Let’s talk about: Problemesser

Es gibt bestimmte Personen des öffentlichen Lebens, denen begegne ich nur im Wartezimmer meines Arztes oder auf der Startseite von T-Online. Heidi Klum zum Beispiel - und all jene Mädchen wiederum, die Klum quasi aus ihren Windeln auf die roten Teppiche der deutschen Showindustrie hievt. Ich finde eigentlich, dass diese ganze Angelegenheit niemandes Rede wert sein sollte. Diese Modelshow-Nummer, sie ist ja auch mehr abstrus als mit dem Brechhammer bedrohlich. Aber als sich nun vergangene Woche dieser kurze Aufschrei auf Instagram - #notheidisgirl - formulierte, da krochen dann doch ein paar Gedanken dazu in mir hoch.

Der Kerngedanke ist ungefähr dieser und ich gehe angestrengt meine Kontakte durch, während ich das hier schreibe, aber es ist wie es ist: Ich kenne keine Frau, die ein unauffälliges, ja, wenn man näher hinschaut, gänzlich gesundes Verhältnis zum Essen und insofern zu ihrem Körper hätte.

Nun lässt sich natürlich trefflich darüber streiten, welche Frauen ich so kenne. Aber ich behaupte Mal, die Nummer mit dem Essen und dem Körperbild, die greift schon weiter als nur in meinem Bekannten- und Freundeskreis.

Nun will ich hier nicht Pathologien wie Magersucht erörtern. Ich meine vielmehr, dass es da draußen schlichtweg zu viele Menschen gibt, deren Gedanken nicht ausschließlich, aber doch auffällig viel ums Essen – und wie der Körper daraus hervorgeht – kreisen. Was man essen sollte, um gesund oder schlank respektive dünn zu bleiben, etwa. Am besten: Detox. Oder was auf gar keinen Fall gegessen werden darf, damit man nicht bald 100 kg wiegt: raffinierten Zucker etwa, überhaupt Kohlehydrate. Zumal: in welchen Mengen, zu welchen Uhrzeiten, in welchen Garstufen denn bloß? Gedünstet oder doch gebraten? Lässt man das Frühstück besser weg, um dafür mittags mehr essen zu können? Vielleicht doch besser nur noch Rohkost? Einmal im Jahr Fasten wäre schon gut und wer Camembert zu Baguette isst, hat ohnehin schon verloren.

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm?

Weil wir uns hier ja vornehmlich an euch Eltern richten und ich selbst auch Mutter bin, habe ich mich darüber hinaus gefragt, wie Kinder wohl geraten, die von Erwachsenen großgezogen werden, die alles andere als einen selbstverständlichen Bezug zum Essen haben – die vielmehr noch sogar keine Freude daran haben?

Wir können ja viel über Fingerfood anstelle von Brei zum Beikoststart sprechen oder inwieweit nun Muttermilch besser ist als jene, die sich aus Tüten anrühren lässt – aber dann behandeln wir das Thema Ernährung ungefähr so, wie viele Eltern ihre Kinder bei Regen rausschicken: von Kopf bis Fuß in wasserundurchlässige Textilschichten verpackt, während sie selbst nicht mal einen Schirm dabei haben. Wer sich für sein Kind einen entspannten Zugang zum Thema Essen wünscht, der muss selbst wohl auch mitziehen – und gegebenenfalls einmal hinterfragen, wie es um das eigene Essverhalten und das eigene Körperbewusstsein steht.

Während ich die vergangenen Tage über dieses Thema nachdachte, bin ich in meiner Erinnerung partout nicht auf einen einzigen Text gestoßen auf all den Mamablogs, die es inzwischen gibt, der das Thema aufgreift. Ich kann mich erinnern, irgendwann mal bei Steffi gelesen zu haben, dass sie sich manchmal heimlich Smarties reinzöge, wenn die Kinder gerade in einem anderen Raum wären. Und klar, #bodyshaming wird auch gerne diskutiert oder warum man es nach dem zweiten Kind nicht bereits nach drei Wochen schafft, wieder in seine alten Hosen hineinzupassen.

Ich bin jedenfalls nicht frei von diesem Thema, ihr könnt also gerne alle eure Steine auf mich schmeißen, wenn ihr jetzt denkt: die übertreibt doch!

Die Schwangerschaft als Pause vom ewigen Essirrsinn

In meinem Fall ist es so, dass ich behaupten würde, nur ein einziges Mal für einen recht langen Zeitraum jenseits der Pubertät frei von all diesen Neurosen rund ums Essen gewesen zu sein: In meiner Schwangerschaft und der Stillzeit danach. Wahrscheinlich ob dieses Urfilms, in den der Körper einen qua all der Hormone automatisch versetzt. Ich habe irgendwann einfach nicht mehr darüber nachgedacht, was ich essen will – mein Körper hat es mir befohlen und ich habe reagiert.

Ansonsten denke ich schon immer viel zu viel übers Essen nach. Ich habe mit 12 Jahren das erste Mal Kalorien gezählt, bewege mich seitdem ständig zwischen Gewichtshöhen- und tiefen und habe viel zu oft ein schlechtes Gewissen und Gefühl, wenn ich vermeintlich zu viel oder das falsche esse. Ich esse häufig nicht, wonach mein Körper verlangt. Ich kalkuliere, ob es ungefähr passen könnte.

Und wie oben angerissen, glaube ich damit nicht nur wie die allermeisten, sondern vielleicht sogar eher recht harmlos unterwegs zu sein. Ich habe zum Beispiel eine Freundin, die nach der Geburt ihres ersten Kindes innerhalb des Wochenbetts 20 kg (exklusive dessen, was man bei einer Geburt an Gewicht adhoc verliert) abgenommen hat, währenddessen nahezu nur Knäckebrot gegessen und schwarzen Kaffee getrunken hat. Jene Freundin wiederum wurde bereits als Grundschulkind von ihrer Mutter getriezt, nicht zu viel zu essen. Sie sei ja schon pummelig. Süßigkeiten gab es nur in sehr strengen Rationen.

Eine andere Freundin, die ich noch aus Schultagen kenne, ist inzwischen frühberentet, nachdem sie die vergangenen Jahre ob ihres Essverhaltens von einer Klink zur nächsten weiter gereicht wurde. Magensonden usw. inklusive. Jene Freundin wuchs wiederum – so schien es mir zumindest damals – recht behütet mit einer Mutter auf, die für ihre Kinder zuhause blieb und sie jeden Tag mit Essen ausstaffierte. Ich ersehnte regelrecht, für die Hausaufgaben nach der Schule mit zu dieser Freundin gehen zu dürfen, weil es nach dem in meinen Augen opulenten Mittagessen immer einen Nachtisch und überhaupt jeden Sonntagnachmittag selbstgebackenen Kuchen gab. Ich überhöhte die Familie meiner Freundin damals so sehr, dass ich erst sehr viel später mitbekam, das hinter den Kulissen alles andere gewaltig daneben lief.

Jedenfalls führt mich das abschließend zu diesem Punkt: Für meinen Sohn wünsche ich mir all das selbstredend nicht und weiß mich in meinen Wirren ums Essen dann doch oft nicht zu konditionieren. Vielleicht gilt es aber auch genau das nicht zu tun: sich zu konditionieren. Stattdessen eher zügellos zu sein oder zumindest einen Weg zum Genuss jenseits des schlechten Gewissens zu finden. Die Konditionierung ist ja gewisser Weise das Problem und Prägung entgegen unseren Versuchen, es anders hinzubekommen, ja doch selten oder eben nur bis zu einem gewissen Punkt steuerbar. Zumal so ein aus dem Gleichgewicht geratenes Essverhalten häufig wohl vor allem eines ist: ein Symptom (und das dahinter das eigentliche Problem).