Warum wir uns jede Kritik an einer anderen Mutter zwei Mal überlegen sollten

Mütter können so grausam sein. Immer wieder beobachte ich das. Selbst bei mir im Freundes- und Bekanntenkreis, wo eigentlich alle sehr liberal eingestellt sind, wenn es ums Kinderhaben geht. Ja sogar ich selbst sage manchmal Dinge zu anderen Müttern, die ich im Nachhinein bereue.

Eine weibliche Schwäche

Frauen können in der Regel besser kommunizieren als Männer, sie sind emphatischer und sozialer. Aber bei all der Herzlichkeit und Anteilnahme untereinander gibt es immer wieder auch viel Argwohn, Wettstreit und Missgunst. Stutenbissigkeit nennt man das manchmal. Finde ich prinzipiell auch nicht schlimm. Aber in Sachen Muttersein bin ich sensibel. Ich finde, dass man sich jede Kritik, die mit dem Kinderhaben zu tun hat, zwei Mal überlegen muss. Warum? Weil es SO ein emotionales Thema ist. Weil man den Gegenüber im Zweifelsfall mitten ins Herz trifft, ihm richtig weh tut. Weil man oft ganze Lebensentwürfe kritisiert. Das ist gemein und muss nicht sein.

Und auch weil wir alle im selben Boot sitzen. Deshalb MÜSSEN wir solidarisch miteinander sein. Ich verstehe nicht, woher das kommt, dass Mütter sich gegenseitig so gerne einen reinwürgen. Warum es so viele blöde Artikel und Foren im Internet gibt, was man nicht alles nicht machen soll und was den Kindern schadet und wie und was. Schlecht recherchiert und maßregelnd und wertend. Und die werden dann von Müttern hin- und hergeschickt und manche schreiben: “Hab ich ja schon immer gesagt!” darunter und “Yay! Endlich spricht es mal einer aus.” Und ein anderer Teil der Mütter fühlt sich elend. Wem bringt das was?

Das stört mich. Und mich stört nicht nur das Verhalten im Netz, sondern auch vermeintlich nebenbei gesagte Dinge.

“Ach so, du gibst Pulvermilch? Sowas kommt in mein Kind nicht rein!”

“Du veröffentlichst Bilder von deinen Kindern bei Instagram? Schon verantwortungslos.”

“Du bist eine Woche ohne Kind? Könnte ich nie!”

“Kaiserschnitt ist einfach nicht gut für die Kinder. Wenn man schon die erste Hürde des Lebens nicht alleine schafft. Und auch gesundheitlich.”

“Du gehst zwei Jahre nicht arbeiten? Du opferst dich ja voll auf.”

“Du rauchst wieder? Krass. Schon kein gutes Vorbild.”

Es sind oft nebenbei gesagt Dinge, die trotzdem nicht gesagt werden müssen. Das heißt nicht, dass wir uns nicht mehr kritisieren dürfen. Aber viele Dinge kann man auch anders, vorsichtiger formulieren. Erst mal nachfühlen: Warum macht die das? Hinter den allermeisten Entscheidung von einer jeden Mutter steckt eine Geschichte. Viele Dinge hat sie sich vielleicht lange überlegt. Vielleicht ist sie selbst nicht so glücklich mit ihrer Entscheidung, aber sieht im Moment keinen anderen Weg. Und natürlich kann man vorsichtig hinweisen, wenn man etwas für grundsätzlich falsch hält. Aber eben vorsichtig. Und am besten von Freundin zu Freundin und nicht mit Wildfremden im Internet.

Alle wollen das Beste für ihre Kinder. Aber wir sind eben auch alle nur Menschen und keine perfekten Eltern-Monster. Die aber trotzdem einen tollen Job machen. Alle! Daran ändert die Pulvermilch nichts, das Wiener Würstchen nicht. Der falsch angeschlossene Maxi Cosi (eine Freundin von mir war den Tränen nahe, als sie feststellte, dass sie wochenlang mit einem falsch befestigten Ding rumgefahren ist), das eigene Instagram-Hashtag der Kinder, die “Fremdbetreuung”, das laute Schimpfen, das eigene Bett, der Kinderwagen (nach vorne, um Himmels Willen!), das Plastikspielzeug. Oder das Glas Feierabend-Wein und die Entspannungszigarette. All diese Dinge machen aus uns noch lang keine schlechten Menschen und damit auch keine miserablen Mütter. Jede macht es so gut, wie sie es in ihrer Situation kann. Jede hat andere Prioritäten und Eigenheiten. Jedes Kind hat andere Schwachstellen und kann anders wegstecken. Und den Kindern geht es in der Regel sehr gut. Beziehungsweise sind sie auch belastbarer, als wir oft denken. Irgendwo habe ich letztens gelesen, dass Kinder auch Reibung brauchen, Konflikte, schlechte Erfahrungen. Daran denke ich oft, wenn ich mich selbst in Frage stelle.

Schlaflose Nächte voller Zweifel

Und das tue ich natürlich oft. Im Februar hatten wir hier so viele Leser auf der Seite, wie noch nie. Klar bringt das auch mehr Kritik mit sich. Es gab einige böse Kommentare, Emails. Zu verschiedenen Dingen. Wir würden unsere Kinder so vermarkten. Wir würden das Familie-sein so negativ darstellen, dass man schon gar keine Lust mehr darauf hätte. Wir würden beschönigen und Druck machen. Wir seien oberflächlich, narzisstisch und nachlässig. Ich weilte zu der Zeit in Südafrika und bekam mit, was andere Familien auf dieser Welt so für Probleme haben. Wie andere Kinder so aufwachsen. Dachte: First World Problems. Und trotzdem ging mir jede einzelne Kritik total nah. Ich lag nachts schlaflos neben meinen schlafenden Kindern und fragte mich, ob ich wirklich so eine schlechte Mutter bin. Ob ich meinen Kindern schade dadurch, dass sie auf dieser Website eine Rolle spielen. Ob ich ihnen falsche Werte vermittele, weil ich mit ihnen nach Südafrika fahre. Ob ich ihr Leben aufs Spiel gesetzt habe, weil ich ohne Sitzerhöhung in ein Uber gestiegen bin.

Mutter sein ist eine Extrem-Erfahrung für die meisten Frauen. Sie werden mit so viel Richtig und Falsch konfrontiert, wie noch nie vorher. Sie haben das Gefühl, von allen Seiten bewertet zu werden. Gleichzeitig wird man so verletzlich und sensibel wie nie zuvor. Man muss Verantwortung übernehmen, SO viel Verantwortung! Und dann soll man auch noch nebenbei arbeiten, Geld verdienen, den Haushalt organisieren und den Mann nicht verschrecken. Es ist eine Menge. Und das Letzte, was man auf diesem intensiven Trip gebrauchen kann, sind die Kommentare von anderen keifenden Müttern.

Wie gesagt: das heißt jetzt nicht, dass wir nicht mehr diskutieren dürfen. Es gibt viele Dinge, die unbedingt besprochen werden müssen, viele Gespräche über das Für und Wider von Allem, die auch Unmengen von Müttern helfen. Aber man muss das alles mit Gefühl machen. Nicht einfach draufhauen sondern genau nachfragen und vorsichtig sein.

Bleiben noch zwei Fragen.

Erstens: Warum sind Männer da so viel cooler? Es gibt wenige Themen, bei denen ich dem anderen Geschlecht einen klaren Vorsprung einräume, aber in diesem Fall ist das so. Väter sind ganz schön tolerant. Ganz schön lässig, ganz schöne Vorbilder…

Und: Warum haben überhaupt so viele Frauen das Bedürfnis, andere an den Pranger zu stellen? Ich glaube, dass das fast immer passiert, weil sie sich selbst nicht so ganz sicher sind mit ihrem Weg. Ich kenne das von mir. Ich habe zum Beispiel als Xaver noch klein war, immer ganz doll über Familienbettler gewettern. Nein, das möchte ich nicht, niemals, wer macht denn sowas, habe ich gesagt. Ich war mir damals selbst total unsicher, weil ich mein Kind eigentlich unheimlich gerne bei mir hatte nachts, aber da war eben auch der Ideologie-Teufel, der gesagt hat: Igitt, das macht man aber nicht! Irgendwann hat mein Kind in seinem Zimmer durchgeschlafen, das fand ich dann auch komisch, und irgendwann kam er zurück zu uns und wurde mit offenen Armen empfangen. Seitdem habe ich nie wieder ein schlechtes Wort über das Familienbett oder das eigene Kinderbett verloren. Weil ich total im Frieden bin mit meiner Entscheidung. Und so ist es bei vielen Dingen.

Die eigene Unsicherheit führt oft zu Stutenbissigkeit

Ich zitiere hier mal die allwissende und doch nie belehrende Anja von Von guten Eltern: “Meine Erfahrung ist, dass diesen Themen immer dann mit Vorurteilen oder harscher Kritik gegenüber dem anderen Weg begegnet wird, wenn jemand sich selbst nicht so ganz sicher ist, ob derjenige auf dem richtigen Weg unterwegs ist. Je größer der „Gegenangriff“ ist, umso stärker ist meist die Unsicherheit.”

So ist das. Wir können uns alle mal an die eigene Nase fassen, wenn uns das Verhalten einer anderen Mutter stört. Fragen: warum macht mich das jetzt so fertig? Warum habe ich solche Gefühle? Oft kommt genau das dabei raus. Dass man selbst seine Entscheidung noch nicht gefunden hat. Oder dass man im Konflikt ist mit diesem Thema, dass man selbst Dinge getan hat, die man bereut. Oder auch dass man aus seiner eigenen Kindheit Erfahrungen noch nicht ganz verarbeitet hat. Und das alles bitte BEVOR man losdonnert.

Wir müssen endlich aufhören, uns zu streiten, wessen Modell die bessere Mutter hervorbringt. Denn darum geht es nicht, wir sind alle gute Mütter. Susanne sagt: Der richtige Weg ist, die Bemühungen von Eltern anzuerkennen. Das sehe ich auch so. Es gibt tausend Wege, und das ist ein kleiner Pfad, den wir alle einschlagen können, der auf jeden Fall richtig ist.

Denn sind wir nicht alle dauerhaft auf der Suche nach dem richtigen Weg? Und jeden Tag droht die Katastrophe: nämlich dass wir feststellen, dass wir die falsche Wahl getroffen haben. Bei kleinen und bei großen Dingen. Und weil wir so Angst haben zu scheitern, fahren viele schon mal die Krallen aus. Gehen in Verteidigungshaltung, völlig ohne Grund.

Fehler machen ist okay. Scheitern auch. Seine Meinung ändern auch. Nur andere Mütter klein machen, das ist nicht okay.

Ich beende diesen Text mit den Worten meiner eigenen Mutter:

Kleine Menschen machen Andere klein.

Große Menschen machen Andere groß.

 

Foto: Credit Michele K. Short aus dem Film Bad Moms