzdem wird die Rutsche nur kurz bespielt, und dann ist Junio auch schon wieder im Gebüsch verschwunden und spielt mit Steinen und Stöcken und anderen Kids Monster.
An diesen Nachmittagen bin ich eine glückliche Stadtmama und stolz darauf, dass Junio so ein richtiges Stadtkind ist. Und wenn wir doch mal große Landsehnsucht haben, dann wird am nächsten Wochenende eben ein Ausflug unternommen. Auch wenn ich nicht mehr regelmäßig in die Bar um die Ecke gehe, finde ich es immer noch klasse dafür nicht kilometerweit fahren zu müssen. Einen Babysitter zu nehmen und schnell mal zum Konzert gehen. Eine Freundin unkompliziert im Lieblingsrestaurant treffen. Mit Junio noch kurz zur Ausstellungseröffnung. Ihr merkt es vielleicht, hier hat jemand noch nicht ganz mit dem Stadtleben abgeschlossen und wird das wahrscheinlich auch nie. Mit zwölf wird Junio mir vielleicht dankbar sein. Und bis dahin suche ich weiter meine Traum-Stadtwohnung: Erdgeschoss mit kleinem Garten davor. Ein Kompromiss, mit dem ich als Landei und Stadtliebhaberin gleichzeitig, gut leben kann und Junio sicherlich auch.