Susanne Scheerer mit Leni und Irma
Liebe macht eine Familie

Als ich Susanne traf, war klar, dass ich sie unbedingt porträtieren wollte: Eine starke Frau, mit inspirierenden Ansichten und einer tollen Familie – genau richtig, dachte ich. Susanne wohnt mit ihrem Mann Rainer und den zwei kleinen Mädchen Leni und Irma mitten in Berlin. Aber bei den beiden gibt es noch eine ganz andere Geschichte, die ich mindestens genauso spannend fand: Dabei geht es um Samenspende, einem Kinderbuch und ganz viel Menschlichkeit.

Liebe Susanne, du bist Bühnenbildnerin und dein Mann Opernsänger: Eine durch und durch kreative Familie also und das sieht man euer Wohnung auch an. Seit sieben Jahren wohnt ihr am Alexanderplatz in einer Plattenbau-Wohnung. Was sind die Vor-, was sind die Nachteile?

Absolut ungeschlagener Vorteil: Es ist wirklich billiger Wohnraum – als Künstler ist das unabdingbar, dass für die Miete nicht soviel draufgeht. Und es ist sehr groß. Früher hieß es Universitäts-Prof-Platte. Hier saßen die Funktionäre. Also platzmäßig können wir mit vier Zimmern auf jeden Fall, auch mit beiden Babes, erst mal hierbleiben. Nachteil ist für mich persönlich, dass es einfach keinen Kiez gibt. Keine Cafés, kleine Läden, schöne Spielplätze – das ist mit Kindern nicht so geil. Manche finden es echt hässlich, vor allem von außen. Aber Rainer sagt immer, „wenn man in der Platte hockt muss man nicht ruff gucken“. Aber klar, niedrige Decke und so… Es hat eindeutig nichts Großbürgerliches. Ich liebe außerdem den Balkon sehr. Das hat man nicht so oft. Das sind einfach 15qm2 – im Sommer ist das ein weiteres Zimmer. Über kurz oder lang braucht es dann Studios für die Kunst, damit das Privatleben atmen kann.

Du und Rainer habt 2010 geheiratet. Wie habt ihr euch beide gefunden? Und was, neben den Kindern natürlich, verbindet euch am meisten?

Er hat mich gefunden! Und hat dann acht Monate gebraucht, um mich zu überzeugen, dass wir beide eine gute Idee sind. Wenn du ihn fragst sagt er: Ich habe Susanne gesehen und wusste – that’s it, die heirate ich mal. Ich kam gerade aus einer schlimmen Trennung und war gar nicht aufnahmefähig. Er hat mir dann ein Päckchen geschickt, was für acht Monate nicht bei mir ankam, in dem lag ein Button auf dem stand ‚IS IT LOVE?’ und er hat immer auf meine Antwort gewartet und die kam nie – weil ich gar nicht wusste, dass die Frage im Raum steht. Er hat sich dann irgendwann ganz mutig hingesetzt und gesagt: Ich liebe Dich, Freundschaft geht nicht mehr. Das war für mich wie ein Aufwachen. Zwei Tage später waren wir ein Paar. Ich habe ihm dann zu seinem nächsten Geburtstag den Verlobungsring meiner Uroma einschmelzen lassen mit der Gravur ‚YES IT IS’. Der Rest ist Geschichte!

Was uns verbindet? Ich glaube, dass darf man heute gar nicht mehr sagen, in dieser stark individualistischen, emanzipatorischen, polyamoren Bewegung: Ganz tief drinnen brauchen wir uns beide einfach. Ich kann nicht ohne diesen Menschen. Und ja, an der Oberfläche gibt es auch viele Verbindungen. Wir haben politisch zu vielen Dingen die gleiche Haltung, wir sind Kunstschaffende, die Kinder. Aber diese Überschneidungen habe ich mit vielen verschiedenen Menschen um mich herum. Aber in Wahrheit brauche ich Rainer wie die Luft zum Atmen. Manchmal denke ich, ich würde einfach sterben, wenn es ihn nicht mehr gäbe.

Ihr beide habt einem befreundeten, lesbischen Pärchen geholfen Eltern zu werden. Wie habt ihr reagiert, als ihr das erste Mal von der Idee gehört habt? Wie hat euer Umfeld reagiert?

Rainer kam nach Hause und hat gesagt: „Du, ich wurde gefragt ob ich Samen spenden kann, für diese beiden Menschen!“ Und wir haben uns angeguckt und gesagt: Klar, dass machen wir. Völlig naiv. Ich glaube, dass ist im Zentrum auch das, was Künstler ausmacht – der naive, unverstellte Blick. Meine Eltern sind völlig ausgeflippt. Die hatten tierisch Angst um uns. Da kamen homophobe Ressentiments und ein totaler Protektionismus ins Spiel. Seine Eltern waren sehr ruhig und zurückhaltend, ich weiß bis jetzt nicht genau, was sie davon halten. Dafür haben meine Eltern einen 180Grad turn-around hingelegt. Mein Vater hat das Presse Kit für mein Buch über die Samenspende mit mir erarbeitet und meine Mama hat mir bei einer Konzeption für Schulmaterial zu dem Thema geholfen. Das war super. Der Freundeskreis war durchmischt. Ablehnung gab es keine. Manche finden es fantastisch und manche sind, sagen wir mal, erstaunt …

Was hat euch dazu bewegt, den beiden zu helfen? Und was empfandet ihr als größte Herausforderung?

Rainer ist ein Mensch, der helfen will. Hilfsbereitschaft war also sein Motor. Für mich war super schnell klar, dass ist eine politische Entscheidung und wenn das der Fall ist, dann braucht das Sichtbarkeit. Ich habe dann ein paar Online-Artikel für das Missy Magazin darüber geschrieben. Es ist ja wirklich eine völlig untragbare rechtliche Lage: Verheiratete Frauen werden in die Grauzone der Illegalität gerückt. Beziehungsweiße in einen rechtsfreien Raum. Private Samenspende ist immer noch nicht gesetzlich geregelt, dass heißt die Frauen müssen einen Menschen finden, der spendet im Wissen, dass eine Klage komme kann. Und auch die Frauen wissen nicht, ob die Adoption der nicht leiblichen Mutter durchgehen wird, der Spender nicht klagen wird… Es ist wirklich ein großes Unrecht.

Die größte Herausforderung war für mich tatsächlich die emotionalen Reaktionen meiner Familie auszuhalten und mich davon zu befreien.

Wie stellt Ihr euch die Zukunft mit dieser Situation vor? 

Uns allen Vieren ist Transparenz wichtig. Es ist völlig klar, dass die eigene Herkunftsgeschichte sehr viel mit der psychologischen und emotionalen Resilienz eines Menschen zu tun hat. Also konkret, wenn das Kind der beiden wissen möchte, wer der Samenspender war, werden die beiden das erzählen. Unsere große Tochter weiß das ja auch schon und unsere Kleine wird mit dem Wissen aufwachsen. Es ist aber explizit kein Co-parenting. Es ist ihr Kind und wir verwenden auch für Leni extra nicht Worte wie Halbbruder, biologischer Vater oder so. Wenn man Leni fragt, sagt sie: Mein Papa hat seinen Samen verschenkt und jetzt haben die zwei Mamas ein Kind. Wir sind in freundschaftlichem Kontakt und werden das Kind bestimmt auch bald kennenlernen. Aber erst mal war uns wichtig, dass die drei sich wirklich finden können. Das war bei uns am Anfang mit beiden Babys ja auch so. Das ist eine sehr besondere, heilige Zeit.

Du hast eure Geschichte in einem Kinderbuch verarbeitet. Für wen ist dieses Buch?

JA! Das Buch ist einfach für alle!!! Also, es ist ein philosophisches, illustriertes Kinderbuch über Samenspende und Sehnsucht. Es ist für alle, die an eine Welt glauben, in der Liebe eine Familie macht und nicht das Geschlecht der Eltern. Es ist für alle, die wollen, dass solche Geschichten eine Sichtbarkeit und einen Platz in der Mitte der Gesellschaft bekommen.

Es wird gerade über Kickstarter gefundet. Das ist alles ziemlich aufregend. Ich habe sowas noch nie gemacht und dann gleich mit einer so persönlichen Geschichte. Aber die Reaktionen sind phänomenal und machen mir dolle Mut. Innerhalb von 24 stunden standen 50% der Finanzierung. Die Welt hat wohl ein kleines bisschen gewartet …

Was bedeutet Feminismus für dich? Und was hat dein Buch damit zutun?

Feminismus bedeutet für mich Humanismus. Alle sind gleich und wir müssen daran arbeiten, dass das auch Alltagsrealität wird. Mir ist zum einen Intersektionaler Feminismus (Anm. d. Red.: Intersektionaler Feminismus setzt sich für alle Belange marginalisierter Gruppen ein und beleuchtet die verschiedensten Diskriminierungsformen) sehr wichtig und zum anderen glaube ich, dass es meine Aufgabe als Feministin ist, mich auf die Suche nach meinen eigenen Privilegien zu machen und Wege zu finden die zu teilen. Das ist für mich Feminismus.

Das Buch thematisiert ja genau das: Wie kann ich Privilegien teilen und mich für die Belange Anderer einsetzen? Außerdem soll es empowern, speziell die Geschichte von weiblichen Liebenden und am besten alle Familien Konstellationen, die nicht Mama, Papa, Kind bedeuten. Diese Familien, und vor allem diese Kinder, brauchen Identifikationsflächen und Narrationen über sich selbst.

Was ist das Anstrengendste am Mama-Sein?

Der Performance-Druck, den ich mir selber auflade – die Kinder fordern mich heraus jeden Tag die beste Version meiner selbst zu sein. Diese Herausforderung hat eine Dimension, die ich vorher nicht kannte.

Und was Schönste?

Ihnen neugierig dabei zuzuschauen zu dürfen, zu was für Menschen sie werden. Was sie jeden Tag aus sich herauszaubern, das ist so erstaunlich … Das macht mich sehr glücklich.

Danke dir, Susanne!

Unterstützt Susanne bei ihrem tollen Buchprojekt auf Kickstarter. Oder schaut Euch die Facebook-Page an.

Susanne und Rainer Scheerer mit Leni (4 Jahre) und Irma (5 Monate), Juni 2016

Interview: Marie Zeisler

Fotos: Leni Moretti