Anja Schneider und Rio
Alles richtig gemacht

Anja Schneider kann man gut und gerne als eine der wenigen weiblichen Koryphäen der Techno-Szene bezeichnen. Sie ist Gründerin und Chefin des Labels Mobilee und moderiert außerdem wöchentlich die Show “Dance under the Blue Moon” für Radio Fritz. Als Label-Chefin gibt sie Künstlern eine Plattform, als viel gebuchte DJane ist sie auf der ganzen Welt unterwegs, als Produzentin hat sie mehrere Club-Hits gelandet. Im August 2011 kam eine weitere Herausforderung hinzu: Sohn Rio wurde geboren und ist seitdem fester Bestandteil im viel bewegten Leben von Anja. Wie sie den Alltag als Mutter und Businessfrau meistert und erfolgreich und selbstverständlich zwischen Partys und Kinderzimmer hin- und herpendelt, erzählte sie uns an einem grauen Januartag in Berlin Mitte.

Wolltest du immer Kinder haben, war Rio vielleicht sogar geplant?

Geplant war das nicht, aber ich wollte immer Kinder. Es ist vielleicht nicht bei jeder Frau so, aber bei mir gab es schon vor zehn Jahren einen Kinderwunsch. Unbedingt! Ich dachte eigentlich, ich könnte keine Kinder bekommen, es war absolut ungeplant. Umso größer war die Überraschung, dass es so kurz vor knapp geklappt hat. Also totale Freude und ich habe nicht einen Moment daran gezweifelt, dass das nicht mit meinem Job vereinbar sein könnte.

Wie lief die Schwangerschaft und wie lange hast du noch gearbeitet?

Ich habe relativ lange gearbeitet und bis zum sechsten Monat auch aufgelegt. Bei meinem letzten Gig war ich sogar noch in Detroit, und da dachte ich schon: Eine schwangere Frau im Club irritiert, und eine schwangere Frau hinterm DJ Pult noch mehr! Obwohl man auch irgendwie viel Ruhe ausstrahlt.
Ehrlich gesagt: Es war eine super Zeit, mein Booker und das ganze Team haben immer alle vorbereitet: Die ist schwanger! Dann wurde ich mit den besten Autos abgeholt, und mir wurde alles abgenommen, obwohl man ja heutzutage eh keine Platten mehr tragen muss. Ich konnte bis fünf Minuten vor dem Gig schlafen. Um mich herum wurde nicht geraucht und nicht getrunken und direkt danach konnte ich wieder weg. Ich musste keine Backstage-Gespräche führen, keine Kurzen trinken, auf keine After-Hour. Es war am Anfang komisch, weil man natürlich als DJ schon immer mit Alkohol konfrontiert wird. Alle wurden immer betrunkener, ich war nüchtern, manchmal dachte ich: Sind die Leute noch bei mir? Kann ich das musikalisch noch bedienen? Aber es war toll. Es hat mir wahnsinnig Spaß gemacht. Es ging nur noch um die Musik und das ganze Drumherum war einfach nicht mehr wichtig.

Und wann bist du nach der Geburt zurück ins Business?

Mein Sohn ist am 11. August geboren, und den ersten Gig hatte ich am 6. Oktober im Kater Holzig. Da hatten wir so eine kleine Label-Nacht. Danach ging es direkt zum Amsterdam Dance Event, da hatte ich ihn sogar mit. Das ging, weil das Hotel direkt neben dem Club war und auch weil mein Vater in Köln wohnt. Danach habe ich angefangen, wieder relativ viel aufzulegen. Ich bin dann aber erst mal nur innerhalb Europas unterwegs gewesen, sodass ich immer innerhalb von zwei Stunden wieder in Berlin sein konnte. Das erste Mal, dass ich länger weg war, für sieben Tage, das war dann schon 2012. Da war ich eine Woche in Südamerika. Das war total schlimm für mich, ich hab ihn unfassbar vermisst und konnte den Trip gar nicht genießen. Es ist schon krass, wenn man so lange getrennt ist.

Hättest du lieber länger eine Auszeit genommen oder wäre das überhaupt möglich gewesen?

Es wäre bestimmt irgendwie möglich gewesen aber ich bin nicht der Typ dafür. Ich wollte schnell wieder arbeiten und hatte auch diese Angst, raus zu sein, den Anschluss zu verlieren. Das haben bestimmt alle Mütter in sich, egal in welchen Job. Mich hat es dazu getrieben, relativ schnell weiterzumachen.

Wie schaffst du es, den DJ-Alltag mit Kind zu handlen?

Ich hab total viel Unterstützung von meinen Eltern und das Glück, dass meine Mutter sehr nah wohnt, sie ist in einer Stunde hier. Und die Eltern des Vaters sind totale Berlin-Fans. Sie haben sich 5 Minuten von mir entfernt eine Wohnung gekauft. Das hilft enorm, ich kann immer auf die Familie zählen und habe dabei immer ein gutes Gefühl. Der Familie traut man einfach am meisten und egal wie das Verhältnis vorher war, man wächst ganz anders zusammen, wenn ein Kind da ist. Ich mache mir nie Sorgen. Denn da fühlt er sich wohl, die kümmern sich. Manchmal finde ich es sogar doof, dass er mich schon fast gar nicht mehr vermisst am Wochenende. Aber das ist ja ein Hinweis darauf, dass es ihm gut geht und dass das alles super läuft. Ich mache dann immer Pläne, schon Monate im Voraus, wann er wo ist. Das klingt jetzt so nach Einteilung, aber die freuen sich ja auch total und Planung ist einfach das A und O. Das ist sicher bei jeder Mutter so, und zum Glück können wir ja auch gut planen! Außerdem ist Rio von Dienstag bis Freitag bei einer Tagesmutter in einer Gruppe mit vier anderen kleinen Kindern. Ab 16 Uhr bin ich dann meistens zu Hause mit ihm. Und der Montag ist unser Tag, da kommt nichts dazwischen, da gehe ich auch nicht in Büro, da ist nur mein Sohn.

Du warst letztens auch mit Rio auf Reisen in Mexiko….

Ja, ich hatte ihn in Mexiko dabei, aber auch nur, weil ich da noch drei Wochen Urlaub gemacht habe und zwei Mal habe ich aufgelegt. Das war eine absolute Ausnahme. Ich nehme ihn sonst nicht mit zum Auflegen. Das Reisen will ich ihm nicht antun, das stresst mich schon so. Ich glaube, für ein Kind ist das noch schlimmer. Ich könnte auch nicht relaxt auflegen, wenn ich wüsste, mein Kind ist im Hotel bei irgendeinem Babysitter, den ich nicht kenne. Mittlerweile lege ich auch nicht mehr Freitag und Samstag konstant auf, da ist schon mal ein Tag zwischendurch frei. Natürlich hat man immer ein schlechtes Gewissen, wenn man wegfährt. Es bricht mir jedes Mal das Herz, wenn ich zum Flughafen fahre. Manchmal hat man auch unmögliche Zeiten, legt irgendwo von fünf bis acht Uhr morgens auf und dann schaue ich auf die Uhr um Viertel nach sieben. Und denke: Jetzt wacht er gerade auf. Wenn der wüsste, dass Mami hier noch steht. Mal sehen, wie er reagiert, wenn er irgendwann Party-Videos von seiner Mama auf Youtube sieht! Aber so ist das halt, das ist mein Job. Und der hat ja auch Vorteile. Ich kann mir vieles viel besser einteilen als andere. Solange ich den Job noch machen kann, macht mich das aber sehr happy und ich möchte es nicht missen. Vielleicht wird es in fünf Jahren nicht mehr so sein und dann haben wir noch mehr Zeit füreinander.

Rio ist ein ziemlich entspannter Junge. Meinst du, das ist er wegen deiner lockeren Einstellung?

Natürlich ist das mein Einfluss! Nein, keine Ahnung, aber ich hab einfach gelernt, mich nicht verrückt machen zu lassen. Was andere Leute sagen, was ich lese, oder was alle glauben, besser zu wissen. Das kriegt man ja die ganze Zeit zu hören, schon in der Schwangerschaft: Wie du fliegst noch? Du trinkst ein Red Bull? Man denkt ja immer man tut zu wenig, man macht was falsch. Den Kurs hätt ich noch machen können und oh, die Ernährung! Oh Gott, ich habe ihm Schokolade gegeben! Da bin ich aber sicher nicht alleine. Man muss einfach noch mehr in sich ruhen und auf sein Bauchgefühl und seine Instinkte hören. Man spürt als Mutter schon, wenn das Baby noch im Bauch ist ganz genau, was das Beste für das Kind ist.

Du bist ja in der Szene schon etwas Besonderes, allein, weil du eine der wenigen richtig erfolgreichen Frauen bist. Wie haben die Kollegen darauf reagiert, dass du jetzt auch noch Mutter bist?

Meine männlichen Kollegen sind alle Väter oder die meisten. Für die ist das kein Problem. Die fahren nach Miami, zur Winter Music Conference, zur BPM. Und die Frau ist zu Hause und passt auf die Kinder auf. Ich hab echt gemerkt, wie viele Spießer es in meinem Kollegenkreis gibt. Da kamen ständig Sprüche und unterschwellige Vorwürfe: Ach echt, du legst schon wieder auf? Und so weiter. Oder wenn ich irgendwo bin und dann heißt es: Wo isn’ dein Kind? Und ich denke: was soll das? Hab ich an der Garderobe abgegeben. Haha! Natürlich ist es versorgt, natürlich kümmere ich mich darum!
Das hat mich oft erschrocken und überrascht. Ich bin schon lange in dem Business und weiß, dass es männerdominiert ist und wie viele Machos es gibt, aber trotzdem! So richtig setze ich mich damit aber nicht auseinander. Das prallt mittlerweile an mir ab. Solange mein Kind glücklich ist und wir ein ausgewogenes Verhältnis haben, mache ich mir da keinen Kopf. Wenn ich merken würde, dass es ihm nicht gut tut, würde ich alles ändern. Das würde jede Mutter tun!

Hat das Muttersein dich verändert?

Ja, klar! Also wenn einen das nicht verändert, dann weiß ich auch nicht. Ich hoffe, positiv! Der Fokus ändert sich. Da ist jetzt einfach jemand viel viel wichtiger und das ist ja auch das Allerschönste!

Hat sich dein Style verändert?

Nein, Gott sei Dank überhaupt nicht. Ich gebe immer noch genauso viel Geld für Klamotten aus und kaufe immer noch verrückte Schuhe und alles, was ich vorher anhatte. Ich gebe aber auch viel für ihn aus. Und da muss ich jetzt mal gestehen: Mein Sohn hat die hässlichste T-Shirt Sammlung aller Zeiten! Weil ich ja jedes Wochenende weg bin und dann packt mich am Flughafen das schlechte Gewissen, das ich was mitbringen muss und was gibt es am Flughafen? Diese kleinen T-Shirts. Er hat I love Porto, I love Paris. Aus jeder Stadt hat er so ein Touri-T-Shirt. Ich finde das ganz süß, keine Ahnung, wie er das findet, wenn er das mal später sieht! Ansonsten kaufe ich gerne bei Petit Boutique in der Auguststraße und im Kinderkaufhaus. Und ich gehe auch gerne zu H&M. Skinny Jeans für Einjährige sind der Knaller!

Was machst du am liebsten mit deinem Sohn?

Also ich spiele am liebsten Verstecken, er stellt gerne das Bad unter Wasser. Er versucht generell gerade oft, die Grenzen auszutesten. Rio liebt ansonsten Bagger. Bagger ist ein großes Thema in seinem Leben und dem widme ich mich natürlich auch! Wir haben viele Bagger-Bücher und es gibt einen großen Bagger, auf den er sich setzen kann. Wenn wir rausgehen, was wir oft tun, ist das Top-Ausflugsziel im Moment die Baustelle bei Unter den Linden. Da sind nämlich immer sechs bis sieben Bagger und es gibt so kleine Schlitze zum Gucken. Ich stehe da übrigens nicht alleine, da sind immer viele Eltern mit ihren Kindern!

Welche Rolle spielt Musik bei euch?

Wir hören immer Musik. Er liebt Musik. Ich dachte, das wäre bei Rio ganz besonders so. Ich habe das mittlerweile aber auch bei anderen Kindern beobachtet. Wenn er in einen Raum kommt und da läuft Musik, fängt er immer sofort an zu tanzen. Er findet Radio super und hat das auch schon total raus mit den Knöpfen. Er weiß, wo es lauter und leiser geht. Letztens kam was Elektronisches und Rio ist total ausgerastet. Dann sagte der Moderator: Das war von Paul Kalkbrenner. Ich so: Okay! Kurz darauf kam Depeche Mode. Ich habe lauter gemacht und ihn ganz verstohlen angeguckt, ob die gleiche Reaktion kommt. Zum Glück hat er auch gleich genickt und mitgewippt! Natürlich habe ich die gesamte Kinderlieder-Palette zu Hause. Ich sag schon immer, dass ich beim Auflegen aufpassen muss, dass nicht aus Versehen der BiBaButzemann läuft!

Als musikalische Untermalung für unser Video haben wir “Hello Boy” ausgewählt, den Track hast du für Rio produziert, oder?

Ja, das habe ich geschrieben, als ich hochschwanger war und zusammen mit Lee Jones produziert. Das war ganz lustig. Ich lag auf dem Sofa, weil ich nicht mehr sitzen konnte, und hab im Liegen meine Anweisungen gegeben! Zwei Tage danach bin ich ins Krankenhaus gekommen.

Was ist das Schönste am Mama-Sein?

Alles! Morgens aufwachen und da strahlt dich einer an und ruft Bagger oder im besten Fall Mama, aber im Moment eben eher Bagger. Dann hat man doch alles richtig gemacht! Da kann der Tag nicht mehr schlecht werden.

Und was ist das Nervigste?

Windeln wechseln? Ach, da gewöhnt man sich auch irgendwie dran, aber dieses “Oh nein, nicht jetzt”. Da freue ich mich schon drauf, wenn das nicht mehr passiert.

Danke für das tolle Interview, Anja!

 

Mehr über Anja gibt es hier und bei Resident Advisor.

Ihr könnt sie auch auf facebook liken. Hier erfahrt ihr mehr über ihr Label Mobilee Records.

 

Anja Schneider & Rio, Winter 2013

Interview: Isabel Robles Salgado

Fotos: Julia Nitzschke

Video: Roddy Ziebell