Gleichberechtigt leben – ohne Erbsenzählen. Geht das überhaupt?

Morgen ist Equal Care Day. Dahinter steckt eine Initiative, die Menschen, Institutionen und Verbände auf die mangelnde Wertschätzung und unfaire Verteilung von Care-Arbeit aufmerksam machen möchte. Der Tag soll das Bewusstsein dafür schärfen, dass "sich kümmern" in unserer Gesellschaft meistens schlecht bis gar nicht honoriert wird. Passend dazu bin ich mal wieder bei meinem Lieblingsthema: 50/50. Die Soziologin Jutta Allmendinger hat es mal hier als die größte soziale Revolution seit Ende des zweiten Weltkriegs bezeichnet, dass Frauen mittlerweile so stark im Arbeitsleben mit eingebunden sind. Allerdings - so sagt sie auch - sind die Frauen selbst bislang auch die Leidtragenden dieser Revolution.

Sie verdienen weniger, arbeiten oft Teilzeit, was in Deutschland mit fehlenden Aufstiegschancen einhergeht, und machen in der Regel zusätzlich zum Beruf auch noch die ganze Care-Arbeit. Oder zumindest einen Großteil. Das ist alles auch wissenschaftlich erwiesen. Frauen wenden pro Tag im Durchschnitt 52,4 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit auf als Männer. Es gibt aber nicht nur ein “Gender Care Gap”, sondern auch ein Motherhood Wage Gap, Frauen verlieren also statistisch immer im Beruf, wenn sie Mutter werden. Für Väter gilt das Gegenteil: es gibt ein “Fatherhood Wage Premium”, Männer werden also eher befördert, wenn sie Vater werden.

Alles nicht so richtig gerecht.

Die Lösung liegt eigentlich auf der Hand: Erwerbs- und Care-Arbeit zwischen den Partnern so gerecht aufteilen, dass es für beide passt. Aber wie geht das in der konkreten Umsetzung? Alexandra Zykunov sagt in einem unserer 50/50 Interviews: “Ich weiß echt nicht, wie das ohne Absprache funktionieren soll. Wenn wir seit Jahrhunderten so erzogen wurden, dass die Frauen mehr übernehmen, wie sollen dann solche Denkmuster bei einigen wenigen von uns einfach so ohne Absprachen und Diskussionen auf einmal aufgebrochen worden sein? Das Geheimnis dahinter würde ich gern erfahren. Bis dahin fällt es mir ehrlicherweise echt schwer, zu glauben, dass bei solchen Paaren, die Frau nicht trotzdem mehr Care-Arbeit übernimmt. Und es beide mit Sätzen wie “Ich kann die Kids eben schneller ins Bett bringen als er” oder “Ich habe einfach höhere Sauberkeitsstandards als er und wische eben schnell selbst” verschleiern.” Ich muss ihr recht geben. Ohne Absprache geht nichts. Aber geht es zumindest ohne “Erbsenzählen”, wie es die Autorin in diesem Artikel genannt hat? Das habe ich einfach mal übernommen, denn ich mag den Begriff so. Und Erbsen!

Geht es also ohne ein ständiges Aufrechnen und Zeit stoppen?

Ich weiß, dass viele Eltern zurückschrecken bei dem Gedanken, dass sie jetzt Listen führen sollen für jede kleine Haushaltstätigkeit. Und dann immer in der Diskussion fest stecken, wer wann arbeiten und Geld verdienen darf und wer sich um die Kinder kümmert. Und dann kommen ja noch andere Aspekte hinzu. Zum Beispiel, wenn der Job des einen Elternteils mehr Geld bringt – ist er dann nicht auch mehr wert und sollte Vorrang haben? All das klingt alles andere als romantisch.

Ich sage: es geht ohne Erbsenzählen. Aber ohne Gespräche geht es nicht.

Ich habe meinen Freund gefragt, ob er findet, dass wir Erbsen zählen. Er meinte: ich nicht. Du manchmal schon.  Das stimmt. Ich bin eher die, die meckert, wenn sie denkt, sie macht zu viel. Weil ich weiß, dass wir Frauen dazu neigen. Wir haben eine ziemlich klare Aufteilung zuhause: ich mache die Wäsche und mehr Orga, er macht die Küche, die meisten Einkäufe und er kocht. Ich bin für Schulsachen zuständig, er für Kita, ich für Klamotten, er für Arzttermine. Die Tage teilen wir auch auf, wenn es passt. So läuft das ungefähr, jeder weiß aber auch im Bereich des Anderen bescheid. Es klappt. Weil wir beide genug Zeit dafür haben und weil wir es wollen. Es klappt auch, weil wir es okay finden, wenn es mal Streit gibt. Und weil wir uns eben immer wieder darüber austauschen, wie es sich für den einen oder den anderen gerade anfühlt. “Ich bin diese Woche schon drei Mal als erstes aufgestanden!”, Antwort: okay – sehe ich. Dann stehe ich morgen auf. “Ich hatte diese Woche noch keine Zeit für Sport!” Antwort: Okay. Sehe ich. Vielleicht passt es morgen rein. Wie machen das die Paare in meinem Umfeld? Klappt eine gleichberechtigte Aufteilung ohne ständiges Aufrechnen? Und noch viel wichtiger:

Kann eine Beziehung gleichberechtigt sein, auch wenn nicht alles genau hälftig aufgeteilt ist?

Ich sage: Ja. Dazu muss man sagen: Ich lebe in einer absolut unrepräsentativen, modernen Blase. In der Kita meiner Tochter arbeiten überwiegend männliche Erzieher, wenn ich in die Schule meines Sohnes gehe, sehe ich immer ungefähr genauso viele Väter wie Mütter. Seine Erzieher sind auch männlich. Im Freundeskreis sieht es ähnlich aus. In vielen Familien sind die Väter meine Ansprechpartner für Geburtstage und Playdates. Männer, überall. Alles überhaupt nicht repräsentativ, das weiß ich. Aber ich finde es schön, denn meine Bubble zeigt mir, dass es geht. Ich behauptet jetzt einfach mal Folgendes: Mit einem weitsichtigen, modernen und fair denkenden Mann, da denke ich, dass es ohne Erbsenzählen geht. Und auch konservativ geprägte Männer können umdenken. Man muss ihnen eventuell etwas Zeit geben, aber es kann funktionieren. Allerdings nur, wenn ein paar andere Dinge stimmen.

  1. Man MUSS den meisten Menschen den Wert der unbezahlten Arbeit klar machen. Manchmal auch sich selbst! Vielen fehlt ja wirklich das Bewusstsein dafür. Weil es schon immer so war. Weil es ja auch Freude macht. Weil es doch “keine richtige Arbeit” ist. Aber das stimmt nicht. Sich kümmern ist Arbeit. Haushalt ist Arbeit. Einen Haushalt zu organisieren ist Arbeit. Weil das vielen so gar nicht klar ist, findet der Equal Care Day übrigens auch am 29. Februar in Schaltjahren und in allen anderen Jahren am 1. März statt. Denn genauso wie der 29. Januar fällt Care Arbeit gerne “hinten über”. Sie wird einfach gemacht, zu 80% von Frauen. Im Privaten, im Ehrenamt oder im professionellen Bereich. Um sich der Sache bewusst zu werden, hilft übrigens nach Vorbild von “Das bisschen Haushalt” das “Umdrehen” manchmal. Bei einem Mann, der Hausmann ist oder viele Monate Elternzeit nimmt, da sagen ganz oft alle: Ja klar, das ist ja so toll, klar soll der da einen Ausgleich bekommen! Das ist ja so viel wert! Frauen haben das Gleiche verdient.
  2. Man SOLLTE im Vornherein besprechen, wie man sich aufteilen will – und das dann auch immer wieder tun. Immer wieder abgleichen, wie sich beide in ihren Rollen fühlen. Wer hier schon länger mitliest weiß, dass ich finde, dass Vater-Elternzeit ein perfektes Tool für Gleichberechtigung ist. Dann sieht der Vater nämlich automatisch die ganze Arbeit, die ein Baby so macht. Und schätzt sie auch wert. Außerdem wollen die wenigsten Väter nach mehreren Monaten Papa-Zeit ein Vater sein, der seine Kinder nur für den Gutenachtkuss sieht. Sie wollen sich dann mehr einbringen. Studien belegen, dass Väter die in Elternzeit waren eine engere Beziehung zu ihren Kindern haben – und die Ehen und Paar-Beziehungen weniger häufig scheitern.
  3. Miteinander reden ist generell einfach so wichtig. Auch darüber, was beide sich in Sachen Karriere wünschen. Ob sie sich als Ernährer oder als Kümmerer sehen, oder als beides. Ob ihnen Geld wichtig ist, oder Status. Oder eher Zeit und Freiheit. Welche Ziele man hat. Wie man sich finanziell aufteilen könnte, damit es gerecht ist. Wie man die Rentenlücke des “Kümmerers” schließen könnte. Und auch wenn das hier nicht immer so rüber kommt: Ich finde nicht, dass es immer genau 50/50 sein muss, um ausgeglichen zu sein. Mir ist auch klar, dass das in vielen Konstellationen gar nicht geht. Es gibt Jobs, die kann man nicht in Teilzeit machen. Wer hohe Fixkosten hat (beispielsweise weil eine Immobilie abbezahlt wird), der ist finanziell sehr eingeschränkt. Und so weiter. Aber: Wer eine Beziehung auf Augenhöhe führt, wer sich seiner Privilegien und seiner Prägungen bewusst ist, wer Unangenehmes anspricht, der kann auch ohne Erbsenzählen und genau 50/50 gleichberechtigt leben. Meine Erfahrung ist aber: wenn man all diese Dinge anspricht, dann nähern sich die meisten mit der Zeit an ein 50/50 Modell an. Das passiert dann einfach. Weil es eben auch fair ist!

Dazu drei Beispiele aus meinem Freundeskreis, die nicht 50/50 und dennoch gleichberechtigt sind (finde ich):

Ein Paar, ein Kind. Mittlerweile sieben Jahre alt. Beide arbeiten im kreativen Bereich, seine Karriere nahm nach der Geburt des Kindes richtig Fahrt auf (wie das ja oft so ist), er hatte wahnsinnig tolle Projekte. Sie hat damals den Löwenanteil der Care-Arbeit gestemmt, er hat dafür damals wesentlich mehr bezahlt. Sie konnte so mehr für sich zurücklegen. Sie hat während dieser Jahre immer versucht, nicht den Anschluss zu verlieren und nebenbei einige Projekte angenommen (es wurden dann Omas und Babysitter eingespannt). Jetzt hat sich die Situation völlig umgekehrt. Sie hat nun ein Riesenprojekt zugesagt bekommen und wird in den nächsten Jahren nicht nur viel Arbeit haben, sondern auch viel zum Familieneinkommen beitragen. Er wird sich also im Beruf jetzt eine Weile zurücknehmen. Und sie zahlt mehr. Das war wirklich ein Paar, wo ich immer zu ihr gesagt habe: du machst ja wirklich alles, was macht er denn genau? Und siehe da. Er ist jetzt gewillt, den Großteil der Care-Arbeit zu übernehmen um ihr den Rücken frei zu halten und seine Karriere spielt gar nicht so eine große Rolle. Die ersten Wochen laufen gerade. Und er ist ein richtig toller Hausmann geworden. Kümmert sich rührend um alles.

Ein anderes Paar: Beide hatten gute und sichere Festanstellungen, bevor das Kind kam, sie teilten die Kosten. Dann ist der Klassiker passiert: sie hat ein Jahr Elternzeit genommen, er wurde in dieser Zeit befördert. Die zwei Papa-Monate Elternzeit haben sie im Ausland verbracht. Schnell war klar, dass sie nicht Vollzeit in den Job zurück kann, obwohl sie das gerne getan hätte. Aber dann wäre das Kind nur noch in der Betreuung gewesen und der Mann arbeitete eher 45 als 40 Stunden. Über ein Jahr lang ging das so: sie 20 Stunden, wenig Gehalt, keine Aufstiegschancen mehr. Sie den ganzen Haushalt gemacht, das Kind jeden Nachmittag betreut. Er locker 45 Stunden, viel Geld, Verantwortung, immer mehr Aufstiegschancen. Sie war richtig unglücklich damit, er nicht. Irgendwann haben sie sich hingesetzt und offen gesprochen: Was bedeutet dir mehr: Geld oder Zeit mit der Familie?  Was wünschst du dir perspektivisch? Dabei kam heraus, dass sie sich mehr Karriere wünscht und er sich eigentlich mehr Zeit für die Familie. Dass er das Versorger-Ding aber auch voll drin hat und sich schon auch über sein Einkommen definiert. Gemeinsam haben sie beschlossen, dass die nächste Gehaltsverhandlung nicht auf mehr Geld, sondern auf mehr Zeit hinauslaufen soll. Für ihn war das eine große Überwindung, das weiss ich. Auch war das in seinem Unternehmen eine absolute Besonderheit. Aber er hat es durchgeboxt. Er wird ab Frühjahr nur noch 4 Tage arbeiten, einen Tag haben sie einen Babysitter am Nachmittag, sie kann jetzt also entspannt auf 30 Stunden erhöhen. Das Kind ist inzwischen auch fast vier und alles ist leichter geworden. Beim Haushalt ist es auch ein Prozess, aber es wurden klare Bereiche aufgeteilt und der Mann ist wohl in seinen Bereich sogar schon sehr gründlich, fast pedantisch geworden, haben sie mir lachend erzählt. Meine Freundin wünscht sich, dass sie irgendwann in allem 50/50 sind. Also dass sie auch in Sachen Gehalt aufholen kann. Gerade ist es schon immer noch so, dass er mehr zahlt und sie mehr Care-Arbeit macht. Was ich aber toll finde: Die beiden haben die Finanzen so geregelt, dass sie mehr in eine private Vorsorge einzahlen kann. Dass sie also zumindest Renten-technisch keine Einbußen hat.

Und die dritte Familie: Vor der Geburt hatte sie eine ganz gut bezahlte Vollzeit-Stelle, er hatte damals schon eine Firma gegründet. Nach der Geburt hat sie ausgesetzt, seine Firma lief immer besser. Die beiden haben zwei Kinder in drei Jahren bekommen, sie war dann also schon vier Jahre raus aus dem Arbeitsleben, er schon RICHTIG erfolgreich. Die Familie brauchte ihr Einkommen nicht, sie hatte nun schon so lange alles zuhause gemacht, dass eine neue Verteilung schwer fiel. Dazu kamen Prägungen: er ist mit einer Mutter aufgewachsen, die ihm auf gut Deutsch “immer alles hinterher geräumt hat”, sie mit einer Mutter, die schnell wieder Vollzeit gearbeitet hat. Sie wollte mehr für ihre Kinder da sein, er sah die Care-Arbeit klar bei der Frau. Dennoch stellte sich irgendwann ein großes Ungleichgewicht ein: sie war unzufrieden, denn sie merkte, dass sie nie wieder in ihrem alten Beruf Fuß fassen würde und das auch gar nicht wollte. Dass sie sich also umorientieren müsste. Er war wenig da und verdiente gutes Geld. Eine Eigentumswohnung wurde angeschafft, das zweite Auto. Auch hier: wurde viel gesprochen. Ihm den Wert  ihrer täglichen Arbeit klar machen war gar nicht so schwer, sagt sie. Er hat das sofort gesehen. Sie haben auch über seine Rolle als “Versorger” gesprochen und wie wichtig ihm das ist. Sie hat erzählt, dass sie Angst hat, weil sie in Sachen Rente so viel verloren hat. Sie hat auch vorgerechnet, wieviel Geld sie verdienen hätte können in den Jahren, in denen sie Kinder bekommen und sich um sie gekümmert hat. Das Ende der Geschichte? Ihr Mann hat ihr eine Eigentumswohnung gekauft. Die gehört jetzt ihr. Sie ist ihre Altersvorsorge, sie hat dadurch ein eigenes Einkommen. Und dann ging es weiter. Er hat in seiner Firma mittlerweile eine Position, in der er seine Arbeitsstunden reduzieren kann. Es hat zwar gedauert, aber mittlerweile hat er ganz viel eingesehen und will auch mehr zuhause da sein. Er holt die Kinder jetzt öfter ab und fährt sie herum, er räumt abends ungefragt auf, er unterstützt sie bei ihrer Umschulung, die sie gerade macht. Sie kann mehrere Tage alleine wegfahren und er rockt zuhause alles alleine ohne viel Erklärung. Dieser Mann hat jahrelang wirklich NICHTS im Haushalt gemacht und nun geht es schon, dass sie weg fährt – und die Wohnung sieht gut aus, wenn sie wiederkommt. Und ja, ich würde dieses Paar auch als gleichberechtigt bezeichnen. Weil die finanziellen Ungleichheiten ziemlich ausgeglichen sind. Weil offen kommuniziert wird und weil sich nun auch tatsächlich in Sachen Arbeitszeit und Care-Arbeit-Aufteilung etwas getan hat. Meine Freundin träumt davon, in ihrem neuen Job sehr schnell erfolgreich zu sein. Und, wer weiß, sagt sie: “Vielleicht hat mein Mann dann seine Firma verkauft, ich starte noch mal voll durch in ein paar Jahren. Und dann hält er mir den Rücken frei.”

Ich denke, ihr wisst, was ich meine. Solange man offen über die kritischen Themen spricht: Worüber definiere ich mich? Was ist mir wichtig? Wie viel Wert hat die Care-Arbeit? Wie werden Rentenlücken ausgeglichen? Würdest du mir auch den Rücken freihalten? Ist dir Zeit wichtiger, oder Geld? Diese Dinge. Solange man darüber spricht und sich über den Wert der unbezahlten Arbeit im Klaren ist. Dann kann eine gleichberechtigte Beziehung auch ohne Erbsenzählen klappen. Wenn beide so sind, dass sie bestimmte Vorlieben im Haushalt haben (er kann gut kochen, sie kann gut organisieren), dann kann auch eine richtige 50/50 Aufteilung ohne ständiges Aufrechnen gehen. Und wenn wir unseren Kindern vorleben, dass beide Geschlechter beides gut können: Geld verdienen und sich kümmern. Dann wird das alles für sie noch viel einfacher werden.