Ab wann kann man ein Kind “auch mal alleine” lassen?

Vor gar nicht allzu langer Zeit hatte ich mit Xaver ein interessantes Erlebnis. Wir fuhren am Nachmittag zusammen zum Einkaufen und als es ans Aussteigen ging, sagte er: "Kann ich hier im Auto warten und Radio Teddy hören?" Mein erster Impuls war: NEIN! Aber dann dachte ich: Einkaufen mit einem Kind ist weniger anstrengend als mit zweien. Was soll schon passieren? Und vor allem: er WILL es ja. Soll ich ihn in seiner Freiheit einschränken, nur weil ich denke, das geht jetzt nicht?

Ich war hin- und hergerissen. Am Ende ließ ich ihn. Wir machten aus: Ich sperre ihn ein, er kann die Tür aber von innen öffnen. Wenn er mich ganz dringend braucht, steigt er aus und geht zur Kasse im Supermarkt (er kennt das Gelände gut, wir kaufen immer dort ein). Das aber wirklich nur im NOTFALL! Das ist ohnehin eine Abmachung bei uns: wende dich an jemanden, der dort ARBEITET und lass uns ausrufen, oder an eine Mutter mit Kind, wenn du uns suchst, oder etwas brauchst. Und was ich auch immer sage: Nicht mit Fremden sprechen. Niemandem aufmachen. Und wenn dir jemand blöd kommt, dann schreist du ganz laut “HILFE”. Auch nur im Notfall natürlich.

Früher…

Ich hatte richtig Panik während dieses Einkaufs, Quinn wollte rumrennen, quengelte (sie ist fast 2, das ist das nervigste Alter im Supermarkt finde ich…), ich machte mir konstant Sorgen und beeilte mich wahnsinnig. Als ich wieder draußen war: alles gut. Er saß brav da und hörte. War fast beleidigt, dass wir schon wieder da waren. Dann sagte er: “Mama, was machst du dir so Sorgen, Papa ist letztens sogar kurz mit Quinn zum Edeka gegangen und ich durfte alleine zuhause bleiben!”. WAS?? War meine Reaktion. Der Mann sieht das alles also sehr viel lockerer: “Klar, er wollte nicht mit und lieber spielen, ich musste dringend Milch holen. Was soll ich ihn da zwingen? Er ist echt vernünftig, das kann man schon mal machen.” Dann kam das, was immer kommt: “Meine Mutter hat uns früher auch oft alleine gelassen”.

Früher. Früher ist man auch abends ins Kino gegangen, während die Kinder schliefen. Für mich nicht wirklich ein Maßstab. Was da alles passieren kann! Aber er hat schon recht: Xaver IST vernünftig. Er würde niemals an den Herd gehen, die Badewanne voll laufen lassen, aus dem Fenster steigen oder Fremden die Türe öffnen. Letztens war ich mit einer Freundin im Park, die Jungs (ihrer ist ein Jahr älter) wollten alleine Fußball spielen gehen, ich sagte: klar! Sie war skeptisch. Ihrer baut aber auch eher mal Mist, hat sich schon diverse Platzwunden und Brüche zugezogen. Ich meinte: Xaver ist fast ZU vorsichtig. Und er würde immer zu uns kommen, wenn was wäre. Ich habe dennoch auch immer ein mulmiges Gefühl, wenn ich ihn zum Beispiel alleine zum Spielplatz gehen lasse, während ich noch im Café sitze – und ihn nicht gut sehen kann. Bisher hat er sich aber wirklich immer wahnsinnig vorbildlich verhalten.

Selbstständigkeit stärken

Was ist überhaupt erlaubt? Die Rechtsprechung ist recht lose gehalten: Je nach Alter und Entwicklungsstand der Kinder kann man diese im Kindergarten- und Vorschulalter durchaus schon mal kurz alleine lassen, solange das Kind das will und bestimmte Regeln ausgemacht wurden. Eine Verletzung der Aufsichtspflicht ist das, was mein Mann getan hat, also nicht.

Es heißt in § 1626 BGB: “Bei der Pflege und Erziehung berücksichtigen die Eltern die wachsende Fähigkeit des Kindes zu selbstständigem verantwortungsbewusstem Handeln.”

Das bedeutet ja auch, dass man die Selbstständigkeit fördern soll. Sprich, wenn ein Kind alleine bleiben möchte, dann  ist das vielleicht auch okay so. Da müssen wir Helikopter-Mums uns wohl auch mal zusammen reißen. Aber es gibt doch auch Grenzen, oder?

Marie fragte mich vor kurzem, ob ich ein vierjähriges Kind alleine am See lassen würde, um kurz was im Haus zu holen. Ich meinte: Ganz kurz, wenn klar abgemacht ist, dass es nicht alleine zum See darf. Sonst niemals. Länger? Niemals. Ein Kind, das nicht schwimmen kann, nein nein nein. Ihr habt es im Podcast vielleicht gehört, ertrinken gehört zu meinen absoluten Ur-Ängsten.

Obwohl: bei unserem letzten Formentera-Trip durfte Xaver ein Mal mit seinem Freund am Strand bleiben, während wir schon Essen gingen. Wir konnten ihn immer wieder sehen und ich dachte: was für ein schöner Moment für ihn. Ganz alleine, keine Eltern weit und breit. Die beiden stürzten sich in die (kleinen) Wellen (Xaver trug einen Schwimmgurt), spielten im Sand, liefen herum. Wir nehmen den Kindern schon auch viel, wenn wir sie nie alleine lassen, oder?

Als eine Freundin, deren Tochter sieben ist, letztens mit uns ausgehen wollte, sagte eine andere Freundin: Also, die kannst du doch schon alleine lassen abends! Das fand ich irgendwie auch crazy. Dann dachte ich: Wenn sie es ausdrücklich will und ein Telefon für Notfälle hat, die Nachbarn eingeweiht sind, etc. Dann vielleicht schon? Ich weiß es nicht… Sie wollte aber eh nicht und es wurde ein Babysitter organisiert.

Schlüsselkind

Ich erinnere mich nicht, wann ich das erste Mal abends alleine war. Ich weiß aber, dass ich in der Grundschule schon mehrmals die Woche “Schlüsselkind” war. Ich ging alleine nach Hause, schob Essen in den Ofen und wartete auf meine Mama, die meist am Nachmittag kam. Ich habe das nur positiv in Erinnerung, ich genoss die Ruhe richtig, auch die Selbstständigkeit. Und als ich irgendwann im Hort war, fand ich das eher ein bisschen stressig.

“Früher” hat man es ja auch wirklich anders gehandhabt.

Aber wie macht ihr es heute, das interessiert mich wirklich. Lasst ihr eure Kinder ab und zu alleine zu Hause oder unbeaufsichtigt zum Spielplatz? Und in welchem Alter?

Foto: Vanessa Bumbeers