Das sechste Lebensjahr…
Ich bin wehmütig – und überrascht davon. Wenn jemand erzählt, sein oder ihr Kind sei vier, denke ich: krass, meins nicht mehr. Vier ist jetzt schon vorbei. Er ist jetzt fünf. Wie schnell die Zeit vergeht. So lange sind wir schon zusammen, so lange darf ich diesem kleinen Menschen schon beim Groß werden zusehen, so lange bin ich schon Mutter.
Trotz der Wehmut merke ich aber gerade immer wieder, dass dies ein wunderbares Alter ist, das mir unheimlich viel Freude macht. Manchmal denke ich: jetzt ist es genau so, wie ich es mir immer vorgestellt habe. Jetzt ist mein Kind so groß und schlau, es kann so gut sprechen, dass wir schon richtig tiefe, ernste Konversationen haben. “Mama, warum ist das so, dass manche Menschen reich sind und andere arm?” fragt er und “Was ist das Universum?” aber auch diese ganzen kleinen Alltagsgeschichten: “Heute haben wir in der Kita so etwas Lustiges gemacht, schau mal”.
Jetzt kommen aber auch herrliche, altkluge Feststellungen, über die wir wahrscheinlich noch ein Leben lang schmunzeln werden. “Der Himmel ist blau, weil der Regen ihn färbt. Das ist so!” , oder als er letztens todernst fragte: “Papa, was willst du eigentlich werden, wenn du groß bist?” Er für seinen Teil möchte “alles” werden. Ganz vieles, am liebsten aber eben alles. Auf jeden Fall Pilot, Polizist und Astronaut.
Gemeinsam lachen
Wir lesen jetzt richtig lange Bücher und lachen gemeinsam darüber. Wir haben bezaubernde Bonding-Momente, so wie als ich ihm letztens vor der ersten Schwimmstunde in der Garderobe half und wir waren beide so nervös. “Ich bin irgendwie genauso aufgeregt wie du!” habe ich gesagt und seine Reaktion war Strahlen und Nicken. Wie schön das ist, wenn man merkt, dass er merkt, dass ich ihn genau verstehen kann und er das auch zeigt.
Es ist ja nicht immer so, als könnte ich die Gedanken und die Gefühle eines 5-Jährigen genau nachvollziehen. Immer noch bin ich oft überrascht, warum man sauer, enttäuscht, traurig wird und bei anderen Dingen, bei denen ich eine heftige Reaktion erwartet hatte, bleibt das Kind dann plötzlich total cool. “Nicht so schlimm, Mama!”
Man lernt sich also immer noch und immer wieder neu kennen, auch nach sechs Jahren noch. Aber das Band wird stärker. Und es fällt mir mit jedem Lebensjahr leichter, mich in mein Kind hineinzuversetzen. Ich merke, dass jetzt das Alter beginnt, an das ich mich auch noch intensiv erinnern kann. Mit fünf war ich zum Beispiel mit meinem Vater in Argentinien, an diese Reise habe ich viele Erinnerungen. Und es rührte mich manchmal richtig, meinen Sohn im letzten Urlaub zu beobachten und zu denken: daran wird er sich vielleicht auch ein Leben lang erinnern können.
Außerdem merke ich auch, dass ich viele Dinge schon vor einer Weile machen wollte (und auch getan habe): mit ihm auf Konzerte und ins Kino gehen, mit ihm Rad fahren, Schwimmkurs, ein Mittagessen nur für uns beide, eine kleine gemeinsame Reise. Und erst jetzt macht es so richtig Spaß, weil er 100% dabei ist. Die leuchtenden Augen im Weihnachtszirkus, das war unbeschreiblich. Die Geschichten danach! Die Freude über die Konzertkarten, die letzte Woche ankamen. Das Glück, mit einer Riesentüte Popcorn im Kino zu sitzen und sich so erwachsen zu fühlen. Ich kann es richtig mitfühlen.
Mehr Empathie und Selbstständigkeit
Viele Entwicklungsschritte sind in den letzten Monaten passiert: man merkt, dass das Kind sich nicht mehr als Mitte des Universums wahrnimmt und stattdessen immer empathischer wird. Auch, dass viele Dinge, die wir gefühlt seit Jahren monieren, jetzt erst ernst genommen werden. Plötzlich sagt er: “Kann ich dir helfen?” Will kleine Aufgaben im Haushalt übernehmen, zieht sich immer selbst an, beendet auf einmal von alleine eine Diskussion.
Von einem Tag auf den anderen wurde die Nacht im eigenen Zimmer durchgeschlafen, das hat mich so überrascht, dass ich noch Wochen aufgewacht bin um nachzusehen, ob alles okay ist. Lustig, wie sich Dinge, über die man sich ewig Gedanken gemacht hat, plötzlich einfach von selbst lösen und dann kann man gar nicht mehr nachvollziehen, warum man es so lange so wichtig fand.
“Es wird noch besser”, sagte jüngst die Mutter eines 7-Jährigen zu mir, aber ich wurde auch schon gewarnt, vor der “Vorschul-Pubertät” nämlich, die wohl ganz schön kräftezehrend sein kann. So genieße ich also jetzt dieses schöne Alter, freue mich auf alles, was noch kommt und hoffe, dass ich mit den Jahren auch immer entspannter werde und all die angeblichen “Pubertäts-Schübe” die noch kommen sollen, mit Gelassenheit meistern kann.
Auf die Fünf, mein Großer!